VI. Geistesgeschichte.

Die erhöhte Zuwendung zur Geschichtschreibung des Preußenlandes hat, wie schon im Vorjahre berichtet wurde, auch den Geschichtschreibern vermehrte Beachtung gebracht. Zur Lebensgeschichte von Johannes Voigt hat Max Lehnerdt bisher unbekannte Beiträge veröffentlicht ( 115). Er konnte dazu die Selbstbiographie benutzen, die Voigt in den Jahren 1859--62 verfaßte und die aus dem Nachlaß seines Sohnes Georg 1891


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in den Besitz des Verfassers gelangte. Nach diesen Aufzeichnungen hat L. den Beginn der Lehrtätigkeit Voigts in Königsberg 1818 und seine Beziehungen zu Schoen und Eichendorff geschildert. Wertvoll sind auch seine Berichte über seine Archivreisen, bei denen das Klosterarchiv in Oliva neu entdeckt wurde. Wenig bekannt war bisher die Mitwirkung Voigts an der Ausgrabung von Bodenaltertümern und an der Begründung einer frühgeschichtlichen Sammlung in Königsberg. Hoffentlich werden gelegentlich noch weitere Auszüge aus den Lebenserinnerungen Voigts veröffentlicht werden.

Im Anschluß an seine älteren grundlegenden Forschungen zur Geschichte der Bibliotheken und der Literatur des Ordenslandes gab W. Ziesemer den Bibliothekskatalog des Elisabeth-Hospitals in Danzig aus dem J. 1443 heraus ( 102). Das Hospital unterstand dem Komtur von Danzig und wurde durch einen Ordenspriester verwaltet. Es besaß nach dem Verzeichnis 61 meist theologische Bücher, die fast durchweg an Ketten angeschmiedet waren.

In das reiche geistige Leben Königsbergs gewährt außer den anfangs genannten Abhandlungen einen erfreulichen Einblick auch die Darstellung der Geschichte des Königsberger Buchhandels, die Frieda Magnus-Unzer vorgelegt hat ( 1637). Nach kurzen Ausführungen über die frühere Zeit schildert sie die Entwicklung des Buchhandels, der Buchdruckereien, der Presse und der Leihbibliotheken seit dem 18. Jhd. bis zur Gegenwart. Obwohl die Zahl der Buchhandlungen in Königsberg mit Ausnahme der letzten Jahrzehnte niemals groß war, entfalteten sie eine sehr rege Tätigkeit und haben dadurch die literarische Bildung und die Veröffentlichung schöngeistiger und wissenschaftlicher Werke hervorragend gefördert. Männern wie Hartung, Nicolovius, Kanter, Unzer und Gräfe gebührt deshalb auch in der allgemeinen Geistesgeschichte Deutschlands ein ehrenvoller Platz.

Im Berichtsjahre konnte einer der rührigsten Geschichtsvereine des Preußenlandes, der »Westpreußische Geschichtsverein« in Danzig, auf ein 50-jähriges Bestehen zurückblicken. Er war im Jahre nach der Neuerrichtung der Provinz Westpreußen begründet worden und ist seitdem der wichtigste Träger der geschichtlichen Erforschung des deutschen Weichsellandes geblieben. Unter der Mitwirkung von A. Bertling, M. Toeppen, M. Perlbach, H. von Maercker, A. Treichel gab er in den ersten Jahrzehnten u. a. das pommerellische und das kulmische Urkundenbuch heraus. Seit 1900 veröffentlichte er 14 Bände »Quellen und Darstellungen«. Die seit 1880 erscheinende »Zeitschrift« und die seit 1902 veröffentlichten »Mitteilungen« enthalten das meiste, was in dem letzten halben Jahrhundert über die Geschichte Westpreußens und seiner Hauptstadt Danzig geschrieben wurde. In den letzten Jahren hatten der Stadtschulrat Damus, der Bibliotheksdirektor Günther und der Archivdirektor Kaufmann in Danzig die Führung der Vereinsgeschäfte. Der jetzige Vorsitzende, Archivdirektor W. Recke, gab aus Anlaß des Jubiläums einen Rückblick auf die Tätigkeit des Vereins, dessen vornehmste Arbeitskraft in den letzten Jahren der Danziger Geschichtschreiber Paul Simson war. Auch in der Nachkriegszeit hat der Verein durch seinen Namen und seine wissenschaftliche Arbeit Zeugnis dafür abgelegt, daß Westpreußen trotz seiner gegenwärtigen Vierteilung eine geschichtliche Einheit ist und als solche auch weiterhin erforscht und dargestellt werden muß ( 6).


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