IV. Katholische Parteien.

In Bd. 4 von Bachems Vorgeschichte, Geschichte und Politik des Zentrums (Abbau des Kulturkampfs, 1928: Nr. 1093) herrscht noch die Kulturkampfstimmung des Autors, wie ich sie in Jberr. 3, S. 327, gekennzeichnet habe. Besonders tritt die unbedingte Verteidigung der offiziellen Zentrumspolitik und die Verherrlichung ihres Führers Windthorst hervor. Wenn der Liberalismus ein Kompromiß mit der Regierung schließt, wird ihm Umfall vorgeworfen. Tut das Zentrum das Gleiche, so nennt B. es »geschickte Benutzung der gegebenen Verhältnisse«. Es werden nicht nur die Einspänner ungünstig beurteilt wie die Pfarrer Lender, Hansjakob, Majunke; die Kritik, die katholische Führer wie Schorlemer, August Reichensperger, Franckenstein, Fürstbischof Kopp usw. übten, und die zeitweilig abweichende Politik des Papstes erfährt ebenfalls Mißbilligung. B.s mangelhafte Beherrschung der Quellen und Literatur, überhaupt der historischen Methode, läßt ihn auch in Einzelheiten vielfach ein schiefes Bild der deutschen innenpolitischen Entwicklung entwerfen. So wurde -- um nur ein Beispiel anzuführen -- der hessische Minister Dalwigk 1871 nicht »von der anschwellenden nationalliberalen Strömung überrannt«, wie B. schreibt, sondern Bismarck übte auf den Großherzog von Hessen in persönlicher Unterredung einen entsprechenden Druck aus wegen Dalwigks Gesamtpolitik 1866--1870. -- Der Größe Bismarcks als Gründer des Deutschen Reichs bemüht sich Bachem gerecht zu werden und zollt dessen Entschluß, den Kulturkampf abzubrechen, höchste Bewunderung. Er bleibt aber im einzelnen in der landläufigen katholischen Darstellung der Politik des Kanzlers gegenüber dem Zentrum stecken und berücksichtigt nicht die politische Gesamtlage. Die wahllose Bewertung der Quellen veranlaßt ihn außerdem, offne Türen einzurennen und unfundierte Behauptungen von Persönlichkeiten wie dem Vielschreiber Robolsky und Emil Ludwig, der die Vorbereitung von Bismarcks Sturz aus einer Unterredung Windthorsts und Holsteins in der Sofaecke eines Salons entstehen läßt, weitläufig zu widerlegen. Es soll über all diesen Mängeln aber nicht die große Leistung und Bedeutung des Bachemschen Werks verkannt werden; er hat eine zusammenhängende Darstellung der innerpolitischen Kämpfe des Deutschen Reichs bis 1918 geschaffen, die lehrt, wie ein Zentrumspolitiker des kaiserlichen Deutschlands letztere rückblickend sieht und die Motive der Zentrumspolitik beurteilt wissen will.


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In Band 5 und 6 (1929: Nr. 1439, das Zentrum in Berlin 1887--1898 bzw. 1898--1906) tritt auch deutlich der Vorzug des Miterlebens der Ereignisse durch den Verfasser in Erscheinung; er war seit 1890 Mitglied des Reichstags. Und die Rolle als ausschlaggebende Partei und die damit verbundene Übernahme der Verantwortung läßt den Ton der Darstellung weniger polemisch werden. Inhaltlich kommt der Verfasser nur dann wesentlich über das Bekannte hinaus, wenn er aus fremden Aufzeichnungen und vertraulichen Mitteilungen wie denen des späteren Reichsjustizministers Frenken und des Grafen Ballestrem schöpfen kann. Es fällt auch hier auf, wie störend seit 1890 die sprunghafte, unmotiviert wechselnde Stellungnahme des Kaisers und die lärmende Art, sie mitzuteilen, auf die parteipolitische Entwicklung wirkte. Bei den immer wiederkehrenden Klagen über die Benachteiligung der Katholiken in der Besetzung der Beamtenstellen beachtet B. nicht, wie stark hier die Abneigung des bis 1918 herrschenden konservativen Beamtentums hineinspielte, Andersgesinnte in ihre Reihen aufzunehmen und zur Geltung kommen zu lassen.

Der 6. Band schließt mit dem »Bülowkrach«, der Auflösung des Reichstags vom Dezember 1906. B. nimmt an, daß die dann erfolgende Bildung einer konservativ-liberalen Mehrheit, der »Blockgedanke«, ein von Bülow von langer Hand vorbereiteter Schlag gegen das Zentrum gewesen sei. Eschenburgs Darstellung (s. unten), die B. nur ungern gelten lassen will, dürfte richtig und Bülow, wie Bachem sagt, »der leichtsinnigste aller Kanzler« gewesen sein, indem er den Reichstag ohne festen Plan auflöste, um seine Stellung beim Kaiser zu festigen.

Gewissermaßen eine Ergänzung des Bachemschen Buchs bringen die Arbeiten Schauffs (1928: 1094a) und Leonhard Müllers (1929: 1091). Schauff will feststellen, wie weit heute noch Zentrum und Bayerische Volkspartei den Hauptteil der deutschen Katholiken vertreten. Der größte Teil des Buches beschäftigt sich daher mit diesem Problem. Als Unterlagen dienen aber statistische Angaben über die für das Zentrum bei den Reichstagswahlen seit 1871 abgegebenen Stimmen. Sie ergeben unter der Voraussetzung, daß die Zahlen richtig ausgewertet sind, bemerkenswerte Daten für die Frage der Berechtigung des Zentrums, sich als Vertretung der katholischen Bevölkerung des Reichs zu bezeichnen: 1871 stimmten 57 Prozent der Katholiken für das Zentrum, 1881: 87,3 Prozent, 1912: 54,6 Prozent. Der Auftrieb, den der Kulturkampf der Partei gab, tritt hier klar in Erscheinung. Der Vergleich zwischen Fraktions- und Parteistärke zeigt, daß Zentrum und konservative Parteien durch das alte Wahlrecht begünstigt, die Freisinnigen und die Sozialdemokraten benachteiligt wurden; von den 104 »Stammsitzen«, die von 1874--1918 dieselbe Partei innehatte, besaß das Zentrum 73. In einzelnen Ländern fand aber eine stark abweichende parteipolitische Entwicklung satt. So stimmten in Baden, der Hochburg der nationalliberalen Partei nach der Reichsgründung, bis 1890 nur 50 Prozent der Katholiken für das Zentrum, dann steigen die Zentrumsstimmen auf Kosten des Liberalismus.

Leonhard Müllers Studie über den politischen Katholizismus und Bismarcks Politik im Spiegel der »Schlesischen Volkszeitung« ist in erster Linie ein wertvoller Beitrag zur Geschichte des Zeitungswesens. In der sorgfältigen Wiedergabe des Hauptinhalts der politischen Aufsätze der Zeitung bietet sie aber bei gleicher Tendenz wie Band 3 und 4 des Bachemschen Werks ebenfalls


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eine geschlossene Materialsammlung für Taktik und Erfolg des Zentrums in den Wahlkämpfen einer einzelnen Provinz von 1871--1890: unversöhnlich wurden nach dem Bilde, das M. entwirft, befehdet Freikonservative und Nationalliberale als Urheber des Kulturkampfs, vorsichtig paktierte das Zentrum mit den gleichfalls an letzterem beteiligten Konservativen, und weitgehend unterstützte es den linken Freisinn, trotzdem er im Kulturkampf keineswegs eine eindeutig ablehnende Stellung gegen die Regierung einnahm. Das Ergebnis war, daß die Freikonservativen in der Zeit von 1871--1890 von ihren 17 Reichstagsmandaten in Schlesien nur 3 behaupteten, die Nationalliberalen ihre 6 Mandate sämtlich verloren. Besonders charakteristisch ist die Stellung der Schlesischen Volkszeitung zum Antisemitismus, den sie erst -- auch gegen die »Germania« -- ablehnte. Dann gab sie der Volksstimmung in scharfen Aufsätzen gegen die Juden im Erwerbsleben nach. Schließlich kehrte sie wieder zur Toleranz zurück, als sie sah, daß sie durch ihre Taktik ohne Nutzen für die Zentrumspartei Stöckers christlich-soziale Bewegung förderte.


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