§ 47. Zeitungswissenschaft

(E. Dovifat)

Das J. 1929 brachte den 2. Band des großen Systems der Zeitungskunde von Groth ( 2100). Er ist ausschließlich den äußeren Faktoren gewidmet, die den Zeitungsinhalt beeinflussen. Groth hat auch hier in der ihm eigenen Arbeitsweise jede Gegenwartsschilderung auf breiter historischer Grundlage aufgebaut. So beginnt er in seinem ersten, etwa 330 Seiten umfassenden Kapitel, das den Einfluß des Staates auf den Zeitungsinhalt darstellt, mit einer umfassenden geschichtlichen Schilderung der Pressepolitik der Regierungen. Besonders eingehend ist in geschickter und vollständiger Nutzung des historischen Quellenmaterials die Pressepolitik Friedrichs d. Großen und Napoleons dargestellt. Es folgt, kürzer, die Pressepolitik der deutschen Staaten bis zur Reichsgründung, sodann die Pressepolitik Bismarcks. Auf dieser Grundlage ist dann die moderne Pressepolitik weniger in ihrer inneren Natur, als vielmehr in ihrem technischen Aufbau geschildert. Ausgehend von dem »System Hamann« der letzten Vorkriegsjahre, das Information nur an begünstigte und aus politischen Gründen bevorzugte Journalisten gab, schildert Groth das meinungsmäßig einseitige Masseninformationssystem während des Krieges, um dann auf die gegenwärtige, äußerlich rein als Tatsacheninformation durchgebildete Nachrichtenpolitik der Regierung einzugehen. Dabei sind Arbeitsmethoden der Presseabteilung der Reichsregierung, sowie der Pressestellen der Länder, eingehend dargestellt. In ähnlicher Weise ist im folgenden Kapitel auch die interessenmäßig sehr bedeutsame


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Pressepolitik der Gemeinden vorgeführt. Indem Groth des weiteren die Pressepolitik der politischen Parteien darstellt und ihre Eigenarten festhält, hat er ein vielfältig zersplittertes Material zusammengetragen, hat es systematisch durchgearbeitet und schließlich auch das Problem der Parteipresse und der journalistischen Meinungsfreiheit innerhalb dieser Presse untersucht und in klaren Formulierungen festgehalten. Den Abschluß bildet das Kapitel über die Einflüsse von Interessenten und Interessentenverbänden (vorzüglich Banken, Handel, Industrie) auf die Presse. Das Gebiet ist politisch umkämpft, unbewiesene und unbeweisbare Behauptungen wuchern hier in üppiger Phantastik. Vorsichtig geht Groth hier den Zusammenhängen nach, soweit sie bloßzulegen sind. In der Wertung der öffentlichen Bedeutung von Interessenteneinflüssen auf die Zeitung läßt er sich von der Notwendigkeit leiten, ein geistig unabhängiges Zeitungswesen zu erhalten. Der Band wird in seiner systematisch zeitungsfachlichen Grundrichtung ein unerläßliches Hilfsmittel für jeden sein, der Zeitungen, zumal für die Beurteilung jüngster Vergangenheit, nutzen möchte.

Karl Bömer hat mit seinem »Bibliographischen Handbuch der Zeitungswissenschaft« ( 2098) die erste deutsche zeitungswissenschaftliche Bibliographie großen Stils geschaffen. Bömer hat die mühsame Aufgabe gelöst, die bisher in der Literatur aller erdenklichen Disziplinen verstreuten zeitungswissenschaftlichen oder für die Zeitungswissenschaft fördernden Arbeiten zu sammeln und zusammenzufassen. Die Erleichterung, die damit nunmehr für die Fortführung der systematisch-fachlichen Arbeit schon rein technisch geboten ist, muß allerseits anerkannt werden. Die Universalität des Zeitungsinhaltes bringt es mit sich, daß die mannigfaltigsten Disziplinen sich von ihrem Standpunkte aus und in Anwendung ihrer Methoden mit der Zeitung beschäftigen. Jedem irgendwie an der Zeitung Interessierten bietet diese Bibliographie neben der eigentlichen zeitungsfachlichen Literatur auch die der Randgebiete und der vielfältigen Beziehungen der Zeitung zur Umwelt. Dem kommt auch die Gliederung des Buches entgegen. Einleitend wird die Bibliographie der Geschichte des deutschen Zeitungswesens gegeben. Dann folgen unter dem Sammelbegriff des Aufbaus (Struktur) die Bibliographien der drei großen Kraftgruppen der Zeitung, ihre geistigen (Redaktion und Nachrichtenwesen), wirtschaftlichen (Verlag im engeren Sinne) und nur technischen (Satz und Druck) Hauptgebiete. Innerhalb des zweiten Hauptteiles sind dann die Beziehungen der Zeitung zu allen Lebens- und Wissensgebieten ihrer Umwelt erfaßt. In drei großen, in wohlbegründeter Weise spezialisierten Artikeln wird die Bibliographie der schwierigen Beziehungen zwischen Presse und öffentlicher Meinung behandelt. Dabei wird auch die Beziehung des Lesers zur Zeitung einbegriffen. Unter dem Sammelbegriff: »Die soziologischen Funktionen der Presse« wird die Bibliographie der mannigfaltigen Beziehungen zwischen Presse und Staatsleben (Regierung, Partei, Parlament, Verwaltung usw.) behandelt. Daran schließt sich die bibliographische Darstellung der auch für die innere Freiheit der Zeitung selbst entscheidend wichtigen Beziehungen zwischen Presse und Wirtschaftsleben (Industrie, Handel, Landwirtschaft, sozialen Gruppen usw.), die zahlreichen Beziehungen der Zeitung zu Kultur und Bildungsleben (Literatur, Kunst, Theater usw.) werden anschließend behandelt. Ein selbständiges Kapitel bringt die wichtigsten Arbeiten zum Presserecht. Der letzte Hauptabschnitt umfaßt eine Bibliographie der über Wesen und Aufgabe der eigenen Disziplin erschienenen Arbeiten,


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wobei auch das Kapitel Wissenschaft und Presse abgehandelt wird. Es folgen ausführliche Namens- und Sachregister.

Bömer hat jedem Kapitel oft sehr weitgreifende besprechende Einleitungen voraufgeschickt, wodurch der Band gelegentlich wie ein Lehrbuch anmutet, ohne dessen systematische Einheitlichkeit zu erreichen. Vielleicht kann in künftigen Auflagen, die die praktischen Erfahrungen mit dieser ersten Bibliographie werden verwenden können, dieser Textteil schärfer, rein bibliographisch gefaßt und dementsprechend jeweils unter die Buchtitel eingereiht werden. Dann müssen auch in größerem Umfange die für die historische Arbeit so wichtigen Jubiläumsnummern Aufnahme finden, und vielleicht ist bis dahin auch eine gewisse umständliche und hölzerne Ausdrucksweise abzulegen, die der Verfasser gelegentlich trägt und die im seltsamen Gegensatz steht zur Frische und Lebensnähe des Stoffes, den er behandelt. Dieser Mangel tut jedoch der Tatsache keinen Abbruch, daß niemand, der heute in irgendeiner Disziplin über die Zeitung arbeitet, dies Buch entbehren kann.

Von bibliographischer bzw. methodischer Wichtigkeit sind noch folgende Arbeiten: J. Halle gibt einen reich ausgestatteten Antiquariatskatalog heraus ( 2104), dem Adolf Dresler einen sehr lesenswerten, auf Grund jüngster Forschungen gearbeiteten Aufsatz »Über die Anfänge der gedruckten Zeitungen« voraufschickt. -- H. B. Schiffers-Dawringhausen behandelt in einer kleinen Schrift, die Martin Spahn einleitet, »Die Zeitung als Dokument«, H. v. Forkenbecks Lebenswerk, das Aachener Zeitungsmuseum ( 2106). Das Problem der Sammlung und Aufbewahrung des vergänglichen Zeitungsstückes wird darin an Hand der Aachener Erfahrungen dargestellt. -- Hans Traub ist anläßlich der Berliner Erinnerungsausstellung für Lessing dessen Anteil am periodischen Schrifttum seiner Zeit nachgegangen ( 2105). Traub hat die bekanntesten Periodika, von denen man weiß, daß Lessing daran mitgearbeitet hat, untersucht und hat in einzelnen Tafeln jedes Stück bibliographisch genau bestimmt und Lessings Mitarbeit festgelegt, soweit sie zuverlässig zu erweisen war. -- Emil Dovifat verteidigt in seiner Berliner Antrittsvorlesung (1928) »Wege und Ziele der zeitungswissenschaftlichen Arbeit« ( 2099) eine selbständige Lehr- und Forschungsmethode für die Zeitungswissenschaft, als der Erforschung des Wechselspiels zwischen den geistigen, den technischen und den wirtschaftlichen Kräften innerhalb der Zeitung. Erst wenn diese Zusammenhänge ganz erkannt, wenn ganz erfaßt sei, wie sich das öffentliche Leben in der Zeitung spiegle, sei deren Nutzung gerade zur Erforschung der Dynamik des öffentlichen Lebens, insbesondere auch der öffentlichen Meinung mit Zuverlässigkeit durchzuführen. Der Gegenstand zeitungswissenschaftlicher Arbeit wird also zunächst eng begrenzt, um eine gründliche und wissenschaftlich vertiefte Arbeit zu ermöglichen.

Von historisch begründeten Einzelarbeiten seien die folgenden genannt: Christian Gehring behandelt in einer Leipziger Dissertation, »Die Entwickwicklung des Politischen Witzblattes in Deutschland ( 2102). Ohne fachlich und künstlerisch beim Wesen der politischen Karikatur und ihrer Wirkung lange zu verweilen, schildert der Verfasser nach kurzer Darstellung der religiös-politischen Satire des 16. und 17. Jhds. in anschaulicher Weise die Entwicklung des neuzeitlichen politischen Witzblattes in Deutschland, vom ersten Aufschwung der 40er Jahre bis zu den radikal satirischen Blättern der Jahre 1918--1922. Aloys Barth hat in einer historisch-soziologischen Arbeit »Das Zeitungs-


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wesen von Hildesheim« von seinen ersten Anfängen bis zur Gegenwart dargestellt ( 2107). Dabei zeigt sich, daß solche Untersuchungen nicht nur zeitungsfachliche, sondern ganz besonders lokalgeschichtliche Erkenntnisse fördern können. J. P. Bachem untersuchte »Das Eindringen der Reklame in die deutschen politischen Tageszeitungen« ( 2103) und weist entgegen manchen anderen Behauptungen nach, daß Reklamen sich -- neben dem Intelligenzwesen -- schon im 18. Jhd. finden. Der Verfasser zeigt, wie sie im Gange der Wirtschaftsentwicklung in immer breiterem Umfange in die Zeitung eindrangen. Die im Anhang beigegebenen statistischen Tabellen und Tafeln belegen die exakte Arbeit des Verfassers. Zahlreiche Beispiele zeigen die von Anfang an große Mannigfaltigkeit der Unternehmungen, denen die Reklame dienstbar war.


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