VII. Kirchengeschichte.

Nennenswerte Beiträge zur ma.lichen Kirchengeschichte Württembergs sind in den Berichtsjahren nicht erschienen; wir können im Vorbeigehen nur hinweisen auf Mettlers Schrift über die Hirsauer und Kluniazenser Klosterkirchen, die zwar ausgesprochen kunstgeschichtlicher Natur


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ist, aber auch für die Ordensgeschichte Wichtigkeit besitzt (1927, 1971), auf die Veröffentlichung der von Luthers Lehrer Staupitz 1497 oder 1498 in Tübingen gehaltenen Predigten (1927, 1876) oder auf die Stolz schen Ausführungen über die ins J. 1493 zu verlegende Heiliglandfahrt Ludwigs von Württemberg, eines natürlichen Sohns Graf Eberhards d. Ä. (1927, 2056).

Reicher wird die Ausbeute von der Reformationszeit an. Über den württ. Reformator Brenz erfahren wir aus zwei von Buder veröffentlichten »Bedenken« (1928, 1428), daß derselbe Mann, der für sich persönlich jeden Kompromiß mit dem verhaßten Interim abschlug, sehr wohl Verständnis hatte für die Zwangslage der Herzoge Ulrich und Christoph und sich bereit fand, ihnen einen Weg zu zeigen, auf dem sie bei der Durchführung des Interims zur Errettung ihrer Herrschaft dem Kaiser Gehorsam erweisen konnten, ohne sich gegen die ihnen vom Gewissen diktierte Erhaltung der reinen Lehre zu vergehen. -- In seinem Vortrag über die Geschichte der Wiedertäufer verschiedener Observanz und der Schwenkfeldischen Bewegung in Württemberg bis zum Anfang des Dreißigjährigen Kriegs, der sich auf die von dem verstorbenen Kirchenhistoriker G. Bossert d. Ä. angelegte und seitdem für die Veröffentlichung in den »Urkunden der Täuferbewegung« eifrig ergänzte württ. Materialsammlung stützt, legt G. Bossert d. J. (1929, 1916) besonderen Nachdruck auf die Klarlegung der inneren Gegensätze, die zwischen den Täufern selbst (Huterern bzw. Mährischen Brüdern und Schweizer Brüdern) sowie diesen und Schwenkfeld bestanden, und der von weltlicher wie geistlicher Obrigkeit gegen sie angewandten Bekämpfungsmethoden in ihrem geschichtlichen Wandel. B. zeigt, daß man in Württemberg unter Brenz' Einfluß bei aller Entschiedenheit des Vorgehens doch von Verhängung der Todesstrafe und allzuhäufigem Gebrauch der Tortur abgesehen, aber zum Schluß aus der Verwaltung des konfiszierten Täuferguts ein staatliches Finanzgeschäft gemacht habe; mit Recht bezeichnet er die Untersuchung der Frage, inwieweit die gemäßigteren Schweizer Brüder und die ruhigen Schwenkfelder als Wegbereiter für den Pietismus anzusehen sind, als eine wichtige Aufgabe der kirchengeschichtlichen Forschung. Einen Ausschnitt aus dem Kampf, den Herzog Christoph und seine Räte gegen die Schwenkfelder führten, enthüllen uns Schottenlohers Mitteilungen über den von der württ. Zensur veranlaßten Vorstoß gegen die 1558 in Pforzheim gedruckte Postille des Schwenkfeldanhängers Johann Werner (Zs. f. die Gesch. des Oberrheins N. F. 42, S. 400 ff.). -- Das rasche Vordringen der lutherischen Richtung in der württ. Reformation offenbart sich nach K. Müller (1927, 1878) bei einem Vergleich der ältesten reformatorischen Gottesdienstordnung aus der Zeit Herzog Ulrichs, die noch durchaus mit Zwinglischen Gedanken erfüllt ist, mit den Ordnungen Herzog Christophs, die bereits dem Wittenberger Einfluß mit seiner konservativen Hinneigung zu den Bräuchen der alten Kirche große Zugeständnisse machen; M. weist jedoch darauf hin, daß gerade in der Landeskirche die anfängliche Schlichtheit der gottesdienstlichen Formen stärker erhalten geblieben ist als in den Kloster- und Hofkirchenordnungen, daß z. B. nie die für das Gebiet der Wittenberger Liturgie bezeichnende enge Verbindung von Musik und Gottesdienst durchgedrungen ist. Daß überhaupt in der Geistlichkeit und auch im Volk lange eine gewisse dem Kalvinismus freundliche Unterströmung vorhanden war und öfters bei besonderen Vorfällen der staatskirchliche Zwang mit allem Nachdruck gegen sie


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eingesetzt werden mußte, zeigt der verstorbene Prälat Kolb in einem offenbar nicht ganz ausgearbeitet hinterlassenen, aber lesenswerten Aufsatz (1928, 1455), der die Auseinandersetzungen zwischen lutherischer Orthodoxie und Kalvinismus bis zur Einführung der Abendmahlsgemeinschaft (1827) an der Hand neuer Zeugnisse verfolgt; im ganzen fällt dabei auf die Kampfweise der lutherischen Streittheologen von J. Andreä an, auf ihr Anrennen gegen alle durch die Not der Zeit diktierten Unionsversuche ein wenig günstiges Licht. -- Bei aller Anerkennung der vorreformatorischen Leistungen macht eine auf den einschlägigen Arbeiten von Bossert, Ernst und Fritz aufgebaute Untersuchung von F. Allweyer (1929, 1913) deutlich, daß auch in Württemberg die Reformation um den Neuaufbau eines stark staatlich beeinflußten Armenwesens sich große und bleibende Verdienste erworben hat und selbst für die neuere Entwicklung damit richtungweisend geblieben ist. -- Ausführungen Basslers über den bekannten zweiten evangelischen Abt von Hirsau, Johann Parsimonius (1569--1588) (1927, 1880) beleuchten an einem Einzelbeispiel die Feststellungen Kolbs über die unklare Zwitterstellung der württ. Prälaturen (vgl. Jberr. 1925, S. 609) und die Kämpfe und Schwierigkeiten, die sich daraus ergaben.

Von der schon in den früheren Berichten rühmend hervorgehobenen, weit angelegten Arbeit von F. Fritz über die württ. Pfarrer im Zeitalter des Dreißigjährigen Kriegs sind neue umfangreiche Folgen erschienen (1927, 1877; 1928, 1456; 1929, 1914). Die Schilderung der geistigen Welt des Pfarrstandes wird mit einer Darlegung seiner Stellung zur weltlichen Obrigkeit abgeschlossen; es folgen dann ein Bericht über die Kriegsschicksale der einzelnen Pfarrer und als besonders wichtiger Abschnitt die Darstellung der Gegenreformationsversuche, die nach dem Restitutionsedikt und stärker nach der Nördlinger Schlacht zuvörderst über die Klosterämter und die vom Kaiser an Parteigänger und Angehörige vergabten Gebiete hereinbrachen (vgl. vor allem die bisher unverwertete Akten des bayer. Staatsarchivs ausschöpfenden Ausführungen über die Vorgänge in dem an Bayern vergabten Amt Heidenheim). Weiterhin berichtet F. über die praktische Amtsführung, über die Regelung von Anstellungs- und Amtsfähigkeit, die einen nicht immer erfreulichen Einblick in die kirchliche Bürokratie geben, über die nur teilweise günstigen Erfahrungen mit fremden, in den Kirchendienst übernommenen Konvertiten, über die Handhabung der Kirchenzucht usf. Im Gegensatz zu der bisher herrschenden Auffassung fällt er ein recht günstiges Urteil über die seelsorgerische Tätigkeit der Orthodoxie. Die ergebnisreiche Arbeit beweist, wie wertvoll eine systematische Aufschließung nachgeordneter Quellengattungen (Kirchenbücher, Leichenpredigten) sein kann; wenn manchmal auch die allzu starr schematische Gliederung des Stoffes Zerreißung zusammengehöriger Dinge und mancherlei Wiederholungen nach sich zieht, so wächst sich das Ganze doch zu einer Kulturgeschichte der württ. Kirche des 17. Jhd. aus, wie sie wohl kaum ein anderes Land aufzuweisen haben dürfte. Als dankenswerte Nebenfrucht dieser Studien veröffentlicht F. eine Schilderung des Wirkens Valentin Andreäs im württ. Kirchendienst, seiner Verdienste um den Wiederaufbau von Kirche und Schule nach der schweren Kriegszeit (1928, 1457). Kurz sei noch auf die von F. Breining aus der Registratur des Dekanats Neuenstadt a. Kocher ausgehobenen Beiträge zur kirchlichen Volkskunde und Kulturgeschichte hingewiesen, die z. T. recht lehrreich sind (1929, 1915).


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Den als versegewandten Liederdichter wie als Liebhaber der Naturwissenschaften, als Wegbereiter des Halleschen Pietismus und der Ostindischen Mission, als Anhänger J. H. Franckes und Freund des bekannten Theologen Bengel gleich beachtenswerten Konsistorialrat, späteren Denkendorfer Propst und württ. Generalsuperintendenten Philipp Heinrich Weißensee ( 1673--1767) nimmt Lempp in einem sorgfältig ausgearbeiteten Lebensbild (1927, 1879) gegen die Anwürfe in Schutz, die ihm aus seinen Beziehungen zum Hof Herzog Karl Alexanders und zu Jud Süß erwuchsen und die noch heute sein Andenken belasten. L. zeigt, daß man ihm allerhöchstens eine gewisse äußerliche Unvorsichtigkeit in dem für ihn als Konsistorialrat und Mitglied des engeren ständischen Ausschusses unvermeidbaren Verkehr mit den der öffentlichen Meinung verhaßten Personen nachsagen kann.

Zur Geschichte der Kirchengutverwaltung liegt neben einer den Standpunkt der Kirche verteidigenden Ausführung des Schulhistorikers E. Schmid über die Beitragspflicht des Kirchenguts zu den Schullasten (Blätter für württ. Kirchengeschichte N. F. 32, S. 205 ff.) eine Studie Th. Knapps über die nicht durchweg erfreuliche Entwicklung der 1824/27 wegen ihrer ungünstigen Finanzlage aufgelösten Balinger »Heiligenvogtei« vor (1929, 1917), die wie eine parallele Einrichtung im Amt Rosenfeld durch gemeinsame Verwaltung der Kirchenvermögen der einzelnen Landorte im Amt (der sog. »Heiligen«) eine bessere und gerecht ausgleichende Erfüllung der den Einzelkirchen obliegenden Aufgaben verbürgen sollte und ihre Wurzel in einer im 16. Jhd. nachzuweisenden Konfraternität der »Heiligen« hatte.

Den Sektenbewegungen des 19. Jhds. gelten zwei größere Arbeiten. Fritz verfolgt den an seltsamen Zwischenfällen reichen ersten Vorstoß des Methodismus nach Württemberg (1830--1860), der in seinen drei Spielarten durch zurückgekehrte Auswanderer aus den angelsächsischen Ländern eingeschleppt wurde (1927, 1881), und seine Auswirkungen auf Kirche und Staat (Dissidentengesetzgebung von 1872). Die Gründung der württ. Brüdergemeinden Korntal und Wilhelmsdorf (1819 u. 1824) hingegen ist aus der Gedankenwelt des württ. Pietismus erwachsen unter befruchtender Einwirkung herrenhutischer Vorbilder; sie sollten, wie Th. Steimle (1929, 1600) ausführt, Mittel und Wege zeigen, wertvolle Kräfte, die lediglich staatskirchlicher Gewissenszwang zur Auswanderung trieb, der Heimat zu erhalten. St. weist überzeugend nach, daß von eigentlich kommunistischen Unternehmungen hier nicht die Rede sein kann, daß aber der Gedanke der solidarisch haftenden christlichen Gemeinschaft sich in einer überaus glücklichen, die Interessen der Gesamtheit voranstellenden Boden- und Wirtschaftspolitik ausgewirkt habe, dank deren schließlich nach harten Kämpfen beide Gründungen sich als blühende Gemeinwesen erhalten konnten; die Eingliederung in die staatlich und wirtschaftlich organisierte Umwelt vollzog sich nach langen Krisen und Reibungen in gesunden Formen, wenn auch unter Preisgabe mancher den Siedlern teuerer Ideale und Einrichtungen.

Das Jubeljahr des Rottenburger Bistums hat den schon durch die grundsätzlichen Auseinandersetzungen der letzten Jahre eröffneten Strom von Schriften zur Geschichte des Katholizismus und der katholischen Kirche in Württemberg während des 19. Jhds., vor allem während der entscheidenden Entwicklungs- und Kampfjahrzehnte zwischen 1806 und 1862, erheblich verbreitert;


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nach der geistesgeschichtlichen Seite wird dieses Schrifttum ergänzt durch eine Reihe von Arbeiten zu der mit der Entwicklung des Bistums eng verbundenen Geschichte der katholisch-theologischen Fakultät, die zum Universitätsjubiläum erschienen sind.

Die Rottenburger Monatsschrift für praktische Theologie hat zum Jubeljahr aus den Federn bewährter Mitarbeiter wie Zeller, Lösch, Willburger, Stiegele, eine Folge kurzer Artikel veröffentlicht, die einen guten Überblick über die Geschichte der Diözese von den Tagen der Säkularisation an bis zum Tod des zweiten Bischofs Lipp (1869) vermitteln (1927, 1775--1780). In die Ellwanger Jahre (1812--1817) des 1812 als Vorläufer des Bistums vom Staat ziemlich eigenmächtig errichteten Generalvikariats vermittelt uns überdies Zeller nähere Einblicke, freilich nur um damit den zeitgeschichtlichen Rahmen zu schaffen für die Veröffentlichung der interessanten Selbstbiographie des Geistl. Rats Dr. von Mets, der, Josephiner und Anhänger der maßvollen und kirchentreuen Richtung der Aufklärung, zuerst als geschätzter Mitarbeiter Wessenbergs in Konstanz, dann als Hauptstütze des Generalvikars Hohenlohe in Ellwangen wirkte (1928, 1370). Eine Art Fortsetzung hierzu bildet ein weiterer Aufsatz des gleichen Verfassers über die Errichtung der Katholisch-theologischen Fakultät, der in dem von der Fakultät zum Universitätsjubiläum herausgegebenen Sonderheft der Theolog. Quartalschrift (1927, 2052) erschienen ist (1927, 2055). Er schildert auf Grund der Akten die Verhandlungen, die im Zusammenhang mit der Übertragung des Generalvikariats und des Priesterseminars nach Rottenburg (1817) zur Verlegung der 1812 in Ellwangen gegründeten sog. »Friedrichs-Universität« nach Tübingen und zu ihrer Eingliederung als Fakultät in den dortigen Universitätskörper geführt haben. Einzelne Irrtümer Zellers berichtigt Stiegele (1927, 1778).

Die Neuordnung des katholischen Pfarreiwesens, die mit der Durchführung der Säkularisation als einer der ersten Schritte zum Aufbau eines besonderen katholischen Kirchenkörpers für Württemberg dringend notwendig wurde, behandelt M. Miller (1929, 1813). M. zeigt, wie die unverkennbare Absicht des Kurfürsten und späteren Königs Friedrich, den Ansprüchen der katholischen Gebiete Neuwürttembergs auf ausreichende kirchliche Versorgung gerecht zu werden, durch das fiskalische Bestreben, auch die durch den Reichsdeputationshauptschluß geschützten örtlichen Kirchenvermögen und Pia Corpora -- wie die Stifts- und Klostervermögen selbst -- zur Verfügung des Landesherren zu stellen, nicht zur vollen Auswirkung kam. Im Kampf gegen die ganz ungenügenden Pfründendotationen, die bei der Behandlung der früheren Klosterpfarreien sowohl wie bei der Begründung neuer Pfarreien für katholische Minderheiten geschaffen wurden, hat sich, wie M. betont, der wegen seiner kirchen- und religionspolitischen Haltung viel angefeindete Katholische Kirchenrat große Verdienste erworben.

Im Ringen mit dem staatskirchlichen System, das auch in Württemberg zunächst die katholische Kirche und ihre Einrichtungen umklammert hielt, wurden anfangs, wie C. Bauer in seiner flott geschriebenen, Akten und Tagesliteratur freilich nicht voll ausschöpfenden Untersuchung über den politischen Katholizismus in Württemberg bis zum J. 1848 darlegt (1929, 1814), die Katholiken durch die inneren Kämpfe gelähmt, die sie im eigenen Lager auf dem Boden der Wissenschaft und der Kirchenpolitik mit den Mächten der Aufklärung


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und ihren Vertretern zu führen hatten; B. meint, daß sie eben deshalb nicht zur Herausbildung einer über rein gefühlsmäßige Stellungnahme hinausführenden klaren Tradition und eines positiven politischen Programms gelangten und so innerlich uneins von den Stürmen der Revolution überrannt wurden. A. Hagen, dessen kritische Äußerungen zu B.s Buch (Rottenburger Monatsschrift 12, S. 306 ff.) sehr zu beachten sind, führt dann die Schilderung dieses Kampfes zwischen Staat und katholischer Kirche weiter von der 1848 einsetzenden neuen Sammlung der katholischen Kräfte an über die Konkordatdebatten des J. 1857 bis zur Feststellung der staatlichen Kirchenhoheit durch das im übrigen den katholischen Wünschen weithin Rechnung tragende Landesgesetz zur Regelung des Verhältnisses der Staatsgewalt zur katholischen Kirche vom 30. 1. 1862; seine gründlich gearbeiteten, alles erreichbare Material verwertenden Ausführungen (1928, 1371), die allerdings an einer hemmenden Aktengebundenheit und etwas zu breit geratenen Anlage leiden, bringen viel Neues, namentlich auch zu unserer Kenntnis des Ministers Rümelin und seines Gegenspielers Bischof Lipp.

Die katholisch-theologische »Tübinger Schule«, deren große Bedeutung für die von ihnen geschilderten Kämpfe Bauer wie Hagen nachdrücklich betonen, und ihre Verdienste um die katholische Theologie behandelt K. Adam in einer von hoher Warte aus geschriebenen warmen Würdigung (1927, 2054). Eine wichtige Quellensammlung zu ihrer Geschichte legt Stephan Lösch mit seiner umfassenden Akten- und Briefsammlung zum Leben Johann Adam Möhlers vor, die den ersten Band einer größeren Möhler gewidmeten Publikation bildet (1928, 1357).


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