1. Niederösterreich und Wien.

Seine Untersuchungen über den Grundbesitz, den Kaiser Heinrich III. dem Markgrafen Siegfried, der nach den Ungarnkriegen neu errichteten Neumark, am 7. März und 15. Juli 1045 verlieh, erstreckt K. Bednar ( 742), nachdem er zuerst die zweite Schenkung untersucht hatte, nun auch auf die Urkunde vom 7. März. Da die Urkunde selbst keine weiteren Anhaltspunkte für die Lagebestimmung der 150 Mansen gewährt und eine Schenkung an Niederaltaich nur den Hinweis gibt, daß ein Teil des dem Markgrafen Siegfried überlassenen Grundes an der Zaya gelegen war, versucht Bednar aus der jüngeren Besitzverteilung Rückschlüsse


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auf die Lage dieser Güter zu ziehen. Die mit Vorsicht und Geschick geführte Untersuchung kommt zu dem notwendigerweise hypothetischen Ergebnis, daß damals zwei Besitzkomplexe, einer nördlich der Donau, an der Zaya, einer südlich an der Leitha um Unter-Walthersdorf an Siegfried übertragen wurden. Über diese Ergebnisse, die wesentlich von lokalgeschichtlichem Interesse sind, bleibt die Untersuchung wertvoll durch die in ihr enthaltenen Beiträge zur Besitzgeschichte hochfreier Geschlechter und der Landesfürsten und bietet so neue Bausteine zu der in den letzten Jahren von mehreren Seiten geförderten Frage nach der Entstehung des österreichischen Territoriums. -- Die Untersuchung von K. Helleiner über die Gründungsurkunde von Kremsmünster und den Grunzwitigau ( 397) führt den Nachweis der Echtheit der Urkunde Tassilos III. von 777 und kommt damit zu einer wichtigen Feststellung: Der in ihr genannte Grunzwitigau, den Vancsa mit Hilfe anderer Nachrichten am linken Ufer der Traisen fixiert hat, muß damals zum bayrischen Herrschaftsgebiet gehört haben und die Nachricht Einhards, daß die Enns die Grenze zwischen Bayern und Avaren bildete, kann nur auf den Zeitpunkt unmittelbar vor dem ersten Avarenfeldzuge Karls des Großen bezogen werden. Somit gehörte das westliche Niederösterreich zu dem altbayrischen Siedlungs- und Herrschaftsbereich, eine Erkenntnis, die in mehrfacher Hinsicht überaus bedeutsam ist. -- Die Untersuchungen Erbens über die Verunechtung des Privilegium minus hat H. Steinacker neuerlich aufgenommen ( 704). Das Manifest, das Kaiser Friedrich II. im J. 1236 gegen Friedrich II. von Österreich erließ, setzt eine Hoftagspflicht des österreichischen Herzogs voraus, die mit den Bestimmungen des Privilegium minus, die die Hoftagspflicht auf Bayern beschränken, nicht vereinbart ist. Eine eingehende Untersuchung der Hoftags- und Herrfahrtspflicht im hohen MA. und der Verwendung objektiver Fassung, aus der jene Sätze uns überliefert sind, verstärken die Argumente, die Erben für ihre Interpretation beigebracht hat. -- An dieser Stelle sei auch kurz auf die für die Territorialgeschichte Niederösterreichs überaus wichtige Arbeit von O. Prausnitz ( 1344) über die Brandenburgischen Lehen in Österreich verwiesen (vgl. S. 331). -- Dem Kampfe Österreichs mit den Hussiten (1420--1436) hat F. Stöller ( 776) eine eingehende Untersuchung gewidmet. Sie enthält nicht nur eine minutiöse Darstellung der militärischen Vorgänge, sondern auch prinzipiell wichtige Ausführungen über Technik der Kriegführung und Heeresorganisation, die in ihren Urteilen gelegentlich allerdings vergessen, daß ein ma.liches Fürstentum kein moderner Staat ist. -- Die Beiträge Brunners über das ma.liche Fehdewesen ( 772) wollen an Hand eines Materials, wie es fast nur in Adelsarchiven erhalten ist, den rechtlichen Grundlagen und wirtschaftlichen Folgen des Fehdewesens nachgehen. Es sind zwei dem niederösterreichischen Herrenstand entstammende Condottieri, aus deren Papieren hier geschöpft wird. Das Archiv des Georg von Puchheim zeigt ihn in Fehde mit Kaiser Friedrich III., der seine aus Soldgeschäften stammenden Forderungen nicht befriedigen konnte oder wollte. Hier sind die umfangreichen Schadensverzeichnisse der bei den Kämpfen Georgs von Puchheim geplünderten Bauern vor allem von Interesse, die einen vielseitigen Einblick in den materiellen Besitz der Bauern gewähren. Der zweite Teil der Arbeit zeigt an einem typischen Beispiel die für die Politik Friedrichs III. so verhängnisvolle Verflechtung innerer Fehden mit auswärtigen Kämpfen.

Die materialreiche Arbeit Großmanns ( 2038) über den Humanismus in


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Wien wird an anderer Stelle zu besprechen sein, ebenso O. Brunners Buch über die Finanzen der Stadt Wien ( 1523, s. S. 353). -- Die Untersuchung über die Politik der Stadt Wien im MA. von O. Brunner ( 775) will vor allem zeigen, daß die Stellung der Stadt in den inneren Kämpfen des 15. Jhds. nicht von eigenen Zielen bestimmt war, sondern von den Gegensätzen zwischen den Landesfürsten und den vom Adel geführten Ständen. Es ist die zeitweilige Schwäche des Landesfürstentums, die der Stadt vorübergehend Bewegungsfreiheit gewährt. Dem Eintritt der Stadt in die Machtkämpfe im Lande geht immer ein innerer Umsturz parallel. Es zeigt sich aber, daß es sich dabei nicht um Kampf etwa von Patriziat und Zünften handelt, sondern um das Wechseln einander befehlender Cliquen in der bürgerlichen Oberschicht. Seit 1465 tritt die Stadt ganz in der Politik des Landes zurück, der schon von altersher nachweisbare Zug nach Verstärkung der landesfürstlichen Gewalt gewinnt immer mehr die Oberhand. So ist das den Geist des zum Absolutismus strebenden Fürstentums atmende Stadtrecht von 1526 nicht, wie man gemeint hat, nur Ausdruck eines Gewaltaktes, sondern in der geschichtlichen Entwicklung begründet, die der einzigen Großstadt des deutschen Südostens eine selbständige Politik nicht gestattete. Der politische Niedergang der Stadt hängt auch mit ihrem wirtschaftlichen Rückgang zusammen, der sich in der Ausschaltung Wiens als Vermittler im deutsch-ungarischen Handel seit der Mitte des 15. Jhds. deutlich ausprägt. In diese Zusammenhänge leuchtet eine Denkschrift der Stadt Wien an König Ferdinand I. von 1528 ( 1524) hinein, die zeigt, wie sich die Wiener Kaufmannschaft der Gründe ihres Niederganges und der umwälzenden Vorgänge in Oberdeutschland und in Westeuropa wohl bewußt war, zugleich aber zeigt, daß der Mut zum Betreten neuer Wege gänzlich fehlte.

Der vierhundertjährigen Wiederkehr der ersten Wiener Türkenbelagerung verdanken wir eine eingehende Darstellung der militärischen Vorgänge von F. Stöller ( 809). Der fachkundige Offizier hat die zerstreuten Quellen sorgfältig gesammelt und bearbeitet, so daß wir wohl eine abschließende Darstellung jener Kämpfe besitzen. Nur zu den Zahlenangaben über das osmanische Heer möchte man gelegentlich Fragezeichen machen. -- Die verheerenden Folgen der Türkeneinfälle von 1529 und 1532 auf die Besiedlung des Wiener Waldes verfolgt A. Schachinger ( 812). -- Seiner Biographie Reichart Streuns (1927: 804a) hat K. Großmann ( 106) eine Würdigung Streuns als Historiker folgen lassen. St.s Tätigkeit galt in den letzten Jahrzehnten des 16. Jhds. vor allem der Ausgabe der ständischen Privilegien, der Sammlung eines weitschichtigen Materials zur Genealogie des österreichischen Adels, die wertvolles, zum Teil heute verlorenes Material enthält. Auch oberösterreichische Annalen und eine Genealogie der Habsburger hat Streun begonnen. Auch auf die Sammlung von Inschriften und Münzen erstreckten sich die Interessen dieses humanistisch gebildeten Adeligen .-- Der Tractatus de iuribus incorporalibus von 1679, der in seinen das Patronatsrecht betreffenden Teilen in Österreich heute noch geltendes Recht ist, ist die wichtigste Leistung der niederösterreichischen Stände auf dem Gebiete der Codifikation des Rechtes. Daher ist die Arbeit Wisnickis ( 1804) neben der seine ältere Untersuchung über die Abfassung des Tractatus heranzuziehen ist (1927: 1369b) vor allem als Beitrag zur Geschichte dieser ständischen Bemühungen wertvoll. Aber auch die Auseinandersetzung über die Quellen des Tractatus sind von Interesse.


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