IV. Ortsgeschichte.

Aus der überreichen ortsgeschichtlichen Literatur sei nur eine Auswahl des Allerwichtigsten hervorgehoben, meist Schriften zur Geschichte der alten Reichsstädte und der großen Klöster. -- K. O. Müller hat in einem Helfensteinischen Urbar von 1371 Bruchstücke der bisher für verloren angesehenen ma.lichen Stadtrechtaufzeichnungen von Biberach aufgespürt und veröffentlicht sie zur Ergänzung seiner »Oberschwäbischen Stadtrechte« (1928, 1044a). Mettlers Nachweis, daß die heutige Klosterkirche von Ellwangen zwischen 1183 und 1233 auf Grund eines älteren, etwa 1100/1124 entstandenen Baus der kluniazensisch-hirsauischen Schule errichtet worden sei, hat auch quellenkritisches Interesse durch die Untersuchung der Vita Hariolfi, der M. neue Aufschlüsse über die Frühgeschichte des Klosters abzuringen sucht (1928, 1299). Die wirtschaftlichen Schattenseiten der Bautätigkeit in E. am Anfang des 12. Jhds. beleuchten von K. O. Müller aufgefundene Beschwerden eines Ellwanger Mönchs über die Schädigung des Klosterguts durch Abt Helmerich (1118--1136) (Württ. Vierteljahrshefte N. F. 25, S. 38 ff.). -- Die aus gründlichem Aktenstudium hervorgegangene Arbeit E. Haffners über das Kaufhaus in Eßlingen, die damit verbundenen städtischen Regie- und Monopolbetriebe und die städtischen Zölle (1927, 1426) verfolgt die Anfänge des im 16. Jhd. offenkundigen wirtschaftlichen Niedergangs der vom württ. Territorium umklammerten Reichsstadt bis ins 15. Jhd. zurück. Eingehend behandelt das Thema des Wirtschaftverfalls Reinhold Bührlen (1927, 192; 1928, 1186), der zeigt, wie der 30jährige Krieg die bereits vorhandenen Symptome nur verschärft hat, ein sich deutlich wieder anbahnender Aufstieg dann aber durch die verheerenden französischen Raubkriege endgültig vereitelt worden ist. -- Während die Arbeit von A. Tänzer über die 1777 entstandene Judengemeinde im reichsritterschaftlichen Dorf Jebenhausen und die im 19. Jhd. aus ihr hervorgegangene Gemeinde in der benachbarten württ. Amtsstadt Göppingen sich auf wertvolle Beiträge zur Geschichte der Juden Württembergs im 18. und 19. Jhd. und zur Entwicklung der württ. Textilindustrie beschränken muß (1927, 1925), kann O. Mayer seiner Geschichte der Anfang des 19. Jhds. neugebildeten Judengemeinde in Heilbronn (1927, 1924) eine sorgfältig gearbeitete Schilderung der bewegten Geschicke der Judenschaft in der alten Reichsstadt bis zu ihrer endgültigen Austreibung im J. 1469 voraufschicken. -- Stark geschichtlichen Gehalt besitzt die materialreiche Arbeit von Fr. Berger über die


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ma.lichen Familiennamen der Reichsstadt Schwäbisch-Hall (1928, 401). -- Als erste auf dem Quellenmaterial aufgebaute Darstellung sind die für weitere Kreise bestimmten Bilder aus der Vergangenheit des Klosters Herrenalb aus der Feder Seilachers (1927, 1674) auch wissenschaftlich brauchbar. -- K. Greiners Führer durch die Geschichte Hirsaus (1929, 1718) ist ein mit Sorgfalt gearbeitetes Heimatbuch ohne Anspruch auf selbständige wissenschaftliche Geltung, aber mit gelegentlich nützlichem ortsgeschichtlichem Material. -- Mit Hilfe des als Bruchstück eines 1121/24 angelegten Missales erhaltenen, bis Ende des 12. Jhds. fortgesetzten »Memento vivorum« des Klosters Neresheim kann P. Volk unter Heranziehung des bekannten Nekrologs den ältesten Konvent des Klosters rekonstruieren (1928, 1300). -- Schmerzliche Lücken in dem erhaltenen, in den »Oberschwäb. Stadtrechten« gesammelten Material ziehen den verdienstlichen Ausführungen L. Klaibers über die ma.liche Wirtschaftspolitik der Reichsstädte Isny, Leutkirch und Ravensburg, insbesondere über die Geschichte der örtlichen Produktions-, Gewerbe und Marktregelung, z. T. enge Grenzen (1927, 1476). Das rechtliche Wesen der großen Ravensburger Handelsgesellschaft, die Kl. bewußt bei seinen Untersuchungen beiseite gelassen hat, deutet Rehme in eindringender Untersuchung (1927, 1457) als das einer Kommanditgesellschaft mit besonderen Eigenheiten. In seiner aus den »Oberschwäbischen Stadtrechten schöpfenden, kritisch-systematischen Darstellung des ma.lichen Strafrechts der Reichsstadt R. berührt H. Hofmann (1927, 1322) auch verfassungsgeschichtliche Fragen. Eine Arbeit des Ravensburger Stadtarchivars A. Dreher über die Kanzleisprache in R. während des 14. Jhds. bringt einen guten Überblick über die ältere Geschichte der Stadt und ihrer Kanzlei (1929, 509). -- Die Geschichte der Stadt Stuttgart von Eugen Schneider (1927, 191) bietet eine knappe, brauchbare Materialsammlung, für die wir dem verdienten Nestor Dank wissen. -- Reich ist wieder der Anfall an wichtigen Arbeiten zur Geschichte von Ulm. Der Ulmer Verein für Kunst und Altertum hat in den Berichtjahren zwei Festschriften vorgelegt: Zunächst zum 550jährigen Gründungsjubiläum des Münsters (1927) ein reichhaltiges Heft (1927, 160); es bringt neben Beiträgen zur Baugeschichte auch zwei geschichtliche Aufsätze von Max Ernst. In dem einen entwirft E. im Anschluß an seine schon 1926 hier gewürdigten Studien zur Frühgeschichte Ulms ein Bild der Schicksale und Rechtsverhältnisse der Rechtsvorgängerin des Münsters, der sog. »Pfarrkirche über Feld im alten Friedhof«, die, ursprünglich älteste Missionsstation der Gegend und bald Reichenauischer Besitz, bei der Bildung des Markungspfarrsprengels dessen Mittelpunkt wurde und dann, obschon eben erst erweitert und umgebaut, dem 1377 begründeten Münsterbau zum Opfer fiel (1927, 1671). Im andern Aufsatz (1927, 772) behandelt E. den bekannten Ulmer Bürgermeister und Schwäbischen Bundeshauptmann Wilhelm Besserer († 1503) und seinen Familienkreis. Die zweite Festschrift gilt der 400-Jahrfeier der Ulmer Reformation und bietet einen größeren Aufsatz G. Walthers über die bedeutendste politische Persönlichkeit Ulms, Bernhard Besserer, und die wesentlich von ihm getragene Politik der Stadt in den entscheidenden Jahren der Reformation (1929, 813). Während Hermann Steck in seiner Arbeit über U.s Politik auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 (1927, 799) den Schlüssel zur Erklärung des merkwürdigen Zickzackkurses, Egelhaaf folgend, nicht zuletzt in der Sorge um die vom Kaiser an U. verpfändete Herrschaft Heidenheimder

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Hellenstein gefunden zu haben glaubt, zeigt W., daß neben der isolierten Lage Stadt auch Besseres allzu wagemutiges Eingehen auf die großzügigen Pläne des Landgrafen Philipp schon früh diese vielgerügte Unsicherheit in die Ulmer Politik hineintrug; beide Arbeiten gehn darin einig, daß vom November 1530 an, da die Gemeinde sich für die Verwerfung des Augsburger Abschieds entschied, die Politik so eindeutig und entschlossen gradlinig verläuft, als die Zeitverhältnisse dies gestatten. Rottenkolber (1927, 812) berichtet auf Grund der Ulmer Unionakten über die seit 1602 wiederholt gemachten Versuche, die Stadt zunächst für ein Abwehrbündnis mit den streng lutherisch gesinnten Fürsten (Neuburg, Württemberg, Baden), dann für die weiter gesteckten Unionpläne zu gewinnen, und den endlichen Beitritt der Stadt zur Union am 20. 5. 1609. Der gleiche Verfasser erzählt in etwas breit geratenen, aus Archivstudien schöpfenden Ausführungen von der kurzen Episode der bayrischen Herrschaft in Ulm (1929, 952), die den Reichsstädtern manch schmerzlichen Verzicht auf alte Vorrechte und Einrichtungen und den Zwang zur Einfügung in das große und straffe Montgelas'sche Staatswesen brachte; leider hat R. das anfängliche Ziel seiner Darstellung -- zu schildern, wie der allmählich zuungunsten Bayerns sich vollziehende Stimmungsumschwung dem Übergang an Württemberg (1810) eine freudige Aufnahme sicherte --, vor lauter Einzelheiten aus dem Auge verloren. Die auf Grund eingehender Aktenstudien umsichtig durchgeführte Untersuchung M. Armbrusters über den Ulmer Eisenhandel, dessen Geschichte wie auch die des Salzhandels aufs engste mit der Entwicklung der Kaufmannszunft verbunden ist (1929, 1533), zeigt aufs neue, daß Ulm vom 13.--17. Jhd. als bedeutender Eisenstapelplatz das westliche Tor des Donaueisenhandels bildete und damit eine wichtige Vermittlungsrolle spielte. Die Teilnahme eines Mitglieds des Ulmer Zweigs der Ehinger (neben den Konstanzer Ehinger) an den Überseeunternehmungen der Welser legt Joh. Müller in kritischen Auseinandersetzungen mit Panhorst fest (1929, 1531). Einen wichtigen Ausschnitt aus der gewerbepolizeilichen Tätigkeit des Ulmer Rats berührt Hans Hasenöhrl mit seinen Ausführungen über die alten Schauordnungen des 14. und 15. Jhds., die die amtliche Überwachung des Produktionsprozesses und die Prüfung der fertigen Ware auf Güte und Preis regelten (1927, 1531). Als wertvollen Beitrag zur Ulmer Kultur- und Erziehungsgeschichte begrüßen wir Franz Müllers auch nach der literär- und bühnengeschichtlichen Seite hin aufschlußreiche Arbeit über die Ulmer Schulkomödie von ihren humanistischen Anfängen (Balticus) bis zu ihrem Ausklang im Anfang des 18. Jhds. (1927, 2086).


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