IV. Niedergang und Wiederaufbau des Staates 1786 bis 1840.

Einen liebenswürdigen Beitrag zur Lebensgeschichte Friedrich Wilhelms II. bietet sein Briefwechsel mit Sophie v. Bethmann-Metzler. Daß der König sich während seines Frankfurter Aufenthaltes im Winter 1792/93 Sophie, einer jungen Dame der Gesellschaft, näherte, war bereits bekannt. Da führte ein glücklicher Zufall dem verdienten R. Schwemer ( 914) die eigenhändigen Briefe Friedrich Wilhelms und die Konzepte der Antworten Sophiens in die Hand. Über die Form der Veröffentlichung, die Sch. gewählt hat, wird sich streiten lassen. Sie besteht in einer Relatio ex actis, die Abdruck und Interpretation miteinander vermengt. Eine gewisse Konzentration des Stoffes war freilich geboten, da es dem Liebesroman zwischen dem König und Sophie an Spannung fehlt. Denn für die junge Frankfurterin stand es von vornherein fest, daß sie die Angebote des Königs ausschlagen wollte, obgleich er ihr Trauung zur linken Hand, ja sogar seine Scheidung von der Königin in Aussicht stellte, und so ist das Ende der Beziehungen schon an ihrem Anfange vorauszusehen. Der König erscheint dabei mit seinem immer wiederholten, stürmischen Werben -- zu gleicher Zeit verlobte er seine Söhne den beiden mecklenburgischen Prinzessinnen! -- nicht im vorteilhaftesten Lichte. -- J. Schultze, der schon früher in einer biographischen Skizze die herkömmliche Auffassung von der Persönlichkeit Bischoffwerders erheblich korrigiert hat, veröffentlicht außerordentlich bedeutsames Quellenmaterial zur Geschichte der Rosenkreuzer im 18. Jhd. ( 913). Es sind das die Schreiben Bischoffwerders an seinen Ordensintroduktor, an Wöllner und vor allem an den Herzog Friedrich August v. Braunschweig, die als unmittelbare und gleichzeitige Zeugnisse darüber informieren, auf welche Weise Prinz Friedrich Wilhelm zum Rosenkreuzer bekehrt worden ist. In einem Aufsatz über »Friedrich Wilhelm und die Rosenkreuzer« hat Sch. dann selbst im einzelnen ausgeführt, daß diese Berichte Bischoffwerders an seine Ordensoberen von den Methoden und Absichten der Rosenkreuzer ein wesentlich günstigeres Bild ergeben, als die bisherige Forschung annahm. Es kann danach nicht mehr verkannt werden, daß ihre Bemühungen dem guten Glauben entsprangen, den Thronfolger für die Verwirklichung eines höheren sittlichen Ideals erobern zu


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müssen, und daß sie dies Ziel nicht durch eine Geisterbeschwörung und bewußt unlautere Mittel zu erreichen suchten. Sie sind dann freilich auf die Dauer den Neigungen Friedrich Wilhelms nicht entgegen gewesen und haben sogar seine Doppelehe mit dem Fräulein von Voß durch ihren Konsens gefördert. -- Einen wichtigen Zeitraum preußischer auswärtiger Politik behandelt W. Lüdtkes Aufsatz über »Preußen und Frankreich vom Bastillesturm bis Reichenbach« ( 915). Sybels Formulierung folgend hatte man bisher angenommen, daß v. d. Goltz, Preußens Gesandter in Paris, durch höchst vertrauliche Beziehungen zur demokratischen Partei dem österreichischen Einfluß auf Frankreich entgegengearbeitet habe und daß es ihm gelungen sei, Pétion zum Werkzeug und zum »Sprachrohr der preußischen Interessen« zu machen. Aus L.' Untersuchungen ergibt sich, daß Goltz es lediglich fertig brachte, mit einigen untergeordneten Mitgliedern des Jakobinerklubs in Beziehungen zu treten und mit ihrer Hilfe eine gewisse Ingerenz auf die Presse auszuüben. Daß wesentlich größere Erfolge aus seinen Depeschen herausgelesen wurden, die eine unrichtige Orientierung der Berliner Zentralstelle herbeiführten, ist der absichtlich unklaren Form seiner Berichterstattung zuzuschreiben. -- Den Tagebüchern des Moritz Adolf v. Winterfeld - Nieden 1782 bis 1819 hat E. Wentscher eine hübsche und sorgsame Analyse gewidmet ( 898). Winterfeld, Teilnehmer des Siebenjährigen Krieges und Offizier Friedrichs d. Gr., der sich 1773 auf sein Gut Nieden zurückzog, um dort von seinen Pachteinkünften zu leben, ist keineswegs ein typischer Vertreter des märkischen Landadels, sondern kraft seiner literarischen Neigungen ein Ableger der Geistesart Friedrichs, mit dem ihn die Hochschätzung Voltaires und mancher andere Zug verbindet.

Preußens Zusammenbruch und seiner Wiederaufrichtung gilt noch immer das stärkste Interesse der Forschung. K. Griewank hat seiner früheren schönen Publikation der Luisebriefe den »Briefwechsel der Königin Luise mit ihrem Gemahl Friedrich Wilhelm III.« folgen lassen ( 916). Auch hier wird, wie bei fast allen gleichartigen Veröffentlichungen, nur eine Auslese geboten, die von 434 vorhandenen Schriftstücken 236 zum Abdruck bringt. Erst vom Ausbruch des Krieges 1806 ab werden die Briefe fast geschlossen wiedergegeben, während für die vorangehende Zeit, vor allem bei dem Briefwechsel der Verlobungs- und Kronprinzenjahre, erhebliche Beschränkung am Platze schien. Auch bei so starker Auswahl bleibt genug des Wichtigen, das uns die neue Publikation vermittelt, weniger für die Erkenntnis der Persönlichkeit Luises, deren Züge uns klar und vertraut erscheinen, als für die Friedrich Wilhelms, dessen zwiespältiger Charakter schwerer zu fassen ist. Der Ertrag des Briefwechsels wird in dieser Beziehung durch die Einleitung G.s vorweggenommen, die behutsam abwägend den Widersprüchen im Wesen des Königs nachgeht und ihren tiefsten Grund in der Zusammenhangslosigkeit seiner geistigen und triebhaften Kräfte zu erkennen glaubt. In einem besonderen Abschnitt der Einleitung beschäftigt sich G. mit der politischen Einwirkung der Königin auf ihren Gemahl, die er als unbedeutend und auf vereinzelte Fälle beschränkt bezeichnet. -- E. Knaake ( 944) schildert den Verlauf der Monarchenbegegnungen zu Tilsit im Juni und Juli 1807. Er folgt dabei der bekannten Memoirenliteratur und früheren Darstellungen, zieht aber daneben auch gute örtliche Quellen heran, die Einzelheiten der Vorgänge, besonders der berühmten Begegnung auf dem Memelstrom, lebendig illustrieren.


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Die Bemühungen um den Freiherrn vom Stein und um sein Werk zeitigen Jahr für Jahr neue Früchte. Eine handliche Auswahl seiner Schriften, die Briefe, Denkschriften und amtliche Dokumente aus allen Abschnitten seines Lebens in sich schließt, hat K. Thiede für die Sammlung »Die Herdflamme« zusammengestellt und erläutert ( 939). Knappe, schnell orientierende Texte verbinden die einzelnen Stücke, die zum Teil unmittelbar den Akten entnommen sind. In einem Anhang werden die Beziehungen zwischen Stein und Fichte und verbindende Linien, die von Stein zu Friedrich List führen, erörtert. -- Neue Zugänge zur geistigen Welt Steins sucht E. Botzenhart ( 941) aus der Durchforschung der Bibliothek des Reichsfreiherrn zu gewinnen, die fast in ihrem vollen Umfange erhalten ist. Das Verhältnis zwischen Leser und Gelesenem, das sich etwa in den Montesquieu-Noten Friedrichs d. Gr. so deutlich manifestiert, kann im Falle der Steinschen Bücherei nur auf die Art ergründet werden, daß aus dem Bücherbestande selbst und aus den vorhandenen Anstreichungen Steins Rückschlüsse gezogen werden. Dabei erhebt sich nun treilich die Frage, ob diese Anstreichungen Zustimmung oder Ablehnung bedeuten. B. weist nach, daß das erstere zutrifft, wie er denn überhaupt die Bleistiftspuren nur insoweit voll wertet, als sie mit positiven Äußerungen Steins übereinstimmen. Die anregende Untersuchung mündet in eine feinfühlige Analyse der volkswirtschaftlichen Überzeugungen Steins in ihrem Verhältnis zu Adam Smith, wobei sich neben charakteristischen Abweichungen doch weitgehende Übereinstimmung des deutschen Staatsmannes mit dem schottischen Denker ergibt -- weitergehend jedenfalls, als das Thiede in seinen Ausführungen über Stein und List zugestehen will. -- Von einer Arbeit K. Thiedes über den Freiherrn vom Stein und die Agrarfragen seiner Zeit liegt bisher nur ein erster Teil vor, der mit einer Schilderung der ländlichen Zustände Preußens im 18. Jhd. einsetzt ( 940). Sie scheint unter einem gewissen Mangel anschaulicher Vorstellung und intimer Kenntnis dieses Zeitabschnittes zu leiden. Es zeigt sich dabei, daß angesichts der Unzuverlässigkeit Stadelmanns eine Aktenpublikation über die Agrarpolitik des 18. Jhds. unentbehrlich ist. Ein zweiter Abschnitt des Aufsatzes entwickelt Steins Ideen in der Agrarfrage, ein dritter ihre Verwirklichung während des zweiten Ministeriums. Hier steht unser Urteil seit Winters Forschung über das Oktoberedikt endlich auf festem Boden. Wir dürfen hoffen, daß die von der preußischen Archivverwaltung in Aussicht genommene Publikation, deren Vorfrucht diese aufschlußreiche Arbeit war, uns nicht mehr lange vorenthalten bleibt.

Als der schönste und reichste Ertrag der editorischen Bemühungen, die den Männern und dem Werk der Reformzeit entgegengebracht werden, ist der zweite Band der Briefe B. G. Niebuhrs zu nennen, den D. Gerhard und W. Norvin vorlegen ( 937). Gerhard, dem die Sammlung des deutschen und holländischen Materials und damit der überwiegende Teil der Arbeit oblag, hat die in der Urform wiedergegebenen Briefe des Nachlasses weiterhin durch Ausbeutung anderer Quellen aufs glücklichste ergänzt. In diesem zweiten Bande ist es namentlich die Korrespondenz mit dem holländischen Freunde Valckenaer und der in seinen Anfängen verlorene Briefwechsel mit Perthes, die mancherlei Wertvolles bringen. Seit seiner Rückkehr aus Amsterdam steht Niebuhr als Geh. Staatsrat und Sektionschef für das Staatsschuldenwesen und die Geldinstitute im Mittelpunkt der preußischen Politik, zunächst in Königsberg,


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dann in Berlin, bis ihn der Gegensatz zu Hardenberg, mit dem zu paktieren ihm nicht möglich ist, aus der praktischen Wirksamkeit entfernt und schließlich auf das Katheder führt. Der Ausbruch des Freiheitskampfes findet auch Niebuhr in den Reihen der Freiwilligen, obgleich ihm das schwere Gewehr anfangs viel zu schaffen macht. Bald aber wird er an höhere Stellen berufen, zum Herausgeber des »Preußischen Korrespondenten«, dann als der berufene Finanzmann Preußens zum Unterhändler mit dem subsidiengewährenden England. Für den Heimgekehrten beginnt mit dem Tode seiner Frau Male, mit der vergeblichen Werbung um die Schwägerin Dore und einer überstürzten zweiten Ehe eine Zeit schwerer Zerrissenheit, die bei der Übersiedlung auf den römischen Gesandtenposten noch nicht abgeschlossen ist. Der vollendeten Einführung in die Persönlichkeit Niebuhrs, die D. Gerhard dem ersten Bande mitgegeben hat, sei an dieser Stelle noch einmal besonders gedacht.

Keine neue Biographie, deren wir ja auch nach der großen, historisch gewordenen Leistung Delbrücks nicht bedürfen, sondern eine Einführung in das Feldherrntum Gneisenaus will eine Schrift von F. v. Cochenhausen geben ( 912). In knappen »Streiflichtern« werden die entscheidenden Phasen des Entwicklungsganges bis zum Höhepunkt, dem Kampf gegen Napoleon, geschildert, mit dem dann erst die ausführliche Interpretation der militärischen Ereignisse einsetzt. Grundsätzlich wird dabei die Lage, der die strategischen Entschlüsse entspringen, so gezeigt, wie sie sich Gneisenau auf Grund des eingegangenen Nachrichtenmaterials darstellte, worauf dann der weitere Ablauf mit starker Konzentration auf das Wesentliche und Entscheidende vorgeführt wird. Sorgfältige, sehr instruktive Kartenskizzen erleichtern das Verständnis. Eine Reihe von Anmerkungen dienen der Auseinandersetzung mit dem Schauspiel »Gneisenau« von Walter Goetz, dessen herabwürdigende Auffassung Blüchers mit Recht verurteilt wird. -- Fürst O. von Bismarcks »Prinz Wilhelm und Napoleon« ist ein unveränderter Abdruck des früher in den Preußischen Jahrbüchern erschienenen Aufsatzes ( 945).

Recht zur Unzeit, ein Jahr vor der auf dem gesamten Material des Hausarchivs fundierten Darstellung K. Jagows, ist ein Lebensbild der Elisa Radziwill von L. Hirsch erschienen ( 971). So unrecht es wäre, das literarische Geschick des Verfassers in Abrede stellen zu wollen, so wenig kann man sich mit seiner oft obenhin urteilenden, ironisierenden und bewußt entromantisierenden Art einverstanden erklären. Überdies wird das heißeste psychologische Bemühen vergeblich, wo es an genauerer Kenntnis von Zeit und Menschen mangelt. -- Gelegentlich des polnischen Aufstandes von 1830 unterstützte Preußen das befreundete Rußland durch eine Reihe von Maßnahmen, die die Erstickung der revolutionären Bewegung erleichtern sollten. M. Laubert ( 978) weist im einzelnen nach, wie diese Maßnahmen auf Drängen der russischen Regierung ergriffen wurden, zeigt aber auch, daß man die fortdauernden Zumutungen als lästig und anmaßend empfand. Die Bedenklichkeit des Berliner Ministeriums ging sogar so weit, daß man, als das polnische Ministerium des Auswärtigen eine Art von Klageschrift einreichte, von Flottwell eine ausführliche Entgegnung einforderte, mit der man operieren wollte, falls etwa eine der Westmächte sich des polnischen Aufsatzes bediente.


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