VI. 1870/71.

Der kurze Aufsatz Hans Delbrücks über die Emser Depesche ( 1068) will eine quellenmäßige Ergänzung zum letzten Band seiner Weltgeschichte geben. Delbrück will aufklären, warum Bismarck, obwohl von einer Fälschung der Depesche nicht gesprochen werden könne, sich selbst später in diesem Sinne geäußert habe. Eine Fälschung wäre gar nicht nötig gewesen. Die Art der Veröffentlichung durch Extrablätter habe vielmehr aus der Chamade


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eine Fanfare gemacht. Damit habe Bismarck die diplomatische Niederlage Preußens in eine Niederlage Frankreichs umgewandelt. Später habe Bismarck lieber sich einer indirekten »Fälschung« beschuldigt als zugestehen wollen, daß er in den der Depesche vorausgehenden Ereignissen zunächst einen verfehlten diplomatischen Feldzug geführt habe.

Die Fortsetzung der Geschichte der Kriegskunst von Hans Delbrück, die Daniels zum Verfasser hat (vgl. Jberr. 1927, S. 248 f.) ( 1065), behandelt die ersten Zeiten des deutsch-französischen Krieges bis zur Schlacht von Gravelotte. Der Grund des eigentlichen Titels »Die Politik verdirbt die Strategie« wird nicht recht ersichtlich, wenn auch von politischen Einflüssen auf die Heeresführung Napoleons gesprochen wird. Nur bei der sehr aufschlußreichen Vergleichung der Qualität beider Heere werden gelegentlich die politischen Grundlagen verfolgt. Der hier vorliegende Teil des neuen Bandes ist überhaupt nicht so straff und übersichtlich wie der vorhergehende. Im Gegensatz zu der üblichen Beurteilung wird, wie schon für den Krieg von 1859, die Bedeutung Napoleons als militärischer Führer hervorgehoben, seine Krankheit als durchaus nicht entscheidend hingestellt. Die Langsamkeit des französischen Aufmarsches bei Kriegsbeginn erklärt Daniels aus dem falschen Glauben an eine langsamere deutsche Mobilmachung. Eine Reihe deutscher Unterführer wird scharf kritisiert. Steinmetz »habe am Rand des Wahnsinns« gestanden. Dagegen wird Friedrich Karl als Führerpersönlichkeit sehr hoch gewertet, freilich habe ihm operative Veranlagung gefehlt. Bei der Schilderung der Schlacht von Vionville wird sehr stark das bedeutungsvolle Eingreifen des späteren Reichskanzlers Caprivi herausgearbeitet. Die Gesamttendenz ist dadurch bezeichnet, daß im Gegensatz zu dem »Heldenepos« des deutschen Generalstabswerkes das vielfache Versagen der deutschen Führung herausgearbeitet und vor allem auch auf die oft kritische Lage, vor allem in den Schlachten bei Metz, hingewiesen wird. Diese Gesamttendenz ist gewiß berechtigt, wenn auch der Verfasser uns gelegentlich sehr weit zu gehen scheint und nicht immer voll berücksichtigt, daß bei der ganzen Lage in solchen Kämpfen Mißgriffe in der Entscheidung der Führer fast unvermeidbar sind. Die Bedeutung der Moltkeschen Leistung wird natürlich stark betont und zusammenfassend geurteilt, Moltkes Kriegskunst habe triumphiert, weil trotz einiger Irrtümer von Moltke selbst und mancher Mißgriffe und auch Unbotmäßigkeiten der Unterführer die »große Linie einfach aber genial gezogen war«. -- Der Zeitschriftenaufsatz von E. Daniels ( 1069) ist im wesentlichen eine Veröffentlichung aus dem eben besprochenen Werk. -- Die Arbeit von Humbert ( 1070) über Bazaine und die Kapitulation von Metz ist im wesentlichen eine populäre Schilderung, die nichts enthält, was im besonderen für die deutsche Geschichte in Frage kommt. -- Die Tagebuchaufzeichnungen von de Castelnau ( 1071 a), des Begleiters Napoleons III., umfassen die Zeit vom 28. Juli 1870 bis zum März 1871 und schildern besonders eingehend die Vorgänge vor und bei der Kapitulation von Sedan.

Einen für die innere Geschichte Deutschlands in den Zeiten des deutschfranzösischen Krieges wichtigen Beitrag enthält Rothfels' Aufsatz über Bismarck und Jacoby ( 1061). Er veröffentlicht Akten über Jacobys Verhaftung im September 1870 -- er hatte eine Rede gegen die Annexion Elsaß-Lothringens gehalten -- und über ein Verbot öffentlicher Versammlungen der Volkspartei. Bismarck billigte die Verhaftung, aber nicht das Versammlungsverbot und trat


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nachher auch für die Aufhebung der Verhaftung ein. Die von Rothfels mitgeteilten Akten sind, wie der Herausgeber mit Recht meint, bezeichnend für die allgemeinen Hintergründe und Gegensätze innerpolitischer Art in dieser Zeit, auch den Gegensatz zwischen König Wilhelm und Bismarck.

Hans Goldschmidts Veröffentlichung »Bismarck und die Friedensunterhändler 1871« ( 1073) ist eine von einleitenden Zusammenfassungen des Herausgebers begleitete Aktenpublikation, deren Inhalt umfassender ist als der Titel. Denn im Mittelpunkt steht nicht nur Bismarcks Stellung zu den Friedensunterhändlern, sondern wir erfahren aus den mitgeteilten Akten recht genau den Verlauf der Verhandlungen vom Präliminarfrieden des Februar 1871 bis zum endgültigen Abschluß der eigentlichen Friedensverhandlungen in der Zusatzkonvention zum Friedensvertrag vom Dezember 1871. Der Herausgeber beabsichtigte ursprünglich eine Darstellung. Er hat wohl mit Recht einer Aktenpublikation den Vorzug gegeben, da es kaum möglich war, die durch viele Detailfragen, die doch alle charakteristisch sind, belasteten Verhandlungen darzustellen. Es ist daher hier nicht möglich, auch nur andeutend das wesentliche Ergebnis der Akten zu skizzieren, die, wie der Herausgeber sagt, »das Bild eines zehn Monate dauernden harten diplomatischen Ringens« geben. -- Sachlich zeigt sich sehr deutlich, wie Bismarck bei aller Festigkeit gegenüber dem unterlegenen Frankreich doch unnötige Schikanen und Verletzung des französischen Stolzes vermieden hat. Das zeigt im übrigen auch der von Goldschmidt noch nicht benutzte Band der französischen Aktenpublikation ( 1040). Die Art der Herausgabe der Goldschmidtschen Publikation folgt dem Muster der großen deutschen Aktenpublikation, in dem an sich berechtigten Streben, eine gewisse Einheitlichkeit derartiger Publikationen herbeizuführen. (Ob es freilich -- nach dem Beispiel der deutschen Aktenpublikation -- zweckmäßig ist, die Randbemerkungen Bismarcks und anderer zu den Akten erst am Schluß des betreffenden Aktenstückes zu geben, so daß sie nie an der Stelle stehen, wo man sie braucht und wo sie wohl auch im Original stehen werden, erscheint fraglich.)


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