§ 39. Katholische Kirchengeschichte der Neuzeit

(A. Schnütgen)

Zum erstenmal steht bei der in diesem Abschnitt zu besprechenden Literatur das Aufklärungsjahrhundert im Vordergrund. Und zwar hat sich die Forschung im Berichtsjahr sowohl mit kirchenpolitischen Ereignissen und Strömungen von damals wie mit Vorgängen und Bewegungen auf den Gebieten des innerkirchlichen Lebens und der kirchlichen Kultur beschäftigt. Die hier zu vermerkende Arbeit über das 18. Jhd. wird durch ebenfalls recht beachtliche Werke zur Geschichte des 17. und der ersten Hälfte des 19. Jhds. gleichsam eingerahmt. Mögen es der diesmal zu besprechenden Darstellungen, Untersuchungen und Ausgaben auch, alles in allem genommen, nicht allzu viele sein, zweifellos ist ihr innerer Wert verhältnismäßig groß. Die vornehmlich territorialgeschichtlich gebundene Literatur ist für das laufende Jahr mehr noch als früher den einschlägigen Einzelberichten aufgespart geblieben.

Die Schrift von Johannes Cochlaeus ( 1791), die Greven in ihrer vom Verfasser selbst vorgenommenen Übertragung aus dem deutschen in ein lateinisches Sprachgewand ausgibt, war die Antwort auf eine Arbeit des Nürnberger Ratsschreibers Lazarus Spengler. Im Hintergrund der mit diesen Schriften von Cochlaeus und Spengler noch nicht beendigten literarischen Fehde haben fürstliche


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Persönlichkeiten gestanden, die sich zu dieser oder jener der beiden Religionsparteien rechneten. Ein Vorspiel zum Augsburger Reichstag von 1530, galt die Fehde der Bekämpfung des maßgeblichen kirchlichen Rechts und der kurialen Anwendung desselben durch das bekanntlich von Luther 1520 verbrannte Corpus iuris canonici. Luther war jetzt mit Spenglers Vorgehen einverstanden. Greven führt mit aller Sorgfalt in die literarische Fehde ein, gibt Proben von der deutschen Originalarbeit des Cochlaeus und handelt über die Cochlaeus gewidmeten Entgegnungen.

Karl Meisen und Friedrich Zoepfl geben vier Schriften Johannes Ecks ( 1792) heraus, die für seine Persönlichkeit und Schreibart, die lokale Ausbreitung der Reformation sowie die Frühentwicklung der neuhochdeutschen Schriftsprache beachtlich sind. Meisen untersucht die Schriften sehr eingehend linguistisch, und zwar in einer auch dem Nichtsprachwissenschaftler verständlichen Art; die ihnen gewidmete bibliographische Einleitung stammt von Zoepfl, der auch die eigentliche Editionsarbeit geleistet hat. Die an die Spitze gestellte scharfe Schrift Ecks ist Ende September 1520 im Leipziger Paulanerkloster entstanden, wohin Eck unmittelbar vorher mit der Bulle »Exsurge« von Rom zurückgekehrt war. Sie richtet sich einerseits gegen die Meinung des Reformators, Hus und Hieronymus hätten den Feuertod unter Bruch des ihnen zugesicherten päpstlichen und kaiserlichen Geleits erlitten, anderseits gegen Lehrauffassungen Luthers, die der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre nicht konform waren. Die übrigen Schriften gehören den Jahren 1526 und 1527 an und betreffen Ecks Eingreifen in die Glaubenskämpfe in Konstanz, Baden in der Schweiz und Ulm.

Volk ( 1793) glaubt die nebensächliche Rolle tadeln zu sollen, die in Pastors Papstgeschichte den alten Orden, insbesondere dem benediktinischen Mönchtum, für den Ablauf der katholischen Restauration in Deutschland dank dem spärlichen Heranziehen einschlägiger Quellen zugefallen ist. Er polemisiert auch nicht ohne Glück gegen Pastors Behauptung vom tiefen Sinken der Disziplin in der Bursfelder Kongregation des Ordens zu Anfang des 17. Jhd. und weiß namentlich von bald nach 1626 durch die Jesuiten betriebenen Beratungen zu berichten, geistliche und weltliche Fürsten für die völlige Aufhebung des Benediktinerordens in Deutschland und die Verwendung seiner begütertsten Abteien als Jesuitenkollegien zu gewinnen. Bei der unter Leitung des Abtes Spichernagel von St. Pantaleon in Köln unternommenen Abwehr dieser Absicht wurde an einen Zusammenschluß aller Benediktinerklöster Deutschlands gedacht. Das beschwor wieder eine Opposition der Bischöfe herauf, die die vermeintlichen Exemptionsversuche der Benediktiner fürchteten, bis Tillys Niederlage von 1631 alle einschlägigen Pläne gegenstandslos machte.

Pastor ( 1790) schildert in den Pontifikaten Innocenz' X., Alexanders VII., Klemens' IX. und Klemens' X. den zu Ende gehenden Dreißigjährigen Krieg und das erste Menschenalter seit Friedensschluß. Es ist die Periode des beginnenden Staatsabsolutismus und des sich ausbreitenden Jansenismus, es sind für Deutschland vor allem die Jahre Fabio Chigis als Nuntius in Köln (1639--51) und außerordentlicher Nuntius beim Friedenskongreß in Münster sowie diejenigen der späteren Einflußnahme Chigis auf die ihm so vertrauten deutschen Verhältnisse als Papst Alexander VII. (1655--67). Von Pastor wird stark hervorgehoben, daß der mit reichen Gaben und Vorzügen bedachte Mann durch


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die Zeitlage daran behindert worden ist, als Pontifex alle auf ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Pastors Gesamturteil über die Tragweite des Westfälischen Friedens für den Besitzstand der katholischen Kirche in Deutschland ist im wesentlichen das der bisherigen Literatur. Im einzelnen gewährt seine Darstellung nicht zuletzt an der Hand von Chigis Berichten nach Rom neue Einblicke in das diplomatische Getriebe in Münster und Osnabrück, in das Ringen der unter sich alles andere als einigen katholischen mit den protestantischen Deputierten, neue Ausblicke auf die schwierige Stellung und vorzügliche Eignung des Nuntius, auf seine ausgleichende Gerechtigkeit gegenüber den auseinanderfallenden Mächten, auf seine Festigkeit und sich in seelischen und körperlichen Beschwerden bewährende Geduld. Den Vertretern der protestantischen Mächte gegenüber befolgte er eine diplomatisch abgewogene Politik sachlichen Entgegenkommens bei persönlicher Zurückhaltung. Während die Taktik des kaiserlichen Gesandten Graf Trauttmansdorff davon ausging, daß nur noch ein Friede um jeden Preis die katholische Kirche in Deutschland retten könne, und Bayern und Mainz sich diesem Standpunkt anschlossen, wollten Chigi und die ihm vertrauende römische Kurie die früheren Verhältnisse und Rechte aufrecht erhalten wissen, zum mindesten ihre Preisgabe nicht gutheißen. Wie die schließliche Festsetzung des Normaljahres 1624, so ist ähnlich die Überlassung des Kirchengutes an die Protestanten für immer statt nur für hundert Jahre gegen Chigis Willen auf Zugeständnisse der Kaiserlichen hin erfolgt. Aus der Pontifikatszeit Alexanders VII. sind die Wahl Kaiser Leopolds im Juli 1658, der einen Monat später von deutschen katholischen und nichtkatholischen Fürsten im Gegensatz zum Haus Habsburg abgeschlossene Rheinbund, kirchenpolitische und innerkirchliche Vorgänge verschiedener Art bei den rheinischen und westfälischen Bischöfen, eine mehr als nur eine namhafte Persönlichkeit ergreifende Konversionsbewegung als für Deutschland wichtig hervorzuheben. Die Breite der Darstellung bei Pastor hat gegenüber den früheren Bänden schon nachgelassen, ohne daß sich an der Sorgsamkeit ihrer an zahlreichen Stellen quellenmäßigen Unterbauung, an dem Reichtum und zum Teil auch der gewohnten Reihenfolge der Gesichtspunkte, an ihrer warmherzigen, mehr ausgleichenden als aufwühlenden Schlichtheit viel geändert hätte. Die Teile, die die Unparteilichkeit des Werkes auf ernsthaftere Proben stellten, waren diesmal nicht diejenigen, die unseren deutschen Verhältnissen gewidmet sind.

Deinhardt ( 1794) unterrichtet in einer wohlabgewogenen, mit reichen bibliographischen Belegen versehenen Studie über das Hinübergreifen des Jansenismus zu uns nach Deutschland. Sein Ausgangspunkt dabei ist der, daß der deutsche Protestantismus dem Jansenismus als einem Widerpart des allgemeinen Katholizismus zuneigte; zwischen »jansenistischem Reformkatholizismus und pietistischem Reformprotestantismus« entstand fast so etwas wie eine »innerliche Übereinstimmung« (S. 24). Im katholischen Deutschland begann man sich mit dem Jansenismus eigentlich erst dank Hinweisen seitens der protestantischen Kreise und nach der zunächst aus politischen Gründen mancherorts mißliebigen Bulle »Unigenitus« von 1713 zu beschäftigen. Das Ergebnis dieser Beschäftigung war in den einzelnen Theologenschulen eine wissenschaftliche Literatur, mit der sie sich sehen lassen konnten. Deinhardt nimmt in der Einstellung des katholischen Deutschland zum Jansenismus um die Mitte des


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18. Jhds. eine Wandlung wahr. Einerseits begann sich, »durch manche Unklugheit der Hauptgegner des Jansenismus, namentlich im Jesuitenorden, nur noch beschleunigt« (S. 66), die feste theologische Front gegen den Jansenismus als Doktrin zu lockern. Von den Niederlanden, Italien, Österreich und Franken her sind Einwirkungen in seinem Sinn auf Deutschland festzustellen, er wurde in der Zeitschriftenliteratur günstiger beurteilt, als es vom kirchlichen Standpunkt aus berechtigt war (S. 96). Anderseits wurde der Begriff Jansenismus zu einem Schlagwort, dessen »sich der Unverstand oder die Intrigue ... bedienten, um dadurch mißliebige Persönlichkeiten mit einem ebenso wohlfeilen als odiosen Verdacht zu treffen« (S. 67). Die »Psychose, welche die Bedrückung und bevorstehende Aufhebung des Jesuitenordens hervorgerufen hatte«, führte zu einer Verdächtigung des ganzen Zeitgeistes als jansenistisch (S. 77). Diese letztere Feststellung scheint mir vom Standpunkt der allgemeineren Kirchengeschichte aus ebenso symptomatisch wie die weitere, daß die Unterdrückung der Bulle »Unigenitus« in den österreichischen Erblanden durch Joseph II. auf Grund einer systematischen Agitation erfolgte, die von führenden jansenisierenden Kreisen ausging. Während die Moraltheologie aus der jansenistischen Literatur positiven Gewinn gezogen hat, hat der Jansenismus, von seiner Einflußnahme auf Dogmatik und Polemik ganz abgesehen, lähmend und einengend auf die katholische Frömmigkeit und die kirchliche Praxis gewirkt, »vielleicht«, wie Deinhardt etwas sehr vorsichtig schreibt, der rationalistischen Aufklärung vorarbeitend. Wenn unserer Untersuchung vorgehalten worden ist -- von H. Leube im Theologischen Literaturblatt 1930, Sp. 24 --, daß sie von einer Einordnung des Jansenismus in große geistesgeschichtliche Zusammenhänge absehe, so möchte ich im Gegenteil die nüchterne Methode an ihr rühmen, mit der Einzelheiten zusammengestellt und vorurteilslos, wenn auch durchaus vom Standpunkt des Theologen aus, geprüft worden sind. Die kirchengeschichtliche Forschung über das 18. Jhd. ist hier um ein nicht unwesentliches Moment bereichert worden. Vgl. noch die Polemik gegen die ein wenig unpolitische Einstellung Deinhardts bei L. A. Veit, Die Kirche im Zeitalter des Individualismus I (Freiburg 1931), S. 58 f.

Muschards ( 1795) ausführliche Arbeit ist ein wesentlicher Beitrag zur Literär- und Gelehrtengeschichte der Ordenstheologie in Deutschland von den Zeiten des Barockkatholizismus bis zur Ära Sailer. Unter Ausblicken auf die allgemeine Entwicklung von Theologie und Kanonistik seit dem Tridentinum und unter Betonung des gallikanischen und febronianischen Einschlags in der Kirchenrechtswissenschaft des 18. Jhds. wird festgestellt, daß die Orden und die von ihnen besetzten katholischen Universitäten doch zu einem Teil im Rahmen der Tradition geblieben sind und daß neben den Leistungen des Jesuitenordens und vielfach an sie angelehnt, anderseits auch wieder der augustinisch-mystischen Ordenstheologie verwandt, diejenigen der Benediktiner wesentlich ins Gewicht fallen. Der erste Teil unserer Studie ist den Kirchenrechtslehrern der altthomistisch gerichteten Salzburger Hochschule gewidmet, bei denen ein bis zur Mitte des 18. Jhds. reichendes Zeitalter der kanonistischen Tradition, das von einem gesamtphilosophischen Eklektizismus beherrschte Zeitalter des Kampfes gegen die Aufklärung bis zum Regierungsantritt Erzbischofs Colloredo 1772 und endlich der Ausgang des Jahrhunderts mit seinem als synkretistisch zu bezeichnenden theologisch-juristischen Denksystem unterschieden werden. Im


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zweiten Teil seiner Untersuchung behandelt Muschard die benediktinische Kirchenrechtswissenschaft außerhalb Salzburgs, neben den Vertretern der alten kanonistischen Überlieferung vor allem die den Maurinern Frankreichs folgenden historischen Schulen von St. Emmeran, St. Blasien und Melk und ihnen entsprechende Einzelpersönlichkeiten. Zum Schluß kommt bei ihm die ganz in der kirchlichen Tradition beharrende zisterziensische Kirchenrechtswissenschaft zur Sprache. Auf den außerordentlichen Reichtum an Personellem und Bibliographischem bei Muschard kann hier nicht eingegangen werden; ein Kapitel wie dasjenige über Martin Gerbert ist eine kleine Monographie für sich. Der gehaltvollen Studie wäre im Interesse einer bequemeren Benutzung zu wünschen, daß sie auch noch als selbständiges Buch erscheint; die für die Buchausgabe nötige Umgestaltung hätte sich namentlich auf die Aufnahme eines wesentlichen Teiles des jetzigen Apparates in den Text zu beziehen.

Ein Werk von sehr weiten Ausmaßen legt uns Pfeilschifter-Baumeister ( 1796) vor. In seinem Eingangsteil gilt es der staatskirchenrechtlichen Entwicklung in Bayern seit dem ersten, später nur noch durch partikulare Ergänzungsrezesse modifizierten Einheitskonkordat unter Herzog Wilhelm V. im J. 1583 bis zur Reformbewegung unmittelbar vor 1770, verfolgt insbesondere die Vorgänge seit dem Regierungsantritt Kaiser Karls VII. im J. 1726. Die stärkste Hervorhebung in diesem Kapitel wird der 1766 aus der Feder des Kurfürstlichen Geistlichen Ratsdirektors Peter von Osterwald in München veröffentlichten Abhandlung »Veremund von Lochsteins Gründe sowohl für als wider die geistliche Immunität in zeitlichen Dingen« zuteil, die eine starke Bewegung nach sich zog, der rationalisierend-reformerischen Richtung des Freiherrn von Ickstatt folgend das bayerische Staatskirchenrecht auf den aufgeklärten Territorialismus umstellte und mit den Reformmandaten der Jahre 1768 bis 1770 »die staatskirchenrechtliche Revolution« (S. 221) veranlaßte. Im letzten Ende ein Ergebnis dieser Schrift waren auch die zwischen August 1770 und Februar 1771 in Salzburg stattgehabten Beratungen aller am Gebiet des Kurfürstentums beteiligten Ordinariate, deren Analyse zusammen mit derjenigen des den abgebrochenen Kongreß seit Ende März 1771 ersetzenden Kongresses von Substituierten aus dem Salzburger Konsistorium den zweiten und Kernteil unseres Buches ausmacht. Von nun an steht in ihm die bedeutende Persönlichkeit des Salzburger Domdekans Ferdinand Christoph Graf von Zeil im Vordergrund. Indem Zeil in einem Promemoria eine Rückbildung der durch die zweihundertjährige Unterlassung von Provinzialsynoden hervorgerufenen konkordatischen Entwicklung auf das kanonische Recht und eine umfassende Reformgesetzgebung auf dem Gebiet der Kirchenzucht erstrebte, hat er den zweifellos wichtigsten Vorbereitungsakt zu dem Kongreß gesetzt. Ihm fiel denn auch die Leitung der Tagung zu, er spielte die maßgebliche Rolle bei ihren späteren Auswirkungen. Daß die Grundhaltung des Kongresses antifebronianisch und antiepiskopalistisch war, lag freilich naturgemäß mehr noch als an Zeil an dem im übrigen schwachen und zur Führung wenig geeigneten Salzburger Erzbischof Schrattenbach. Pfeilschifter verhehlt nicht, daß das dem Kongreß vorgelegte rechtsgeschichtliche und rechtsdogmatische Material seicht und lückenhaft war, daß die Verhandlungen überhaupt kein sehr hohes Niveau zeigten, daß es den Deputierten außer Zeil trotz aller schon in der großen Öffentlichkeit gegen die Kirche ertönender Sturmsignale an dem nötigen Verständnis für die kirchlichen


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Zeitaufgaben und für die seelsorglichen Pflichten des Klerus fehlte. Von den zahlreichen gravamina publica und particularia, die erörtert wurden, kann im Rahmen dieses Berichts nicht gehandelt werden. Ein neues Einheitskonkordat wünschte man nur in ganz loser Form. Von Dezember 1772 bis 1777 verhandelte Zeil allein mit unzulänglichen Vollmachten in München, worüber im dritten Teil unseres Bandes diskutiert wird. Für den Episkopat stand namentlich auch bei diesen Verhandlungen der äußerliche Gesichtspunkt der Wahrung von Rechten im Vordergrund; daß es »sich ... um eine Auseinandersetzung mit einem von Grund aus gewandelten modernen Staatsempfinden handelte« (S. 461), daß schon bei den Reformgesetzen von 1768 bis 1770 System gegen System gestanden hatte, kam den allerwenigsten in den Sinn. Der durch den Kongreß immerhin nach der Seite der staatskirchenrechtlichen Mäßigung beeinflußte Kurfürst war gegen eine an einen noch extremer als Osterwald gerichteten Schüler Ickstatts, den Hofrat von Lori, angelehnte Gruppe -- die sog. Loripartei -- zu einem Einheitskonkordat bereit. Im Oktober 1774 kam es erst einmal zu einem Prälatenwahlvertrag, der das alte Konkordatenrecht in der Hauptsache redintegrierte, im November 1776 zu einem Vertrag über die Reform des bayerischen Sponsalienrechtes und im Dezember 1777 nach großen Schwierigkeiten zur Bereiterklärung der römischen Kurie, ihn in der Voraussetzung gewisser Abänderungen zu ratifizieren -- da hörte mit dem unmittelbar nachher erfolgten Tode Max. III. Joseph dank der Verhandlungsmüdigkeit der Bischöfe, nicht zuletzt des Febronianers Colloredo, alles weitere Unterhandeln auf. Pfeilschifter findet für diese Entwicklung die treffende Formulierung, daß »der mehr und mehr erstarkende febronianistische Tatwille der deutschen Erzbischöfe« die ganze Kraft brauchte, im Innern des Hauses zu bessern, und deshalb den Streit mit dem Nachbar möglichst vermied (S. 638). Er behandelt die Vorgänge in einer bei dem in der Hauptsache rechtshistorischen Stoff immerhin verständlichen Breite, und, soweit nicht bloß Aktenauszüge wiedergegeben werden, zweifellos in flotter, durchsichtiger Darstellung und mit gediegenem und weitem Urteil. Vielleicht sind diese bayerischen Verhandlungen kurzer Jahre weniger in sich selber geschichtlich belangvoll denn als kennzeichnende Beiträge zu einem kirchengeschichtlichen und kirchenrechtsgeschichtlichen Werdeprozeß, an dessen nicht mehr fernem Ausgang die Säkularisation stand. Pfeilschifters Werk wird auch in vielen seiner hier nicht erwähnten Einzelergebnisse für die Forschung dauernd wertvoll bleiben.

Mayer ( 1797a) diskutiert höchst geistvoll und förderlich sowohl die theoretische Auffassung von der Liturgie als auch die gottesdienstliche Praxis, die in der deutschen Kirche im Zeitalter der Aufklärung herrschten. Er will einen »kulturgeschichtlichen Querschnitt« (S. 80, Anm.) geben, die Dinge in ihrer engen Verflochtenheit mit der kulturell-geistigen Gesamthaltung des 17. und 18. Jhds., vor allem im Widerschein von Barock und Klassizismus, schauen. Da den Aufklärungsliturgikern trotz der relativen Ungeschichtlichkeit ihrer Periode ein klassizistisches Empfinden eigen war, das nach innerer und äußerer Einfachheit strebte und auf die christliche Antike ging, wird -- ob ganz glücklich? -- der Begriff eines »katholischen Klassizismus« geprägt. Mayer erinnert weiter an die philanthropischen und utilitaristischen Tendenzen der Aufklärer, die auf die Pflege des Gemeinschaftscharakters, sowie von Verständnis und Erbauung im Liturgischen hinzielten. Die eigentliche, nicht völlig erfüllte Mission


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der Aufklärung war, die Liturgie zu einem die ganze Kirche erfüllenden Problem zu machen oder, wie in vielleicht ein wenig zu selbständiger Anwendung eines modernen Ausdrucks gesagt ist, eine Art volksliturgische Bewegung hervorzurufen. Es galt, »die verschiedenen Frömmigkeitstypen, die sich im Laufe der Jahrhunderte seit der Gotik entwickelt und voneinander wegentwickelt hatten, vor allem die nach Standes- und Intelligenzschichten geschiedenen Typen durch die Liturgie aufzuheben oder zu vereinigen« (S. 124). Anderseits spricht unsere Studie mit Recht von einer »tragischen Schuld« der Aufklärung, weil sie »in der Liturgie mehr (oder fast ausschließlich) die Form sah und nicht den Geist, der diese Form adäquat geschaffen hatte, daß sie diese Form -- selbst in der antik-christlichen Gestalt -- zwar der Formlosigkeit der Vergangenheit entgegensetzte, aber sie nicht vom Objektiven, sondern vom Subjektiven her mit Leben zu erfüllen gedachte« (S. 126). Die Gemeinschaft des Corpus Christi mysticum, die heute bekanntlich von der vom Geiste Maria Laachs befruchteten Liturgieforschung und Liturgiebetrachtung wieder so ganz in den Vordergrund gestellte Idee des Mysteriums wurde verkannt. Indem unsere Studie eine reiche theologische und kulturgeschichtliche Literatur und namentlich in bezug auf Kurtrier auch aus erster Hand geschöpfte Einzelbelege vor uns ausbreitet und indem sie die positiven Seiten der katholischen Aufklärung vor die negativen rückt, gewinnt sie, wie hier wiederholt betont sein mag, eine ungewöhnlich starke anregende Kraft.

Mayer konnte bereits die eingehende literarische Analyse der liturgischen Anschauungen des Ingolstadter und Landshuter Professors Vitus Anton Winter (1754--1814) mit Nutzen verwerten, mit der uns Vierbach ( 1797) beschenkt hat. Vierbach geht ebenfalls von allgemeineren Erörterungen über die Liturgie der Aufklärungszeit aus oder streut sie ein, immerhin halten sie sich bei ihm dem Wesen seiner monographischen Arbeit entsprechend in einem in der Hauptsache auf Literärgeschichte sowie Verordnungen und Einzelheiten über die gottesdienstliche Praxis in den verschiedenen Diözesen und Herrschaftsgebieten beschränkten Rahmen. Die Erörterung der theologischen Grundanschauungen Winters ergibt, daß er vom »latreutisch-sakramentalen Zweck« des Kultus (S. 51) wenig wissen wollte, daß er trotz seines Festhaltens an der Einsetzung des Kultus durch Christus die Kultprinzipien aus einer in die Hl. Schrift hineingetragenen, aus der Vernunft stammenden subjektiven Kulttheorie ableitete. Seiner Ansicht nach ist alles Nachapostolische in der Liturgie fremdartig und muß ausgemerzt werden, auch die Marien- und Martyrerverehrung. Winter stellt eine Reihe von weiteren negativen und positiven Grundsätzen zu einer durch die Bischöfe anzuordnenden Reform der Liturgie auf, die im einzelnen manches Beachtenswerte enthalten, aber z. B. bezüglich Messe und Missale zu einem Ergebnis kommen, »das weitab von der durch die geschichtliche Entwicklung gewordenen Form der römischen Messe liegt« (S. 145). Der Wert der nüchternen und umsichtigen Arbeit Vierbachs beruht in der am Beispiel des bedeutendsten Liturgikers der Aufklärungsepoche vorgenommenen Aufhellung der grundsätzlichen und der Einzelanschauungen der Zeit und in der klärenden Erkenntnis, daß, während die grundsätzlichen Anschauungen zweifellos dem Lehrsystem der Kirche nicht konform waren, in der Einzelkritik und den Reformvorschlägen doch manches Gesunde und Erwägenswerte angeregt worden ist.


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Braubach ( 1798) analysiert, vorwiegend auf zeitgenössisches Zeitschriftenmaterial gestützt, die Einwirkung der großen Revolution in Frankreich auf die Aufklärungsbewegung an den katholischen Universitäten Deutschlands. Das interessante Ergebnis der stoff- und lehrreichen Arbeit ist, daß an den meisten dieser Hochschulen zu Beginn der Revolution die, sei es radikale, sei es kirchentreue, Aufklärung entschieden vorherrschte, um langsam und erst allmählich ausgesprochener einer rückläufigen Bewegung Platz zu machen -- insbesondere »zur Verhinderung der Übertragung von Grundsätzen wissenschaftlicher und geistiger Freiheit auf das Gebiet der Politik« (S. 281). Unter den Eindrücken der Ereignisse von 1793/94 in Frankreich konnten die Gegner der Aufklärung sogar vorübergehend triumphieren. Nachdem gegen Ende des Jahrhunderts abermals ein Umschwung eingetreten war, fiel die Mehrzahl der katholischen Universitäten bekanntlich der Säkularisation zum Opfer.

Die äußere Anlage des Werkes von Bastgen ( 1799) ist nicht ganz leicht zu überschauen. Es enthält einen mit einem umfassenden Apparat von Akten- und Literaturnotizen versehenen darstellenden und einen Dokumententeil. In beiden handelt es sich um die Kirchenpolitik Gregors XVI.; nur der Titel des darstellenden Teiles trägt aber dem Titel des Gesamtwerkes entsprechend den diese reichlich allgemeine Angabe erläuternden und begrenzenden Vermerk »Im Anschluß an die Berichte des Prälaten Capaccini aus Deutschland im Sommer 1837«. Wie schon in meiner in den »Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein« 116 (1930), S. 161 ff., erschienenen Einzelanzeige des Bandes ausgeführt, ist die an sich auffällige Verschiedenheit offenbar darin begründet, daß Capaccinis Berichte für den Dokumententeil in noch höherem Grade als für den darstellenden zugleich Anlaß und Anknüpfung sein sollen, überhaupt eine Reihe römischer, Berliner und Wiener kirchenpolitischer Akten der zwanziger bis vierziger Jahre der Forschung vorzulegen. Das besondere Gewicht der durch Rückberufung nach Rom vorzeitig beendigten Reise Capaccinis liegt darin, daß sie in einem Augenblick von Preußen ausgehenden heftigen kirchenpolitischen Wetterleuchtens in Deutschland, am Vorabend des Kölner Ereignisses stattgefunden hat -- sie war denn auch neben Verhandlungen mit Metternich, insbesondere über die Räumung des Kirchenstaates von fremden Truppen, vornehmlich der Orientierung über die kirchlichen Spannungen in den preußischen Westprovinzen gewidmet. Charakteristisch, daß Metternich dem römischen Prälaten nahelegte, die Gesinnung Friedrich Wilhelms III. der katholischen Kirche gegenüber nicht etwa an derjenigen seiner Minister zu messen; der König habe keine feindlichen Absichten, sei aber so sehr mit dem Unionsgedanken für seine eigene Kirche beschäftigt, daß er die katholischen Dinge gerne seinen Ministern überlasse, und manche von diesen ständen wirklich zu allem Katholischen ganz und gar ablehnend. Das wichtigste bei der diplomatischen Mission Capaccinis war die Angelegenheit des Hermesianismus. Die Beleuchtung, die ihr bei Bastgen zuteil wird, kommt darauf hinaus, daß Metternich vor dem im Hermesianismus verborgen liegenden rationalistischen Prinzip Furcht empfand, daß das römische Vorgehen gegen die Doktrin auf den geschäftigen Pfarrer Binterim in Bilk bei Düsseldorf zurückging, und daß weder der König noch Metternich den Eifer des Kölner Erzbischofs Droste-Vischering als ausführendes Organ Roms in diesen Dingen hoch einschätzten. Ein großer Teil des Wertes des Bastgenschen Werkes liegt in der unendlichen Fülle in ihm beigebrachter Einzelmitteilungen


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und Einzelzüge, z. B. auch über die Dotation der preußischen Bistümer oder über die Frage der seitens der mit Bunsens Tätigkeit unzufriedenen römischen Kurie gewünschten Nuntiatur in Berlin oder über die kirchlichen Verhältnisse in Sachsen und Hannover, Mitteilungen, die die weitere Forschung erst nach und nach verwerten kann. Für den in Rom an der Quelle sitzenden schaffensfreudigen Gelehrten dürfte es der Mühe wert sein, zu erwägen, ob er sich fortan nicht lieber auf reine Quellenpublikationen zur Frühzeit des 19. Jhds. beschränken und die darstellerische Verarbeitung seiner reichen Funde der deutschen Einzelforschung überlassen will, die sich möglichst begrenzte Themata zu wählen, diese aber unter Heranziehung der »Kleinakten« (vgl. Bastgen S. IX) und unter voller Ausnutzung der Literatur nach jeder Richtung hin auszubauen und zu vertiefen hätte.

Müllers Buch ( 1091) ist ein Beitrag zur Geschichte der Kulturkampfspublizistik in Schlesien, der, wie es in dem an einigen anderen Stellen ein wenig emphatischen »Vorwort« heißt, zugleich »ein Stück Kirchenhistorie« darstellt. Bezeichnend, daß der in der österreichischen Vergangenheit der Provinz begründete staatskirchliche Einschlag, der aus ihr die sog. Staatskatholiken hervorgehen ließ, noch damals wenigstens vorübergehend und in abgeschwächter Form auch in den Spalten ihrer bedeutendsten katholischen Zeitung zur Geltung kam. Die »Schlesische Volkszeitung« vertrat zwar schon bei Beginn des Kulturkampfes die Politik der deutschen Zentrumspartei, wahrte sich aber unter ihren den Durchschnitt überragenden Chefredakteuren, dem originellen, von wirklicher Staatsgesinnung erfüllten von Florencourt und dem romantisch-rhetorischen Hager im einzelnen Freiheit. So in der Beurteilung der bekannten Ansprachen Pius' IX. vom Juni und zu Weihnachten 1872, in der Frage des passiven Widerstandes gegen die Kulturkampfgesetze bei den Laien, namentlich den Beamten, im Urteil über das kaiserliche Schreiben an Leo XIII. im Dezember 1882. Müller spricht von der »tiefen Kluft«, die sich damals zwischen der »nüchternen Einsicht des Blattes« und »der bis zur Siedehitze gesteigerten Verbitterung der katholischen Mehrheit« auftat und die vom Standpunkt des »Selbsterhaltungstriebes« der Zeitung auf die Dauer unmöglich war (S. 45). Florencourt rückte 1872 ausdrücklich von den »enragierten Ultramontanen« ab (S. 58). Anderseits ergriff die Zeitung 1887 Partei gegen die selbständige Vermittlertätigkeit Bischof Kopps, gegen die Billigung des staatlichen Einspruchsrechtes bei Anstellung der Geistlichen durch den Hl. Stuhl. Unser Buch stellt eine Mosaikarbeit von ansehnlichem Ausmaß dar, die unermüdlich Einzelheit neben Einzelheit setzt, doch wohl zu sehr den chronologischen Fluß der Erzählung durch systematische Gesichtspunkte hemmend, während ihr Verfasser selbst bescheiden hinter sein Material zurücktritt. Perspektiven, wie sie sich durch umfassendere Vergleiche mit der sonstigen Zeitpublizistik und durch Ausmalen breiterer Hintergründe auftun könnten, sind nicht gezeichnet. Kein Zweifel aber, daß wir es mit einem sehr lehrreichen Querschnitt durch das Kulturkampfsgeschehen vom Gesichtswinkel Schlesiens her zu tun haben.


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