IV. Kirchen- und Kirchenverfassungsgeschichte.

A. Katholisches Kirchenwesen. Wie Essen verdankt auch Elten der Politik der Ottonen seine Erhebung zum Reichstift. Bernh. Vollmer ( 1411) stellt in sorgfältiger Untersuchung zunächst fest, daß dem Stift auch der Papstschutz nicht fehlte (in Korrektur einer unbegründeten Hypothese von Hörger) und daß wie in Essen die Steigerung vom Introitusverbot zur Hochgerichtsbarkeit erfolgt ist. Die Abhängigkeit der Äbtissinnenwahl von der Zustimmung des Bischofs von Utrecht hörte im 17. Jhd. auf. Die Vogtei wurde im 15. Jhd. von den Herzögen von Geldern in Anspruch genommen (vielleicht auf Grund ihrer Verwandtschaft mit der Gründerfamilie), jedoch war ihnen nur ein verhältnismäßig belangloses Gerichtsrecht zugefallen. Da aber bei der Übertragung der Vogtei durch Karl den Kühnen an Herzog Johann von Kleve die Vogteirechte nicht näher umschrieben wurden, war es möglich, das Stift in stärkere Abhängigkeit von Kleve zu bringen. Wie das geschah und in welcher Weise Brandenburg-Preußen (hauptsächlich durch Beeinflussung der Äbtissinnenwahlen) die gleichen Ziele verfolgte, zeigt Vollmer anschaulich auf Grund eingehender Aktenstudien.

Daß zwischen den weltlichen Landesfürsten und den Päpsten schon während des Großen Schisma eine kirchenpolitische Bundesgenossenschaft bestand, die dann während des Baseler Schisma besonders für Kleve bedeutungsvoll wurde, ist ja bekannt. J. Hashagen ( 1689) gibt, indem er auf diese Tatsachen hinweist, der Überzeugung Ausdruck, daß diese Begünstigung durch den hl. Stuhl den Laienfürsten den Anstoß gab, »in die Kirche hineinzuregieren«, was sich dann später vielfach zum Schaden der Kirche fortsetzte.

Bei dem Mangel einer historisch-wissenschaftlichen Behandlung der Klöster und Abteien des alten Erzstifts Trier ist es zu begrüßen, daß jetzt von I. Zeimet ( 1725) eine sorgfältige Monographie über die Zisterzienserinnenabtei St. Katharinen bei Linz a. Rh. vorgelegt wird, die als Dissertation aus der Schule von Merkle in Würzburg hervorgegangen ist. Mit Rücksicht darauf, daß in derselben Sammlung (Rhenania Sacra) noch weitere Bearbeitungen Trierscher Zisterzienserinnenklöster geboten werden sollen, ist der Verfasser hier auf das Allgemeinverfassungsrechtliche der Zisterzienserinnenabteien etwas tiefer eingegangen. Im übrigen bietet er auf Grund umfassender Durcharbeitung eines reichen Quellenstoffs eine eingehende Darstellung der äußeren und inneren Geschichte sowie der Wirtschaftsgeschichte der Abtei. -- H. Th. Hoederath


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druckt im 1. Heft einer neuen Sammlung »Hilfsmittel für den geschichtl. Arbeitsunterricht« (Essen, Baedeker, 47 S.) auch Quellen zur Geschichte der Reichsabtei Essen ab.

Die Nachrichten, welche I. Asen ( 1724) über die Begarden in Köln hauptsächlich aus den Schreinsbüchern festgestellt hat, ergeben kein absolut sicheres Bild über die kirchliche Stellung dieser Leute, die sich erst durch Weberei (wie in Aachen) ernährten, dann aber sich der Krankenpflege und Totenbestattungen widmeten. Es gab in Köln zwei Begardenkonvente, 1291 der zum Olvunde und 1306 der zur Lunge. Aber schon 1258 wird in Köln der erste Begarde genannt. Trotz der Verfolgung, besonders durch Erzbischof Heinrich II., haben sie sich bis ins 17. Jhd. hinein (zuletzt unter dem Namen »Schreibrüder«) in Köln gehalten. Vielfach sind sie als Ketzer verdächtigt, verbrannt oder sonstwie beseitigt worden, obwohl nachzuweisen ist, daß sie auch von Klerikern unterstützt wurden. Dagegen scheint die Genossenschaft der Sackbrüder, die in Köln zuerst 1260 genannt werden, später nicht mehr hervorgetreten zu sein, nachdem ihr Haus 1298 durch Erzbischof Walram aufgelöst worden war. Ihr Eigentum kam den Antonitern zugute.

Dem fühlbaren Mangel einer quellenmäßigen Erkenntnis von dem kirchlichen Leben im Zeitalter des Barock und Rokoko im Bereich der Kölner Erzdiözese suchen die zu einem umfangreichen Buch angewachsenen von W. Neuß angeregten Studien des D. Ernst Reckers ( 1820) über die Geschichte des Kölner Priesterseminars in etwa abzuhelfen. Damit sollte zugleich ein Baustein geliefert werden zur Geschichte der geistlichen Bildung und Erziehung überhaupt und insbesondere der praktischen Auswirkung der tridentinischen Seminaridee. Nach einer Einleitung über die Idee des Priesterseminars auf dem Konzil von Trient schildert Reckers im ersten Teil seines Buches die ersten mißglückten Versuche der Gründung eines Kölner Seminars unter Salentin von Isenburg und Ernst von Bayern, denen dann unter Erzbischof Ferdinand die Ausführung folgte. Dieses von Jesuiten geleitete Seminar bestand von 1615 bis 1645. Durch die Initiative des Domkapitels kam es unter Erzbischof Max Heinrich zu einer neuen Seminargründung. Aber schon nach 15 Jahren ging es wieder ein. »Seine praktische Bedeutung für die Seelsorge war noch minimaler, als sie das Seminar in den Tagen Ferdinands gehabt hatte.« Der 2. Teil der Arbeit ist dem Seminarium Clementinum gewidmet, das erst im J. 1738 ins Leben trat. Erst durch ein Dekret des Erzbischofs Klemens August von 1749 wurde jeder Weihekandidat zum Besuch des Seminars verpflichtet; damit war ein bedeutsamer Wendepunkt erreicht. Aber bald suchten sich die jungen Geistlichen durch Dispense von diesen Fesseln zu befreien. Durch Klemens August hatte das Seminar keine positive Förderung erfahren, obwohl es seinen Namen trug. Auch Max Friedrich hatte kein wesentliches Interesse dafür bekundet, während Max Franz sich ganz intensiv darum bekümmerte.

B. Evangelisches Kirchenwesen. Für die evangelische Kirche hatte das J. 1929 wegen der vierhundertjährigen Gedenkfeier für die beiden Märtyrer Clarenbach und Fliesteden besondere Bedeutung. Es konnte daher nicht fehlen, daß auch die literarische Produktion hierdurch befruchtet wurde. Abgesehen von manchen kleineren Gaben, die Ergänzungen zu bereits Bekanntem bringen und die in der willkommenen bibliographischen Übersicht von W. Rotscheidt ( 1926) zu finden sind, ist hier ein inhaltlich wie sprachkünstlerisch


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gleich bedeutsames Werk zu nennen, das einen vollen Abschluß der Forschung bietet, soweit nicht irgendwo noch neue Quellen zutage treten. Das Buch von H. Klugkist Heße ( 1925), im Auftrag des »Wissenschaftlichen Prediger- Vereins der Rheinprovinz« geschrieben, begnügt sich nicht damit, die Lebens- und Leidensgeschichte Clarenbachs auf sicherer Quellengrundlage darzustellen, sondern sucht vor allem auch der theologischen Eigenart und der einzigartigen geistigen Bedeutung des Mannes gerecht zu werden. Was an neuen Quellen vom Verfasser erschlossen werden konnte, war ganz geringfügig, wie ich schon nach meinen Studien zur jülich-bergischen Kirchenpolitik annehmen durfte, bei denen ich natürlich auch über das Verhältnis des Landesherrn zu dieser Angelegenheit etwas zu erfahren suchte. Somit blieb fast dasselbe Material bestehen, das schon Krafft zugänglich war. Aber die Art, wie der Verfasser es verarbeitet und durchleuchtet hat auf Grund einer soliden Kenntnis des zur Kommentierung notwendigen Stoffs, verdient größte Anerkennung. Vor allem kommt es dem Verfasser auch darauf an, die Stellung zu präzisieren, die Clarenbach in seinem reformatorischen Denken und Wirken einnahm; er gelangt dabei zu dem Ergebnis, daß trotz mancher Verwandtschaft mit den »Taufgesinnten« und »Brüdern« Clarenbach doch eine überragende Stellung einnimmt, abhold allem Revolutionären und auch selbständig gegenüber Luthers Lehre, einzig sich gründend auf die hl. Schrift. -- Neben diesem hervorragenden Buche nenne ich noch ein sehr ansprechendes, aber mehr populär gehaltenes Büchlein über Clarenbach von Wilh. Blankertz (Lennep 1929), in dem besonders mit Recht darauf hingewiesen wird, daß das Verhalten der Kölner gegen Clarenbach in merkwürdigem Gegensatz steht zu ihrer sonstigen Behandlung mancher Lutheraner.

In dem Werk von H. Forsthoff ( 1924) begrüßen wir eine Darstellung der Geschichte der Reformation am Niederrhein, die nicht nur packend und anschaulich geschrieben ist, sondern durchaus auf solider Forschung beruht. Gerade wenn man, wie der Referent (dessen Publikation über jülich-bergische Kirchenpolitik für die ersten beiden Teile des Werks eine der Hauptquellen gewesen ist) mit der Fülle des Tatsächlichen vertraut ist, vermag man erst das sichere Urteil und die Kombinationsgabe des Verfassers voll einzuschätzen, die besonders bei der Wertung der einzelnen Persönlichkeiten in die Erscheinung tritt. Nach den Anfängen der evangelischen Bewegung des 16. Jhds. am Niederrhein schildert der Verfasser ihre Ausgestaltung in den einzelnen Territorien und Städten, um dann im 3. Hauptteil die Wendung zum Calvinismus darzustellen und schließlich die Ausprägung in den einzelnen Klassen bis zur Generalsynode in Duisburg ( 1610). Es mag sein, daß in diesem letzten Teil der Verfasser (wie Klugkist Heße in einer Rezension in den Monatsheften zur Rheinischen Kirchengeschichte 23, 319 f. ausgeführt hat) in der Beurteilung der Persönlichkeiten nicht immer glücklich gewesen ist und manche Einzelarbeiten übersehen hat. Das kann aber kaum das günstige Gesamturteil beeinflussen. Sehr dankenswert sind die am Schlusse jedes Kapitels gegebenen Quellennachweise sowie das beigefügte sorgfältige Register.

Für den Fortgang der evangelischen Bewegung im Rheinland war es nicht bedeutungslos, wie sich kleinere Nachbargebiete hierzu verhielten. So dürfen wir auch Arbeiten, wie die von R. Semmelroth ( 1928) dankbar begrüßen. Mit dem Tode des Grafen Johann von Sayn-Hachenburg im J. 1560 wurde nicht


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nur hier, sondern auch in Sayn-Altenkirchen die lutherische Reformation (im Sinne Melanchthons) eingeführt. Abgesehen von den geistlichen Stiftern (besonders Kloster Marienstatt) begegneten die beiden Grafen Adolf und Sebastian dabei keinem Widerstand. Von 1570 ab wurden Visitationen eingeführt. Die Protokolle hierüber, wie überhaupt die Akten über die Einführung der Reformation sind nur für das Hachenburger Gebiet erhalten. Die Wiedergabe des Inhalts der Kirchenordnung von 1589 bildet den Abschluß des Aufsatzes.

H. Forsthoff ( 1927) gibt in großen Zügen nicht nur einen Überblick über die Entwicklung des evangelischen Kirchenwesens am Niederrhein während des 17. und 18. Jhds., sondern zeigt vor allem, welche Kraft der im Synodalwesen begründeten reformierten Kirchenverfassung innewohnte. Der autonome Anspruch dieser Verfassung mußte natürlich in mancher Weise mit dem politischen Absolutismus in Reibungen geraten. So kam es, daß z. B. die klevischen Gemeinden durch das landesherrliche Organ des Consilium ecclesiasticum bevormundet wurden, während die reformierte Kirche in Jülich-Berg trotz des Gegensatzes zur katholischen Landesregierung eine größere innere Freiheit sich erhielt. Bemerkenswert ist es, daß Forsthoff den Pietismus für eine gewisse Wandlung im reformierten Kirchenwesen im 18. Jhd. verantwortlich macht.


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