III. Historische Landeskunde. Vor- und Frühgeschichte.

Nach Menghins Abriß der sudetenländischen Vorgeschichte wartet Schránil (Jb. 1928, Nr. 541) mit einer eingehenden Gesamtdarstellung auf, die von der Steinzeit bis ins 11. Jhd. n. Chr. reicht. S. ist gut mit dem auch in entlegenen Museen deutscher wie tschechischer Städte Böhmens ruhenden Material vertraut, so daß seine Darstellung als die Wiedergabe des gegenwärtigen Forschungsstandes gelten kann. Böhm ( 16a) zeichnet für die ältere Steinzeit Mährens eine Fundkarte der Steinwerkzeuge, die für den Siedlungshistoriker aufschlußreich ist. Die Sonderfrage, wann Bojer nach Böhmen kamen, wie lange sie hier wohnten, wo Bojohaemam lag, löst ebenfalls Schránil ( 207) und zwar dahin, daß die Bojer im 4. Jhd. nach Böhmen kamen, aber ums J. 100 v. Chr. unter dem Drucke germanischer Stämme (noch nicht der Markomannen) das Land verließen. -- Zur Sicherung dieser Ergebnisse hat nicht zuletzt die römische Geschichte und Altertumskunde beigetragen. Dobiáš ( 42) steuert neuerdings zur Geschichte der Markomannen und ihrer römischen Grenzbeziehungen wichtige Beiträge bei. Ausgrabungen in der Gegend von Stampfen ermöglichten den Schluß, daß dort die 15. Legion stationiert gewesen sein muß, und zwar in der Zeit von 71--97, um den Germanen, wie es ja Tazitus in dem betreffenden Kapitel ausdrückt, im eigenen Lande zu helfen. Seine Ausführungen stützen die Ausgrabungen bei Stampfen, über die eingehend Gnirs (Jg. 1928, Nr. 455) berichtet. Über die Grenzbeziehungen zwischen Römern und Germanen-Quaden in den Jahren 177 ff. verbreitet Dobiáš ( 41) einiges Licht. -- Frühere Arbeiten zur Geschichte der Germanen in Böhmen sucht Preidel (Jb. 1928, Nr. 450, 458, 538) zu vertiefen. Er trägt damit manchen, von anderer Seite erhobenen Einwänden Rechnung. Die Sprachforschung bemüht sich im Sinne der Urgermanenlehre Beweise für den dauernden Verbleib von Markomannen und Quaden in den Sudetenländern zusammenzutragen. A. Mayer (Jb. 1928, Nr. 314) trachtet auf Grund eigener wie anderer Vorarbeiten jene Orts- und


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Flußnamen zusammenzustellen, deren Fortleben in germanischem Munde aus sprachlichen Gründen angenommen werden muß. -- Dem »Handel und Verkehr Böhmens in den ersten vier Jahrhunderten n. Chr.« ist eine im Auszug vorliegende Dissertation von J. Glott gewidmet (Jb. d. phil. Fak. d. Dt. Univers. Prag V, 1927/8 [1929], S. 13--14), aus der hervorgeht, daß der Durchgangsverkehr aus den römischen Provinzen nach dem Norden im 3. u. 4. Jhd. zusehends verfiel.

Den gesamten mit der Einwanderung und Siedlung der Slawen in den Sudetenländern zusammenhängenden Fragenkomplex faßt Červinka ( 38) in einer dem Titel nach nur für Mähren berechneten Arbeit an. In dem Buche wird eine schier unübersehbare Fülle des verschiedensten Stoffes angehäuft, dessen Č. freilich nur teilweise Herr geworden ist. In besonders umstrittenen Fragen bekennt er sich zu annehmbaren Ansichten. Eine Fülle von Anregungen fließen aus dem Werke jedem zu, der zwischen gesichertem Ergebnis und Hypothese, die Č. allzu sicher vorträgt, zu scheiden weiß.

In die slawisch-deutsche Übergangszeit führen eine Reihe landschaftlicher wie örtlicher Sonderarbeiten ein. Die Erkenntnis, daß das Wesen der Kolonisation eines Landes am besten an den Landesgrenzen studiert werden könne, zeitigte für die Sudetenländer bereits früher eine Reihe von Sonderarbeiten, die Hirsch zusammenfaßte. Ohne von diesen etwas zu wissen, erforschte in gleicher Weise Muggenthaler (nr. 404) das böhmische wie bayrische Grenzgebiet des Böhmerwaldes. M. setzt damit seine Studien über Waldsassen, leider mit der gleich unvollkommenen Methode wie damals, fort. Aber M. ist sich »der Lücken und Mängel« laut Schlußwort wohl bewußt, so daß von einer kritischen Besprechung hier abgesehen werden kann. -- Hier darf auch gleich der zweite Teil der bereits Jb. I, 647 besprochenen Burgen Westböhmens von G. Schmidt angeschlossen werden (1928), 150 S. -- Mit Hilfe der Ortsnamenforschung sucht Schwarz (nr. 539) die Entstehung der Schönhergster deutschen Sprachinsel genauer darzustellen, als es auf Grund schriftlicher Quellen möglich ist. -- Nicht glücklich in seinen Quellendeutungen ist Maetschke (Jb. 1928, Nr. 599) gewesen, der so eine andere Auffassung für die Rechts- und Besitzverhältnisse in dem heutigen Nordwestschlesien für den Beginn der deutschen Besiedlung nachzuweisen versucht. -- An der südmährisch-österreichischen Grenzzone hat sich E. Bachmann: Beiträge zur Siedlungsgeschichte Südmährens (Jb. d. phil. Fak. d. Dt. Univ. Prag V, 1927/8 [1929], S. 8--9) an Hand von Dorf- und Flurformen versucht.

Viel umstritten sind noch immer die Ursprungsfragen für einzelne Städte, vor allem für Prag. Schon über Prags Stellung in slawischer Zeit ist man sich noch nicht ganz einig. Guth ( 54) geht nun vor allem dem Alter der Burg Prag nach und kommt zu der Überzeugung, daß Prag um 900 gegründet worden ist, während vordem Levý Hradec seine Rolle gespielt haben dürfte. Es scheint, daß die Gründung der Prager Burg auf das engste mit der Bildung eines Einheitsreiches durch den Stamm der Tschechen zusammenhängt. --Šimek ( 231) schreitet auf der durch die Aufdeckung der Bedeutung des Burgenpaares Prag- Vyschehrad gewonnenen Bahn fort, und entdeckt ein zweites Paar feindlicher Burgen an der Moldau in Levý Hradec und Pravý Hradec (in der Nähe von Rostok). -- Schon glaubte man seit Zychas Prag die Frage der Entstehung Prags als Stadt endgültig gelöst, da meldete sich ernster Widerspruch von


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seiten V. Hrubýs ( 70), der auf Čelakovskýs Arbeiten zurückgreift. Nach Zycha war die Altstadt Prag nichts anderes als die territorialisierte, erweiterte Deutschengemeinde am Pořič, während Čelakovský fest davon überzeugt war, daß Wenzel I. zwischen 1232--34 die Altstadt Prag durch ein eigenes Privileg als Stadt gegründet und mit Nürnberger Recht begabt hat. H. bemüht sich vor allem um die Erhärtung der Čelakovskýschen Behauptung, daß das Deutschenprivileg, das sog. Sobieslaum nichts mit der Gründung der Altstadt Prag zu tun gehabt hat. Der unmittelbare Grund für die Neubestätigung durch Wenzel war die Neugründung, die 1232 noch nicht erfolgt war. Gerade diese Bestätigungsurkunde, wird zum Beweise, daß sie nie Gründungsurkunde Prags sein, noch werden konnte. -- Ähnliche Streitfragen wie für Prag bestehen für Brünn. Mit Tenora ( 245) polemisierend, bricht Bretholz (Jg. 1928, Nr. 626) neuerdings am Beispiel Brünn eine Lanze für seine Urgermanentheorie. -- Zur so viel umstrittenen Gründungsurkunde Gödings von 1228 nimmt Vojtíšek ( 267) Stellung und hält bis auf zwei Interpolationen aus dem 14. Jhd. den Wortlaut der Urkunde für echt, während Hrubý ( 71) Vojtíšeks Ansichten bekämpft. -- Zu den erfreulichsten »Entdeckungen« des Berichtsjahres gehören Šebáneks ( 225) Zlabingser Falsa und dies um dessentwillen, weil auch hier Boczeks Meisterschaft im Urkundenfälschen wieder offenbar wird. Nichtsdestoweniger ist der moderne Bearbeiter der Geschichte dieses Städtchens, Reutter, den Fälschungen restlos aufgesessen. Dieses eine Beispiel beweist, in welch erschrekkendem Maße Boczek die Lücken, vielfach durch die Hussitenkriege in die Archive gerissen, wieder gefüllt hat. -- Bedürfte es noch eines Beweises für die Wichtigkeit der Stadtplanforschung, dann hätte ihn Ott (Jb. 1928, Nr. 313) geliefert. O. rekonstruiert zunächst den Plan von Brüx für den Beginn des 16. Jhds., was ihm mit Heranziehung von Plänen aus dem 19. Jhd. so gut wie restlos geglückt ist. Vom 16. Jhd. schreitet er ins 11. Jhd. zurück und vermag mit Leichtigkeit die altslawische Siedlung am Fuße der Burg Gnevin-Most nachzuweisen. Irrig scheint O.s Annahme zu sein, daß das böhmische Viertel erst um 1460 in die Stadt einbezogen worden sei. Vielmehr dürfte die Stadterweiterung bereits in der zweiten Hälfte des 13. Jhds. oder zu Beginn des 14. Jhds. erfolgt sein.

Für die jüngeren Siedlungszeiten erwacht erst allmählich das Interesse. Der deutschen Siedlungswelle des 16. Jhds. in den Sudetenländern verschloß sich auch nicht das Pilsener Gebiet. Resl ( 192) hat all die zerstreuten Nachrichten in der Literatur, vor allem in den Arbeiten Z. Winters zusammengetragen und ein eindrucksvolles Bild der Kräfte gezeichnet, die zum Wiedererstarken des Deutschtums führten. Am längsten blieben die Bierbrauer- und Fleischerzünfte tschechisch. Im Erzgebirge entstanden eine Reihe Bergstädte, allerorten Glasschleifereien. Die Hauptursache an der Eindeutschung schreibt R. dem Adel zu, der seine Söhne nach Deutschland schickte, deutsche Prediger herbeizog, selbst dem eigenen Volke entfremdete. Daneben war der einheimische deutsche Adel z. B. die Schlicke in der gleichen Richtung überaus tätig, ja es kam so weit, daß im böhmischen Aufstande von 1618 die Hauptführer (Thurn, Fels, Schlick) Deutsche waren. R. fügt eine Sprachenkarte bei, bei der das Bestreben vorherrscht, die Einwanderung der Deutschen erst in den neueren Jahrhunderten stärker anwachsen zu lassen. --Svoboda ( 221) liefert an der mährischen Herrschaft Neustadt ein Beispiel, wie die Siedlungsgeschichte auch in die neueren Jahrhunderte vordringen soll. Von den 30 Dörfern der Herrschaft


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entstanden im 13. und 14. Jhd. 19, in der neueren Zeit die übrigen 11. -- Neben Siedlungs- und Flurformen treten die Hausformen als wichtigstes materielles Substrat für die Siedlungsforschung, das für die Sudetenländer einen ausgezeichneten Bearbeiter in B. Schier gefunden hat, der in seinem Aufsatze: »Deutsch-slawische Überschichtungen am Bauernhaus der Sudeten- und Karpathenländer«, (Slawistische Studien f. F. Spina [1929], S. 82 bis 97) einen Vorgeschmack von den gewichtigen allgemeinen Ergebnissen eines größeren Werkes bietet. »Es fließt ein unaufhaltsamer west-östlicher Kulturstrom durch unsere Länder, der alte Restformen immer mehr nach dem Osten schwemmt und selbst am Fuße des Karpathenbogens verebbt.«

Für Frühzeit und Siedlungsgeschichte bleibt die Ortsnamenforschung eine wichtige Hilfswissenschaft. Ein Beispiel, allerdings wie es nicht gemacht werden soll, liefert L. Horák ( 64), dessen haltlose Aufstellungen auch Profous ( 183) vollständig ablehnt. -- Den Erfordernissen moderner Wissenschaft trägt dagegen Schwarz (Jberr. 1928, Nr. 397, Jberr. 1929, Nr. 538) Rechnung, der einen kritischen Bericht über den Stand der Ortsnamenforschung liefert. --


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