C. Bayrische Geschichte vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart

Clauß ( 1899) befaßt sich mit der Frage der Besiedelung der Ansbacher und Gunzenhäuser Gegend, welche veranlaßt war durch die religiösen Wirren, im besonderen durch die große Verödung des fränkischen Kriegsgebietes in der ersten Hälfte des 17. Jhds. Die Quellen fließen, wie Clauß glaubhaft angibt, spärlich. Die wichtigste Unterlage boten die Kirchenbücher der Pfarrgemeinden der beiden heutigen Dekanatsbezirke Ansbach und Gunzenhausen. Freilich kann der Verfasser keinen genauen und absolut zuverlässigen Überblick geben, da die Kirchenbücher, wie verständlich, in der damaligen unruhigen Zeit unvollständig geführt sind und teilweise überhaupt fehlen. Besonders schlimm liegen


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die Verhältnisse in dieser Beziehung im Ansbacher Gebiet. Als frühestes »sicher bezeugtes Einwanderungsjahr« hat der Verfasser das Jahr 1637, und zwar für das Ansbacher Gebiet festgestellt. Die weitüberwiegende Mehrzahl der Einwanderungen fällt in die zweite Hälfte des 17. Jhds.

Die nächsten Schriften sind wirtschaftsgeschichtlicher Art. Zwei Bearbeiter hat der Ludwig-Donau-Main-Kanal in seiner historischen und volkswirtschaftlichen Bedeutung gefunden ( 1497). Abschnitt 1--3 dieses Buches ist von Brüschwien, 4--6 von Held bearbeitet. Der 1. Teil entwickelt historisch den Gedanken einer Rhein-Main-Donau-Verbindung, der 2. Teil verfolgt die Rhein-Main- Donau-Verbindung in ihrer neuesten Entwicklung. Das Thema ist aktuell, Held ist der Sohn jenes bayrischen Ministerpräsidenten, der wie kein anderer sich für dieses Projekt, das König Ludwig I. so sehr zu vollenden gewünscht hatte, eingesetzt hat. Ludwigs Name ist auf ewige Zeiten mit diesem Werk verbunden. Von der alten Fossa Carolina führt uns die Arbeit herauf über das 17. Jhd., in welchem die Kanalidee wiederum auftauchte, zum 19. Jhd., der Zeit der beginnenden Verwirklichung. Schade, daß der Verfasser des ersten Teiles die wertvollen Vorakten des Geheimen Hausarchivs München nicht benützt hat. Sie würden der geschichtlichen Seite der nationalökonomisch ausgezeichneten Arbeit eine wesentliche Bereicherung gebracht haben. Ministerium und königliches Kabinett haben in langen Verhandlungen zu dem Projekt Stellung genommen. Der 1. Teil des gemeinsamen Werkes schließt mit einer Kritik des Ludwig-Donau-Main-Kanals, welche die drei Hauptgründe aufzeigt, die zum Verfall der Wasserstraße gegen Ende des 19. Jhds. führten. Der 2. Teil behandelt den bayerischen Kanalverein, und zwar die Gründungsgeschichte desselben und seine Leistungen, sodann die Gründungsgeschichte des größeren Main- Donau-Stromverbandes und dessen Leistungen und endlich die letzte große Entwicklungsstufe: die Rhein-Main-Donau-A.-G. Reiches, aus gründlicher Kenntnis geschöpftes Quellenmaterial, wertvolle, sonst mühselig zusammenzutragende tabellarische Übersichten und erschöpfende Darstellung der einzelnen Vorgänge zeichnen diesen Teil aus. Ein reicher Bilderanhang veranschaulicht das Werden historisch im 19. und 20. Jhd. -- Die staatswissenschaftliche Doktorarbeit von Bayerlein ( 1599) gibt zunächst einen kurzen Überblick über die Geschichte der Baumwolle und der Baumwollindustrie, über ihre hauptsächlichsten Erfindungen und ihr Alter. Die Bedeutung der Baireuther Baumwollindustrie in der Zeit von 1806--10, also in der Zeit der Napoleonischen Besetzung, ist das Hauptthema. Ein 1. Kapitel befaßt sich mit der wirtschaftlichen Lage des Fürstentums in diesen 5 Jahren überhaupt. Wertvolles tabellarisches und statistisches Material veranschaulicht die Darstellung. Der 2. Teil befaßt sich mit der Gewerbepolitik und deren Wirkung aufs Baireuthische unter preußischer Verwaltung (1792--1805), unter napoleonischer Hoheit (1806--10) und in den ersten Jahren der Zugehörigkeit zu Bayern seit 1810. Das größte, 3. Kapitel behandelt dann den Kern des Ganzen, um welchen sich das übrige rankt: die Entwicklung der Textilindustrie im Baireuther Gebiet. Eingeleitet wird dieser Abschnitt durch einen Überblick über die Textilmanufaktur seit dem Aufkommen in Deutschland bis zum J. 1790 und durch die Entwicklung derselben unter preußischer Herrschaft. Den Hauptteil dieses Kapitels bildet dann die Aufzeigung der Lage während der französischen Besetzungszeit, und zwar vor und nach Einführung der Kontinentalsperre. Die


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5 Jahre enden mit einem wirtschaftlichen und politischen Chaos, auch für Baireuth; die Angliederung an Bayern hat erst in jahrzehntelanger Entwicklung langsamen Aufschwung gebracht. Die Aufhebung der Kontinentalsperre 1814 ließ »die sich allmählich mehr und mehr entwickelnde deutsche Baumwollmanufaktur schwere Zeiten erleben«. Die Preise sanken um etwa 60--70% infolge der Überschwemmung des deutschen Marktes mit englischen Waren. Die Arbeit ist getragen von gesundem Urteil, tüchtigem Wissen und berechtigtem Stolz eines jungen Mannes, der selbst einer der noch heute führenden Firmen dieser Baireuther Industrie angehört. Diesem Unternehmen widmet er 16 Seiten zum Abschluß der Arbeit. -- Für das benachbarte Nürnberg schrieb P. Wiesner ( 1598) eine ähnliche, weiter ausgreifende wirtschaftsgeschichtliche Abhandlung. Er versteht unter den »Anfängen der Nürnberger Fabrikindustrie« im wesentlichen die Zeit von 1806--1852. Ein kurzer Überblick über die Verhältnisse vor 1806 stützt sich auf Literatur, die in der vorliegenden Materie veraltet und ungenügend ist. Die großen wirtschaftsgeschichtlichen Aktenaufnahmen der Stadt Nürnberg, ein Gegenstück zu der jüngst erschienenen großen Geschichte der reichsstädtischen Außenpolitik von Eugen Franz, werden hierüber wesentlich Neues zu sagen haben. Die Hauptzeit teilt der Verfasser, der selbst Sohn eines Nürnberger Handwerksmeisters ist und mit sichtlicher Liebe zur Sache sich in die Einzelheiten vertieft hat, nach folgender Zeitgruppierung ein: den ersten Abschnitt von 1806--18, sodann die Periode von der Einführung der bayerischen Verfassung bis zur Gründung des deutschen Zollvereins und endlich den ersten Aufschwung der Fabrikindustrie in den dreißiger und vierziger Jahren (1834--52). Sehr übersichtlich läßt sich der Stoff wohl nicht darstellen, um so wertvoller ist es, daß der Verfasser ein genaues Sach- und ein Personenregister sowie ein Straßenverzeichnis von Nürnberg der Dissertation beigefügt hat. Die für Nürnberg wichtigsten Industrien sind im Laufe der einzelnen Zeiträume nach sachlicher Bedeutung, Auswertung, darin tätigen Personen mit Zuhilfenahme ausführlicher Tabellen untersucht. Ein Schlußkapitel, welches die Lage der Fabrikarbeiter in der ersten Hälfte des 19. Jhds. berücksichtigt, könnte noch erweitert werden, beruht teilweise auf Archivgut, teilweise auf Literatur, ist aber in seiner Zusammenfassung doch auch in dieser kurzen Form zur raschen Orientierung in vielen Fällen brauchbar. --

Mit Ludwig I. befassen sich die drei nachfolgend besprochenen Abhandlungen: Marie Freiin von Redwitz ( 951) berichtet in einem kurzen, lebendig und feinsinnig geschriebenen Aufsatz über die Verlobung des Kronprinzen Ludwig von Bayern mit der Großfürstin Katharina von Rußland. Zar Paul III. war auf Bayern erzürnt, weil das bayerische Priorat des Malteserordens, dessen Großmeister der orthodoxe Zar werden wollte, nach den Statuten jedoch nicht werden konnte, seinen Herzenswunsch abgelehnt hatte. Aber die russische Freundschaft war gerade um die Wende des 18. zum 19. Jhd. für einen Staat wie Bayern wichtiger, als Rücksichten auf veraltete Orden, und so kam der neue Kurfürst Max IV. Joseph dem Zaren in dieser Frage entgegen; gleichzeitig wurde der Versuch unternommen, dem Kurprinzen Ludwig, nachmaligem König Ludwig I., die zweitjüngste, damals elfjährige Zarentochter Katharina als Gattin zu gewinnen. Lange schien es, als sollte diese russische Heirat zustandekommen. Sie hätte in der Politik vielleicht von Bedeutung werden können. Entscheidend für das Mißlingen der Heirat war die Politik, im besondern


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des Zaren Alexander bzw. der Zarin-Mutter, mehr noch der Widerspruch Napoleons. Nur eines bedauert der Forscher bei dem kurzen, aber wertvollen Beitrag zur fürstlichen Familienpolitik des beginnenden 19. Jhds.: das Fehlen jeder Fußnote, jedes Einzelquellennachweises. -- Winfried Freiherr von Pölnitz ( 2068) hat mit seiner Arbeit über Ludwig I. von Bayern und Johann Martin Wagner auf Grund der Korrespondenzen des Königs mit dem Künstler -- die umfangreichste der erhaltenen Künstlerkorrespondenzen Ludwigs I. -- einen tiefen Einblick vermittelt in das künstlerische Sammelschaffen des Königs. Dadurch, daß Wagner als unermüdlicher, gewissenhafter Agent Ludwigs fast 50 Jahre in Rom wirkte, die meisten Ankäufe durch seine Hand gingen, dadurch ferner, daß er in 911 Briefen an den König wöchentlich genau Bericht erstattet über alle Möglichkeiten und Vorgänge, gibt diese Korrespondenzauswertung zugleich ein weites Bild vom europäischen Kunstleben überhaupt. Die Arbeit von P. ist von der Universität in München preisgekrönt. Neben den erwähnten Briefen Wagners an den König bot eine reiche Materialfundgrube die Wagnersche Universitätsstiftung in Würzburg. Dort befinden sich auch die 554 Antwortbriefe des Königs an Wagner. Daneben hat P. auch minder ergiebige verstreute Quellen ausfindig gemacht. -- Hubert Bastgens ( 995) Wiedergabe einiger Nuntiaturberichte aus dem Jahre 1829 verdient insofern Erwähnung, als darin der Münchener Nuntius, Graf d'Argenteau, gegenüber Kardinalstaatssekretär Albani zu einem historisch interessanten Thema sich äußert. Aber es hätte sich aus diesen Angaben viel mehr machen lassen, wenn der Forscher etwas weiter gegangen wäre und sie in einer Weise ausgebeutet hätte, die den vielversprechenden Titel »Ludwigs I. von Bayern 'Liberalismus' und 'Jesuitenfurcht'« wirklich gerechtfertigt hätte. Solche Miszellen gewinnen erst, wenn der Verfasser sich nicht auf die bloße Wiedergabe beschränkt, sondern Stellung nimmt. B. ist gewiß dazu in der Lage. Warum hat er es nicht getan? Der Anführung der Berichte des Nuntius in indirekter Rede folgt lediglich ein Schlußsatz: »In Rom wußte man auch keinen besseren Rat: die Zeit, die Umstände, günstige Gelegenheiten könnten vielleicht ein Mittel darbieten.« Eine Kritik des Nuntiaturberichtes sowie der Haltung des Königs fehlt leider. Sie wäre mit das Wichtigste gewesen. -- Wie bei der eben erwähnten Miszelle beschränkt sich Bastgen ( 1812) auch in seiner Studie über die Kurie und König Ludwig I. von Bayern gelegentlich der Besetzung der Würzburger Dompropstei 1838 auf vatikanische Aktenstücke. So wertvoll das Material ist, so möchte man doch in solchen Fällen auch die korrespondierenden Akten der staatlichen Archive kennenlernen. Es gab damals eine beträchtliche Anzahl Kandidaten für dieses geistliche Amt. Schließlich war es ein Kampf um den vom Würzburger Bischof vorgeschlagenen Domherrn Leiniker, -- während der Münchener Nuntius Santarelli zunächst eine Reihe anderer Männer in Rom empfohlen hatte. Der König dagegen schlug Allioli vor, eben jenen Mann, den Santarelli selbst gegenüber dem Kardinalstaatssekretär Lambruschini schon am 8. Juni 1838 vorgeschlagen hatte. Aber bereits am 10. Juni hatte der Papst sich für Leiniker entschieden. Daraus entsteht der im einzelnen geschilderte Konflikt zwischen staatlichen und kirchlichen Interessen und Ansprüchen. Die Kurie, die dem König weger seiner Haltung in den Kölner Wirren sich verpflichtet fühlte, fand schließlich den Ausweg: Leiniker erhielt Würzburg, Allioli aber die inzwischen freigewordene Propstei zu Augsburg. --

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Zwei Studien, die sich mit religiös-kirchlichen Dingen befassen, sind herauszuheben: H. Gürsching ( 1906) unterscheidet zwei Werdeformen von Konsistorien: solche, welche rein jurisdiktionelle Behörden waren und solche, welche »aus dem Geist landeskirchlicher Verfassungsgrundsätze geboren« wurden. 1528 ist eines der Schlüsseljahre der Ansbacher Kirchenverfassung; damals wurde die bisher nach 4 katholischen Bistümer zerspaltene kirchliche Verwaltung durch eine einheitliche evangelische Kirchenverfassung auf territorialer Basis abgelöst. So mußte auch die kirchliche Ehegerichtsbarkeit nunmehr in territorialem Sinn geregelt werden. Ein »kirchenregimentliches« Konsistorium -- zu dem Karg, ohne es zu beabsichtigen, den Grund legte -- wird erst nach sehr verwickelten jahrzehntelangen Vorbereitungen mit wichtigen Gutachten, wobei Regierungsinteresse und kirchliches Interesse, wie begreiflich, nicht immer harmonieren, im J. 1580 gegründet. Das Gumbertusstift ist aus finanziellen Gründen die Basis dieses neuen Konsistoriums. -- Die Studie von Wilhelm Wühr ( 1811) befaßt sich mit der interkonfessionellen Bibelanstalt zu Sulzbach, die ihr Vorbild in der British and Foreign Bible Society hatte. Der Verlagsbuchhändler J. E. Seidel hat sie mit großen materiellen Opfern gegründet und bis zur Mitte des Jahrhunderts durchgehalten. Leibnizsche Unionsgedanken in neuer Aufmachung scheinen mir dabei influenzierend gewirkt zu haben. Das Institut hatte, wie begreiflich, gegen wachsenden Widerstand der staatlichen und kirchlichen Behörden zu kämpfen. Die Zusammenhänge des Unternehmens mit Sailer, Wittmann und anderen bedeutenden Persönlichkeiten des damaligen Geisteslebens sind teilweise klargestellt, teilweise wenigstens angedeutet.

Die Abhandlung von Eugen Franz ( 1013) über den Einfluß Wilhelms von Doenniges auf König Max II. in der Deutschen Frage bringt völlig neues Material über die Politik Bayerns in den Jahren 1848--55, im besonderen über die von Doenniges schon dem Kronprinzen eingeimpften Anschauungen, über die Haltung des Königs während der Revolution, sodann gegenüber dem Frankfurter Parlament, den preußischen Reformbestrebungen, den preußisch-österreichisch-deutschen Verhandlungen über die Erneuerung des Zollvereins, über die Dresdener Konferenzen, über die Wiederannäherung Bayerns an Preußen seit der Thronbesteigung Napoleons III. Ein bisher kaum gestreiftes Kapitel bayerischer Politik in ihrem spezifischen Zusammenhang mit Preußen wird hier aufgeschlagen. Doenniges wird als der Regisseur der königlichen Politik in den ersten 7 Herrschaftsjahren seines königlichen Freundes mit schlagenden Beispielen nachgewiesen. Von besonderem Interesse dürfte die Gegenüberstellung des norddeutschen allmächtigen Beraters und des einflußreichen, langjährigen Ministers Ludwig Freiherrn von der Pfordten sein. --

Die Literatur über Ludwig II. ist neuerdings angewachsen. Wenn in der Einführung zu des Franzosen Guy de Pourtalès ( 1109) Buch »König Hamlet -- Ludwig II. von Bayern« von J. Bainvilles »trefflicher Studie über L. II. von Bayern« von seiner »gründlichen Arbeit« gesprochen wird, so darf ich auf die Kritik der veralteten Auffassungen Bainvilles in meiner früheren Besprechung (Jberr. 3. Jahrg., S. 589) hinweisen. P. hat nicht neues Material ergründet, sondern baut auf den Büchern von G. Böhm, Georg Wolf, Fritz Linde, Luise von Kobell, Karl v. Heigel, Glasennapps Wagner-Biographie, Ferd. Bac und nur einigen unveröffentlichten Briefen Richard Wagners und L.s II. auf. Das Buch ist der Schlußstein einer »Romantischen Trilogie«, die P. geschrieben


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und die er unter die Formel bringt: »Liszt symbolisiert die Liebe, Chopin den Schmerz und L. II. die Illusion.« Noch zwei für die geistige Haltung des Verfassers bezeichnende Sätze seien erwähnt: »Wer möchte entscheiden, ob nicht zufolge unserer Krankheiten unser Leben erst wahrhaft lebenswert erscheint?« und ferner: »Die Illusion (wird) uns immerdar das ästhetischste Verhalten zur Wirklichkeit vermitteln.« P. hat jedenfalls für sich die vornehme, entschuldigende Form, in welcher er über alles berichtet. An Tatsachen bringt er nichts Neues. Das Eigenartige ist bei ihm das Raisonnement. Manche historische Behauptung wird man dem Verfasser ankreiden müssen. Das Beste an dem Buch ist die psychische Erfassung des Königs, etwas dichterisch gesehen; aber daß der Dichter, der Künstler oft -- nicht immer! -- ein überraschend sicheres Urteil über Psyche und Innenleben hat, dafür ist gerade P.s Buch bei allen Irrtümern im einzelnen bezeichnend. Es ist jedenfalls noch eines der erfreulichsten Werke über L. II., mit denen wir in den letzten Jahren mehr als genügend beglückt wurden.

Gegenüber den mehr oder minder romantischen oder sogar tendenziösen Porträts von Ludwig II. ist ein wirksames Korrektiv der Abdruck jenes Berichtes, welchen der ehemalige Assistenzarzt des Obermedizinalrats Dr. Gudden, der den König in seinen letzten Lebenstagen zu betreuen hatte und mit ihm gemeinsam den Tod im Starnberger See fand, Dr. Franz Carl Müller ( 1110), über »Die letzten Tage Ludwigs II.« nach dem Tode des Königs niedergeschrieben hat. Müller war dazu ausersehen, die ärztliche Überwachung des Königs in Schloß Berg zu übernehmen. Gudden führte ihn dort ein. Müller verfolgte daher von dem Augenblick an, da er als Assistent Guddens den König kennenlernte, besonders genau und objektiv das Verhalten Ludwigs und besonders die psychologischen Vorgänge im Kranken. Er interpretiert nichts hinein, sondern er gibt die ruhige, sachliche Schilderung wie es war, aus der zweierlei hervorgeht: 1. daß die Maßnahmen der Regierung und der mit der Festnahme des Königs in Neuschwanstein betrauten Männer nicht gerade taktvoll und noch weniger klug waren, daß aber 2. die Berechtigung dieser Festnahme nach der geistigen Verfassung des Königs nicht zu leugnen ist, da der König wirklich geisteskrank war, 3. daß der Tod Ludwigs nicht von Gudden oder von der Regierung beabsichtigt war, daß vielmehr Gudden das Opfer einer Unterschätzung der seelischen Depression seines Kranken und einer Überschätzung seiner ärztlichen Kunst und Beeinflussungsgabe wurde. --

Einen weiteren Rahmen steckte sich Herbert Eulenberg ( 1108), dessen Buch über »Die letzten Wittelsbacher« gleichfalls das Bild L.s II. auf dem Umschlag trägt. E. schätzen wir als Literaten; als Historiker sind auch die besten Literaten gefährlich. Nicht als ob man unsern Geschichtschreibern nicht etwas mehr gemeinverständliche, lebendige Darstellungsweise manchmal raten dürfte! Aber die Grundlage muß doch das Wissen und nicht das künstlerische Fühlen für den Historiker sein. Das Buch ist voll von Irrtümern. Man kann nun einmal nicht Geschichte modeln, wie man eine Figur der Novelle, des Romans, des Dramas gestaltet. Es soll dabei durchaus nicht geleugnet werden, daß E. jede Absicht der Verzerrung fernlag. Auch hat er viel Schönes und Wahres in seinem Buch gesagt, manche Lanze für Bayern gebrochen. Schade, daß so mancher feine Gedanke, so viel künstlerische Absicht und selbst wissenschaftliches Streben sich an einem für E. so ungeeigneten Objekte auswirkte! (E. Franz.)


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