§ 37. Geschichte des Papsttums im Mittelalter

(Otto Meyer)

Die im Berichtsjahr erschienene Literatur zur ma.lichen Papstgeschichte ist dadurch charakterisiert, daß sie stärker als diejenige der letzten Jahre um einige wenige Gebiete gruppiert ist.

Auf dem Gebiet der Quellen publikation hat die rückschauende Betrachtung kaum einen Fortschritt zu verzeichnen. Die Edition der Papstregister durch die Écoles françaises d'Athènes et de Rome, über deren nicht in chronologischer Reihenfolge erschienene Bände und Faszikel ein Bericht in der Bibl. de l'École des chartes Bd. 89, S. 448 ff. in erwünschter Weise Auskunft erteilt, ist durch ein Faszikel aus den Registern Urbans IV., herausgegeben von Guiraud, und durch zwei Faszikel der Ausgabe der Register Johanns XXII. von Mollat gefördert worden ( 1653a und 1656a). Für das große Göttinger Unternehmen der Papstregestenausgabe unter der Leitung von P. Kehr bedeutet das J. 1929 die Cäsur zwischen dem ersten Abschluß seiner Sammlung auf der iberischen Halbinsel -- den Vorarbeiten zur Hispania pontificia -- und der mit 1930 einsetzenden Ausbreitung des Materials zur Anglia pontificia. -- Einzelne für die Papstgeschichte bedeutsame Quellen haben Ohnsorge und Hampe bereitgestellt. Jener edierte aus dem schon von Amelli benutzten, aber nur unvollständig ausgewerteten Cod. Vat. lat. 4926 s. XII eine Briefsammlung, die sich als dem Abt Adam von Ebrach zugehörig erweist und die er namentlich für unsere Kenntnis der Anfänge des alexandrinischen Schismas und die Stellung der Cisterzienser zu ihm auszuwerten weiß ( 1647). Dieser setzt mit der Publikation eines Legatenberichts aus dem J. 1204 über die für Innozenz III. schwierige Lage in Süditalien die lange Reihe seiner wertvollen Mitteilungen aus der von ihm s. Zt. in Paris (Cod. lat. 11 867) aufgefundenen Capuaner Briefsammlung fort; eine zusammenfassende Aufzählung der bisher erschienenen Mitteilungen ist dankenswerter Weise beigegeben. Das Stück repräsentiert ein besonders wertvolles Beispiel der in der Frühzeit im ganzen selten erhaltenen Legatenberichte ( 1650).

Bei den quellenkritischen Arbeiten stehen begreiflicher Weise im Brennpunkt des Interesses die päpstlichen Register. Hängt doch die Feststellung ihres Charakters und der Methoden der Geschäftsführung aufs engste mit jener allgemeineren Frage über das Wesen ma.licher Briefsammlungen zusammen, deren


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Beantwortung namentlich durch Hirsch und Zatschek einerseits, Schmeidler andererseits angeregt, eine neue Periode epistolographischer Forschung heraufzuführen scheint. Zatschek ( 262) widmet denn auch ein ganzes Kapitel seiner Studien zur ma.lichen Urkundenlehre der päpstlichen Registerführung. Er setzt, freilich ohne Einsicht in die Hss. und daher nicht überzeugend, an die Stelle älterer Annahmen, -- der Registerführung nach Originalen (Sthamer) und der »Bündel«theorie, mit der Peitz die Störungen in der zeitlichen Reihenfolge der Registereintragungen erklären wollte, -- die Hypothese von der Eintragung des Datums in das Register bei Gelegenheit einer Kollation des Registereintrags mit der Originalausfertigung. Ungern vermißt man eine Erweiterung unserer Kenntnis vom päpstlichen Registerwesen durch Versuche, Registerfragmente aus noch vorhandenen ma.lichen Papstbriefsammlungen herauszuschälen; es bleibt bei der Heranziehung der längst bekannten Beispiele, der Register Gregors I. und VII., Johanns VIII. und Innozenz' III. (super negotio imperii), sowie -- allerdings nur flüchtig -- der nachinnozentinischen Register. -- Seinen Allgemeingültigkeit beanspruchenden Ausführungen tritt eine Spezialarbeit Georgine Tangls zur Seite ( 274), die, in diesem Gebiet bereits seit der Übersetzung des Reg. super negotio imperii zu Hause, das problemreiche Registerwesen Innozenz III. erneut zum Gegenstand ihrer Forschungen macht. Sie vergleicht einmal die Kreuzzugsaufrufe Innozenz' untereinander und mit denen der vorhergehenden Päpste, namentlich dem berühmten Gregors VIII., und vermag für die Stilisierung dieser Kategorie päpstlicher Schreiben, deren Probleme zuerst Caspar (Neues Arch. 45) beleuchtet hat, weitgehende gedankliche und wörtliche Übereinstimmungen nachzuweisen; sodann erwächst ihr aus der Kollation verschiedener Empfängerüberlieferungen der Bullen Quia maior (Potth. 4725) und Vineam domini (Potth. 4706) mit dem Register die Möglichkeit, in die Arbeitsweise der kurialen Kanzlei hineinzuleuchten; sie bringt neues Belegmaterial für die schon von Heckel (Hist. Jb. 40) gemachte Beobachtung der Kenntnis und Benützung päpstlicher Konzepte durch Außenstehende -- in diesem Fall Burchard von Worms --vor der Ausfertigung der Reinschrift und deren Registrierung. Diese Beobachtung scheint geeignet, auch zur Klärung anderer Fälle textlicher Differenz zwischen Empfängerüberlieferung und Register -- etwa bei verschiedenen Briefen des Registers Gregors VII. -- beizutragen. Schließlich macht uns die Arbeit noch bekannt mit einer höchst interessanten Urkunden-, Brief- und Traktatsammlung vorwiegend des 13. Jhds., dem Rommersdorfer Bullar, über das erfreulicherweise eine Untersuchung aus berufener Feder angekündigt wird; das ist um so begrüßenswerter, als die Sammlung mit den meisten anderen ma.lichen Briefsammlungen das Schicksal weitgehender Vernachlässigung teilt, und das in einem Augenblick, wo sich die Hypothesen über Zweck und Charakter solcher Sammlungen häufen. -- Das Typologische einer anderen Gattung päpstlicher Schreiben, der Wahlanzeigen, stellt Gutmann ( 1642) in seiner inzwischen in Stengels Marburger Studien zur älteren deutschen Geschichte vollständig erschienenen Dissertation klar heraus; er verfolgt deren Entwicklung, wie besonders hervorzuheben ist, über 1198 hinaus bis ins Spätmittelalter; da und dort unter Vernachlässigung seiner eignen einschränkenden Bemerkung doch ein wenig scharf systematisierend, zeichnet er eine im ganzen aufsteigende Linie bis zur starren Form der Wahlanzeige seit dem 13. Jhd.

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Von den wenigen allgemeinen Darstellungen bedeutet das Werk Bagnanis ( 1639) mit seinen ganz allgemein gehaltenen Formulierungen und der geringen Tatsachensubstanz keinen wissenschaftlichen Gewinn; es verfolgt mehr populäre und pädagogische Werke. -- Das umfassende englische Werk von Mann ist mit dem 15. Bande bei den Pontifikaten Alexanders IV. bis Gregor X. angekommen ( 1639a). So entbehrlich die nüchtern Tatsachen referierenden, als Materialsammlung allerdings wiederum zu knapp gehaltenen Bände, die nur die westeuropäischen Beziehungen zur Kurie etwas eingehender behandeln, für das frühere MA. sind, wo wir Monographien in größerer Zahl besitzen, so stellen sie für die späteren Zeiten, wo solche fast völlig fehlen, einigermaßen einen Ersatz dar; das gilt für den vorliegenden Band um so mehr, als die Stellung des Papstes zu England und Frankreich in der hier behandelten Zeit von höchster Wichtigkeit ist; es braucht ja nur etwa an die sizilische Thronkandidatur Edmunds erinnert zu werden. -- Westeuropäischem Interesse an der Entwicklung des Papsttums verdankt auch ein neuer Beitrag zu dem alten Thema Staat und Kirche seine Entstehung. Pocquet du Haut-Jussé ( 1645, aus dem vorigen Berichtsjahr nachzutragen) erörtert die Frage an Hand der Beziehungen zwischen der Bretagne und der Kurie von den Anfängen im 9. Jhd. bis in die beginnende Neuzeit. Auch wer zur quellenmäßigen Prüfung im einzelnen nicht in der Lage ist, gewinnt einen starken Eindruck von den erschöpfenden Ausführungen, welche die kirchlichen Geschicke der Bretagne über die ersten Versuche Gregors VII., sie als Lehen der römischen Kirche zu organisieren, bis zu ihrer Stellung als »pays d'obédience« im 15. Jhd. an uns vorüberziehen lassen.

Unter den Spezialarbeiten sind wiederum mehrere dem Institut der päpstlichen Legaten als einem für die politische wie rechtliche Einflußnahme des Papsttums gleich wichtigen Faktor gewidmet. Das Wirken der einzelnen Legaten, zunächst namentlich in Deutschland, im Hochmittelalter zu beleuchten, hat sich vor allem die Schule Brackmanns zur Aufgabe gestellt. Schon frühere Arbeiten dieser Schule haben sich aber nicht auf Deutschland beschränkt; so haben Bachmann Skandinavien, Ina Friedländer Italien einbezogen. Ohnsorge hat dann bei der Beschäftigung mit den Legaten Alexanders III. zwischen 1159 und 1169 alle Zweige des kurialen Gesandtschaftwesens untersucht; er wählte bewußt seinen Standpunkt an der Kurie und konnte damit erst die Legatengeschichte gerade der Papstgeschichte dienstbar machen; neue Aufschlüsse vermittelte sein Verfahren vor allem über die Politik Alexanders gegenüber Manuel von Byzanz, welcher seine abendländische Politik in starkem Maße bedingt hat. Mit seiner zweiten Arbeit ( 1648) liefert er eine Fortsetzung seiner Untersuchung, freilich nicht mehr auf so breiter Basis; er ergänzt seine früheren Ausführungen über die alexandrinischen Sendboten in Deutschland, gibt eine Schilderung des Einflusses Alexanders III. in Skandinavien und führt uns die Bemühungen der Gegenpäpste vor Augen, ihrerseits durch Legatenaussendung Boden zu gewinnen. Eine materialreiche Helsingforser Dissertation von Donner ( 1651) ist einer der bedeutendsten Gestalten unter den zahlreichen päpstlichen Legaten des 13. Jhds., dem Kardinal Wilhelm von Sabina gewidmet; Verfasser gibt ein lebendiges Bild des gewandten Diplomaten, dessen »Dominikanergeist« ihm die Propaganda für das Papsttum zum Lebenszweck machte, und dessen Mitwirkung am Missionswerk des Deutschordens in Preußen in den vierziger Jahren des 13. Jhds. die deutsche Geschichte am meisten angeht. --


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Die Geschichte der Legaten Gregors X. zu schreiben hat sich J. Müller ( 1654) im letzten, bis jetzt einzig veröffentlichten Kapitel einer Freiburger Dissertation über diesen Papst zum Ziel gesetzt. Im Zentrum der von Gregor X. seinen diplomatischen Helfern gestellten Aufgaben standen die Unionsverhandlungen mit der griechischen Kirche, die auf dem zweiten Lugdunense einen wenn auch nur vorübergehend erfolgreichen Abschluß fanden.

Umfang und Stärke der Territorialmacht des Papstes zu ergründen, sind eine Reihe von Aufsätzen von Vehse bestimmt, deren zwei in das Berichtsjahr fallen. An Hand neu aufgefundener Prozeßakten stellt er die sehr antikommunale und antidemokratische Regierung des Kirchenstaates durch weltliche rectores in temporalibus aus dem Adel am Beispiel der Kämpfe zwischen Bürgern und kurialen Rektoren in dem altpäpstlichen Territorium Benevent unter dem Pontifikat Nikolaus IV. dar ( 1655). Ein zweiter Aufsatz schildert das dramatische Ringen zwischen Papst und Kaiser um den Einfluß in der Sabina ( 1643); bestimmend für die Stellung dieser Landschaft wurden die Schicksale der berühmten Abtei Farfa; Vehse arbeitet besonders prägnant die beiden Pole in den Beziehungen des Klosters zur Kurie heraus, den Verzicht Nikolaus II. auf jeden Herrschaftsanspruch über Farfa, die namentlich vom Adelspapsttum erhoben und oft erfolgreich durchgekämpft worden waren, und den völligen Wandel, als das während des ganzen Investiturstreits kaisertreue Farfa in den bewegten Zeiten vor dem Abschluß des Wormser Konkordats zum Papst überging. »Auf die unmittelbare Herrschaft über Farfa ... gestützt, kann die kuriale Herrschaft über die Sabina um die Mitte des 12. Jhds. als konsolidiert gelten.« --Baethgen handelt über die Finanzpolitik der Kurie unter dem Pontifikat Bonifaz VIII. ( 1656). Herauszuheben sind seine Ergebnisse über das Herabsinken der päpstlichen Kammer zur Rechnungsbehörde, während der unmittelbare Zahlungsverkehr über die Banken ging, ferner sein bei allen Unsicherheitsfaktoren doch überzeugend wirkender Nachweis eines erheblichen Minus an regelmäßigen Einnahmen gegenüber den regelmäßigen Ausgaben, das nur durch eine angespannte Besteuerung in Form von Zehnten und Subsidien auszugleichen war, eine Besteurung, die vor allem auch die hohen Passiva der politischen Unternehmungen zu decken hatte. Diese Finanzlage war die unmittelbare praktische Veranlassung für die Bulle »Clericis laicos«, die eben nicht nur eine Theorie der päpstlichen Weltherrschaft demonstrieren wollte.

Zum Schluß sind einige Schriften zu einzelnen Perioden oder Pontifikaten zu erwähnen. In dem Buch von Schmidt ( 1640) über das ungeheuer verwickelte Problem der Pseudoklementinen interessiert den Papsthistoriker insbesondere seine Auseinandersetzung mit Caspars neuen Hypothesen über die älteste römische Bischofsliste, gegen die Schmidt mancherlei Einwendungen vorbringt. -- Die Frage der Rechtmäßigkeit des Anathems des 3. Constantinopolitanum gegen Papst Honorius, das ihm sein angeblich monotheletistisch eingestelltes Schreiben an den Patriarchen Sergius eintrug, war namentlich zur Zeit der Aufrichtung des Infallibilitätsdogmas heiß umstritten; jetzt ist seine Belanglosigkeit für dieses längst allgemein anerkannt. Nicht erledigt ist das Problem für die Geschichtswissenschaft: Hirsch ( 1646) sucht ihm beizukommen, indem er -- ähnlich, wie das beim Bilderstreitproblem geschehen ist -- eine Divergenz zwischen griechischem Original und lateinischer Übersetzung des Urteilsspruches annimmt und diese, allerdings mit Vorsicht aufzunehmende


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Ansicht durch Interpretation der historischen Fakten in entsprechendem Sinne zu erhärten sucht: Honorius' Verurteilung ist danach wegen der mit Recht als Grund angegebenen Befolgung monotheletistischer Ratschläge, nicht wegen seines Monotheletismus erfolgt. -- Aus der Heidelberger Schule Hampes, der wir zur italienischen und kurialen Geschichte des 13. Jhds. so viele wertvolle Arbeiten verdanken, liegt diesmal der Versuch Gerdas von Puttkamer vor ( 1652), eine »Gesamtcharakteristik« Papst Innozenz' IV. »aus seiner Wirkung« zu geben. Wieder erlebt man die oft empfundene Schwierigkeit, die »Persönlichkeit« in ihrer Totalität im MA. zu erfassen; immerhin gelingt es der Verfasserin, namentlich aus der Kunst des Papstes in der Auswahl und Behandlung seiner Umgebung wie auch aus Maßnahmen seiner Politik manchen Charakterzug herauszuarbeiten: sein Anpassungsvermögen, sein auf nüchternem Rationalismus aufgebautes Organisationstalent, seinen unbeugsamen Willen, der in der Konsequenz seines Kampfes gegen die Staufer hervortritt. -- Der Beitrag Pouzets ( 1653) zum Pontifikat Innozenz IV. gibt nur eine Zusammenstellung der Quellennachrichten und dessen, was aus dem Register zu erfahren ist, über den Aufenthalt des Papstes auf dem Konzil von Lyon. Die politischen Probleme werden kaum berührt, zur Forschung über diesen Gegenstand nicht Stellung genommen. -- In die Zeit, da die Päpste ihren Vernichtungskampf gegen die Staufer mit der völligen Unterordnung unter Frankreichs Wunsch und Willen zu bezahlen hatten, führt Elisabeth Kraack ( 1657) in einer noch von Wenck angeregten Studie. Sie fußt lediglich auf bekanntem Material, das freilich weit verstreut ist und dessen Zusammenfassung man daher begrüßt; freilich läßt gerade eine solche Übersicht weitschichtige archivalische Forschung in diesen Zeiten um so dringlicher erscheinen. Die Stellung namentlich Clemens V. und Johanns XXII. zur Rückkehr aus dem Exil wird behandelt; wir hören von den Hoffnungen, die sich zunächst an Heinrich VII. knüpften, von der Absage, die Johann dem guelfisch gesinnten Italien und besonders den Römern erteilte, die anläßlich des Romzuges Ludwigs des Bayern seinen Wiedereinzug in Rom erreichen zu können glaubten. In diesen Partien berührt sich die Arbeit mit der nur wenig älteren Monographie Willemsens über Napoleon Orsini, den Wortführer einer romfreundlichen Politik an der Kurie.


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