VI. Kultur- und Geistesgeschichte.

Das Jubiläum der Landesuniversität hat, wie anfangs erwähnt, Anlaß zur Abfassung einer stattlichen Reihe von Gelegenheitsschriften gegeben, unter denen sich erfreulicherweise recht wertvolle Arbeiten befinden. Die von J. Haller in amtlichem Auftrag bearbeitete Gründungs- und Frühgeschichte der Universität (1927, 2050), die jetzt nach dem Erscheinen der einen besonderen Band ausfüllenden »Nachweise und Erläuterungen« (1929, 2039) abgeschlossen vorliegt, gehört zu unsern bedeutendsten und förderndsten Werken über die Geistes- und Kulturgeschichte Württembergs im Zeitalter des Humanismus und der aufsteigenden Reformation. Der glänzend geschriebenen Darstellung tritt als überreiche Fundgrube für Einzelheiten zur Landes- und Ortsgeschichte, zur Kulturgeschichte von Studententum und Dozententum, für Personalien usw. der von unermüdlicher Kleinarbeit zeugende 2. Band zur Seite. Von einer Anzeige des 1. Bandes ausgehend, leitet der treffliche Kenner des deutschen Humanismus, P. Joachimsen, auf Grund einer eingehenden Würdigung der Persönlichkeit des Stifters der Hochschule und der in der Anfangszeit an ihr wirkenden Hauptvertreter von Scholastik und Humanismus die eigentümliche Stellung der Tübinger Universität innerhalb der geistigen Bewegung um die Wende vom 15. zum 16. Jhd. ab aus der für die Tübinger alles überragenden Bedeutung des Begriffs der »res publica christiana« und dem daher erwachsenden Streben, die geistigen Gegensätze der Zeit in einer höheren Einheit zusammenzuschließen (1929, 2040). Kleinere Einzelstudien, wie die von Stolz über die Patrone der Universität (1927, 2056) übergehen wir. Dagegen muß auf die für die Tübinger Universitäts- und Lokalgeschichte wie für die gesamtwürttembergische Kultur- und Geistesentwicklung am Ende des 16. Jhds. gleich ergiebige Quelle, die sich uns mit den von Göz und Conrad herausgegebenen Tagebüchern von Martin Crusius (1927, 2030)


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zu erschließen beginnt, nachdrücklich hingewiesen werden. Für die Kulturgeschichte des gleichen Zeitraums von Wert ist ferner eine kleine Studie von Schwaderer über Landschlösser, die der bekannte Landbaumeister Heinrich Schickard in durch italienische Vorbilder fast unbeeinflußter Weiterbildung deutscher spätgotischer Bauten im Gebiet des heutigen Württemberg erstellt hat (1927, 2032).

Zur Schulgeschichte liegt einmal eine von E. Schmid verfaßte, überaus stoffreiche Geschichte des Volksschulwesens im alten Württemberg bis 1806 vor, deren in einem umfangreichen Aktenstudium beruhender Wert leider durch das Fehlen von ausreichenden Einzelquellennachweisen erheblich beeinträchtigt wird (1927, 2088). Gute Fortschritte hat ferner die von der Historischen Kommission herausgegebene Geschichte des humanistischen Schulwesens gemacht; von dem in mehrere Unterteile zerfallenden dritten Band des großen Unternehmens, der der Geschichte des altwürttembergischen Gelehrtenschulwesens gewidmet ist, konnte der 1. Halbband mit der von Stahlecker und Fehleisen bearbeiteten Geschichte der Lateinschulen (1927, 2087) und der 1. Teil des 2. Halbbands mit der umfassenden, von G. Lang herrührenden Geschichte der Stuttgarter Gelehrtenschule bis 1806 (1928, 1568) erscheinen. Von Einzelarbeiten heben wir die Studie E. Feuchts über den Pestalozzianhänger Karl August Zeller hervor, dessen kurzes Wirken in Württemberg (1808/09) wesentlich zur Neuorganisation des Elementarschulwesens und zur Einführung der Grundgedanken Pestalozzis in das württ. Schulleben beigetragen hat (»Carl August Zeller, ein württ. Pestalozzianer [1774--1846]«, Stuttgart, Bonz 1928); weiter eine kleine, von bewußt katholischem Standpunkt aus, aber mit dem Streben nach Sachlichkeit geschriebene Geschichte der württ. Schulpolitik seit den Anfängen des neuen Königreichs aus der Feder von L. Baur (»Die württ. Schulpolitik im 19. Jahrh.«; Ehingen 1928).

Für unsere Kenntnis des kulturellen Lebens im 18. Jhd. im allgemeinen wie insbesondere des freimaurerischen Ordens der Strikten Observanz und der in diesem Orden und verwandten Bestrebungen sich kreuzenden Einflüsse von Aufklärungsideen, Rosenkreuzerei und alchymistischem Aberglauben sind von hohem Wert die von G. Lang auf Grund langjähriger Quellen- und Archivstudien entworfenen Lebensbilder des 1776/1823 in Heilbronn wohnenden fürstlichen Schwarmgeists Ludwig von Hessen-Darmstadt, des sein Vertrauen schmählich mißbrauchenden Abenteurers Gottl. von Gugomos, des klugen und geschäftstüchtigen Stuttgarter Hofrats Eberhard von Wächter und des geistig bedeutenden Heilbronner Senators und Bürgermeisters von Roßkampff, die alle in der Geschichte der deutschen Freimaurerei während der letzten drei Jahrzehnte des 18. Jhds. eine wichtige Rolle spielen. Auf das geistige Leben in Heilbronn fällt manches interessante Streiflicht, zumal das Treiben Prinz Ludwigs zeitweilig die Stadt auch in politische Auseinandersetzungen mit Württemberg hineingeführt hat (G. Lang »Aus dem Ordensleben des 18. Jhds. Typische Vertreter der Strikten Observanz ... Archivstudien herausg. von der Heilbronner Loge zum Brunnen des Heils«; Heilbronn, Salzer 1929).


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