a) Erzählende Quellen.

Durch die Ausgabe des zweiten Faszikels des zweiten Halbbandes ist die Vollendung des letzten (XXX.) Foliobandes der Scriptoresserie der Monumenta Germaniae historica ( 152) in greifbare Nähe gerückt; das dritte Faszikel soll außer den Indices nur noch wenige kurze Texte enthalten. Der Band enthält Nachträge zu den italienischen Geschichtsquellen der sächsischen und staufischen Epoche. Unter den Herausgebern finden sich Gelehrte, die schon lange nicht mehr unter uns weilen, und mancher Text ist durch mehrere Hände gegangen, bis er die jetzt vorliegende endgültige Gestalt gewann. So mußten die von dem im Weltkrieg zu früh gefallenen Gerhard Schwartz bearbeiteten Texte der Vita des hl. Bononius von Locedio, der französischen Reise des Petrus Damiani und der Dialogi de miraculis s. Benedicti des Abtes Desiderius von Montecassino (des späteren Papstes Victors III.) von A. Hofmeister, die Klosterchronik von S. Michele di Chiusa von Elisabeth Abegg zu Ende geführt werden und an der wortreichen, bisher nur in einem seltenen spanischen Drucke zugänglichen metrischen Vita Anselmi Lucensis des Rangerius arbeiteten gar drei Herausgeber: E. Sackur († 1901), G. Schwartz und B. Schmeidler. Der verewigte Altmeister H. Bresslau hat die Miracula s. Columbani aus Bobbio, den Bericht über den Bau der Kathedrale von Modena


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und die Translationsgeschichte des hl. Geminianus bearbeitet. In den Rest des Bandes teilten sich Fr. Baethgen (Vita s. Arialdi, des Patarenerführers, und Vita s. Johannis Gualberti), P. E. Schramm (Translatio et miracula ss. Senesii et Theopontii, Vitae s. Bernardi episcopi Parmensis und einige kleinere Stücke) und Ad. Hofmeister (Translatio ss. Juvenalis et Cassii epp. Narniensium Lucam und Sermo de virtute und sermo de transitu s. Constantii), der als Abteilungsleiter überhaupt die Drucklegung des Bandes überwacht hat. Die Texte, die in der Mehrzahl der Geschichte des Investiturstreits zugute kommen, waren durchweg schon früher bekannt, aber größtenteils in unzulänglichen Ausgaben. -- Von Gerhards Vita s. Oudalrici (SS. IV, 377 ff.) sind Bruchstücke einer neuen Handschrift in Göttingen aufgetaucht, über die eine Notiz von L. H (üttebräuker) im N. Archiv 48 (1929), S. 232 n. 165 unterrichtet.

Mit der Geschichtsschreibung Montecassinos beschäftigen sich einige Beiträge in der Jubiläumsschrift Casinensia ( 725a). G. Leidinger steuert (S. 365 bis 368) einige Bemerkungen über die jetzt allgemein als Autograph Leos von Montecassino angesehene Hs. Clm. 4623 bei, aus der E. Carusi (S. 97--114) das »Memoratorium« des Abtes Bertarius (Leo I 45) abdruckt; seine späteren Interpolationen werden erläutert und der Besitz des Klosters in den Abruzzen unter Heranziehung von zwei Urkunden des 9. und 10. Jhds. besprochen. F. Toracca (S. 161--70) glaubt, daß der Übersetzer der Normannengeschichte des Amatus nicht ein Franzose, sondern ein des Französischen kundiger Neapolitaner gewesen sei.

Zur Historiographie des 1. Kreuzzugs ist auf eine an entlegener Stelle erschienene und auch nicht allzuviel Neues bringende Quellenkunde von N. Jorga (1928: 566) zu verweisen. -- Die älteste Schilderung dieses Ereignisses enthalten bekanntlich die anonymen Gesta, die in Deutschland als erster Ekkehard von Aura gekannt und in seinem »Hierosolymita« benutzt hat. August C. Krey »A neglected passage of the first crusade« (167, S. 57--78) will nun nachweisen, daß die Nachricht der Gesta über die Abmachungen zwischen Alexios I. und Boemund von Tarent in Konstantinopel (vor Überschreitung der Meerengen durch das Kreuzheer) schon durch die spätere griechenfeindliche Stimmung beeinflußt sei, wie sie Boemunds Propaganda 1105/6 hervorgerufen habe, daß dagegen Ekkehard eine hiervon noch nicht berührte Version aufweise. Also sei jener Passus in den Gesta interpoliert. Das ist aber schwerlich richtig, denn Ekkehard äußert sich gerade hier wenig freundlich über den Griechenkaiser (fictis beneficiis). -- In demselben Bande (167, S. 101--138) vergleicht Andre Alden Beaumont jr. »Albert of Aachen and the county of Edessa« die Nachrichten Alberts mit anderen Quellen, darunter den erst neuerdings im Corp. script. Christ. orient., Script. Syri XIV und XV (1917--20) veröffentlichten syrischen, und gelangt dabei zu einem günstigen Urteil über die Glaubwürdigkeit Alberts.

A. Hofmeister ( 697) weist in der von dem Mönch Rudolf zwischen 1093/4 und 1133 verfaßten Biographie des Bischofs Lietbert von Cambrai (SS. XXX 2, 838 ff.) eine erstaunlich weitgehende Benutzung von Ciceros Cato maior de senectute nach.

Die neue Ausgabe der Biographie König Ludwigs VI. von Frankreich von Suger von St. Denis durch H. Waquet ( 700) ist Bd. 11 der Sammlung: Les


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classiques de l'histoire de France au Moyen-âge und bestimmt, die schon lange vergriffene Ausgabe von A. Molinier zu ersetzen. Sie unterscheidet sich von jener -- abgesehen von der beigegebenen französischen Übersetzung -- durch Heranziehung einer weiteren, der Hauptgruppe zugehörigen Handschrift (Vat. Reg. lat. 461); die Zusätze der Hs. F., die O. Holder-Egger (N. Arch. XXVI, 186 ff.) als Interpolationen aus späteren, bekannten Quellen nachgewiesen hat, sind nicht mehr in vollem Wortlaut mitgeteilt, sondern nur angedeutet. So wird die handliche Ausgabe auch der deutschen Forschung nützliche Dienste leisten. -- Das Ergebnis der paläographischen Untersuchung von R. Siebert ( 706) ist schon im Untertitel ausgesprochen und kann an Hand der beigegebenen Abbildungen -- zwei Seiten aus der Pariser Hs. des Annalista Saxo (lat. 11851) und eine Seite des Nienburger Bruchstücks in der Zerbster Gymnasialbibliothek -- bequem nachgeprüft werden.

Von den Quellen der Stauferzeit hat die Weltchronik Ottos von Freising eine englische Übersetzung durch Ch. Chr. Mierow (1928: 565) erfahren; sie gehört einer Serie »Records of civilization« an und zeigt wieder das große Interesse, das neuerdings in Amerika dem Mittelalter zugewendet wird. Die Übersetzung beruht auf A. Hofmeisters Ausgabe, dessen verschiedene Erläuterungsschriften auch für die geistesgeschichtliche Würdigung in der Einleitung weithin dankbar benutzt sind. -- Über den Aufsatz von F. Güterbock ( 701) vgl. den folgenden Jahresbericht. -- Für den Kreuzzug Friedrich Barbarossas liegen nun endlich die wichtigsten der selbständigen deutschen Quellenschriften in der handlichen Ausgabe von A. Chroust (1928: 567) vor. Der Band enthält: 1. die Historia de expeditione Friderici des sog. Ansbert (A), 2. die »Historia Peregrinorum« (HP), 3. den Brief des Bischofs Gotfried von Würzburg über den Tod des Kaisers und 4. die Narratio itineris navalis ad Terram sanctam, über eine Expedition norddeutscher Kreuzfahrer, die schon in Portugal ihr Ende fand. Von diesen Quellen sind A und HP Gegenstand einer ziemlich lebhaften Diskussion (vgl. zuletzt Jberr. 2, 266), in die Chroust auch hier -- in der zu besonderen Untersuchungen ausgeweiteten Einleitung -- eingreift. Es handelt sich dabei um die Frage, in welchem Verhältnis diese beiden Texte untereinander und zu dem Kreuzzugsbericht stehen, den Magnus von Reichersberg (M) in seine Chronik (SS. XVII, 476 ff.) angeblich aus einem Tagebuch des Passauer Domdekans Tageno (T) übernommen hat. Daß wir dieses Tagebuch im Wortlaut nicht mehr besitzen, ist jetzt allgemein anerkannt; aber ebenso sicher ist, daß ein solches existiert hat, und es ist nur noch strittig, in welchem Umfang es aus den erhaltenen Quellen erschlossen werden kann. Aus diesem Grunde ist es zu bedauern, daß die betreffende Partie aus der Chronik des Magnus, die unbedingt zu den primären Quellen des 3. Kreuzzugs gehört, nicht ebenfalls in den Band aufgenommen worden ist. Chroust bahnt sich den Weg zur Lösung der Frage durch eine stilistische Untersuchung von A; er glaubt darin drei, zu verschiedenen Zeiten während des Marsches von einem Notar der kaiserlichen Kanzlei geschriebene Teilberichte feststellen zu können, die derselbe Verfasser bald nach dem Tode des Kaisers zusammengearbeitet, ein Heiligenkreuzer Mönch dann aber durch einen Anhang bis 1197, durch eine Einleitung und einige Einschaltungen, vornehmlich von Aktenstücken, erweitert habe. Die vor der Heiligenkreuzer Bearbeitung liegende Form von A habe dann der »spätestens um 1200« verfaßten HP als Quelle gedient, die daneben -- abgesehen von


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den Marbacher Annalen u. a. -- für den Kreuzzug auch originale Mitteilungen eines Teilnehmers verwendet habe. Die Übereinstimmungen in M und A erklärt Chroust dadurch, daß dem Verfasser von M der dritte (letzte) Teilbericht von A in seiner ursprünglichen, gesondert verbreiteten Fassung vorgelegen und das bis dahin fleißiger benutzte T zurückgedrängt habe. Diese Ergebnisse Chrousts liegen auf der Linie seiner eigenen früheren Arbeiten zu der Frage; von den anderen Gelehrten, die sich in letzter Zeit dazu geäußert haben, bleiben H. Steinacker und K. Zimmert ( 699) im allgemeinen in Besprechungen von Chrousts Ergebnissen bei ihrer Meinung. Einmütig sind sie in der Ablehnung eines selbständig verbreiteten dritten Teilberichts. Zimmert führt die in der HP gegenüber A selbständigen Nachrichten auf eine frühere Bearbeitung von A zurück, dessen mit M gemeinsame Nachrichten aus T stammen sollen, so daß also in M mehr primärer Stoff steckt als in A. Steinacker vertritt auch weiterhin die Ansicht, daß die HP erst im Zusammenhang mit der Propaganda zum 5. Kreuzzug entstanden sei. Eine endgültige Klärung der Frage ist also noch nicht erzielt; immerhin ist durch die sorgfältige Ausgabe ein Teil des Materials bequem bereitgestellt.

Eine recht wertvolle Monographie über die Chronik des 1124 von den Wettinern gegründeten Augustinerchorherrnstiftes Lauterberg bei Halle legt E. Rundnagel ( 705) vor. In der letzten Ausgabe dieses Werkes durch E. Ehrenfeuchter (SS. XXIII) ist die Filiation der Handschriften nicht richtig erkannt; die Fragen nach Verfasser, Abfassungszeit und Quellen sind darin nur flüchtig und jedenfalls heutigen Ansprüchen nicht mehr genügend behandelt. R. schafft hier Klarheit; die zuletzt noch von H. Bresslau vertretene Ansicht, daß der Prior Konrad der Verfasser der Chronik sei, wird widerlegt, dagegen auf Grund einer in die Merseburger Bischofschronik übernommenen Notiz die Autorschaft des 1206--29 urkundlich nachweisbaren, vielleicht aus Pegau stammenden Kustos Martin zu hoher Wahrscheinlichkeit erhoben (was indes B. Schmeidler in seiner Rezension nicht anerkennen will). Geschrieben wurde die Chronik, die durch Blattverlust des (verlorenen) Originals am Schluß unvollständig ist, um 1230 unter Benutzung von Tagebuchnotizen, die 1212 einsetzen. Für die frühere Zeit hat Martin »als getreuer Überlieferer der wichtigsten, später verlorenen sächsischen Reichsgeschichten des 12. und 13. Jhds. eine einzigartige Bedeutung«. Diese verlorenen Quellen sind für die Jahre 1139 bis 1151 die Nienburger, von 1152 bis 1164 und darüber hinaus vereinzelt bis 1221 die Ilsenburger Annalen, deren Text der Lauterberger Chronist oft treuer bewahrt hat, als der umarbeitende Pöhlder Annalist. Eine weitere Quelle war eine verlorene Fassung der Magdeburger Erzbischofschronik, deren Benutzung wegen der Eigenartigkeit der (deutschen) Ableitungen jedoch nur mit stofflichen Argumenten nachgewiesen werden kann. Dann kommen als Quellen noch die zwischen 1211 und 1215 in Lauterberg entstandene und handschriftlich mit der Chronik verbundene Wettinergenealogie in Betracht, ferner neben Lauterberger und Pegauer Urkunden kleinere Aufzeichnungen aus Gottesgnaden, Nienburg und Neuwerk, endlich mündliche, nicht allzu stauferfreundliche Tradition. Für eine recht erwünschte Neuausgabe ist hier also ein gutes Stück Vorarbeit geleistet, auch wenn sich die quellenkritischen Aufstellungen nicht in allen Punkten als haltbar erweisen sollten.


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