III. Besiedlungs-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte.

G. Schoenaich ( 454) hat auch den dem Mauerbau der Städte, der erst seit der 2. Hälfte des 13. Jhds. einsetzt, vorausgehenden Holzbefestigungen der Kastellaneien seine Aufmerksamkeit geschenkt und die Beobachtungen W. Schultes (Oberschlesische Heimat, Jg. 3, 1907) bestätigt gefunden. -- Pfitzners grundlegendes, zu vollendeter Darstellung gereiftes Werk, das in den Jberr. 1926 (Nr. 614) wiederholt gewürdigt worden ist, hat H. Fel. Schmid ( 455) eingehend besprochen und die leitenden Gedankengänge herausgearbeitet. Einer der fruchtbarsten Gedanken ist die von Pfitzner formulierte staatsbildende Bedeutung der Kolonisation, wie sie in dem Wirken der Bischöfe Lorenz, Thomas I. und Thomas II. in Erscheinung tritt. Sowohl die ersten fünf Abschnitte des Buches, welche den Aufstieg der Bischöfe zur Landeshoheit entwickeln, als auch der sechste Abschnitt, der die Verfassung und Verwaltung des Bistumslandes darstellt, gehören nach Schmid zu dem Besten ihrer Art. Schmid weist darauf hin, daß die neuste polnische, insbesondere sozialgeschichtliche Literatur mancherlei Ergänzungen und Berichtigungen, namentlich für die vorkoloniale Zeit, bringen kann. Pfitzner hat dann das große Siedlungswerk der friderizianischen Epoche im Bereiche der Grafschaft Glatz ( 391) untersucht und dabei gezeigt, wie die Kulturlandschaft dauernd verändert wird, je nach dem Zweck und der Form der Neugründungen.

G. Pfeiffers ( 1397) Arbeit ist wertvoll für die Familien- und Wirtschaftsgeschichte des ma.lichen Breslau, das Ergebnis einer fleißigen Durchforschung der Urkunden und Landbücher des Staats- und Stadtarchivs. Die Wurzeln des Patriziats ruhen im benachbarten Landadel und in der Bürgerschaft der Handwerker und Kaufleute. Die handeltreibenden Patrizier legten ihr Vermögen in Landbesitz und Renten an. Daraus ergibt sich, daß für die Geschichte des adligen und bürgerlichen Grundbesitzes, d. h. der Ortsgeschichte des Fürstentums Breslau, der heutigen Kreise Breslau und Neumarkt, ein reicher Stoff ausgebreitet ist. Wir sehen, wie die Großbürger, die mit ihrem Kapital wirtschaften, in den Landwirtschaftsbetrieb eingreifen und dadurch die Bewirtschaftung der Güter durch Bauern, Gärtner und Einlieger nachhaltig beeinflussen und die Güterpreise bestimmend regeln; wie der bisher lehnrechtlich gebundene Grundbesitz durch die kapitalistische Wirtschaft aufgelockert wird und Adel und Großbürgertum sich nach und nach immer schärfer absondern. Neben den Untersuchungen über die Entstehung des Frühkapitalismus und der Kapitalbildung in Breslau stehen die Fragen der sozialen Gliederung im Vordergrund. Das Breslauer Patriziat des 14. und 15. Jhds. ist kein Geburtsstand, sondern eine gehobene Klasse der Kaufmannschaft. Die breiten Ausführungen über die einzelnen Familien und die beigegebenen Stammbäume werden für den Familienforscher besonders erwünscht sein. R. Koebner wendet sich in einer Besprechung (Ztschr. d. Ver. f. Gesch. Schlesiens 63 [1929], 401 f.) gegen die unberechtigte Ausweitung des Begriffs »Kapitalismus« für die behandelte Zeit.


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Außer der wirtschaftlichen und sozialen Struktur bietet das Breslauer Steuerbuch von 1403 zugleich eine Statistik der damals steuerzahlenden Bevölkerung. Mendls Studie ( 1551) kommt zu dem Ergebnis, daß die Nachprüfung der Angaben Kloses im wesentlichen die Berechnungen von Bücher und Koebner bestätigt. Wir dürfen annehmen, daß Breslau zu Beginn des 15. Jhds. 14--15 000 Einwohner hatte. Die gewerbetätige Bevölkerung machte mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus; 92 Berufsarten sind festzustellen (von 2272 Steuerzahlern) mit 1197 Gewerbetreibenden, unter denen das Gastgewerbe an der Spitze steht. Auf Grund sorgfältiger Vergleichungen mit anderen Städten, wie Brünn, Prag, Frankfurt a. M. und Ypern, rechnet M. Breslau zu den Gewerbestädten mit einer starken, kaum besteuerten proletarischen Schicht.


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