§ 20. Deutsche Geschichte von 1648--1740

(M. Braubach)

Zunächst muß hier auf drei Quellenpublikationen von ausländischer Seite zur europäischen Geschichte nach dem Westfälischen Frieden hingewiesen werden. In der bekannten französischen Sammlung der Instruktionen für die französischen Botschafter und Gesandten an den übrigen Höfen Europas hat J. J. Jusserand, der frühere Botschafter Frankreichs in Washington, in zwei materialreichen Bänden die Anweisungen an die Vertreter Frankreichs in England von 1646 bis 1690, also bis zur endgültigen Vertreibung der Stuarts, herausgegeben ( 853). Im Gegensatz zu den früheren Bänden der Sammlung hat er die Instruktionen durch ausführliche Schilderung der politischen Entwicklung und der Tätigkeit der Gesandten auf Grund ihrer Korrespondenz miteinander verbunden, so daß sich ein lückenloses Bild der Beziehungen zwischen Mazarin und Cromwell und zwischen Ludwig XIV. und den beiden letzten Stuartkönigen ergibt. In einer lichtvollen Einleitung hat der Herausgeber außerdem die politischen Organe Frankreichs gegenüber England, vor allem die leitenden Staatsmänner Mazarin, Ludwig XIV. selbst und seine Außenminister Lionne, Pomponne, Colbert de Croissy und Torcy charakterisiert. Natürlich ist der Ertrag der Publikation für die deutsche Geschichte verhältnismäßig gering. Immerhin erfahren wir einiges über die Haltung Cromwells bei der Kaiserwahl Leopolds I., über die Tätigkeit der brandenburgischen Gesandten Moritz von Nassau und Weyman in London zu Beginn der 60er Jahre, dann vor allem über die Beziehungen des streitlustigen Bischofs von Münster Christoph Bernhard von Galen zum englischen Hof, ferner über Lisolas unermüdliche Arbeit gegen die drohende französische Hegemonie und endlich über die Beurteilung der Reunionen und der Fortnahme Straßburgs in England. Leider zeigt sich der Herausgeber, der die deutsche Literatur anscheinend nur zum Teil kennt, bei der Behandlung der deutschen Angelegenheiten mitunter schlecht unterrichtet. Sein hartes Urteil über Galen ist doch wohl nur zum Teil berechtigt, und ebenso fordert seine apologetische Darstellung der Reunionen und der Überrumpelung von Straßburg Widerspruch heraus. -- Nicht zugänglich war mir die zweite, spanische Quellenpublikation, die anscheinend die Berichte des spanischen Vertreters in Deutschland Castel-Rodrigo über die Wahl des früh verstorbenen Ferdinand IV. zum römischen König bringt ( 854). -- Wohl am wichtigsten aber für die deutsche Geschichte dürfte die dritte, holländische, Veröffentlichung sein, die als Band 67 der bekannten Rijks Geschiedkundige Publicatiën erschienen ist ( 855). In ihr legen G. von Antal und J. C. H. de Pater die erste bis 1697 reichende Hälfte der Berichte der holländischen Gesandten in Wien von 1670 bis 1720 vor. Sie bieten nicht nur für die Erkenntnis der Vorgänge in Wien und für die Politik der Generalstaaten und Wilhelms III. von Oranien gegenüber Österreich, sondern für die gesamte politische Entwicklung in Europa und vor allem in Deutschland in der Zeit der Türkenkriege und der Franzosengefahr ein ungemein reichhaltiges Material. Wir erhalten, um nur einiges Wenige herauszugreifen, auf der einen Seite eingehende Nachrichten über den ungarischen Landtag in Ödenburg von 1681, auf der andern wertvolle Berichte über die jeweiligen Vorbereitungen der Feldzüge und die Subsidienverhandlungen der Seemächte mit den deutschen Fürsten im


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holländischen und pfälzischen Krieg. Die Herausgeber haben mit Recht nur die wichtigeren Teile der umfangreichen Korrespondenzen im Wortlaut abgedruckt und die übrigen geschickt in einen verbindenden Text zusammengefaßt. Mit großer Sorgfalt haben sie in Anmerkungen Personen und Sachen erläutert. Eine Einleitung aus der Feder de Paters bringt zunächst eine Darstellung der Einrichtung der holländischen Gesandtschaft in Wien und der Verhandlungen, die der erste Gesandte Hamel Bruynincx vor seiner Reise nach Wien in den Jahren 1669/70 mit deutschen Reichsfürsten, insbesondere dem Mainzer Johann Philipp von Schönborn, führte; sodann gibt sie eine Zusammenstellung der wichtigsten Wiener Regierungsorgane und einen zusammenfassenden Überblick über die Tätigkeit der Vertreter Hollands am Kaiserhofe von 1670 bis 1697 und schließt mit Angaben über die Herkunft der Quellen und die bei der Publikation befolgten Grundsätze ab.

Leider hat die holländische Veröffentlichung K. v. Raumer bei seinen eindringenden Forschungen über die Pfalzzerstörung noch nicht vorgelegen: die Berichte Jakob Hops und Coenraad van Heemskercks aus Wien aus den Jahren 1688 bis 1690 hätten ihm gewiß noch manche wertvolle Ergänzung für seine Arbeit gebracht. Raumers abschließendes Buch ist erst im nächsten Jahr zu besprechen, hier sei dagegen nachdrücklich auf eine methodisch sehr ertragreiche Vorstudie aufmerksam gemacht, die das Quellenproblem und die Forschungsaufgabe umreißt ( 865). Die mannigfachen Schwierigkeiten einer Darstellung der Pfalzzerstörung werden aufgezeigt und dabei die Folgerung gezogen, daß in ihre Geschichtsschreibung nur durch eine rücksichtslose und völlige Umkehr von ihren bisherigen Wegen neues Leben, wahre Entwicklung kommen könne. Nicht nur »eine Beherrschung des Quellenbildes nach seiner ganzen Breite und Tiefe« sei unerläßlich, es müsse auch ein neuer Blickpunkt gewonnen werden: »Nur aus dem Innersten der politischen Zusammenhänge werden die Zerstörungen verständlich. Nur aus genauer Kenntnis der militärischen Voraussetzungen sind sie zu beurteilen.« Eine Zusammenstellung der bisher zum Thema erschienenen Arbeiten zeigt, daß bisher weder die Kriegsgeschichte noch die politische Geschichte der Anfänge des Pfälzer Krieges geschrieben worden ist. Selbst das gedruckte Quellenmaterial ist keineswegs vollständig verwertet: Raumer weist dabei besonders auf die wertvolle französische Quellensammlung Griffets zur Militärgeschichte Ludwigs XIV. hin, die jedoch auch schon von Schulte, zwar noch nicht in seinem Werk über den Türkenlouis, wohl aber -- was der Verfasser nicht anführt -- in seinen zusammenfassenden Arbeiten zur rheinischen Geschichte benutzt wurde. Zu Schluß der Studie wird noch ein Einzelproblem, die Zerstörung Speyers, herausgehoben und dabei zugleich die Bedeutung und Verwertungsmöglichkeit der zeitgenössischen Publizistik behandelt. -- Wie notwendig Raumers Ausführungen und Hinweise sind, zeigt die ohne ihre Kenntnis geschriebene Dissertation E. Ph. Kaysers über die Besetzung und Belagerung von Mainz 1688/89 ( 866). Der Verfasser hat Akten des Mainzer Stadtarchivs, des bayrischen Kreisarchivs in Würzburg und des hessischen Landesarchivs in Darmstadt benutzt, die ihn in den Stand setzen, eine ausführliche Schilderung des äußeren Verlaufs der Ereignisse in und um Mainz zu geben. Griffets Sammlung kennt er nicht, aber auch sonst hat er sich in der Heranziehung von Quellen und Literatur allzusehr beschränkt. Seine Kenntnis der allgemeinen Zusammenhänge ist nur oberflächlich, die Pfalzzerstörung


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z. B. wird damit erklärt, daß die Franzosen die Unmöglichkeit, die große Zahl der besetzten Städte erfolgreich verteidigen zu können, eingesehen und daher den Beschluß gefaßt hätten, dieselben lieber zu vernichten als den Kaiserlichen zu überlassen. Übrigens sollte auch bei einer Dissertation eine sorgfältigere Durchsicht der Korrekturen erfolgen. Wohl auch nur ein Druckfehler ist es, wenn der Verfasser von einer Forderung der französischen Besatzung an die Mainzer, innerhalb 20 Stunden 2000 Maschinen (statt Faschinen) zu beschaffen, berichtet.

Die Tragödie des letzten Habsburgers in Spanien und seiner zweiten Gemahlin, der Pfalz-Neuburgerin Maria-Anna, behandelt Prinz Adalbert von Bayern in zwei gut ausgestatteten Bänden ( 864). Man wird dankbar die in ihnen neu erschlossenen archivalischen Quellen, die auch für die deutsche Geschichte reiches Material enthalten, begrüßen. Wir erfahren daraus manches Neue über den Aufstieg des Hauses Neuburg, über die Beziehungen zwischen Wittelsbachern und Habsburgern im 17. Jhd. und über viele Ereignisse jener Zeit, z. B. über die Wahl in Lüttich 1694. Sind doch im Text bisher großenteils unbenutzte Korrespondenzen Max Emanuels von Bayern, Philipp Wilhelms und Johann Wilhelms von der Pfalz, ferner auch des Kaisers Leopold und seiner Berater und Diplomaten abgedruckt oder verarbeitet, die auf manche politische Verhandlungen, wie etwa auf die geheimen Abmachungen zwischen Max Emanuel und der Königin Maria Anna von Spanien vom Januar 1698, neues Licht werfen. Die deutsche Kultur jener Zeit tritt uns insbesondere in den Briefen Maria Annas und ihrer Vertrauten an ihren Bruder Johann Wilhelm (köstlich vor allem die Schreiben der jungen Pfalzgräfin aus Heidelberg und Mannheim I, 414 u. 423) anschaulich entgegen. Leider hat der Verfasser geglaubt, das Leben Karls II. und Maria Annas in eine ausführliche Darstellung der gesamten Zeitgeschichte hineinstellen zu müssen, eine Aufgabe, der er offenbar nicht gewachsen ist. So glücklich er das Milieu des Madrider und auch etwa des Neuburger Hofes zu zeichnen versteht, so wenig gelingt es ihm, die europäischen Verhältnisse, Beziehungen und Verwicklungen lesbar darzustellen. Diese Teile sind zudem reich an historischen Irrtümern: da erscheint Karl Gustav von Schweden als stimmberechtigt bei der deutschen Kaiserwahl, Adam Smith als der Schöpfer des Merkantilismus, Karl V. als ein Sohn Kaiser Maximilians, Maximilian Heinrich von Köln als Regent für den jungen Max Emanuel usw. Die Freude an dem Buche wird dem Leser zudem durch zahlreiche kleinere Versehen und Druckfehler getrübt.

Die bisher nur allzusehr vernachlässigte Reichsgeschichte erfährt für die ersten Jahrzehnte des 18. Jhd. eine eingehende Bearbeitung in dem bedeutenden Werke H. Hantschs über den Reichsvizekanzler Friedrich Karl von Schönborn ( 874). Die Grundlage lieferten einmal die umfangreichen Bestände des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, in dem auch die Akten des Mainzer Erzkanzlerarchivs sich befinden, sodann die wertvollen Korrespondenzen des gräflich Schönbornschen Privatarchivs in Wien und des Schönbornschen Familienarchivs in Wiesentheid. Ergänzend wurden u. a. die Wiener Gesandtschaftsberichte im preußischen Geheimen Staatsarchiv herangezogen. Friedrich Karl, ein Großneffe des »deutschen Salomo« Johann Philipp und ein Enkel von dessen Berater Boineburg, wurde nach der üblichen kavaliermäßigen Ausbildung durch seinen Onkel, den Kurfürsten Lothar Franz von Mainz, mit


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dem er bis zu dessen Tode in engster Verbindung stand, in die Politik eingeführt. 1700 treffen wir ihn auf einer ersten Mission in Dresden, 1703 kommt er als kurmainzischer Gesandter nach Wien und wird 1705 nach dem Tode des Reichsvizekanzlers Kaunitz dessen Nachfolger. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der sich in erster Linie immer als österreichischer Minister gefühlt hatte, sucht er im Verein mit seinem Mainzer Oheim dem Amt wieder wirkliche Bedeutung zu geben, ist er, in ständigem Kampf gegen die österreichischen Behörden, gegen Seilern, Wratislaw, Sinzendorf, Windischgrätz, bestrebt, am Hofe Josephs I. und Karls VI. die Interessen des Reichs zur Geltung zu bringen. Erstaunlich ist die Summe von Arbeit, die auf seinen Schultern ruht und die er gewissenhaft erledigt. Als Leiter der Reichskanzlei setzt er sich mit dem Papst, seinen kirchlichen und politischen Ansprüchen, auseinander, achtet er auf alle Höfe des Reichs, besonders auch auf das gefährlich aufsteigende Preußen, mit dem er oft in Fehde liegt, bewacht er die Verhandlungen des Reichstags, an dem es während seiner Amtstätigkeit in den Jahren 1719 bis 1725 zu einer schweren Verfassungskrise kommt, tritt er in den nordischen Wirren entscheidend hervor. Bis 1734 dauert seine Tätigkeit in Wien, in diesem Jahr nimmt er, der schon 1729 zum Bischof von Bamberg und Würzburg aufgestiegen ist, seinen Abschied als Reichsvizekanzler. Was die Darstellung Hantschs über dies alles an neuen wichtigen Aufschlüssen bringt, läßt sich in wenigen Sätzen nicht berichten, der nachdrückliche Hinweis muß genügen. Die Persönlichkeit des Reichsvizekanzlers ist nur der Ausgangspunkt, von dem aus die Strahlen nach allen Richtungen gehen. Wieviel erfahren wir z. B. über die beiden Kaiser, den leicht beeinflußbaren, sensibeln Joseph I. und den langsamen, zähen Karl VI., über ihre Berater, einen Prinz Eugen, einen Wratislaw, einen Sinzendorf, wieviel überhaupt über das ganze politische und gesellschaftliche Leben in Wien, wieviel ferner über manche der Reichsfürsten, Lothar Franz von Mainz an der Spitze, wieviel endlich über die vielen großen und kleinen Kräfte, deren oft kompliziertes Zusammen- und Gegeneinanderspiel die deutsche Geschichte jener Zeit ausmacht! Wenn Hantsch allerdings in seinem Buch in der Hauptsache die Bedeutung der Reichsidee für die Politik der beiden letzten Habsburger aufzeigen will, so scheint mir das Ergebnis eigentlich negativ zu sein. Vergeblich rannte der »Reicher«, wie Wratislaw Schönborn einmal nennt, gegen die Front der Vertreter der spezifisch österreichischen Interessen an. Wir hören, daß das Hausinteresse doch immer wieder den Ausschlag gab, daß während des Spanischen Erbfolgekriegs die wichtige Barriere am Rhein in Wien weniger wog als ein Streifen Landes, um Katalonien vor einem französischen Einbruch zu sichern, daß man mehr an Spanien als an Straßburg dachte, daß, wie Hantsch selbst einmal sagt, überall die reichsverneinenden Tendenzen die Oberhand gewinnen konnten und mußten, weil das eigenstaatliche Interesse des Erzhauses im Grunde denselben Weg verfolgte und eine einheitliche, zielsichere Reichspolitik verhinderte. Die Darstellung ist in dieser Beziehung von inneren Widersprüchen nicht frei. Auch was die Beurteilung Schönborns selbst betrifft, finden sich manchmal Sätze (»einer der letzten großen Deutschen des alten Reichs«), die mit dem von dem Verfasser selbst vorgetragenen Material nicht ganz übereinstimmen. Gewiß wird er mit Recht gegen die Vorwürfe Droysens in Schutz genommen, aber andrerseits erfahren wir, daß ihn oft »Privatrücksichten« verhindern, Reichspolitik zu treiben. Das Reich selbst befand

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sich eben -- auch Hantsch stellt das fest -- in einem hoffnungslosen Zustand, es litt nach einem Ausspruch Schönborns an dem »Marasmus senilis«; bei dieser Lage der Dinge aber dachte jeder zunächst an sich selbst. (Noch einige kleinere sachliche Berichtigungen seien mir gestattet: S. 117 ist das Datum wohl falsch, auch stimmen die Anmerkungsziffern mit den Anmerkungen nicht überein; S. 138 lies statt Philipp Wilhelm Johann Wilhelm; S. 216 lies Verden statt Werden; S. 229 lies Peter Alexejewitsch statt Peter Ivanowitsch; unverständlich ist mir, daß, wie H. S. 319 mitteilt, Graf Plettenberg in Wien als Urheber und Förderer der antikaiserlichen, franzosenfreundlichen Politik der rheinischen geistlichen Kurfürsten verschrien gewesen sein soll, da er es doch gerade war, der den engen Anschluß des Kurfürsten Clemens August von Köln an den Kaiser in dessen ersten Regierungsjahrzehnt herbeiführte; als besonders hartnäckiger Druckfehler findet sich Bernay statt Berney.) -- In Hantschs Buch werden wir auch über die Beziehungen des kaiserlichen Hofes zu dem Rußland Peters des Großen unterrichtet, insbesondere enthält es neues Material über die Tragödie des Zarewitsch Alexei, der ja zeitweise in Österreich Zuflucht suchte. In diesem Zusammenhang sei der Aufsatz E. Lukinichs genannt, der auf Grund von Wiener Archivalien die ablehnende Haltung der kaiserlichen Regierung gegenüber der Forderung des Zaren auf Anerkennung seines Kaisertitels in den Jahren 1710/11 schildert ( 872). Nur die Verwicklung Peters in den Türkenkrieg verhinderte schlimmere Folgen dieses Rangstreits.

An der Pragmatischen Sanktion hat der Reichsvizekanzler Schönborn nur insofern Anteil genommen, als er seit Ende der 20er Jahre bemüht war, ihre Garantie durch die Reichsstände zu erlangen. Er ist aber auch schon bei dem feierlichen Akt vom 19. April 1713 zugegen gewesen, und Hantsch teilt uns den Bericht, den er am folgenden Tag über den Vorgang dem Kurfürsten von Mainz erstattete, im Wortlaut mit. Schönborn faßte das Geschehene so auf, daß es sich um die auch dem Pactum mutuae successionis von 1703 entsprechende Feststellung des Vorrangs der Töchter Kaiser Josephs vor den Schwestern Josephs und Karls handelte, wobei der Vorrang der noch nicht geborenen Kinder Kaiser Karls als selbstverständliche Voraussetzung erscheint. Die gesamten mit dem Pactum und der Sanktion zusammenhängenden Fragen hat nun W. Michael auf Grund archivalischer Studien in außerösterreichischen Archiven, vor allem in Hannover und Dresden, neuerdings mit großem Scharfsinn untersucht ( 875). Auch mit Hilfe textkritischer Feststellungen kommt er zu der Behauptung, daß der bisher als das Original der Pragmatischen Sanktion geltende Wiener Text gar nicht das wahre Protokoll darstellt, sondern daß dieser erst im Jahre 1719 von dem Minister Sinzendorff mit Hilfe des Protokollführers Schickh hergestellt wurde. Den wirklichen Text des Protokolls vom 19. April 1713 will Michael unter Zuhilfenahme des Referats der Minister vom 11. April in der Darstellung des Vorgangs finden, die Josephs Witwe Amalia am 22. April in einem Schreiben an den ihr nahe verwandten Kurfürsten von Hannover gibt. Gegen die Beweisführung und die Ergebnisse Michaels hat der beste Kenner der Materie G. Turba Einspruch erhoben. Man wird die von ihm angekündigten weiteren Veröffentlichungen abwarten müssen, ehe man endgültig zu der Streitfrage Stellung nehmen kann.

Zur Publizistik der Zeit ist diesmal nur ein Beitrag zu erwähnen. O. Ruppersberg berichtet über eine im J. 1698 gleichzeitig in Offenbach und Frankfurt


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gedruckte Flugschrift mit dem Titel: Letzter Reichs-Abschied von der Mutter dem Römischen Reich an die enterbte Tochter, nun Französischen Stadt Straßburg, und gibt sie im Wortlaut wieder ( 867). Es handelt sich um ein Gedicht, das unter Lobeserhebungen des Kaisers und der Römischen Kirche den Fall Straßburgs als die Strafe für den Abfall vom alten Glauben darstellt und heftige Angriffe gegen die übrigen evangelischen Reichsstädte richtet. Der Verfasser ist sicher im Dominikanerkloster in Mainz oder Frankfurt zu suchen. Der Frankfurter Rat suchte die Verbreitung der Flugschrift zu verhindern, auch setzte er sich mit den andern angegriffenen Reichsstädten wegen gemeinsamen Vorgehens in Verbindung, zu einer wirklichen Aktion seitens der Betroffenen ist es jedoch nicht gekommen.


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