III. Quellen und Darstellungen in zeitlicher Folge.

-- Über das Ende Bischof Konrads III. von Straßburg, der 1299 vor Freiburg den Tod fand, ist vom Referenten in den Straßburger Regesten und einer besonderen Schrift über den Bischof das nötige gesagt worden; die überhebliche und unsachliche Polemik


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gegen die dort vorgetragene Auffassung, die P. P. Albert in der Freiburger Geschichtszeitschrift vom Stapel gelassen hat, erfährt nun durch Wohleb ( 783) eine berechtigte Kritik. -- Aus dem badischen Haus- und Staatsarchiv veröffentlicht M. Krebs ( 784) eine Erbfolgeordnung des lothr. Herzogs Karl II. v. J. 1410, deren scharfe Einstellung gegen Frankreich zu der Politik von Karls Vorgängern in auffälligem Widerspruch steht und aus dem Zusammenhang des großen französisch-burgundischen Gegensatzes zu erklären ist. Nicht weniger bezeichnend für das Bestreben Karls II., sich an Deutschland anzulehnen und seinen Machtbereich nach Osten zu erweitern ist auch die vorübergehende lothr. Zwischenregierung in Zweibrücken, die Pöhlmann (Mitteilungen d. hist. Vereins d. Pfalz 45) behandelt hat. Karl, der Schwiegersohn König Ruprechts, ließ sich als Mitgift die Hälfte der Grafschaft Zweibrücken verschreiben, die erst wenige Jahre vorher an die Pfalz gelangt war; ein Versuch, die östlichen Teile seines Besitzes durch Erwerbung von Kirkel noch mehr abzurunden, schlug freilich fehl, aber im Besitz der zweibrückischen Pfandschaft hielt sich der Herzog auch noch nach der großen pfälzischen Teilung, bis Stephan von Simmern 1416 durch Zahlung der beträchtlichen Pfandsumme endlich den ihm zugesprochenen Besitz antreten konnte. Im ganzen blieb die antifranzösische und nach Osten gerichtete Einstellung Karls doch eine Episode, da die bald darauf erfolgende Vereinigung mit dem Herzogtum Bar die lothr. Politik wieder in andere Bahnen lenkte. -- Eine großangelegte kulturgeschichtliche Darstellung bietet J. Hatt mit seinem Buch über Straßburg im 15. Jhd. ( 782). Den Begriff Kulturgeschichte muß man freilich sehr eng fassen, denn das Buch hält nicht ganz, was sein Titel verspricht, da sich der Verfasser ganz auf die »vie matérielle de la société laique« beschränkt; bei der einschneidenden sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung, die alle kirchlichen Einrichtungen vom hochadeligen Domstift bis hinab zu den Beginenhäusern (die übrigens auf S. 59 ff. kurz erwähnt werden) für sämtliche Kreise der Stadtbevölkerung hatten, erscheint diese Trennung als wenig glücklich; aber wenn man sie einmal als gegeben hinnimmt, darf man sich doch der Fülle des Gebotenen freuen und der aus urkundlichen, literarischen und bildlichen Quellen sorgsam aufgebauten Darstellung manche neue Einzelheit entnehmen. Besonders hingewiesen sei auf den Anhang, der einige Dutzend städtischer Verordnungen auf dem Gebiet der Handels-, Bau- und Gesundheitspolizei usw. im Wortlaut enthält. -- Einen weiteren wertvollen Beitrag zur Straßburger Kulturgeschichte liefert Hatt mit seiner Neuausgabe des i. J. 1627 erschienenen französisch-deutschen Gesprächbüchleins von Daniel Martin (Les colloques français et allemands de Daniel Martin publiés ... par I. Hatt. Paris, Les Belles Lettres, 191 S.). Martin, der in der 1. Hälfte des 17. Jhds. als Lehrer des Französischen in Straßburg wirkte, teils an der Universität, teils im Dienst deutscher Adliger, hat für die Verbreitung der französischen Sprache im Elsaß auch literarisch eine rege Propaganda entfaltet. Die schon früher öfters behandelten, aber erst jetzt von Hatt in extenso neu gedruckten Gespräche mit französischem und deutschen Paralleltext bieten außer dem rein sprachlichen Interesse (das besonders der deutsche Teil als Beitrag zur Geschichte des elsässischen Dialekts für sich in Anspruch nehmen darf) auch manche kulturhistorischen Aufschlüsse, da der Verf. die Gegenstände seiner Dialoge aus der konkreten Umwelt entnommen und manche Abschnitte zu realistischen Sittengemälden

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des damaligen Straßburger Lebens ausgestaltet hat. Der Hsg. hat manche zum Verständnis nützliche Anmerkung beigesteuert und ein Glossar der bemerkenswerteren französischen und deutschen Ausdrücke hinzugefügt. Die Beziehungen Straßburgs zu Frankreich in der Reformationszeit bis zum Ausbruch des schmalkaldischen Krieges untersucht F. Petri ( 814) zum Teil schon mit Benutzung des demnächst erscheinenden 4. Bandes der Straßburger politischen Korrespondenz. Es wird festgestellt, daß bis etwa 1530 keine engeren Beziehungen Straßburgs zu dem westlichen Nachbarn nachzuweisen sind. Erst in der Folgezeit führten die allgemeine politische Lage und besonders der Einfluß französischer Flüchtlinge (auch Calvins) und das Interesse an dem Schicksal der Glaubensgenossen in Frankreich eine engere Fühlungnahme herbei, die sich aber doch nur in den Jahren 1538--1541 unter der Einwirkung drohender Gefahren zu dem Plan eines förmlichen Bündnisses verdichtete. Die schiefe Lage, in welche die Stadt dadurch bei einem Teil der deutschen Protestanten kam, bestimmte Jakob Sturm dazu, seit dem Scheitern der Verhandlungen eindeutig wieder die frühere Politik der wohlwollenden Neutralität zu befolgen. In seinem Urteil, daß man vom Ausland keine uneigennützige Hilfe zu erwarten habe, bewies er weit größere politische Einsicht, als die immer noch rührige, besonders von Johann Sturm geleitete Anschlußpartei. --Benoist ( 863) behandelt zwei von ihm in der Bibliothek des Institut de France aufgefundene Handschriften, von denen wenigstens die eine als Quelle von nicht unerheblichem Wert für die elsässische Geschichte angesehen werden darf. Es handelt sich um zwei Denkschriften, die für den Herzog von Mazarin (Gouverneur des Elsaß 1667--1686) angefertigt worden sind. Während die eine unter dem Titel: Traité des devoirs et qualités principales d'un gouverneur général de province mehr allgemeine Normen aufstellt, enthält die andere, beim Amtsantritt Mazarins angefertigt, in 33 Abschnitten »Mélanges sur l'Alsace«, deren von Benoist mitgeteilte Proben bedauern lassen, daß nicht die ganze Handschrift in extenso veröffentlicht wird. Von besonderem Wert ist das von B. gedruckte »Tableau des avantages et inconvénients que l'on rencontre en la province d'Alsace et des remèdes à y apporter«; die Rubrik remèdes enthält eine Art Kompendium der französischen Politik im Elsaß, deren Grundlagen, Mittel und Ziele hier mit dem Seziermesser bloßgelegt sind. Das rhetorische Gewand, in welches Benoist seine Entdeckung hüllt, ist weder ganz neu, noch fleckenlos. Aus der zwischen Karl d. Großen und Napoleon gezogenen Parallele (S. 12) mag man ersehen, bis zu welch verblüffendem Grad historischer Verständnislosigkeit sich sogar ein »unsterblicher« Akademiker versteigen kann. Niedriger gehängt zu werden verdient auch die unverblümte Klage darüber, daß der Vertrag von Versailles Frankreich die gottgewollte Rheingrenze in ihrer ganzen Ausdehnung bis nach Holland leider nicht gegeben hat und daß Völkerbund und Locarnopakt die französische Zivilisation nur als beängstigend dünner paravent gegen die »rage allemande« sichern (S. 13). --Pfister, der die Stellungnahme der französischen Politik zur Anwendung des Edikts von Nantes im Elsaß untersucht ( 862), kommt zu dem Ergebnis, daß das Edikt im Elsaß nie gegolten hat, also auch nicht aufgehoben werden konnte. Den Grundsatz Cuius regio, eius religio erkannte Ludwig XIV. für die katholischen Teile des Elsaß an, während er den Untertanen der protestantischen Herrschaften die katholische Religion durch allerhand drakonische Maßnahmen aufzwingen wollte;

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erst die geistigen Strömungen des 18. Jhds. führten hierin eine Milderung herbei. --Ponteil ( 1604) beschreibt ausführlich eine Episode aus der Straßburger Geschichte des 19. Jhds., die sog. Ochsenrevolution vom September 1831, eine tumultuarische Erhebung der Straßburger Bevölkerung, die dem übermäßigen Einfuhrzoll auf Schlachtvieh ihren Ursprung verdankte, aber durch die Mitwirkung radikaler Agitation eine stark politische Note erhielt. Ponteils Darstellung benutzt zum ersten Male die im Pariser Nationalarchiv erhaltene Denkschrift des Präfekten Nau de Champlouis, der durch kluges Einlenken ein Weitergreifen der Bewegung verhinderte, ohne bei der Pariser Regierung für seine Maßnahmen Verständnis zu finden. -- Die Reihe der Arbeiten über die deutsche Zeit seit 1870 wird eröffnet durch eine Denkschrift des Historikers Julius Weizsäcker, die der inzwischen verstorbene Tübinger Theologe Anrich publiziert hat ( 1071). Weizsäcker behandelt in dieser Denkschrift, die außer von ihm noch von einigen weiteren Mitgliedern der deutschen Partei Württembergs unterzeichnet und durch Dunckers Vermittlung an Bismarck weitergeleitet wurde, als einer der ersten (schon Anfang August 1870) die Frage der Rückgewinnung Elsaß-Lothringens und steht damit am Anfang der großen Reihe von Abhandlungen, die in der Folgezeit diesem Gegenstand gewidmet wurden. Die Notwendigkeit der Einverleibung steht ihm aus militärischen und politischen Gründen fest; die später so heiß umstrittene Frage, in welcher Form dies zu geschehen habe, beantwortet er mit ausschließlicher Entschiedenheit im Sinne der Angliederung an Preußen, die er einer Zerstückelung des Landes und Verteilung an die süddeutschen Staaten vorzieht (der Reichsland-Gedanke lag damals zu Beginn des Krieges natürlich noch nicht im Bereich der Möglichkeit). -- Einen kurzen Überblick über die deutsche Verwaltung gibt Dominicus ( 1428). Nach den mancherlei absprechenden Kritiken, die hierüber in letzter Zeit zutage getreten sind, ist dieser -- leider nur allzu summarische -- Hinweis auf die unwiderleglichen positiven Leistungen besonders willkommen. Die Fehler, die man gemacht hat, treten hierbei in den Hintergrund, denn sie liegen wohl mehr auf dem Gebiete der Imponderabilien und entziehen sich einer endgültigen Erkenntnis, solange der Mangel an Distanz noch den Blick trübt. Eine großangelegte Geschichte Elsaß-Lothringens in der deutschen Zeit bleibt der Zukunft vorbehalten. Um so dringender ist aber die auch von Dominicus betonte Forderung, dieser Aufgabe durch Sammlung von Material und Einzeluntersuchungen vorzuarbeiten, solange noch die Zeugen der Ereignisse unter uns weilen und in der Lage sind, ihre Erinnerungen oder sonstige quellenmäßige Zeugnisse durch Vereinigung bei einer Zentralstelle (etwa dem elsaß-lothr. Institut in Frankfurt) einer kommenden Generation zu erhalten. Einstweilen sind Arbeiten, die auf deutscher Seite diese Periode zu behandeln suchen, durch teilweise empfindlichen Quellenmangel beeinträchtigt, wie auch an Seydlers Arbeit über die Statthalterschaft des Fürsten Chlodwig Hohenlohe ( 1100) zutage tritt. Immerhin verfügte der Verfasser über ein so ausgebreitetes Material, daß er den Versuch wohl wagen durfte. Neben den Berichten des Statthalters und seiner Korrespondenz mit dem Kaiser stand ihm der Nachlaß des Staatssekretärs v. Hofmann im Reichsarchiv, der Nachlaß Puttkamer und das nicht zu unterschätzende vollständige Exemplar der »Straßburger Post« im els.-lothr. Institut zur Verfügung; auf dieser Grundlage ließ sich wohl eine Darstellung der hohenlohischen Amtsperiode aufbauen, die mehr

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als rein provisorischen Wert hat und jedenfalls, abgesehen von einer Fülle von Einzelheiten, als erster Versuch einer Gesamtwürdigung bleibende Beachtung verdient. An dem Bilde, das man sich aus anderen Quellen und Darstellungen von Hohenlohe gemacht hat, wird durch Seydlers Darstellung nichts Wesentliches geändert; daß die Ruhe und Stetigkeit seiner Verwaltung nach dem wechselvollen Regiment Manteuffels und nach einigen Krisen und Schwierigkeiten in den Anfangsjahren dem Reichsland zum Segen gereichte und seine Eingliederung in das deutsche Leben langsam aber spürbar förderte, darf nun als feststehend betrachtet werden; Hohenlohes tätigen Anteil an den Regierungsgeschäften möchte Seydler etwas höher veranschlagen, als gemeinhin geschieht.


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