IV. Staatsgeschichte:

Die Darstellung der Geschichte des Preußenlandes setzt den Begriff seiner Einheit voraus. Er ist durch die willkürliche politische Aufteilung des Gebietes auf das stärkste gefährdet. Es muß deshalb immer wieder auf die gemeinsame Geschichte des Landes und auf ihren Zusammenhang mit der gesamtdeutschen Geschichte hingewiesen werden. Diesem Ziel dienen die Aufsätze, die Keyser unter dem Titel Preußenland veröffentlicht hat,


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einem Namen, den er als einheitliche Bezeichnung für den Raum der früheren preußischen Provinzen Ostpreußen und Westpreußen vorschlägt. An dem Beispiele Danzigs wird die Beziehung des Preußenlandes zur deutschen Kultur genauer dargelegt ( 446).

Die Urkunden Mindoves für den Livländischen Orden haben die Quellenkritik seit Jahrzehnten lebhaft beschäftigt. Nachdem die deutsche Forschung sie vielfach als Fälschungen erklärt hat, tritt jetzt der litauische Gelehrte Klymenko für ihre Echtheit ein. »Weder am Anfang, noch am Ende liegt eine Fälschung vor. Alle dem Orden von Myndove ausgestellten Urkunden sind authentische Überreste livländisch-litauischen Staatswesens aus der Mitte des 13. Jhds.« Der Verfasser sucht ihren Inhalt aus den damaligen sozialgeschichtlichen Zuständen Litauens zu erklären. Wie man sich auch zu diesen Ausführungen stellen mag, wichtig ist die Abhandlung schon dadurch, daß Klymenko außer der deutschen auch die umfangreiche polnische und litauische Forschung über diese Frage verwertet hat ( 285).

Die im Vorjahre erwähnten Erörterungen von Kisch über das Mühlenregal im Ordenslande setzt Semrau durch die Besprechung mehrerer Urkunden für Elbing und Thorn fort. Da Kisch eine erneute ausführliche Behandlung dieses Stoffes in Aussicht gestellt hat, erübrigt sich bis dahin die Stellungnahme zu den von Semrau vorgelegten Quellen ( 1399).

Einen wertvollen Beitrag zur Geschichte des städtischen Notariats liefert A. Methner ( 793). Der bisher nur als Stadtschreiber von Kulm und Verfasser der Schrift de vita conjugali bekannte Conrad Bitschin wird auch für Danzig nachgewiesen, wo er mehrere für die Danziger Überlieferung wichtige Amtsbücher neu angelegt hat. So eröffnet er 1423 die Reihe der Missiv-Bücher, in die alle vom Rate ausgesandten Schreiben eingetragen wurden. Auch hat er das älteste Kürbuch angelegt, das 1418 beginnt, und das inhaltreiche Manuale notarii civitatis Danzk aus den Jahren 1422--24, das allerlei kurze, aber wichtige Nachrichten über Ratsschlüsse und Schiffahrtsfragen enthält. Auch einen Teil der Handschrift des flandrisch-holländischen Wasserrechtes hat Bitschin geschrieben. Ferner vermutet M. ihn als Verfasser einer Sammlung von Rechtssätzen, die als Danziger Schöffenbuch in der Literatur bereits bekannt sind. Unklar bleibt die Frage, wie es kommt, daß Bitschin seit 1430 nahezu gleichzeitig als Stadtschreiber in Danzig und in Kulm tätig gewesen zu sein scheint. Eine Urkunde aus dem Archiv der Danziger Marienkirche hat er noch 1464 geschrieben. Nähere Nachprüfung erfordern die Beziehungen, auf die M. zwischen Conrad Bitschin und dem Liegnitzer Stadtschreiber Ambrosius Bitschen hinweist. Es ist möglich, daß beide verwandt waren und der schlesischen Stadt Pitschen entstammten.

In der deutschen Handelsgeschichte des MA. werden gewöhnlich das oberdeutsche und das niederdeutsche Handelsgebiet unterschieden und für sich erforscht. Erst in neuester Zeit mehren sich die Bestrebungen, auch die Verbinbindungslinien zwischen diesen beiden Wirtschaftsräumen klarzulegen. Zu diesen Versuchen ist die Abhandlung von E. Birkner über die Nürnberger im Ostseegebiete zu rechnen ( 1532). Auf Grund der gedruckten Literatur und Quellen zeigt er, wie die Nürnberger seit dem 2. Drittel des 14. Jhds. ihre Kram- und Spezereiwaren in die hansischen Küstenstädte brachten und dort bald auf den Widerstand der einheimischen Kaufmannschaft stießen. Als den Nichtbürgern


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der Handel erschwert wurde, bemühten sich die Nürnberger um das Bürgerrecht, um damit die Handelsfreiheit zu erlangen. In der Mitte des 15. Jhds. wurde jedoch die Erteilung des Bürgerrechtes an die Nürnberger verboten. Seit dem 16. Jhd. ging der Streit vornehmlich um die Ausbreitung des Nürnberger Metallhandels, ohne daß es jedoch jemals zu einem dauernden Abbruch der Handelsbeziehungen kam. Birkner stellt ausführlich die handelspolitischen Maßnahmen im Ordenslande für und gegen den Nürnberger Handel zwischen 1430 und 1460 dar. Auch die Beziehungen zu Livland und Großpolen werden gewürdigt. Die Ausführungen über die allgemeine hansische Politik verwerten die Forschungen Rörigs. Erwünscht wäre es, wenn bei anderer Gelegenheit auch noch die archivalischen Quellen, die noch nicht veröffentlicht sind, für die Feststellung der einzelnen Handelsgeschäfte und der familiären Beziehungen zwischen Nürnberg und dem Preußenlande ausgeschöpft würden.

Als Gustav Adolf seit 1626 versuchte, von dem Herzogtum Preußen aus in den mitteleuropäischen Kampf einzugreifen, traten zu ihm mehrere böhmische Exulanten in Verbindung, unter ihnen auch Ladislaus Welen von Zierotin, dessen Lebenslauf F. Hruby dargestellt hat ( 833). Zierotin gehörte einer der reichsten und politisch bedeutsamsten Familien Mährens an, die ihren Sitz in Lundenburg und in Mährisch-Trübau hatte. Im Geiste der böhmischen Brüder erzogen, war er während seines Studiums, besonders in Heidelberg, in engste Berührung mit calvinistischen Kreisen gekommen. Nach seiner Rückkehr in die Heimat wurde er nach längerem Zögern durch den Grafen Matthias Thurn veranlaßt, sich dem böhmischen Aufstande gegen die Habsburger anzuschließen. Er übernahm bald die Führung ihrer Gegner in Mähren. Nach dem Zusammenbruch des Aufstandes mußte er 1621 flüchten, hielt sich längere Zeit im Westen und in Mitteldeutschland auf und versuchte vergeblich, mit seinen Freunden die wieder aufgerichtete Herrschaft der Habsburger von neuem zu stürzen. Nachdem alle anderen Bemühungen gescheitert waren, ging er im Auftrage der böhmischen Emigranten nach dem Preußenlande, um den sich dort aufhaltenden Gustav Adolf zum Einschreiten in Böhmen zu gewinnen. Seit 1629 befand er sich mit seiner Familie und mehreren anderen Führern der böhmischen Partei in Elbing. Erst 1631 verlegte er seinen Wohnsitz nach Stettin. Mit seinem Sohne trat er in schwedische Dienste, sah jedoch sein Lebensziel nach dem Tode Gustav Adolfs immer wieder entschwinden. Seine letzten Jahre verlebte er im Lande Posen, wo er 1638 verstorben ist.

Die polnische Thronkandidatur des Prinzen Conti hat seit langem die europäische Geschichtsforschung beschäftigt. Nur wurden von ihr zumeist die inneren Verhältnisse in Polen, die zu ihrem Zusammenbruch geführt haben, nicht genügend berücksichtigt. Unter Auswertung der Archive in Danzig, Berlin, Dresden und Kopenhagen hat deshalb H. Hübner die Frage, aus welchen Gründen die Pläne Contis scheiterten und welche Rolle die Stadt Danzig dabei spielte, eingehend untersucht ( 868). Der Vorschlag, dem damals erst 32-jährigen Prinzen den polnischen Thron zu übertragen, ging von dem Fürsten Lubomirski aus und wurde von dem französischen Gesandten in Warschau Abbé Polignac durch weitgehende Bestechungen des polnischen Adels unterstützt. Der Danziger Rat beschloß, zwischen den beiden Bewerbern sich neutral zu verhalten, neigte jedoch, nachdem August in Krakau gekrönt war, diesem zu. Er ließ sich nicht bewegen, als Conti auf der Danziger Reede eintraf, für ihn Partei zu ergreifen,


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gestattete aber den französischen Offizieren und Mannschaften das Betreten der Stadt zum Einkauf von Lebensmitteln. Conti selbst ist in Danzig nicht gewesen, sondern hielt sich, wenn er an Land ging, bei dem Abte des benachbarten Klosters Oliva auf. Die dort mit den polnischen Adligen geführten Verhandlungen hat H. genau geschildert. Da Conti keine Hilfe fand, mußte er sein Unternehmen aufgeben. Ludwig XIV. ließ den Danziger Rat seinen Unwillen wegen der ablehnenden Haltung gegenüber Conti noch lange fühlen. Noch im J. 1712 mußte Danzig 100 000 G. an Frankreich entrichten. Recht aufschlußreich für diese Vorgänge ist das Schiffstagebuch der Flotte Contis, das gleichfalls Hübner in Auszügen übersetzt hat ( 870). Es schildert die Erlebnisse und Verhandlungen Contis und seiner Umgebung auf der Hin- und Rückfahrt von Dünkirchen nach Danzig zwischen dem 4. September und 12. Dezember 1697. Die Untersuchungen Hübners bieten einen dankenswerten Einblick in die Haltung der europäischen Mächte in dem damaligen Kampfe um die Weichsel. Weitere Untersuchungen hat derselbe Verfasser der Tätigkeit des polnischen Landschatzmeisters Dzialynski in Marienburg gewidmet ( 869). Er konnte sich dabei der Aufzeichnungen des Marienburger Pfarrers Wilhelmi bedienen. Dzialynski trat der Partei Contis bei und versuchte mehrfach auch mit Hilfe der litauischen Truppen des Marschalls Sapieha von der ihm unterstellten Burg aus die Stadt Marienburg zu besetzen. An der Haltung der Bürgerschaft scheiterte dieses Vorhaben, so daß die Stadt beim Anrücken der sächsischen Truppen August dem Starken zufiel.


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