d) bis ca.

1849. Der Streit um die Bewertung des tschechischen wie deutschen nationalen und kulturellen Wiedererwachens ist noch lange nicht zu Ende, zumal auch im Tatsächlichen noch manches ungeklärt ist. Masaryk wie Pekař gehen in der Auffassung dieser Fragen weit auseinander, zumal für das 18. Jhd. In die Augen springen zunächst Aufklärung und Romantik, die man beide als Importgut bezeichnet, die dem Werke des Wiedererwachens den entscheidenden Anstoß gegeben haben. Fraglos, daß beide europäischen Bewegungen maßgeblich mitgewirkt haben, aber ebenso unzweifelhaft nach den Untersuchungen von Strakoš ( 220), daß der nationaltschechische Gedanke gleich mit dem Einsetzen der Aufklärung, und zwar im Gegensatze zu ihr greifbare Formen angenommen hat. S. vermag diese Anschauung vor allem durch das Lebenswerk Voigts zu erhärten. Überzeugend weist er nach, daß der ja auch sonst schon beachtete Streit unter den Prager Gelehrten zu Beginn der siebziger Jahre nicht nur um gelehrter, ästhetischer Dinge willen, sondern aus nationalen Gründen entbrannt ist. Strakoš kommt damit jenen Auffassungen sehr nahe, die Čecháček ( 32) vom sozialistisch-marxistischen Standpunkte über die geschichts- und religionsphilosophischen Fragen mit viel Glück vertreten hat. Vor allem greift er die von Masaryk geführten Fortschrittler an, da er die antiklerikale, antikatholische Lehre eine Legende nennt. In Wahrheit rechtfertige die tschechische Geschichte keineswegs jene einseitige Bevorzugung der protestantischen Zeitalter. Nach Č. haben die religiösen Fragen nicht jenen Umfang besessen, wie Masaryk voraussetzt. -- Daß es auf sudetendeutscher Seite ein ähnliches, wenngleich anders bedingtes nationales Wiedererwachen gegeben hat, suchte J. Pfitzner in seinem »Erwachen der Sudetendeutschen« (1926) (vgl. Jberr. II, 663 f.) nachzuweisen. Dies gab dem tschechischen Germanisten A. Kraus den Anlaß zu einer unschönen Kampfschrift, betitelt: »Die sogenannte tschechische Renaissance und die Heimatdeutschen« (Prag, Orbis, 1928, 100 S.), in der K. dieses nationale Erwachen der Sudetendeutschen verächtlich zu machen sucht, unbedeutend erscheinen läßt. Gegen diese Schrift, die im ernstzunehmenden tschechischen Schrifttum so gut wie keinen Widerhall gefunden hat, richtete J. Pfitzner zur Abwehr die Broschüre: »Arnošt Kraus und die Sudetendeutschen« (Kassel [Stauda] 1928, 24 S., auch Sudetendeutsches Jahrbuch 1928), in der er die Angriffe von Kraus in den wesentlichen Punkten widerlegt. --

Eine wichtige Rolle für die böhmische Aufklärung spielt Seibt. Gerade deswegen wurde er, der ausländische Deutsche, von den einheimischen Konservativen, die wie Voigt auch die Ehre des Landes verteidigten, heftig angegriffen. Einen solchen Generalsturm gegen Seibt und die Aufklärer überhaupt schildert auf Grund neuen Materials Prokeš ( 184).

Durchaus im Lager der Aufklärer wuchs Dobrovský groß, dessen hundertster Todestag in den Kreisen der Slawistik und sonst 1929 festlich begangen wurde. In einem, dem ersten Kongreß slawischer Philologen in Prag gewidmeten Jubiläumsbande ( 44) werden von verschiedenen Forschern die Beziehungen Dobrovskýs zu den einzelnen slawischen Völkern dargestellt. Obwohl Dobrovský so mannigfache Beziehungen zur deutschen Kulturwelt besaß, der er sich zu tiefem Danke verpflichtet fühlte, wies kein einziger Beitrag


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nach dieser Richtung. -- Aus dem gleichen Anlaß gab Pastrnek ( 43) eine »kritische« Abhandlung über die Prokopslegende heraus, die nur das eine lehrt, wie primitiv die Quellenkritik zur Zeit Dobrovskýs noch war. -- Ganz anders geartet als Dobrovský war Kollár, der bis zur letzten Faser seines Wesens Romantiker gewesen ist. Das neue Slawische Institut eröffnet seine Schriftenreihe mit Kollárs allslawischem Vermächtnis ( 101), dessen Gedankengänge zur Genüge bekannt sind, auch das andre, daß er in Jena studierte, durch die nationaldeutsche Bewegung nur noch mehr in seinem Glauben an die slawische Wechselseitigkeit bestärkt wurde. In die Ausgabe wurde die Slavy dcera nicht aufgenommen. Die Ausgabe von 1837 »Über die literarische Wechselseitigkeit« ist wortgetreu gedruckt. -- Aufschlußreiche Briefe Karl Egon Eberts, die vor allem für dessen Bohemismus sprechen, druckt Pátek ( 160) ab. -- Havlíček kann hier nur insofern berücksichtigt werden, als er sich mit deutschen Problemen beschäftigte oder mit dem Deutschtum zusammentraf. Nach Masaryk unterrichtet nun Chalupný ( 21) in einer besonderen Monographie über diese Persönlichkeit. Früh lernte Havlíček deutsche Sprache, deutsches Wesen und Wissen kennen, er schrieb selbst deutsche Gedichte, fast ebenso früh hegte er aber auch eine starke Abneigung gegen das Deutschtum, die sich in den vierziger Jahren nur noch verstärkte. Er wurde 1848 vollends Politiker, trat für ein rein tschechisch-nationales Programm ein, das sich gegen die Deutschen wie gegen die Panslawisten (zumal die russischen) ablehnend verhielt. Das Buch, von einem Soziologen gearbeitet, weist etwa jene Stoffordnung auf, wie Fischers Werk über Palacký (vgl. Jberr. III, 613 f.).

Eifrigster Pflege erfreuten sich die Jahre 1848/49 von seiten der Forschung, der es einige grundlegende Funde zu machen gelang. Roubík, wie Odložilík teilen sich darein. Roubík ( 202) fand vor allem die Registratur des Nationalausschusses vom Frühjahr 1848 auf. Roubík ( 198) hat einen Teil des entdeckten Materials gleich selbst verarbeitet. Bot es ja doch Gelegenheit, die Stimmung des Landes, der Provinz genau zu erfassen. Das Landvolk interessierte sich am meisten für die Regelung der Robotfrage. Nicht weniger belangreich wurde Odložilíks ( 154) Ordnung der schon durch Bayerová 1920 ausgiebig benutzten Untersuchungsprotokolle über den Pfingstaufstand. Nicht weniger als 294 Faszikeln erliegen nunmehr geordnet im Archiv des Ministeriums des Innern. Der von Bayerová angefertigte Index dient rascher Orientierung. O. hat nun auf Grund des Materials die Tätigkeit der militärischzivilen Untersuchungskommission dargestellt. Odložilík fand aber unter den Untersuchungspakten zum Pfingstaufstande auch die so überaus wichtigen Protokolle des Slawenkongresses, der durch die Pfingstunruhen so jäh gesprengt worden war. Sie waren bis jetzt nur teilweise bekannt. Gerade deswegen erwachte wieder das Interesse für den Slawenkongreß, vor allem für den so umstrittenen Ursprung. Čejchan ( 34) wie Pražák (Jberr. 1928, Nr. 785) bemühten sich, ohne neues Material beizutragen, aus allgemeinen Erwägungen um den Wahrscheinlichkeitsbeweis, daß die Slowaken Stúr und Hurban diesen Kongreß angeregt haben. -- Ebensoviel umstritten ist die Frage nach dem Zusammenhange zwischen Slawenkongreß und Pfingstaufstand. Odložilík ( 153) prüft diese Frage kritisch an Hand der archivalischen Quellen und kommt zu dem Ergebnis, daß es keinen Zusammenhang zwischen Slawenkongreß und Juniaufstand gegeben habe. Auf all den genannten Arbeiten konnte bereits


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Kazbunda ( 93) aufbauen, der die Forschung besonders um das bei den politischen Zentralämtern entstandene Quellenmaterial über die tschechische Bewegung von 1848 bereicherte. Freilich ist der Titel viel zu weit gefaßt. Denn K. bietet auf Grund des von ihm erschlossenen amtlichen Materials in der Hauptsache nur die Einstellung der österreichischen Behörden zur tschechischen Bewegung und auch da nur bis zur Wiener Oktoberrevolution. Andere Quellengruppen, z. B. die Publizistik, sind fast ganz beiseite gelassen worden, so daß man es nicht mit einer Schilderung der gesamten tschechischen Bewegung von 1848 zu tun hat. K. hebt stärker, als es gemeinhin geschieht, die sozialen Fragen hervor. Deswegen die ganze Bewegung von 1848 auf soziale Schwierigkeiten zurückzuführen, geht kaum an. Nachdrücklich muß eine sonst in tschechischen Darstellungen nicht anzutreffende Willkür K.s zurückgewiesen werden: die tschechische Schreibung von deutschen Familiennamen: z. B. für Borrosch Borroš, für Klutschak Klučak, für Schuselka Šuselka usw. Ein nicht unwichtiges Detail zur Kenntnis der Einstellung der Regierung und Dynastie erhellt Traub ( 251): die Statthalterschaft Erzherzog Franz Josefs in Böhmen. -- Die radikale Bewegung Böhmens war durch Windischgrätzens Sieg nach dem Juniaufstande schwer getroffen, dennoch nicht vernichtet worden. Kaum waren die Hauptbeteiligten im September begnadigt, begann bereits wieder das Wühlen und Agitieren der Radikalen, die durch die Wiener Oktoberrevolution, gegen die sich alle Tschechen ablehnend verhielten, freilich zu keiner revolutionären Tat hingerissen worden waren. Dafür rüsteten sie sich für das Frühjahr 1849 um so nachdrücklicher auf eine Erhebung. Gerade die Geschichte dieser ganzen Bewegung, beginnend mit dem Slawenkongreß, erfaßt Traub ( 254) in einer guten Darstellung. Eine gute Stütze bot Traub die ungefähr gleichzeitig erschienene Untersuchung Čejchans ( 33) über Bakunims Tätigkeit in Böhmen von 1848 bis 1849. Denn das Schwergewicht von Č.s Arbeit liegt in der Schilderung dieser beiden Jahre. Deutlich wird daraus die sonst so schwer faßbare Beteiligung Bakunims am Pfingstaufstande, wie Slawenkongresse. Gerade Böhmen rückte gegen Ende 1848 immer mehr in den Mittelpunkt der Pläne Bakunims. Von Leipzig und später von Dresden aus trachtete er die Radikalen der Tschechen wie Deutschen zu leiten. Aber in den entscheidenden Augenblicken, als die Revolution in Sachsen wie in Böhmen losbrechen sollte, klappte die Regie nicht und Böhmen blieb im Gegensatze zu Sachsen ruhig. -- Ungefähr dem gleichen Stoffgebiete gehört Matoušeks ( 125) ähnlich gerichtete Arbeit an. An Hand des Schicksals Karel Sladkovskýs versucht M. den allerdings nicht parteimäßig organisierten tschechischen Radikalismus seit der Vormärzzeit bis in die sechziger Jahre zu beleuchten. Von Wichtigkeit ist eine Schrift Sladkovskýs, die er im Gefängnis unter dem Titel schrieb: »Über den Urgrund alles Übels in der menschlichen Gesellschaft« (1850). -- Mit in die unruhvolle Zeit wurde schließlich, wie Kazbunda ( 94) eingehend dartut, auch der bedeutende tschechische Abgeordnete Rieger hineingezogen, der gerade im Frühjahr 1849 eine Reise nach Paris unternahm, mit dem Fürsten Czartoryski, sowie mit ungarischen Vertretern eine Zusammenkunft hatte. Konfidenten taten das Ihre, um Rieger in den Augen der Regierung unmöglich zu machen. Freilich durchkreuzte Rieger all die Manöver und kehrte in die Heimat zurück.

Eine der eigenartigsten Erscheinungen des Sturmjahres waren die Nationalgarden.


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Gerade durch sie drängten sich auch in Böhmen manchmal revolutionäre Elemente in den Vordergrund, wie Roubík ( 199) in seiner Gesamtdarstellung über die Nationalgarden zeigt. In Böhmen wurde wie alles auch die Garde zum Instrumente der Nationalitätenpolitik, besonders als es zum Kampfe um die Kommandosprache kam. Die deutschen Bezirke Böhmens besaßen verhältnismäßig eine viel größere Zahl an Nationalgarden. Bald überwogen die konservativen Elemente. Daher wurden die Garden durch die einsetzende Reaktion ohne Widerstand aufgehoben. --Bradler (nr. 993) hat den Anteil der Deutschen Ostböhmens an der Bildung der Nationalgarden, deren Einstellung zum Pfingstaufstande in Prag zu zeichnen versucht, was ihm nur bedingt gelingt.


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