a) bis ca. 1300.

Trotz der schlechten Quellenlage für die ersten Jahrhunderte slawischer Ansässigkeit in Böhmen reizen die spärlichen Nachrichten immer wieder zu erneuter Interpretation und dies, wie die zwei folgenden Beiträge beweisen, mit vielem Rechte. So heiß umstritten die Frage nach der Lage des von Samo gegründeten Slawenreiches sein mag, so scheint sie doch jetzt Mikkola (Jberr. 1928, Nr. 599) endgültig dahin gelöst zu haben, daß Samo, der gallokeltischer Herkunft war und aus Sens in Frankreich stammte, zu den Slawen südlich der Donau reiste und von dort aus sein Großreich gründete, das auch nach Böhmen reichte. Wogastisburg ist soviel wie Unhošt und in Purberg bei Kaaden wiederzufinden. -- Hatte auch Mikkola der Bericht Fredegars eine wichtige Stütze abgegeben, so weiß diesen Th. Mayer (Jberr. 1928, Nr. 325) in einer äußerst wichtigen Frage völlig anders zu deuten, als es bisher der Fall gewesen ist. Gerade dadurch gewinnt M.s Beitrag weithinreichende Bedeutung für die slawische Frühgeschichte und Sozialverfassung. Denn M. erklärt das Wort »bifolci«, mit dem weder Fredegar noch seine bisherigen Erklärer etwas anzufangen wußten, aus dem slawischen byvolů, das seinerseits vom griechischen βοἋβαλοσ stammt. Die Slawen waren danach, wie sich aus dem Zusammenhange der Fredegarstelle ergibt, die Büffeltreiber der sie beherrschenden Awaren, zumal sich diese gerade des Büffels im Kriege bedienten. Daneben können auch Büffelhüterdienste in Frage kommen.

Erhöhte Aufmerksamkeit erregt das Großmährische Reich. Schon 1923 hat sich Chaloupecký in seinem Staré Slovensko (Die alte Slowakei) erfolgreich um die Lösung manch schwieriger Fragen versucht, neuestens hat ein Gleiches der bereits oben genannte Červinka in größerem Zusammenhange wiederholt. Nichtsdestoweniger greift Robenek ( 195) einige Hauptpunkte wieder heraus. Scharf hebt er hervor, daß lange vor der Christianisierung durch Grill und Method das Christentum vom fränkischen Reiche aus weit genug vorgedrungen war, so daß dann die Errichtung der Diözesen sehr leicht vor sich ging. Freilich wird man gegen R.s Ergebnisse mißtrauisch, wenn er auf Termini wie regnum weitgehende Schlüsse aufbaut. Wichtig sind die Bemerkungen und Vermutungen über eine etwaige Fortdauer der Kirchenorganisation


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aus der Zeit Methods. Er hält dafür, daß die Burg Morava, die er als Sitz Methods anspricht, zur Zeit des Sieges der lateinischen Kirche in Istrogranum (Gran) verwandelt worden ist. -- Wegen des sachlichen Zusammenhanges seien Chaloupeckýs ( 20) der großmährischen Kirchenorganisation, der Stellung der slowakischen Diözesen in Ungarn gewidmeten Ausführungen gleich hier besprochen, zumal Robenek ( 194) darauf geantwortet hat. Von Wichtigkeit ist, was Ch. über das Ausgreifen der salzburgisch-passauischen Missionskirche nach dem Osten ausführt. Den zu Ende des 10. Jhds. auftauchenden »mährischen Bischof« hält er für keinen unmittelbaren Fortsetzer dessen, was im 9. Jhd. hier bestand. Sitz dieses Bischofs aber könnte Gran gewesen sein, zumal an der Errichtung des Graner Erzbistums ja Otto III. hauptbeteiligt gewesen ist. Robenek spricht dagegen Stephan d. Hl. geradezu als Rechtsnachfolger der großmährischen Fürsten an. Gerade jenes besonders intime Verhältnis von Staat und Kirche in Ungarn will R. bereits im großmährischen Reiche vorgebildet finden.

Die politische Geschichte Böhmens beginnt erst mit dem 10. Jhd. greifbare Formen anzunehmen. Und da ragt gleich eine Persönlichkeit in der Gestalt des hl. Wenzel wie des Herzogs Wenzel hoch auf, um deren richtige Einschätzung sich 1929 gelegentlich der tausendsten Wiederkehr seines Todestages so gut wie alle tschechischen Historiker bemüht haben, deren Arbeiten vorläufig Pekař ( 166) verzeichnet. Da sie soeben in einem besonderen Bande gesammelt werden, wird später wenigstens summarisch auf sie eingegangen werden. Nur mit der Pekařs ( 165) sei deswegen eine Ausnahme gemacht, weil sie das Beste darstellt, was in diesem Jubiläumsjahre zur Wenzelsfrage geschrieben worden ist. Ihm ist Wenzel der erste Vertreter des Ottonischen Romantismus im germanisch-slawischen Norden. Gerade deswegen verstand ihn seine böhmische Umgebung so wenig. Trotz der Frömmigkeit war Wenzel nicht weltfremd und unfürstlich. Er besaß Herrschereigenschaften. In Prag kam viel gastliches Volk aus dem Westen zusammen; man hat den bestimmten Eindruck, daß alles schon vor Wenzel im Christentum geübt wurde, im Gegensatz zu Polen und Ungarn. Boleslaus ließ sich von der Oppositionspartei nur wegen der überstarken Betonung des Christentums durch Wenzel aufstacheln, nicht aber wegen des Christentums selbst. Er wie seine Nachfolger hingen dem übernationalen römischen, nicht deutschen Reiche an. Wenn es in der Regierung Wenzels zu einem Kampfe um die Oberhoheit über Böhmen von Reichs wegen gekommen ist, dann war es höchstens ein Kampf Sachsens und Bayerns um diese. Aber ein eventueller Zug Heinrichs I. gegen Böhmen kann nicht erst knapp vor der Ermordung Wenzels 929, sondern muß gleich nach Wenzels Thronbesteigung erfolgt sein. Die Niederwerfung der Böhmen durch Heinrich 929 aber bezieht er nicht auf Wenzel, sondern Boleslav. Daß Boleslav I. Otto I. so lange Widerstand leisten konnte, war nur nach Wenzels Leistung möglich. Dieser trug am meisten dazu bei, daß sein Volk als gleichberechtigtes Glied in die Gesellschaft der westlichen Völker einging. P. verfolgt dann noch die Entwicklung des Wenzelkultes in Böhmen.

Wie hoch die böhmischen Herrscher im Schatten des Reiches an Ansehen stiegen, lehrt am eindeutigsten Vladislavs II. Regierungszeit. Er beteiligte sich getreu den Pflichten eines christlichen Herrschers am zweiten Kreuzzuge 1147, eines der wenigen Jahre, in denen böhmisch-byzantinische Beziehungen nachweisbar


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sind. Dvorník ( 48) wendet daher viel Mühe auf, um sie gerade für 1147 klarzustellen. Zum zweiten Male kam Vladislav mit Manuel 1163 in Beziehungen, als dieser im Verfolge seiner Westpläne mit Ungarn in Streit geriet, wobei Vladislav als Vermittler erschien. Manuel hat damals versucht, Vladislav für sich zu gewinnen, um auf dem Umwege über Böhmen seinen Einfluß im Abendlande zu stärken.

Tatenlust und christliche Herrscherpflicht führten auch andere böhmische Herrscher fern ab von den Sudetenländern, unter ihnen den bedeutendsten der Frühzeit, Ottokar II. Nach Šustas ( 243) überzeugender Beweisführung gegen Lorenz hat schon 1255 Ottokar den ersten Zug gegen das heidnische Preußen unternommen. Die Quellen lassen sich ohne Schwierigkeit in diesem Sinne auslegen. Der Zug wird nur im Rahmen der gesamten Ostpolitik Ottokars verständlich. -- Mit dem Namen Ottokars verbinden sich 11 Briefe seiner zweiten Gattin Kunigunde, die nunmehr Mendl ( 128) in einer Luxusausgabe vorlegt. Diese Briefe, deren Entstehung in die siebziger Jahre fällt, sind der Form nach Briefe Kunigundes an Ottokar, in Wahrheit ein Produkt des Schreibers Bohuslav, der allerdings im Dienste Kunigundes gestanden haben dürfte. Dennoch bilden sie ein erstrangiges literarisches Denkmal aus der Glanzzeit der Przemyliden und der ersten mittelalterlichen kulturellen Blüte Böhmens im 13. Jhd. Bohuslav schuf eine neue Form des Briefschreibens, da es sich hier wirklich um Liebesbriefe zwischen Mann und Frau handelte. --Samanek ( 1777) steuert zur Geschichte Wenzels II. 5, wenngleich nicht ganz unbekannte Urkunden bei, die vor allem auf Wenzels Verhältnis zu Rudolf, allgemeiner zum Reich ein scharfes Licht werfen.


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