II. Historische Landeskunde einschließlich Ortsgeschichte.

Die Jubelfeier Meißens als 1000jährige Burg hat außer dem Sammelwerk »Sachsen« noch eine große Reihe von Arbeiten erstehen lassen, von denen freilich nur einige besprochen werden können. Grundlegend ist der Aufsatz von W. Lippert ( 751). Darin wird gegenüber früheren Annahmen die Gründung der Burg Meißen für das J. 929, und zwar vermutlich Mai, bestimmt. L. untersucht dazu eingehend die zeitgenössischen Quellen, besonders Thietmar und Widukind, und vergleicht ihre Angaben mit den vorhandenen Königsurkunden Heinrichs I. in den fraglichen Jahren, um den Zeitpunkt von Heinrichs Aufenthalt in Meißen festzulegen. Er bemerkt, m. E. mit vollem Recht, daß die Gründung von den Zeitgenossen keineswegs als besonderes Ereignis angesehen worden ist, sondern nur den fast selbstverständlichen Abschluß des Daleminzierzuges bildete. Sonst wären gewiß die Angaben der Chronisten genauer. -- In Übereinstimmung mit Lippert legt auch R. Kötzschke ( 750) in selbständiger Beweisführung die Gründung für Mai oder Juni 929 fest. Dann behandelt K. die Anfänge der Markgrafschaft Meißen, indem er die Landschaft und Besiedlung, den gesellschaftlichen Aufbau in sorbischer Zeit, die Burgbezirksverfassung, die ersten Markgrafen und die Stellung der Markgrafschaft in der politischen Geschichte zu schildern sucht. Im J. 1046 ist der Begriff der marchia Misnensis quellenmäßig überliefert (S. 52) und darunter nunmehr das Gebiet des meißnischen Elblandes und das Land ostwärts von Merseburg bis zu den Muldenburgen Rochlitz und Leißnig zu verstehen, während das Jahrhundert vorher noch viel Unsicherheit


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in der Begrenzung gezeigt hatte. Da die Überlieferung für dieses erste Jahrhundert zumeist fehlt, wendet K. die Methode an, »durch Rückschluß aus noch nicht gänzlich gewandelten Zuständen einer jüngeren Zeit sowie durch Vergleich mit den sorbischen Nachbargebieten und der slawischen Verfassung im Sudetenraum und in Polen« das Dunkel aufzuhellen. Bei aller Wertschätzung der hierauf verwandten gründlichen Arbeit will es mir aber doch scheinen, als ob die Rückschlüsse manchmal etwas unsicher wären (z. B. S. 33 u. 42). -- Im Beitrag des Hochstifts Meißen zur Jubelfeier hat R. Kötzschke ( 1694) den geschichtlichen Teil übernommen. Dieser bietet ebenso die Eigenentwicklung des Hochstifts wie dessen Verbundenheit mit der Landesgeschichte bis zur Gegenwart. Ausführlich werden die Anfänge und der Anteil des Hochstifts an der Eindeutschung des Landes behandelt; es hat durch bäuerliche Siedlungen mehr als durch Stadtsiedlungen mitgewirkt. Kirchlich bedeutsam war die Begründung neuer Stifte in Wurzen, Afra, Bautzen, Großenhain und Zschaila, deren Pröpste mit dem Hochstifte eng verbunden blieben. Obwohl das Hochstift berechtigten Anspruch auf Reichsunmittelbarkeit erheben konnte, ist es seiner doch nie recht froh geworden. Wie die Landesherren schon bei der Gründung von Städten -- auch bei Meißen selbst -- die Betätigung der Bischöfe nach Möglichkeit ausschalteten, so versuchten sie im 15. u. 16. Jhd. die Reichsstandschaft der Bischöfe überhaupt zu beseitigen. Die Reformation lieferte ihnen dazu neue Handhaben, obwohl Georg d. Bärtige anderseits verzweifelt gegen die Reformation ankämpfte und mit der Heiligsprechung Bennos noch 1524 dem Dom und Stift neuen Glanz zu verleihen suchte. Sein Bruder und Nachfolger Heinrich führte unter dem Drucke des Kf. Johann Friedrich die Reformation in Meißen ein. Freilich hat er keineswegs selbst die Grundzüge der neuen Kirchenordnung entworfen, wie K. (S. 31) meint, weil er dazu (nach Freidiger) viel zu faul und auch schon zu verbraucht war (E. Brandenburg: Moritz I., 35 f.). Unter seinem Sohne Moritz bröckelte trotz kaiserlicher Stützungsversuche immer mehr von der Selbständigkeit des Bischofs ab, und Kf. August vermochte ihr schließlich (10. 10. 1581) ganz den Garaus zu machen. Nun vollzieht sich die weitere Entwicklung bis 1918 in enger Verbindung des Hochstifts mit dem Landesfürsten als Stiftsherrn. Selbst die Umwälzung von 1918 ermöglicht noch ein Einpassen in die neuen Verhältnisse, denn jetzt wird der evangelische Landesbischof zum Stiftsherrn.

Die Stadt Meißen hat das Jubeljahr der Burg, obwohl nicht ganz mit Recht, auch zu dem ihren gemacht und in einem stattlichen Bande ihre Vergangenheit in Wort und Bild würdig gefeiert. Stadtarchivar H. Gröger ( 207) hat in jahrelanger Arbeit den Stoff zusammengetragen, dann nach einheitlichem Gesichtspunkte ausgewählt und dargeboten. Sein Ziel ist, »die Geschichte Meißens als die Entfaltung eines Organismus darzustellen«. Diese gewissermaßen biologische Betrachtung gilt vorwiegend dem wechselnden »Auf und Nieder der Schichten innerhalb der Gesamtheit« des städtischen Gemeinwesens, und so erklärt es sich, daß weit weniger die politische Geschichte als vielmehr die Kulturgeschichte in allen ihren Ausstrahlungen zu Worte kommt.

Bei den überaus spärlichen Quellen aus der Frühzeit beruhen die Ausführungen bis in die erste Stadtzeit auch bei G. wie bei Kötzschke des öfteren auf Schlüssen aus Späterem und können daher ebenfalls nicht immer auf unbedingten


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Beifall rechnen. Aus topographischen Betrachtungen und urkundlichen Quellen versteht aber G. die Begründung der Stadt um 1200 durch Dietrich d. Bedrängten höchst wahrscheinlich zu machen (vgl. Jberr. III ( 1929), S. 154 u. 520). Vollends vom 3. Buche an strömen die Quellen in allem so reich, daß nun die Auswahl schwierig wird. G. bevorzugt, wie schon angedeutet, die Darstellung der gesellschaftlichen, künstlerischen und geistigen Lebensverhältnisse in Meißen. Im einzelnen kann der gewaltige Stoff nicht mit ein paar Zeilen erschöpft werden; aber das ist auch gar nicht nötig, denn der Benutzer findet durch das gute Inhaltsverzeichnis sowie durch das umfängliche Orts- und Personenverzeichnis leicht alles, was er nach der ganzen Anlage des Buches darin suchen kann. Als besonderer und wertvoller Schmuck müssen noch die zahlreichen und ausgezeichneten Bildbeigaben hervorgehoben werden, denen kurze treffliche Erläuterungen vorangestellt sind.

M. Waehler ( 431) führt den Nachweis, daß viele Siedlungen westlich der Saale aus deutschen Orten als slawische Nebensiedlungen (Hörige zu Entsumpfungs- und Rodungsarbeiten!) herausgewachsen sind. Maßgebend für ihre Feststellung ist die unterscheidende Bezeichnung »wenigen« von »groß«, z. B. bei Wenigentaft und Großentaft. W. erklärt, daß »wenigen« gleich »wendisch« zu setzen ist (S. 22) und nur seit dem 14. Jhd. durch die verkehrte Übersetzung mit minor in seiner ursprünglichen Bedeutung verkannt worden ist. Selbst für Städte wie Erfurt (Wenige Markt) und Weimar (Windischengasse) wird der Beleg für den inneren Zusammenhang dieser Bezeichnungen mit wendischen Bewohnern erbracht. Auch Wünschendorf und Wünschensuhle lassen sich als dialektische Zusammenziehungen aus »windischen« urkundlich nachweisen. Eine alphabetische Zusammenstellung aller in Frage kommenden thüringischen Orte erleichtert den Überblick, und so schafft W. eine gute Grundlage für weitere Forschungen auf diesem Gebiete. Auch für Sachsen müssen daraufhin die entsprechenden Ortsnamen in ihrem Ursprung nachgeprüft werden.

A. Tille ( 432) untersucht die Anfänge Weimars, die bisher noch recht im Dunkeln lagen. Obwohl Weimar zuerst 975 genannt wird, muß es doch als Siedlung schon nach Bodenfunden viel älter sein. Merkwürdigerweise fehlt bis ins 13. Jhd. jede nähere Bezeichnung zum Ortsnamen. Dann taucht castrum auf und werden Burg und Kirche St. Jakob als die festen Punkte deutlicher, um die sich Höfe und Höfegruppen lagern. Dabei ist die genaue Anlage der alten, 1174 zerstörten Burg nicht nachzuweisen. Weimar ist zwar 1254 als civitas des Grafen Hermann von Orlamünde bezeugt, aber auch als eigentliche Entstehung der Stadt kommt wahrscheinlich erst diese Zeit in Betracht, wobei die Teilung des Orlamünder Gebietes den Anstoß zur Gründung gegeben haben kann. Um den nötigen Rahmen für die Befestigung der neuen Stadt zu schaffen, sind wohl sogleich die noch vorhandenen Höfe einbezogen worden, wie auch ein früheres Slawendorf sich fortan nur in dem Namen Windischengasse erhielt. Aber die Befestigung sowohl als auch die Stadtgerechtsame und die Ratsverwaltung sind erst im 14. und. 15. Jhd. ausgebaut worden (Stadtrecht von Weißensee erst 1410, niedere Gerichtsbarkeit 1431 usw.). Bis ins 15. Jhd. war deswegen Weimar »ein sehr bescheidenes Gemeinwesen«.

Das Dynastengeschlecht der Herren von Lobdeburg (bei Jena) hat in H. Großkopf ( 317) einen eifrigen und kundigen Geschichtschreiber gefunden. Neben ungedruckten Quellen mit Angabe der Lehensleute sind weiter eine


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Zeittafel der wichtigsten Ereignisse aus der lobdeburgischen Geschichte und die Stammtafel zu erwähnen. Die Anmerkungen und die Urkundennachweise bezeugen G.s liebevolle Einzelarbeit, und ihren Ertrag für die Forschung sichert das sorgfältige Register der Orts- und Personennamen.

H. Beschorner ( 434 und 435) behandelt die Wüstungen des ma.lichen Amtes Meißen nach Burgwarden (und Supanien) und gibt am Schluß drei Beispiele seltsamer Namensentwicklungen für Gastewitz (bei Mügeln), Mögen (bei Lommatzsch) und Beutig (bei Zscheitz).

Ferner ( 433) bespricht Beschorner die Bruchstücke des Öderschen Kartenwerkes von 1602/09, die sich mit Thüringen befassen und im Sächs. Hauptstaatsarchiv zu Dresden vorläufig noch unveröffentlicht ruhen. Eine übersichtliche Skizze (Taf. 6) ergänzt diese Ausführungen wirksam.

F. Körner ( 430) erläutert ansprechend, wie er auf fünferlei Arten die Flurgröße von Wüstungen in fünf thüringischen Bezirken festgestellt hat, und gibt dafür auch die Unterlagen. Nach seiner Überzeugung ist die Flurgröße »ebenso ein Kennzeichen bestimmter Siedlungstypen wie etwa die Form der Dorfanlagen« (S. 164), doch führt er dies leider nicht näher aus.

Das Buch von K. Schrader ( 1623) macht sachlich einen guten Eindruck und stellt die Stadt Eisenach von 1672 bis 1741 in allen wichtigen Lebensäußerungen dar. Ebenso das Verhältnis der Territorialgewalt zur Stadt wie das des Rats zur Stadtgemeinschaft und endlich das Wirtschaftsleben in seinen Grundlagen und Auswirkungen werden aktenmäßig und literarisch untersucht.


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