III. Landesgeschichte.

Während das vom Württ. Landesamt für Denkmalpflege herausgegebene, auf drei Bände angelegte Werk über die Römer in Württ. (1928, 495) für unsere Kenntnis der Geschichte des württ. Gebiets in der Römerzeit von größter Bedeutung zu werden verspricht und Veecks schon früher (vgl. Jberr. 1925, S. 602) besprochene Alamannenstudien rüstig voranschreiten (1927, 597 u. 598; 1928, 493), hat A. Bauers allzu stürmischer Versuch, die herrschende Lehre über die Frühgeschichte der Alamannen auf Grund einer neuen Deutung des aus den schriftlichen Quellen zu erschließenden verfassungs- und wirtschaftsgeschichtlichen Materials umzustoßen, (1927, 1276) wenig Glück gehabt. Daß andererseits eine derartige grundsätzliche Neuüberprüfung des bekannten Materials in Verbindung mit kritischer Besonnenheit zu wertvollen Ergebnissen führen kann, beweist A. Mock, die in einer von Haller und Below angeregten, sorgfältig durchgeführten Untersuchung (1927, 1320) darlegt, daß die Entwicklung der Landeshoheit der Grafen von Württ. auf den


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alten Grafenrechten der vom Reich zu Lehen gehenden Amtsgrafschaft des Remstalgaus, der Keimzelle der Grafschaft W., insbesondere auf der dazu gehörigen hohen Gerichtsbarkeit, sich aufgebaut hat. Angesichts der Dürftigkeit des Materials muß mancher Punkt in der Schwebe gelassen werden; immerhin werden doch auch die Fragen der Steuerhoheit und des Regalienerwerbs kurz behandelt.

Ein seit den Studien F. Wagners zu Unrecht vernachlässigtes Gebiet aus der Übergangsepoche zwischen MA. und Neuzeit berührt Ernst Bock mit seinen verdienstlichen Untersuchungen über den Ursprung und die rechts- und verfassungsgeschichtliche wie auch politische Bedeutung der verschiedenen Verfassungen des Schwäbischen Bundes (1927, 759). Er verwertet neben dem gedruckt vorliegenden Quellenmaterial vor allem Münchener und Karlsruher Archivalien und vermag allerhand neue Streiflichter auf Entstehungsgeschichte und Auflösung des Bundes zu werfen; endgültige Ergebnisse kann er freilich bei dem völlig unbefriedigenden Stand unserer Quellenforschung nicht vorlegen. Bossert d. J. erhöht die Verwertbarkeit seiner nunmehr abgeschlossenen, materialreichen Arbeit über den Bauernoberst Matern Feuerbacher durch Beifügung guter Register (1927, 796).

Über die Politik Herzog Friedrichs I. und des Schwäbischen Kreises im folgenschweren Donauwörther Handel (1605/11) bringt aus den Stieve entgangenen Ludwigsburger Akten R. Breitling manches Neue bei (1929, 824). Die württ. Verwaltungsarbeit in der von Friedrich I. erworbenen und erst 1664 endgültig verlorenen Pfandschaft Oberkirch-Amt läßt das von M. Eimer zusammengestellte Aktenmaterial entgegen den noch neuerdings ungeprüft übernommenen abfälligen älteren Urteilen in einem überaus günstigen Licht erscheinen (1929, 842).

Unsere Kenntnis und Auffassung der württ. Geschichte des 18. Jhds. wird ganz wesentlich gefördert und bereichert durch das aus eingehenden Aktenstudien herauserwachsene, überaus aufschlußreiche Buch Selma Sterns über Jud Süß (1929, 1969). Will es auch zunächst als »Beitrag zur deutschen und jüdischen Geschichte« gewertet werden und schießt die Verfasserin auch gelegentlich bei der von ihr angestrebten Umwertung der Werturteile übers Ziel, so haben wir es doch hier zugleich mit dem ersten von hoher Warte aus geführten und umfassend angelegten Versuch zu tun, die kurze, aber inhaltreiche Regierungszeit Herzog Karl Alexanders im Zusammenhang mit den zeitgenössischen wirtschafts- und staatspolitischen Theorien und Bestrebungen sowie mit den Grundproblemen des altwürtt. Staatslebens zu würdigen; damit wird auch der Weg frei für eine sachlichere Beurteilung des Wirkens von Jud Süß, der bisher allzu ausschließlich unter dem Gesichtswinkel des politischen und geschäftlichen Gelegenheitsabenteurers betrachtet worden ist (vgl. Jberr. 1926, S. 624!). Auf den schwächlichen Versuch des gealterten Herzogs Karl Eugen und des Schwäbischen Kreises, in dem 1792 von Frankreich gegen Österreich eröffneten Kampf eine Art bewaffneter Neutralität zu behaupten, werfen Mitteilungen, die R. Breitling über die Frage der Besetzung Kehls durch schwäb. Kreistruppen aus württ. Militärakten macht, bezeichnende Schlaglichter (1929, 919).

Von den zahlreichen Arbeiten zur Geschichte des 19. Jhds. beschäftigen sich nur wenige vorwiegend mit den Fragen der hohen auswärtigen Politik und


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Diplomatie. Über die Beziehungen König Wilhelms I. zu den ihm verwandten Napoleoniden, über seine Abneigung gegen den jungen Napoleon, über seine scharfe Verurteilung des Straßburger Putsches berichtet auf Grund neuerschlossenen Stuttgartes Materials Joach. Kühn (1929, 996). A. Drexler mag in seiner bisher nur als maschinenschriftliche Dissertation vorliegenden, an der Hand von Wiener und Stuttgarter Akten etwas breit ausgesponnenen Schilderung der ehrgeizigen, nach außen hin sich liberal gebährdenden Triaspolitik der württ. Regierung 1823/24 und ihrer Niederkämpfung durch die von Metternich geführten Großmächte (1928, 765a) zu sehr in den Bannkreis der Metternichschen Politik und Ideenwelt geraten und deshalb den Trägern der württ. Politik ähnlich wie der vom preußischen Blickfeld aus urteilende Treitschke (Deutsche Geschichte III, 5 u. »Wangenheim«) nicht ganz gerecht geworden sein. Im Grunde aber enthüllt er doch aufs neue überzeugend die innere Haltlosigkeit des von Württ. in schwerer Verkennung des Kräfteverhältnisses eingeleiteten und in starrer Zähheit festgehaltenen politischen Spiels der deutschen Mittelmächte; auf die Persönlichkeit des durch seinen unnachgiebigen Herrscherstolz tief in dieses Getriebe verstrickten König Wilhelm fallen bei D. fast noch schärfere Lichter als bei Treitschke. Nicht minder ungünstig wirkt die Starrheit, mit der der König die Verteidigung seiner Souveränitätsrechte selbst in den geringfügigsten Fragen den gemeindeutschen Interessen und den größern nationalen Gesichtspunkten voranstellt, in dem unerfreulichen Bilde deutscher Kleinstaaterei, das uns auf Grund der Akten des württ. Staatsarchivs W. Reinhardt (1927, 968) mit seiner etwas weitschweifigen Schilderung von Württembergs Stellungnahme zu den durch die drohende Kriegsgefahr von 1840 und das preußische Drängen in Gang gekommenen Rüstungs- und Verteidigungserörterungen des Deutschen Bundes entwirft; der einzige lichte Punkt bleibt das folgerichtige Eintreten W.s für die Befestigung Rastatts. Für die Auswirkung der Karlsbader Beschlüsse auf die württ. Zensur sind bezeichnend die Schicksale des 1830/33 in Stuttgart veröffentlichten »Hochwächters« (Vorläufers des späteren »Beobachters«) und die Zusammenstöße des leitenden Redakteurs Karl Lohbauer mit der staatlichen Zensurbehörde, wie sie uns U. Zeller aus den Stuttgarter Akten schildert (1927, 970).

Auf dem Gebiet der württ. Parteigeschichte macht Kl. Heger (»Die deutschdemokratische Partei in Württemberg und ihre Organisation«, Leipzig 1927) den eigenartigen Versuch, in seinem z. T. auf Aktenstücke der Payerschen und Hausmannschen Privatarchive gestützten Überblick über die Entwicklung der demokratischen Bewegung in Württemberg und der aus ihr hervorgegangenen Parteigebilde den Einfluß der Parteiorganisation auf die Politik der Partei besonders herauszuarbeiten.

Eine Reihe von Untersuchungen beschäftigen sich mit der Entwicklung der politischen Ideenwelt und mit der politischen Tätigkeit bekannterer württ. Persönlichkeiten, die in Parlament und Staatsdienst hervorgetreten sind. Unter dem Gesichtswinkel des für Württemberg so überaus wichtigen ständisch-korporativen Gedankens, wie er sich in der Württ. Verfassung und im älteren staatsrechtlichen Schrifttum (z. B. bei Eichhorn und dem Tübinger Joh. Christ. Meyer) ausgeprägt findet, vergleicht Lotheisen (1928, 1084) die Stellungnahme Friedrich Lists zu den württ. Verfassungskämpfen mit der Hegels; er kommt an der Hand bisher unbekannter Schriftstücke des


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Listarchivs zu dem Ergebnis, daß L. zwar in seinen theoretischen Voraussetzungen stärker unter naturrechtlichen Einflüssen steht, in der praktischen Auffassung aber mit Hegel weithin übereinstimmt. Enge Verbundenheit mit der altwürtt. Landschaft und konservative wie romantische Grundzüge des politischen Denkens paaren sich nach Adolf Rapp (1927, 968a) bei Ludwig Uhland mit Mangel an politischem Urteil, aus dem sich seine Mißgriffe in der praktischen Politik erklären; den weiteren geistigen Untergrund, aus dem auch das politische Denken Uhlands sich nährt, zeichnet H. O. Burger glänzend in seinen Studien zur Charakteristik des Uhlandkreises (»Schwäbische Romantik« 1928). Die klare Besonnenheit und den staatsmännischen Blick des Staatsrechtslehrers, späteren Anwalts A. L. Reyscher, die großen Verdienste, die er sich beim Kampf um die deutsche Einheitsfrage im öffentlichen Leben, von 1848 bis 1863 auch im Parlament, erworben hat, rühmt Hans Otto Mayer (1928, 779). In dem gefeierten Juristen Karl Georg von Wächter, der in den Jahren 1836--1850 als Universitätskanzler dem Landtag angehörte, schildert Otto Häcker (1927, 968b) einen mäßigenden und ausgleichenden Anhänger eines mit liberalen Grundanschauungen in Einklang gebrachten Rechtsgedankens und einer Politik des Erreichbaren, der im Sturm des 48er Jahrs aber doch Bekenntnis für die preußische Lösung der deutschen Frage ablegt. Eine umfassende, auch auf Archivstudien beruhende Untersuchung widmet J. Köhler (1929, 997) den politischen Anschauungen und der politischen Laufbahn des Abgeordneten, späteren Märzministers Friedrich Römer; die Verfasserin bemüht sich dabei besonders um den Nachweis, daß R., obschon durchaus auf praktische politische Arbeit eingestellt, immer seinen entschieden liberalen Grundforderungen (Presse- und Meinungsfreiheit, Heilighaltung der Verfassung u. ä.) treugeblieben und sie oft mit zäher Starrheit festgehalten hat. Seiner praktischen Einstellung entspricht es, daß ihm als Anhänger eines gemäßigten Unitarismus in der deutschen Frage der Gedanke der Einheit über dem der Freiheit und Gleichheit stand und ihm nach dem endgültigen Versagen Österreichs auch die preußische Lösung gangbar erschien; ihm und dem von ihm geleiteten Ministerium weist K. das Verdienst zu, daß die Revolution dem württ. Volk keine allzu schweren Opfer und Unruhen gebracht hat. Die Veröffentlichung der von Gustav Rümelin aus dem Frankfurter Parlament an seine Frau gerichteten Briefe durch Bergsträsser (1929, 984) tritt einer kleinen Gedächtnisschrift zur Seite, in der unter Heranziehung des Briefwechsels R.s mit dem Jugendfreund Robert Kern ein vom Sohn mit Wärme gezeichnetes Charakterbild auch der politischen Arbeit R.s, seiner Rolle im Frankfurter Parlament und im Kampf um die deutsche Frage, seines Ringens als Kultusminister um das von ihm ausgearbeitete Schulgesetz und um den Abschluß des Konkordats gedenkt (1927, 1027).

Über die Rolle, die der württ. Ministerpräsident v. Varnbüler bei den Bemühungen Bismarcks, schon 1867 die deutsche Frage durch Zusammenschluß Nord- und Süddeutschlands unter Preußens Führung zu bereinigen, spielte, bringt uns wesentlich Neues das aufschlußreiche Buch Schüßlers (1929, 1034). Seinem Nachfolger v. Mittnacht, der dann an der Reichsgründung mitwirkte, bescheinigt W. Seefried, in einer eingehenden, besonders auf Mittnachts Briefe an Scheurlen gestützten Untersuchung im Gegensatz zu Sybels Urteil (»entschiedener Großdeutscher mit ultramontanen Beziehungen und durchaus kein Freund Preußens«), daß er lediglich als nüchterner Realpolitiker in kluger


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Erkenntnis der Zeitströmungen -- allen anfänglichen großdeutschen Neigungen zutrotz -- seine Entschlüsse gefaßt habe (1928, 803).

Aus der allerjüngsten Geschichte sind neben dem großen volkstümlichen Sammelwerk über die Beteiligung der württ. Truppen am Weltkrieg, das Otto v. Moser mit Unterstützung der Reichsarchivzweigstelle Stuttgart bearbeitet hat (1927, 1219), anzuführen vor allem die -- ursprünglich nicht für die weitere Öffentlichkeit bestimmten und als private Rechtfertigungsschrift gedachten -- Aufzeichnungen des Kommandanten der 51. Infanterie-Brigade und zeitweiligen Leiters der Ortskommandantur Stuttgart und der Landwehrinspektion v. Ebbinghaus über die Vorgänge in Stuttgart vor und bei Ausbruch der Revolution 1918 (1928, 783). Sie treten den früher erschienenen Aufzeichnungen des verstorbenen Staatspräsidenten Blos und des Polizeidirektors Hahn ergänzend zur Seite und haben den Auftakt zu einer nachdrücklichen literarischen Beschäftigung mit diesem Ausschnitt aus der großen Umwälzung gebildet.


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