I. Das Mittelalter.

R. F. Kaindl ( 192) hat es unternommen, die viel gelesene Geschichte Österreichs von Franz Martin Mayer neu zu bearbeiten. Den ersten Band, der bis 1526 führt, hat er vor seinem plötzlichen Hinscheiden noch fertigstellen können. Mayers Gesamtdarstellung der österreichischen Geschichte ging notwendigerweise von jenem Begriff »Österreich« in weiterem Sinne aus, wie er sich in der Donaumonarchie des 18. und 19. Jhds. verwirklicht hatte. In der älteren Zeit wurde die Geschichte der österreichischen Erbländer, Böhmens und Ungarns parallel behandelt, wobei die auf die politische Vereinigung hinzielenden Tendenzen als entscheidende Faktoren herausgearbeitet wurden. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Behandlung das Eigenleben der südostdeutschen Territorien, die im späteren MA. in der Hand des Hauses Österreich vereinigt wurden, nicht ganz zu seinem Recht kommen lassen konnte. So hat sich denn auch neben jene »großösterreichische« Geschichtskonzeption, die ihre dauernden Leistungen in der Erforschung der neueren Zeit vollbrachte, eine stark territorial eingestellte Richtung in der österreichischen Geschichtswissenschaft herausgebildet. Man sollte erwarten, daß, wenn heute der Versuch unternommen wird, Geschichte »Deutsch-Österreichs« im MA. zu schreiben, nicht nur die Ergebnisse territorialer Forschung voll aufgenommen werden, sondern daß auch der Versuch unternommen wird, unabhängig vom späteren Geschick dieses Gebietes nach den spezifischen Voraussetzungen der ma.lichen Geschichte Österreichs zu fragen. Ein Unternehmen, das angesichts der Lage des heutigen Österreich besonderes Interesse beanspruchen dürfte. Einen solchen Versuch hat K. nicht unternommen. Er hat das alte Schema beibehalten und nur die Geschichte Böhmens und Ungarns beiseite gelassen. Nicht in der Ausbreitung des bayrischen Stammes in den Donau- und Alpenländern liegt ihm der Anfang der österreichischen Geschichte, sondern in der Begründung der ottonischen Ostmark. Nicht der Zerfall des bayrischen Stammesgebietes in Territorien wird als nächst entscheidende Etappe in seinen Zusammenhängen dargestellt, nicht das Eigenleben dieser Länder, die doch noch heute den österreichischen Bundesstaat bilden, wird herausgestellt, sondern man könnte nach K.s Darstellung meinen, daß sie überhaupt nur entstanden sind, um in der Hand eines Herrscherhauses vereinigt zu werden. Nirgends tritt die schicksalvolle Tatsache zutage, daß die österreichischen Länder in den Besitz eines Geschlechtes kamen, das um die deutsche Königskrone rang, und daß man die Beziehungen Österreichs zum Osten nicht allein aus spezifisch österreichischen Voraussetzungen, sondern auch aus den deutschen und universalen Zielen des Herrscherhauses begreifen muß. Der Darstellung der politischen Geschichte ist als zweiter Teil eine Schilderung des Kulturlebens ganz nach antiquarischen Gesichtspunkten angefügt, die für einen weiteren Kreis manch nützliche Daten bringt, vor allem in der Darstellung der geistigen Kultur aber von einer erschreckenden Flachheit ist, die in gar keiner Weise sich der bedeutenden, Kaindl sogar zum Teil bekannten Forschung zunutze machen wußte. Im ganzen ein wenig erfreuliches Buch, das von den Aufgaben der Geschichtswissenschaft in unserer Zeit kaum einen Hauch verspürt zu haben scheint.

Die erste Abteilung des »Historischen Atlas der Alpenländer«,


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die Landgerichtskarte, liegt mit der vierten Lieferung ( 395), die die östlichen Teile Niederösterreichs und der Steiermark, Krain und Inneristrien umfaßt, abgeschlossen vor. Die gleichzeitig ausgegebenen Erläuterungen behandeln neben der territorialen Entwicklung und den Grafschaften Kärntens vor allem Krain. Hier gibt L. Hauptmann nicht bloß Erläuterungen zur Karte, sondern eine eingehende historisch-geographische Untersuchung über das Werden des Landes, aus der nur zwei Tatsachen hervorgehoben seien, der interessante Vergleich Altkrains mit Tirol und die Tatsache, daß sich in dieser Mark die Landeshoheit nicht in Verbindung mit der Markenverfassung entwickelt hat. Schließlich enthält das Heft einen Überblick über die territoriale Entwicklung Istriens von H. Pirchegger zu dem jetzt, da er schon 1920 abgeschlossen wurde, die Arbeit Vergottinis, Lineamenti storici della costituzione politica dell'Istria, Rom 1924, 1926 zu vergleichen ist. -- In seiner Arbeit über Krankheit und Hausvertrag Herzog Rudolfs IV. äußert A. Dopsch ( 773) die Vermutung, Herzog Rudolfs Todeskrankheit könnte Syphilis gewesen sein und erläutert sodann den Hausvertrag vom 18. November 1364 dahin, daß die darin festgelegte Vorzugsstellung des Ältesten nicht neues Recht geschaffen habe .-- Die Raudnitzer Reform der Augustiner Chorherren, die J. Zibermayr untersucht ( 1710), nahm ihren Ausgangspunkt von dem 1333 gegründeten Kloster Raudnitz. Obwohl dieses Kloster nach dem Stiftsbrief nur Tschechen aufnehmen sollte, eine Bestimmung, die sich als undurchführbar erwies, wurden von hier aus eine Reihe von Klostergründungen nicht nur in Böhmen, Mähren und Polen, sondern auch in Österreich vollzogen. So wurde 1410 das Kollegiatstift Dürnstein, 1414 das Dorotheenstift in Wien errichtet, beides Gründungen, die unter tatkräftiger Förderung Herzog Albrechts V. ins Leben traten. Auch in Bayern und Franken wurden Gründungen durchgeführt und in Schwaben schlossen sich ältere Augustinerchorherrenstifter der Reform an. Während die böhmischen und mährischen Stifter durch die Hussiten zum großen Teil vernichtet wurden, haben sie sich in Österreich und Bayern eines starken inneren Lebens erfreut. 1450/51 wurde ihre Regel durch den Kardinallegaten Nikolaus Cusanus für alle Chorherrnstifte der Salzburger Kirchenprovinz verbindlich erklärt. Trotz der schwierigen Verhältnisse in Österreich in der zweiten Hälfte des 15. Jhds. sind vom Wiener Dorotheenstift noch drei Gründungen erfolgt, Rottenmann in Steiermark, Wiener Neustadt und Schrattenthal in Niederösterreich, die sich allerdings nicht als lebensfähig erwiesen.


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