e) bis ca.

1918. Mehr als in anderen Abschnitten sudetenländischer Geschichte tobte nach 1849 der nationale Kampf, der jedoch wesentlich positive, nicht nur die immer wieder betonten negativen Ergebnisse zeitigte. Denn gerade beide die Sudetenländer bewohnenden Völker bauten sich während dieser Zeit eine eigene Kultur auf, vertieften und befestigten sie. Und gerade auf diesem Felde setzten die besten Männer des Sudetenraumes ein, zu denen für die Sudetendeutschen fraglos August Sauer gehörte, dessen: »Kulturpolitische Reden und Schriften« (Reichenberg, Kraus, 1928, LVI + 218 S.) soeben J. Pfitzner gesammelt und mit einer ausführlichen Einleitung versehen, herausgegeben hat. Pf. trachtet im Anschluß an sein »Erwachen der Sudetendeutschen« die Hauptlinien der kulturellen Entwicklung der Sudetendeutschen von 1848 bis zur Gegenwart zu bestimmen und Sauers Lebenswerk darein einzubauen. Die Reden Sauers besitzen heute noch zum Gutteil ihre volle Aktualität und zeugen für die Rolle, die Sauer als Kulturbehüter und -mehrer unter den Sudetendeutschen während der letzten vier Jahrzehnte gespielt hat. -- In die gleiche Reihe ist Baernreither Jberr. 1928, 877) zu stellen, dessen Tagebuchfragmente um dessentwillen hier einen kurzen Hinweis verdienen, weil J. Redlich diesem Bande eine liebevolle Biographie B.s vorangestellt hat, aus der die wichtigsten Wendepunkte im Leben dieses 1845 in Prag geborenen reichen Bürgerssohns erhellen. -- Der Kampf um diesen kam nicht mehr zur Ruhe. Die Tschechen hofften vor allem seit der Wallfahrt von 1867 auf die russische Hilfe. Aber wie wenig das offizielle Rußland Alexanders II. diesem Liebeswerben geneigt war, beweisen erneut zwei von Papoušek ( 159) mitgeteilte Stücke aus der diplomatischen Korrespondenz zwischen dem Kanzler Gorčakov und dem Wiener russischen Gesandten Novikov. -- In der langen Geschichte der böhmischen Ausgleichsverhandlungen, die einmal wird geschrieben werden müssen, wird ein Glied auch der von Pekař ( 163) mitgeteilte Vorschlag des Erbgrafen Johann Harrach von 1875 darstellen, den dieser als Privatüberzeugung allem Anschein nach auf die Aufforderung des Kaisers hin diesem vorlegte. -- Von den Jungtschechen sonderten sich die Fortschrittler ab, zu deren Schrifttum Čápek ( 31) wichtige Beobachtungen anstellt. Č. gibt Zahlen über die Zunahme der tschechischen Zeitschriften, die um 1880 die Zahl der deutschen in den Sudetenländern zu überwiegen beginnen.

Grundlegende Arbeiten sind in diesem Berichtsjahre den Kriegs- und Umsturzjahren gewidmet worden. Ein Quellenwerk zur Geschichte der tschechischen Aus- und Inlandsbewegung legt Beneš ( 8) als dritten Band seiner Memoiren vor. Die Quellenstücke verteilen sich ungefähr zu gleichen Teilen auf


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die Tätigkeit der »Maffia«, auf den diplomatisch-politischen Kampf im Auslande und auf die politische und militärische Aktion in Rußland. Nur bei wenigen Stücken wurden aus sachlichen und persönlichen Gründen Auslassungen gemacht. Auch für die Sudetendeutschen besitzt der Band seine Wichtigkeit. -- Das Memorienschrifttum hat weitere Bereicherung von tschechischer Seite erfahren. Červinka ( 39) war sicher berufen, Wichtiges über das Schicksal der Tschechen während des Krieges auszusagen, da er selbst mit Kramař, Rašín u. a. im Kerker saß. Daher ist er ein besonderer Fachmann auf dem Gebiete der sog. Persekutionen, ein Augenzeuge und Hauptbeteiligter im Kramař- Rašínprozeß. --Habrmans ( 55) Erinnerungen spiegeln vor allem die Stimmung in der tschechischen Arbeiterschaft während des Krieges und des Umsturzes wieder. -- Zwischen historischer Darstellung und Memoiren steht das umfängliche Werk Soukups ( 214), eines bekannten Vertreters der tschechischen Sozialdemokratie. Ihm schwebte als Ziel die Schreibung einer Geschichte der neuen Staatsgründung bzw. ihrer Grundlagen, der Vorgeschichte vor. Er trat an seine Aufgabe mit einem nicht alltäglichen Maße an Enthusiasmus heran, der aber auch von vornherein eine ruhige, sachgemäße Darstellung ausschließt. Er bespricht den gesamten Abwehrkampf der Heimat, immer aber mehr in losen Abschnitten und Bildchen, bei denen vor allem die Verhältnisse in der Arbeiterschaft berücksichtigt, die Zustände während der Zeit des wiedereröffneten Abgeordnetenhauses, die Umsturztage, die Neubildung der tschechoslowakischen Republik und Regierung bis zur Rückkehr Masaryks dargestellt werden. Das Werk bleibt hinter den Memoiren eines Beneš und Masaryk weit zurück. -- Wohltuend sticht von Soukups Opus die stellenweise erschöpfende wissenschaftliche Darstellung der Umsturzzeit, des Untergangs Österreich-Ungarns und der Gründung der sogenannten Nationalstaaten von Opočenský ( 156) ab. O. hat sich schon früher bemüht, das Werden der Nachfolgestaaten darzustellen (vgl. Jberr. III, 615). Nunmehr greift er die gleiche Aufgabe auf viel breiterer Grundlage an. Vor allem kommt es ihm auf eine möglichst eingehende Zeichnung der letzten Lebensmonate der Donaumonarchie an, die er in abgerundeten, stoffreichen Abschnitten vorführt, was ihm durch die Heranziehung des in slawischen Sprachen veröffentlichten Materials (leider nicht des ungarischen) die Möglichkeit gab, auf vielen Strecken ein erhebliches Stück über seine Vorgänger hinauszukommen. Im allgemeinen kann diesem Bande wie dem früheren das Streben nach ruhiger, klarer Darstellung der Hauptphasen nachgerühmt werden. Innere Politik und Kriegsereignisse werden zu einem einheitlichen Ganzen verarbeitet. Der Kampf der Meinungen, ob die Inlands- oder Auslandsrevolution die Hauptarbeit geleistet hat, gibt den Hintergrund zur Borskýs ( 18) Darstellung über die Neuerwerbung des tschechoslowakischen Staates ab. Er verficht mit scharfer Beweisführung die Ansicht, daß die russischen Legionäre Entscheidendes geleistet haben, nicht so sehr Masaryk-Beneš. -- Auch eine beachtliche deutsche Arbeit, die Molischs ( 1229) liegt zu diesem Fragenkomplexe vor. Ihm kam es darauf an, die Einstellung der österreichischen Behörden und deren Vorgehen gegen die Tschechen kritisch zu würdigen. Freilich waren ihm die Publikationen aus tschechischer Feder zum Gutteil versperrt. M. kommt zu dem Ergebnis, daß das Verhalten der Tschechen gegen die Monarchie auf weite Strecken hochverräterisch gewesen ist, daß daher die österreichischen Behörden ein gutes

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Recht zum Einschreiten besaßen. Das beweist auch der Kramařprozeß. Bezüglich der Haltung der sudetendeutschen Politiker während des Umsturzes kommt er zu der Überzeugung, sie hätten unter den gegebenen Umständen getan, was getan werden konnte. -- Politische Tendenz weist Borovičkas ( 17) Propagandaschrift auf, in der alte Legenden ihr zähes Leben weiterfristen. -- Inhaltlich deckt sich teilweise Borovičkas Schrift mit dem von den gesetzgebenden Körperschaften zur Feier des zehnjährigen Staatsbestandes herausgegebenen Jubiläumsbande. Den ungenannten Verfassern -- Konzeptsbeamten der Nationalversammlung -- oblag die Aufgabe, eine Geschichte der Tätigkeit in den gesetzgebenden Körperschaften (Abgeordnetenhaus, Senat) für die Zeit von 1918 bis 1928 zu liefern, beginnend mit dem Národní výbor. -- Ein wichtiges Kapitel bleibt die Tätigkeit der tschechischen Gefangenen und Überläufer in Rußland, wo sie sich bemühten, militärische Formationen, Legionen zu bilden. Diese haben noch während des Krieges eine gewisse, während des russischen Zusammenbruches in Rußland eine bedeutende Rolle gespielt. Traten sie doch als selbständige Armee auf. Kratochvil ( 104) schildert nun eingehend die Schicksale der Legionen. -- Vollkommen zu jenem oben früher schon (Jberr. III, 616) von Papoušek über die Einstellung Rußlands zu den Tschechen gezeichneten Bilde stimmen bruchstückartige Erinnerungen des französischen Generals Janin ( 75, 76). --Klecanda ( 96) beschreibt eingehend die Schlacht bei Zborov vom 2. VII. 1917.


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