§ 38. Kirchenverfassungsgeschichte des Mittelalters

(E. Klebel)

Die große Zahl von Arbeiten, die diesem Jahresbericht zugrunde liegen, sollen in folgender Weise behandelt werden: erst die Arbeiten von allgemeinem Interesse, dann jene, die Verfassung der Bistümer, Pfarren und Orden behandeln und schließlich eine Reihe von Schriften über die Reformbewegung des 15. Jhds.

Manuel Torres ( 1744) untersucht die Grundlagen des Eigenkirchenrechtes. Von einem Literaturbericht ausgehend schließt er sich bezüglich des isländischen Eigentempelwesens den Auffassungen von Dopsch an, nach welchen hier lediglich grundherrschaftliche Elemente zur Entstehung des sog. Godord geführt haben. Er wendet sich auch gegen die Auffassung von Schubert, der das Eigenkirchenrecht für innerhalb der arianischen Kirchen der Ostgermanen entstanden ansehen will und stützt sich dabei auf Erwähnungen des Eigenkirchenrechtes


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in den katholischen Konzilien von Lerida 546 und Toledo 589. Er geht sodann sämtliche Stellen der römischen Gesetzessammlungen durch, die von einem Eigenkirchenrecht zu sprechen scheinen, ohne jedoch eine vollkommen klare Stelle beibringen zu können. Zum Schlusse sucht er die Auffassung über das Eigenkirchenrecht durch eine von römisch-rechtlicher Basis ausgehende (jus fundi) besonders an Génestal und Dopsch angelehnte Theorie zu ersetzen. Gegenüber dem reichen Material, auf das sich die Auffassungen von Stutz stützen, hat Torres wenig an Einzelheiten, die für seine These sprechen, beigebracht. Mögen auch einzelne Punkte des Gedankenganges von Stutz hinsichtlich der germanischen Herkunft des Eigenkirchenrechts durch die Angriffe von Torres einer Ergänzung bedürftig erscheinen, so muß doch gesagt werden, daß die große Konzeption von Stutz, die die ganze kirchliche Verfassungsgeschichte des MA. unter neue Blickpunkte gestellt hat, durch diesen neuen Versuch in keiner Weise an ihrer Bedeutung eingebüßt hat.

In den »Mélanges Fournier« ( 165) hat Génestal, einer der Gegner von Stutz die erzdiakonalen Rechte der Eigenkirchenherren in der Normandie behandelt. Offenbar im Zusammenhang mit der normannischen Eroberung hatte sich hier der Diözesanzusammenhang so völlig gelöst, daß sogar die erzdiakonale Gewalt in die Hände der Eigenkirchenherren fiel. Erst im 12. Jhd. gelang es den Bischöfen diese geistlichen Rechte wieder zurückzuerlangen. --Lesne ( 1742) untersucht in zwei Aufsätzen die Bedeutung des Ausdruckes »praebenda«. Beide Aufsätze führen den Beweis, daß der Ausdruck im 8. Jhd. als Bezeichnung für den gebührenden Anteil an Einkünften auftaucht und erst allmählich sich auf das geistliche Gebiet einschränkt. Lesne glaubt, daß erst im 12. Jhd. die Pfründe zu einem Sondervermögen an Grund und Boden geführt hat. Der längere Aufsatz enthält eine Unzahl von Einzelheiten und behandelt auch das Recht der Zulassung zu den Pfründen, das ursprünglich dem Bischof, seit dem 10. Jhd. immer mehr der Leitung des Domkapitels zufiel. Im 11. Jhd. finden sich dann Belege über die Verbindung von Benefizien und Pfründen, womit der Ausdruck erst seinen heutigen Sinn empfängt. --Lepointe ( 1741) untersucht den Ausdruck »portio congrua«, den er seit dem Ende des 11. Jhds. nachweisen kann. --Champeux ( 1743) untersucht ausgehend von einem Kanon des Konzils von Clermont 1095 die Bedeutung des »Personats«. Er weist nach, daß im 11. Jhd. die Bezeichnung »personatus« für den Inhaber eines Altares, in Süd- und Westfrankreich auch den einer Pfarre üblich war. Bei lebenslänglicher Verleihung läßt sich keine Taxe nachweisen. Die Mißbräuche, welche das Konzil bekämpfte, das den Personat und die »redemtio« (Taxe bei Veränderungen) als Simonie bezeichnete, scheinen sich auf die Verbindung des Personats mit hohen kirchlichen Würden zu beziehen, wo z. B. Altäre an zwei Personen, nämlich an einen Dignitär und einen Vikar desselben vergeben waren und bei beliebigen Wechsel jedesmal eine fixe Gebühr entrichtet werden mußte. Ch. meint, daß die Quellen die schwersten Mißbräuche nicht erkennen ließen. --Tarré ( 1740) versucht nachzuweisen, daß die Canonessammlung »Hispana« nicht in Spanien, sondern in Arles entstanden ist, indem er der Überlieferung der einzelnen Canones nachgeht.

Kehr ( 1696) entwickelt den Plan der neuen »Germania sacra«. Im Gegensatz zu der um 1800 von den Benediktinern von St. Blasien begonnenen »Germania sacra« soll die neue Germania sacra eine Arbeit von Archivaren sein


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und zunächst Quellen- und Literaturangaben, dann eine Darstellung der Verwaltung der Einkünfte und Rechte des betreffenden Bistums bringen, hieran soll sich eine kritische Series der Bischöfe und der Dignitäre, soweit dies möglich ist, anschließen, dann der Grundbesitz und eine knappe Baugeschichte das Werk beschließen. -- Unabhängig von dieser »Germania sacra« haben die Bistümer Lübeck, Meißen und Breslau eine ausführliche Behandlung gefunden. Biereye ( 1692) zeichnet die Entwicklung des Bistums Lübeck bis 1254. Nach längeren vergeblichen Versuchen gelingt es dem Gründer des Bistums Vicelin mit Hilfe Heinrichs d. Löwen eine dauernde Begründung des Bistums durchzusetzen. Von den Klöstern Seegeberg und Neumünster ausgehend faßt das Bistum 1160 in Lübeck selbst Fuß, ein Domstift wird gegründet. 1173 haben die Domherren bereits das Wahlrecht. Ein Bischofszehent, von jedem slawischen Pflug je drei Scheffel Weizen und zwölf Pfennige, bilden die materielle Grundlage, die sich sehr langsam erweitert. Seit 1180 ist das Bistum reichsunmittelbar. Die Gelegenheit in Livland Fuß zu fassen, läßt das Bistum vorübergehen. Die übrige Geschichte des Bistums gehört durchaus in die Landesgeschichte Niedersachsens. Kötzschke ( 1694) schildert die Geschichte des Hochstiftes Meißen. 968 gegründet, konnte es ohne Wechselfälle Fuß fassen, bereits 1046 findet sich ein Domkapitel erwähnt. Besonders interessant ist die Entwicklung der Landeshoheit der sächsischen Kurfürsten gegenüber dem Reichsstift Meißen und ihre Durchführung mit teils kirchlichen Rechten. 1384 geht das Hochstift den ersten Schutzvertrag mit den Wettinern ein. 1399 wird es vom Erzbistum Magdeburg getrennt und der Kurie unterstellt. Der Markgraf erhält in steigendem Maße Anteil an der Besetzung der Domherrenpfründen. Johann IV. († 1451) ist der erste bürgerliche Bischof. Unter seinem Nachfolger begegnet die erste Wahlkapitulation. Auch nach dem Übergange des Bistums in die Administration der sächsischen Kurfürsten bleibt das nun evangelische Domkapitel bestehen, dessen wechselndes Schicksal bis zur Gegenwart behandelt wird. Im Anschlusse daran gibt Schultze eine knappe Darstellung des rechtlichen Verhältnisses zwischen dem Stiftsherrn (Bischof oder Administrator) und dem Domkapitel. Seppelt ( 1697) hat eine Geschichte des Bistums Breslau bis zur Gegenwart verfaßt. Das mehr populär gehaltene Buch schildert an Hand der Bischofsreihe die gesamte Entwicklung, wobei besonders die Voraussetzungen zur Entstehung der Reformation sehr gut beleuchtet sind. Es wäre vielleicht nicht immer nötig gewesen, für jeden Fürstbischof einen Rettungsversuch zu unternehmen. Auch der katholische Kirchenhistoriker muß Kritik kennen. Bauerreis ( 1682) sucht aus den Unterschriften der bayrischen Konzilien des 8. Jhds. den Beweis zu führen, daß die Bischöfe von Neuburg nicht in Neuburg a. d. Donau zu suchen sind, da der Inhaber dieses Bischofsitzes mit dem Abte des Klosters am Staffelsee identisch ist. Es müßte wohl noch ein weiterer Beleg für die Gleichsetzung von Neuburg und Staffelsee beigebracht werden. Flaskamp ( 1669) behandelt die Heiligen Wigbert, Willibrord und Switbert sowie einige andere angelsächsische Missionäre. Derselbe ( 1670) untersucht sehr aufschlußreich die Missionsmethode des hl. Bonifazius nach den Gesichtspunkten der modernen Missionswissenschaft. Die Art der Predigtweise des Bonifatius, wie er sie schildert, gibt einer geistesgeschichtlichen Betrachtung der Mission in Deutschland im 8. Jhd. viele Rätsel auf.

In diesem Abschnitte müssen noch zwei wichtige Arbeiten behandelt werden.


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Schmidt ( 1747) untersucht das Verhältnis der beiden Erzbistümer Reims und Trier von ihrer Entstehung bis 863. Ausgehend von der Christianisierung Galliens legt er dar, daß im 5. Jhd. die beiden Kirchen Metropolitanrechte in den Provinzen Belgica I. und II. erlangt haben. Besonders ausführlich wird die Stellung des hl. Remigius betrachtet. Die Metropolitanverfassung läßt sich noch bis 667 nachweisen. In den Wirren der ausgehenden Merowingerzeit ist die Metropolitanverfassung verfallen; während Reims schon um 780 seine alte Stellung wiedererlangte, hat Trier diese erst um oder nach 811 erhalten. Der Streit zwischen Hinkmar von Reims und Thietgaud von Trier um die Mitte des 9. Jhds., der mit der Absetzung des letzteren 863 endete, hat nicht die Metropolitanwürde, sondern die Stellung eines Primas innerhalb Belgica, das nun als Einheit angesehen wird, zur Ursache. Hinkmar von Reims erreichte hier eine päpstliche Privilegierung, während Trier unterlag. Nachklänge dieses Streites begegnen noch im 11. Jhd. Es ist bedauerlich, daß S. die frühchristlichen Verhältnisse des Orients nicht in weiterem Maße herangezogen hat. Er erwähnt, daß unter König Theudebald (548--555) Nicetius von Trier als »archiepiscopus« bezeichnet wird. Die Bedeutung dieses Titels, der 551 neu ins Abendland eindrang, enthielt eine Art primatialer Stellung (Jberr. 1927, S. 357, nr. 1701). Dieselbe Fehlerquelle infolge geringer Beachtung der frühchristlichen und noch ins MA. nachwirkenden Auffassungen entwertet einzelne Schlüsse der sonst sehr übersichtlichen und wertvollen Zusammenstellung von Boye ( 1750). Er behandelt die Synoden Deutschlands und Reichsitaliens von 922 bis 1059 und unterscheidet provinziale, nationale, Reichs- und päpstliche Synoden. Seit 1046 ist ein Vorsitz des Kaisers nicht mehr nachweisbar. Dagegen ergibt B.s Übersicht, daß die Kaiser von 961 an zunächst in Italien, seit Heinrich II. auch in Deutschland die Leitung der Synoden nach dem Muster der byzantinischen und spätrömischen Kaiser in die Hand genommen haben. Für die Bedeutung des Kaisertums hätte hier eine Benützung von Eichmann (Jberr. 1928, Nr. 1307a) und von Heldmann (ebenda 561) gute Dienste getan. Für die Nationalsynoden kann B. den Vorsitz des Mainzer Erzbischofs als päpstlichen Vikar, namhaft machen. Auffallend ist die Sonderstellung Salzburgs, das sich von 980--1049 an den Nationalsynoden nicht beteiligt. Die gleichzeitige kirchenrechtliche Literatur wie die Bezeichnung der Synoden in den Quellen ergeben kein klares Bild über die Rangordnung und Kompetenz der einzelnen Synoden. Wo sich diese kontrollieren läßt, entspricht sie dem Canon V. von Sardica. Ebenso entspricht es altchristlichen Verhältnissen, daß der Papst als letzte Instanz meist nicht persönlich, sondern auf Grund eines Beschlusses einer römischen Synode urteilt. Die Stellung des Kaisers auf den Synoden will B. (wie gesagt mit Unrecht) auf das Staatskirchentum der germanischen Staaten nach Schuberts Auffassung zurückführen. Boye ( 1748) hat auch einen Quellenkatalog über alle diese Synoden vorgelegt.

Mehrfache interessante Darstellungen hat das bischöfliche Offizialat gefunden. In den »Mélanges Fournier« ( 165) hat Haskins ein Formularbuch des Offizialats von Rouen um 1265 und Perrot ein solches von Langres von 1330 bis 1343 veröffentlicht. Hilling ( 1751) gibt eine kurze Übersicht der kirchlichen Gerichtsordnungen für die Bistümer Bamberg, Halberstadt, Köln, Lüttich, Mainz, Münster, Speier, Straßburg und Würzburg und ihre Fundorte. Gescher ( 1762) behandelt in einer wertvollen Studie das Offizialat der Erzbischöfe


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von Köln. 1252 findet sich die erste Erwähnung. Es wechseln verschiedene Siegel und Personen; nach 1270 fehlt infolge unpersönlicher Fassung der Urkunden durch längere Zeit der Name des Offizials, 1304 taucht bereits ein Kapiteloffizial bei Sedisvakanz auf. Bald danach findet sich die erste Offizialatsordnung. Auch die Erzdiakone stellen Offiziale auf, genannt 1281 in Köln, 1284 in Bonn und 1296 in Xanten. G. polemisiert gegen Fournier, der die Bezeichnung »clericus noster« für einen Offizial ansehen will und betont den Unterschied zwischen dem französischen Offizialat, wo der Offizial stets Einzelrichter ist und dem deutschen, das ein kollegiales Gericht darstellt. Die Erzbischöfe üben trotz Bestellung des Offizials die geistliche Gerichtsbarkeit noch öfters selbst aus. Das Siegel des Offizials erlangt Glaubwürdigkeit auch für weltliche Sachen, die in dieser Weise vor sein Gericht kommen.

Gescher ( 1763) untersucht die Kapitularkanoniker Kölns im J. 1518 und ihre Rechtsstellung. Nach den hier vollständig vorhandenen Protokollbüchern des Kapitels war nämlich der Weg eines Kanonikers bis zur Erlangung von Sitz und Stimme im Kapitel außerordentlich kompliziert. Er beginnt mit der Erteilung einer Expektanz nach dem Tode eines Kanonikers; der Expektanz folgt die Nomination, beim Eintritt in den Chor und in die Domschule die Admission, mit dem Alter von 16 Jahren die Entlassung aus der Domschule (Emanzipation) und die Zulassung zur Residenz. Erst nach dem Tode eines anderen Kanonikers erlangt der nächstälteste den »locus capitularis« und damit das Stimmrecht im Kapitel, das aus 25 Domherren bestand, von denen 17 Edelherren und 8 Priester waren. Nur die Edelherren hatten das Recht, Dignitäre zu werden. Wurde einer von ihnen Erzbischof oder Bischof, so behielt er seine Pfründe. G. tut dar, daß 1518 alle 25 Kanonikate besetzt waren und die Normen genau beachtet wurden.

Über die Rechtsstellung der Klöster sind die beiden wichtigsten Arbeiten die von Mitterer ( 1755) über die bischöflichen Eigenklöster in Bayern in der Karolingerzeit und von Zedinek über das Verhältnis der Pfarren zu den Klöstern in der Diözese Passau ( 1753). M. untersucht die Klöster- und Zellengründungen Bayerns der Reihe nach, um zu beweisen, daß der Verfall dieser Klöster nicht erst infolge des Ungarneinbruches und der Säkularisation Herzog Arnulfs im 10. Jhd. eingetreten ist, sondern daß die Schenkung der Klöster an die Hochstifter, deren Bischöfe nun die Äbte der Eigenklöster wurden, diese zerrüttete. In den drei Domstiftern Salzburg, Freising und Regensburg weist M. das Nebeneinander von Mönchen und Kanonikern nach. Dagegen kann er in Passau ein Domkloster nicht nachweisen. Z. ( 1753) stellt fest, daß die Inkorporation aus einem Kompromiß zwischen den Diözesanbischöfen, welche die volle geistliche Leitung ihrer Diözese beanspruchen und den Klöstern, die auf dem Eigenkirchenbesitz ihrer Pfarren pochten, entstanden sein muß. Zahlreiche Belegstellen aus einzelnen Urkunden unterstützen diese These, die man als wertvolle Bereicherung unserer Anschauungen über die kirchenrechtlichen Verhältnisse des Hochmittelalters ansprechen darf. Weniger brauchbar sind die Vorstellungen von Z. über die Entwicklung vom 8. bis zum 11. Jhd. Leider sind zahlreiche Lücken in der Kenntnis der neueren Literatur festzustellen. Wentz ( 1734) untersucht die staatsrechtliche Stellung des vom Bistum Havelberg aus gegründeten und später an das Hochstift Magdeburg gekommenen Klosters Jerichow, das der Ausgangspunkt für die Havelberger Missionstätigkeit des


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12. Jhds. wurde, dessen Archiv zum größten Teil verloren ist. Hanser ( 1746) setzt seine Erörterungen über das Pontifikalienrecht der Äbte vom Trienter Konzil bis auf Alexander VII. fort. Asen ( 1724) untersucht die Geschichte der Begarden und Sackbrüder in Köln. Sie hatten dort zwei Konvente, 1291 und 1306 gegründet. Der erste Begarde erscheint 1258, der letzte 1393. Infolge ketzerischer Beeinflussung wurden sie im 14. Jhd. wiederholt verfolgt. Später erscheinen die Konvente als Mitglieder des dritten Ordens und üben Krankenpflege aus. 1589 zogen Franziskanerobservanten in das eine Kloster ein. Der andere Konvent taucht ebenfalls 1428 als Krankenorden wieder auf, heißen seit 1597 »Patres sancti Alexii« und verschwindet 1815. Die Sackbrüder sind Augustinereremiten, erscheinen 1260 und werden 1298 den Antonitern angegliedert.

Mit der Geschichte und den Geschichtsquellen des Klosters Andechs befaßt sich Brackmann ( 1712) und Bauerreis ( 1713). Während Bauerreis, der den Text der ältesten dieser Quellen des Andechser Missales abdruckt, sogar den »Mon. Boica« den Vorwurf von Hyperkritik macht, zeigt Brackmann, indem er auch die übrigen Darstellungen der Geschichte von Andechs behandelt, sowie die Pergamentblättchen, die die Reliquien von Andechs beglaubigen sollen genau untersucht, daß diese ganzen Geschichtsquellen am Ende des 14. Jhds. in ziemlich fantastischer Weise zusammengestellt wurden und daß die Hyperkritik der Mon. Boica nur zu berechtigt gewesen ist. Interessant ist, wie das Emporkommen des Wallfahrtsortes seine allmähliche kirchliche Verselbständigung und schließlich 1439 die Gründung eines Kollegiatstiftes, 1451--1453 eines Benediktinerklosters zur Folge hatte.

Schmid ( 1768) setzt seine im letzten Jberr. (nr. 1330) besprochene Darstellung der Entstehung der kirchlichen Organisation in den westslawischen Gebieten fort, behandelt dabei vor allem die Entstehung der niederen Kirchen auf adeligen Gütern und wie schon im Vorjahre dargelegt, die Weiterentwicklung des Zehentrechtes. Engel ( 1766) stellt an der Hand einiger Daten aus der sächsischen Pfarre Zürchau den Wandel des Spolienrechtes vor und nach der Reformation dar.

Classen ( 1686) hat im Zusammenhange des historischen Atlas für Hessen die kirchliche Organisation Althessens im MA. behandelt. Die zum Erzbistum Mainz gehörigen Gebiete unterstehen den Erzdiakonen von St. Stephan in Mainz und St. Peter in Fritzlar, letzteres der Nachfolger des Hessenbistums Büraburg. Daneben hat noch die Propstei Hofgeismar ein Erzdiakonat und das Erzpriestertum Wittwar hat eine gesonderte Stellung. Das Erzdiakonat Fritzlar zerfällt in Erzpriestersprengel, die den Sendbezirken entsprechen und bis auf einen bereits vor 1100 belegt, also die alten Taufkirchen sind. Das Erzdiakonat St. Stephan ist in Dekanate eingeteilt; die alten Mutterkirchen zugleich Sendbezirke, stimmen nicht mit diesen überein und führen hier den Titel »sedes«, deren einige erst am Ende des 11. und im 12. Jhd. entstanden. Die Ausdrücke »plebanus« und »ecclesia parrochialis« tauchen erst 1209 und 1227 auf. Ein Drittel der sendberechtigten Pfarrkirchen ist dem heiligen Martin geweiht. 1103 beansprucht der Erzbischof den Gründer einer Pfarre nur mehr als Vogt über diese einzusetzen. Einsetzung und Investitur sind seit dem 12. Jhd. getrennt. Der Kirchherr heißt bis 1265 »advocatus«. Der Ausdruck »patronus« begegnet zuerst 1196. Leider hat Cl. eine Untersuchung darüber, ob die Pfarren, die der Erzbischof überträgt, (»de libera collatione«) älter als die im Laienpatronat


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stehenden sind, nicht angestellt. An eine ausführliche Topographie schließt sich ein Exkurs über den Hessengau und seine Grafschaften. (Vgl. auch S. 501.)

In den letzten Jahren waren mehrfach Arbeiten über die Kalandsbruderschaften zu besprechen (1927: 1714; 1928: 1347). Zwei größere Arbeiten befassen sich nun mit ähnlichen Erscheinungen anderwärts. Zunächst hat Ahlhaus ( 1759) die Bruderschaften der Landdekanate des großen Bistums Konstanz behandelt. Nach einer ausführlichen Darstellung der Literatur untersucht er kurz die Entstehungsgeschichte der Pfarren, jedoch ist eine klare Einteilung nach Erzpriestertümern im Bistum Konstanz nicht mehr erkennbar. Seit dem Anfang des 12. Jhds. sind die Pfarren zu Dekanaten zusammengefaßt. Eine Übersicht über die Einteilung schließt sich an. Es folgt sodann eine solche über die Statuten der Dekanate. Wichtig ist, daß dieselben mit einem Dekan und einem Kämmerer an der Spitze überall ähnlich als Bruderschaften in der Art der erwähnten Kalande organisiert waren und daß überall die Mitglieder der Bruderschaft (ab und zu auch Laien) einer Schiedsgerichtsbarkeit des Dekanalkapitels unterstanden. Die verschiedenen Funktionen und Gebräuche der Kapitelbruderschaften sowie ihre Bedeutung für die Steuerorganisation des Bistums Konstanz werden ausführlich besprochen. Von Seite 284--368 folgt der Abdruck der Statuten. Gescher ( 1761) behandelt die Bruderschaft der Pfarrer in der Stadt Köln, die 1310 gegründet wurde. Ihre Anfänge reichen jedoch bis ins 12. Jhd. zurück. Auch hier finden sich dieselben Bräuche bei der Aufnahme, bei Begräbnissen und Schmäusen, die Wahl von Dechant und Kämmerer, zu denen später noch ein rechtskundiger »Advocatus« hinzukommt. Auch die Kölner Bruderschaft hat eine eigene Schiedsgerichtsbarkeit. Der »Advocatus« tritt außerdem als Rechtsvertreter bei gemeinsamen Klagen und Prozessen hervor.

Eine größere Zahl von Arbeiten behandelt die Reformbewegung und ihren Einfluß auf die kirchliche Verfassung vom 14. bis zum 16. Jhd. Posch ( 1676) bespricht Reformvorschläge des Wilhelm Durandus für das Konzil von Vienne (1311). Dieselben sind deshalb von besonderem Interesse, weil die meisten Gedanken der Reformbewegung des 15. Jhds.: Wiederherstellung der Befugnisse des Bischofs gegenüber der Kurie, bessere Bildung des Klerus, Abschaffung der Exemtionen, Bewilligung der Priesterehe und dgl. hier bereits auftauchen. Nikolaus von Cues war im Besitze des Werkes des Wilhelm Durandus. Heimpel ( 1672) behandelt und veröffentlicht eine wiederaufgefundene Schrift des Dietrich von Nimes nach der Handschrift 226 der Augsburger Stadtbibliothek. Die Schrift befaßt sich mit dem Rechte des Kaisers, ein Kaisers, ein Konzil zu berufen und ist 1413--1414 geschrieben. Sehr interessant ist das von H. genau dargestellte Verhältnis Dietrichs zu dem »defensor pacis« des Marsilius von Padua. So stark Dietrich von Marsilius abhängig ist, gerade dessen Hauptthesen (Volkssouveränität) fehlen. Hollnsteiner ( 1674) behandelt die Stellung des Konstanzer Konzils in der Gesamtentwicklung der Kirchengeschichte. Er untersucht die Fragen des Stimmrechtes, der Stellung des Konzils zum Papste und zur Reform und sucht darzutun, daß die Auffassung von der Superiorität des Konzils gegenüber dem Papst lediglich ein Notbehelf gegenüber dem Schisma und kein dogmatischer Beschluß gewesen sei. Die sehr interessanten Darlegungen werden wohl ihr Echo in der kirchenrechtlichen Literatur finden. Beer ( 1675) bespricht den Plan eines deutschen Nationalkonzils 1431, und veröffentlicht nach der Handschrift 68 der Innsbrucker Universitätsbibliothek die


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Beschlüsse einer vorangegangenen Salzburger Provinzialsynode vom 5. November 1431, die auf das Programm der deutschen Nation vom 28. Februar 1433 eingewirkt haben. Das Nationalkonzil scheint nicht zustande gekommen zu sein. V. Redlich ( 1678) stellt fest, daß nach drei Gründungsversuchen Papst Felix V. auf dem Basler Konzil 1440 eine Universität ins Leben rief, die als ersten deutschen Professor den später nach Tegernsee gegangenen Johann Keck zum Doktor promovierte und noch 1448 bestand. Quelle: CLM. 19 606 und 18 298. Zwölfer ( 1752) behandelt die Versuche des Basler Konzils, die gesamte Verfassung der Kirche zu revidieren. Die Pläne des Konzils fordern die Abschaffung der Reservation und Annaten für die Kurie und die Sicherung von einem Drittel aller Pfründen der Domkirchen für die Graduierten. Die Abschaffung der Annaten führt zum Kampfe mit Papst Eugen IV. Zur Finanzierung des Konzilspapstes Felix V. werden schließlich ein Zehntel aller vakanten Pfründen für diesen reserviert, eine Maßnahme, die geeignet gewesen wäre, den Kampf mit Eugen IV. hintanzuhalten, wenn sie rechtzeitig beschlossen worden wäre, wie Z. meint. Nirgends zeigt sich deutlicher wie in dieser Frage, wie stark gerade das Intelligenzproletariat an den revolutionären Beschlüssen dieser Basler Konzils beteiligt war. Keußen ( 1688) zeigt die Abhängigkeit der Einstellung der Universität Köln zum Basler Konzil von den Pfründenfragen; denn für die Universitäten war eine hinreichende Versorgung ihrer Mitglieder das Entscheidende. Daher treten sie 1448 zu Papst Nikolaus V. über. Eine für die Entwicklung des rheinischen Katholizismus sehr interessante Studie verfaßte Kettenmeyer ( 1723). Er zeigt an der Lebensgeschichte der Marie von Oisterwijk und ihrem Verhältnis zu dem Prior des Kölner Karthäuserklosters wie hier noch im zweiten Viertel des 16. Jhds. -- Maria starb 1547 -- die Mystik, die der Klosterreformbewegung aus der Zeit des Basler Konzils entsprang, fortblühte. Auch der junge Petrus Canisius gehört zu den von Maria beeinflußten.


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