II. Geschichte des Buchgewerbes.

Um das Urproblem der Geschichte des Buchdrucks, die Gutenberg-Costerfrage, über die an dieser Stelle bereits berichtet wurde (vgl. Jberr. II, Jahrg. 1926 S. 170 f.), haben die beiden alten Gegner, A. Bömer und G. Zedler nochmals die Waffen gekreuzt ( 82), ohne daß neue Beweismittel beigebracht werden konnten. Zedler hofft das Rätsel der holländischen Frühdrucke, ob Holztafel- oder Metalletterdruck, durch die geplante Herausgabe der zerstreuten Druckdenkmäler einer Lösung näher zu bringen.

Ist hier also gewissermaßen ein Waffenstillstand eingetreten, so kündigt das Buch von E. Consentius, die Typen der Inkunabelzeit (Berlin, de Gruyter u. Co., 1929), eine nicht minder schwerwiegende Kontroverse in der Inkunabelforschung an. Für die Bestimmung der in großer Zahl auf uns gekommenen unsignierten Drucke aus der Inkunabelzeit bedarf es der genauen Kenntnis der von den einzelnen Druckern verwendeten Typen. Konrad Haebler hat sie in seinem bekannten Typenrepertorium systematisch verzeichnet und damit eine allgemein anerkannte Grundlage für die Ursprungsermittlung unsignierter Wiegendrucke geschaffen. Voraussetzung ist dabei jedoch, daß jeder Drucker nur seine eigenen, von ihm selbst hergestellten Lettern benutzt hat. Wie aber, wenn die Typen gewandert sind, wenn es schon in der Inkunabelzeit einen Schrifthandel oder eine Schriftverleihung gab? Dann werden folgerichtig alle allein auf Grund des Typencharakters getroffenen Herkunftsbestimmungen zweifelhaft. Consentius verficht diese These mit polemischer Schärfe, indem er das umfangreiche, im einzelnen schon bekannte Zeugnismaterial für Typenwanderungen


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zusammenträgt. Für ihn ist die Type von Anfang an beweglicher Besitz und als Kennzeichen zur Bestimmung der Persönlichkeit eines ungenannten Druckers ungeeignet. Es wird zu berichten sein, wie sich die Inkunabelforschung mit dieser mit großem Scharfsinn vorgetragenen Anschauung auseinandersetzt.

Die Festgabe, die P. Dirr zum fünfzigjährigen Bestehen des Bayerischen und Münchener Buchhändlervereins dargebracht hat ( 84), beleuchtet die wesentlichsten Abschnitte der Entwicklung des altmünchener Buchgewerbes, die bisher nicht genügend bekannt war und deshalb unterschätzt wurde. Auch hier zeigt sich der unmittelbare Zusammenhang, der zwischen der Ausbreitung des Buchdrucks und Buchhandels und der Reformation besteht. Allein der Aufschwung, den die 1500 in München von dem Augsburger Drucker Hans Schobser eingerichtete Presse nahm, -- zunächst nur zur Herstellung amtlicher Drucksachen dann reformatorischer Schriften dienend -- erlitt durch das Wormser Edikt und die bayerischen Religionsmandate schwere Einbuße. Im Dienst der Gegenreformation seit dem Tridentiner Konzil erwachte in München wieder eine lebhaftere Drucker- und Verlegertätigkeit; München wird zum »deutschen Rom« und schließt sich gegen das gesamtdeutsche Geistesleben ab (S. 31), ein Zustand, der bis zur Mitte des 18. Jhds. anhielt und erst durch die Aufklärung gelockert wurde. Dirrs Darstellung zeichnet sich in erfreulichem Gegensatz zu andern Schriften über die Entfaltung lokaler Buchwesen durch den außerordentlich anschaulich geschilderten politischen und kulturgeschichtlichen Hintergrund aus, durch den die eigenartige Entwicklung des Münchener Schriftwesens seine Begründung findet. Ein viel dankbareres Objekt bot für die Behandlung des gleichen Themas die bedeutende Buchhändlerstadt Jena, dem Fr. Lütge auf Grund des im Weimarer Staatsarchiv, im Jenaer Universitäts- und Stadtarchiv und im Archiv des Buchhändler-Börsenvereins lagernden Materials ein umfangreiches Buch widmet ( 86). Auch hier die charakteristische Verbindung zwischen Reformation und Buchdruck: Im gleichen Jahr (1523) zieht der erste evangelische Prediger und der erste Drucker in Jena ein. Hier wurde die große Jenaer Lutherausgabe hergestellt, deren Entstehung Lütge eingehend schildert. Das Buch gliedert sich in drei Abschnitte, die der Dreißigjährige Krieg, die Mitte des 18. Jhds. und die Mitte des 19. Jhds. begrenzen. Die neueste Entwicklung, vor allem die der bekannten Firmen Gustav Fischer, über die Lütge 1928 eine Monographie veröffentlichte, und Eugen Diederich, wird nicht behandelt. Auffallend gering ist der Einfluß der klassischen Zeit Weimars auf den Jenaer Verlag. Nur Schiller hat seine Sammlung historischer Memoiren dort erscheinen lassen. Während Lütge die Angabe der Zahl der Jenaer Verlagsartikel ausschließlich auf den von Schwetschke nach den Meßkatalogen gearbeiteten Codex nundinarius (Halle 1850) stützt, zeigt die ebenfalls auf archivalischen Quellen aufgebaute Studie von B. Lucas über den münsterschen Buchdrucker Lambert Raesfeldt ( 85), der 1590--1618 tätig war, wie unvollständig diese Zusammenstellung ist. Fast die dreifache Anzahl der bei Schwetschke für Raesfeldt angegebenen Werke werden von Lucas ermittelt und bibliographisch verzeichnet, von denen nur wenig mehr als die Hälfte in den Meßkatalogen Aufnahme fanden, ein Ergebnis, das für die Verlagsgeschichte methodische Bedeutung besitzt.


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