V. Kirchengeschichte:

Nicht selten wird die nationalpolitische Zerspaltung des Ordenslandes auf die Reformation zurückgeführt. Es ist richtig, daß die Verschiedenheit der Bekenntnisse, die sich nicht immer, aber weithin mit der Verschiedenheit der Nationalitäten deckte, die ursprüngliche Einheit erschüttert hat. Es muß jedoch bedacht werden, daß die Reformation zunächst in allen Teilen des Preußenlandes Eingang fand. Erst als die politischen Gewalten, der Hochmeister Albrecht, der Bischof von Pomesanien, die großen Städte des Weichsellandes, Danzig, Elbing und Thorn, für das Luthertum und der Bischof von Ermland wie der polnische König für die alte Kirche Partei ergriffen, kamen die Gegensätze auf, die sich für die spätere Zeit als verhängnisvoll erwiesen haben. Nur wer das sehr verworrene Wechselspiel zwischen Staat und Kirche und zwischen Volkstum und Bekenntnis berücksichtigt, kann sich ein zutreffendes Urteil über die Auswirkungen der Reformation im Preußenlande bilden. H. Bauer hat die Antriebe und Ausläufer dieser Bewegungen geschildert und damit einer wesentlich sachlicheren und tieferen Erfassung dieses Zeitabschnittes Bahn gebrochen ( 1958). Mit Recht weist er dabei mehrfach auch auf die Schranken der üblichen Geschichtsauffassung hin, die sich allzu sehr an die gegenwärtigen Staats- und Verwaltungsgrenzen klammerte, anstatt das geschichtliche Leben des Landes in seiner ganzen Fülle und Einheit zu betrachten.

Ebenso wie das altdanziger Stadtrecht hat das Kirchenrecht im Weichsel- Nogat Delta aus praktischen und wissenschaftlichen Gründen eine erneute Klarlegung nötig gemacht. H. Nottarp hat unter Heranziehung eines weitschichtigen Quellenstoffes untersucht, wie weit die kirchlichen Lasten, die auf den Grundstücken mennonitischer Besitzer ruhen, als dinglich zu erachten sind. Die Entscheidung dieser Frage ist überaus schwierig, weil katholisches und protestantisches Kirchenrecht sowie das im Ordenslande heimische kulmische Recht


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heranzuziehen sind und die neue Gesetzgebung und Rechtsprechung sich nicht immer von geschichtlichen Irrtümern frei gehalten hat. Es ist zu wünschen, daß recht bald ein mit der Geschichte des Preußenlandes genau vertrauter Rechtshistoriker seine gesamte Rechtsentwicklung zu erforschen unternimmt ( 1959).

Auf die ersten Gemeinden der griechischen Kirche in Ostpreußen hat K. Forstreuter aufmerksam gemacht ( 102). Die älteste russische Kirchengemeinde ist für das J. 1655 in Königsberg bezeugt. Bei dem Vordringen des Zaren gegen Polen waren damals mehrere Tausend Menschen nach Ostpreußen geflüchtet. Unter ihnen befand sich der Archimandrit Korsak mit 19 Geistlichen, Mönchen und Nonnen. Der Große Kurfürst nahm sie bereitwillig auf. Nachdem diese erste Gemeinde eingegangen war, wurde 1682 russischen Mönchen erneut die Abhaltung von Gottesdiensten gestattet. Diese waren für die Bedürfnisse der orthodoxen Kaufleute bestimmt, welche die Memel abwärts nach Königsberg kamen. Dafür wurde die Duldung der französischen Reformierten in Rußland verlangt. Seit 1724 druckte Kwasowski außer polnischen auch russische Kalender. Doch besorgte er daneben für die preußische Armee auch »lange Kerls«. Mit Rücksicht auf diese russischen Rekruten wurde deshalb von dem König die Unterstützung der griechischen Kirche verlangt. Als im Siebenjährigen Kriege die Russen Ostpreußen besetzten, wurden russische Kirchen auch in Memel, Tilsit und Pillau errichtet. Alle diese Gemeinden haben aber keinen langen Bestand gehabt. Nur die Gemeinde der Philipponen, die seit 1825 in der Johannisburger Heide angesiedelt wurden, blieb bis zur Gegenwart bestehen.

In diesem Zusammenhange ist nachträglich zu erwähnen die Festschrift zum deutschen evangelischen Kirchentage in Königsberg, die Pfarrer Flothow unter dem Titel »Bilder aus dem religiösen und kirchlichen Leben Ostpreußens« 1927 herausgegeben hat. F. Blanke bietet in ihr eine vorzügliche Übersicht über die Entwicklung des christlichen Glaubens in Ostpreußen. Der Götterglaube der heidnischen Preußen wird als Polytheismus und Animismus bezeichnet. Die Missionsmethoden Adalberts von Prag, Bruns von Querfurt und des Deutschen Ordens werden neu beleuchtet. Die Mitglieder des Königsberger Dichterkreises um Simon Dach, aber auch Persönlichkeiten wie Brießmann, Osiander und Koppernikus werden in ihrer Bedeutung für die Ausgestaltung der ostpreußischen Frömmigkeit hervorgehoben. An der gleichen Stelle erörtert Kowalewski die Stellung Hamanns zur Systematik. Pfarrer von Baußnern bespricht die Entwicklung der evangelischen ostpreußischen Kirchenmusik. B. Schmid stellt knapp und treffend die Daten der Baugeschichte für die Marienburg zusammen. R. Dethlefsen schildert ausführlicher die Baugeschichte des Königsberger Domes, Pfarrer Borrmann bringt zum Schluß wichtige Beiträge zur Geschichte der evangelisch-sozialen Arbeit in Ostpreußen, besonders während des Weltkrieges.


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