V. Rechts- und Verfassungsgeschichte.

Die veränderten staatlichen Verhältnisse bewogen Peterka Jberr. 1928, 1067), für die Bedürfnisse der deutschen Rechtsstudenten eine Rechtsgeschichte der böhmischen Länder zu schreiben, die jedoch zunächst nur das öffentliche Recht umfaßt und jetzt bis zur theresianischen Zeit geführt ist. Gerade das Privatrecht wird wohl noch lange auf tschechischer wie deutscher Seite der Bearbeitung harren, da es hier noch sehr an Vorstudien gebricht. Die Einordnung des sudetenländischen Sonderstoffes in den größeren Rahmen der deutschen Rechtsgeschichte läßt auch den Forscher mit vielem Nutzen zu der Arbeit greifen, die den neuesten Forschungsstand wiedergibt. -- Die »Entdeckung« von Koss (Jberr. III, 612) gab neuerlich den Anstoß zur Aufrollung der vielbesprochenen Frage nach dem Verhältnisse Mährens zum Reiche. Wierer ( 273) machte sich in einer Seminararbeit -- sie trägt leider diesen unfertigen Charakter noch im Druck zur Schau --, in der er von 40 Seiten nicht weniger als 15 der Geschichte der Erforschung dieser Frage widmet, ohne sonderliches Geschick neuerdings an diesen Problemkreis heran. --Horna ( 65) setzt seine Studien über Mährens Teilfürstenzeit fort (vgl. Jberr. V, 667) und strebt vor allem nach genauerer Erfassung des Zentralisationsvorganges zu Ende des 12. und zu Beginn des 13. Jhds. Im Mittelpunkte der Untersuchung stehen die Provinzen Olmütz und Lundenburg. Dabei fällt auf die Gestalt des Markgrafen Wladislaw Heinrich helles Licht. -- Wie Böhmen in den größeren Rahmen des ma.lichen Kaisertums eingebaut war, skizziert Kliment ( 100), um sich damit die Grundlagen für die Darstellung der Böhmens auswärtige Beziehungen betreuenden Organe bis 1620 zu schaffen. Krieg und Friede stehen im Vordergrunde. Der Landesherr bleibt der wichtigste Vermittler und Vertreter. Bald beteiligen sich freilich auch die Großen des Landes, später gelegentlich auch die Städte beim Abschlusse solcher Verträge. In ähnlicher Weise wie beim böhmischen Landesherrn


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untersucht er die Stellung des mährischen Markgrafen, des Olmützer Bischofs, Troppauer Herzogs, vor allem der schlesischen Herzogtümer gegenüber dem Auslande und kommt zu dem wichtigen Schlusse, daß diese doch eine gewisse Selbständigkeit besaßen. Als ausübende Organe kamen der Landesherr oder seine Abgesandten, auch Einzelpersonen in Frage. In dem Abschnitt von 1420 bis 1620 drängen sich die Stände nachdrücklicher in den Vordergrund. -- Einen ähnlichen Zuschnitt weist Kliments ( 99) zweite Untersuchung über das Geleitsrecht in den Sudetenländern auf. Als Einteilungsprinzip dient die Rangstellung des Geleitgebers, wozu sich als zweiter Einteilungsgrund die Rangabstufungen der Geleitsempfänger gesellen. Bei der Behandlung des landesherrlichen Geleites macht K. mit Recht auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die sich aus der Verkoppelung der königlich böhmischen Macht mit der Reichsgewalt ergaben, vor allem auch im Falle Hus. K. ist der Ansicht, Sigmund, der freilich niemals wegen seiner Handlungsweise zu entschuldigen sei, habe durch das Geleite mehr sicherstellen wollen, als wozu er rechtlich fähig gewesen sei. In Sigmunds Zeit wird Reichs- und böhmisches Geleite in eines verbunden, erst zu Ferdinands I. Zeit wird ein Unterschied gemacht.

Quellen des böhmischen Landrechtes sind auf weite Strecken die Rechtsbücher, mit deren Bewertung sich besonders Čáda ( 27) beschäftigt. Die vorhussitischen Denkmäler des böhmischen Landrechts setzen sich aus privaten und »Beamtenmerkbüchern« (Paměti uředníků) zusammen. Die Merkbücher sind die früheren, aus ihnen entwickeln sich die Rechtsbücher. Auch die Rechtsbücher sind erst etappenweise entstanden. Diese hingen übrigens eng mit der Landtafel zusammen. Übrigens benützten die einzelnen Rechtsbücher einander gegenseitig. Daneben legt sich Čáda ( 30) noch eine zweite Hauptfrage vor: Wie steht es um die Systematik der Rechtsbücher? Das Rosenberger Buch weist im Gegensatz zum Bergrechte eine völlige Unsystematik auf, die aber nicht auf die Unfähigkeit des Verfassers, sondern auf die der Kodifikation entgegenstehenden Adelsinteressen zurückzuführen ist. Auch in der Folgezeit blieb es so: die Kodifikationsversuche der Herrscher weisen in ihrer Systematik auf die Nachahmung des fremden Vorbildes, die Rechtsbücher blieben davon unberührt. Erst durch die stärkere Rezeption fremder Rechte wurde hier Wandel geschaffen. --Markovs ( 123) Bemerkungen zum Rosenberger Buche lehren eindringlich die Notwendigkeit wie Schwierigkeit einer Neuausgabe dieses Rechtsdenkmals. -- Der erste große Einbruch fremden Rechtes erfolgte in Böhmen von deutscher Seite. Gerade deswegen ergeben sich schon für die frühe Rechtsentwicklung der Sudetenländer starke Übereinstimmungen mit dem deutschen Recht. In einem kenntnisreichen Vortrage hat W. Weizsäcker: Der Einfluß des deutschen Rechtes auf die böhmische Rechtsentwicklung, Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. Dt. in Böhmen 66 (1928), S. 3--18, Hauptgebiete solcher Rechtsrezeption aufgezeigt. -- Das Strafrecht nahm einen besonders wichtigen Platz im Gesichtswesen ein. Mit Fragestellungen, die H. Hirsch in seiner »Hohen Gerichtsbarkeit« für das gesamte deutsche Hochmittelalter so erfolgreich angewandt hat, tritt H. Wlček in ihrer von diesem angeregten Dissertation: »Beiträge zur Geschichte der Hochgerichtsbarkeit in Böhmen und Mähren bis zur Majestas Carolina« (Jb. d. phil. Fak. d. dt. Univ. Prag V, 1927/8 [1929], 18/19) an die sudetenländischen Quellen heran, wo Sonderergebnisse deswegen zu erwarten waren, weil sich hier slawisches und deutsches Recht durchdrangen.


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-- Auch Rauscher ( 190) hätte sich zu seinem Nutzen von Hirsch belehren lassen können, zumal er einen zentralen Teil des Strafrechtes, der durch die Formel Diebstahl und Raub (vgl. »Dieb und Frevel« im Westen) umschrieben wird, herausgreift und nach der begrifflichen, prozessualen, wie strafrechtlichen Seite behandelt. -- Belangreich sind die Ergebnisse aus Vaněčeks Studie ( 263), in der er der Anwendung der Fronung und Wüstung im böhmischen Landrecht nachgeht. -- Eine auf rechtsvergleichender Grundlage beruhende Arbeit legt Markov ( 124) über das Institut des sok vor, der in den slawischen Rechtsdenkmälern immer wieder begegnet, auch im böhmischen. -- Rauscher ( 191) zeigt in einer Sonderarbeit über die Ehrenbeleidigung im böhmischen Landrecht, daß der Zweikampf immer mehr zurückgedrängt wurde, daß der Beleidigte seine Ehre reinigen mußte. Er führt die einzelnen Fälle der Ehrenbeleidigung auf. -- In die gleiche Reihe gehört Čádas ( 29) Studie über die Geschichte der Personenrechte. -- So kurz Vaněčeks ( 263a) Schrift über die Immunität Böhmens ist, so inhaltsreich ist sie zugleich. Das Ergebnis wird sich im allgemeinen halten lassen, auch wenn die Diplomatik auf dem Gebiete des älteren böhmischen Urkundenwesens noch manch Neues zutage fördern sollte. -- Der umfängliche Band von Schlenz Jberr. 1928, 1238) ließe eine Gesamtdarstellung des Patronatsrechtes in Böhmen vermuten, das jedoch auf weite Strecken nur grundrißartig geboten wird. Das Schwergewicht der Arbeit ruht in der Darstellung der Verhältnisse vom beginnenden 15. Jhd. bis zum ausgehenden 17. Jhd. Für diese entscheidenden Jahrhunderte in Böhmens kirchlicher Entwicklung darf S. den bestimmten Anspruch erheben, eine Gesamtarbeit geleistet zu haben, die der Kirchengeschichte dieser Länder ein erneuter Antrieb zur Fortsetzung der von Naegle begonnenen Gesamtdarstellung werden möge. -- Zychas grundlegende Darstellung des böhmischen Bergrechtes im MA. verlangte dringend nach einer entsprechenden Fortsetzung für die neueren, nicht minder reichen Jahrhunderte böhmischer Bergrechtsentwicklung, vor allem für das Hauptgebiet des Bergbaus im 16. Jhd.: Joachimsthal. W. Weizsäcker: Sächsisches Bergrecht in Böhmen. Das Joachimsthaler Bergrecht des 16. Jhds., Reichenberg (Stiepel) 1929, 312 S. hat sich dieser lohnenden Aufgabe mit Glück und Geschick unterzogen. Eingehend werden die Rechtsquellen, dann die einzelnen Haupt- wie Sonderteile des Bergrechtes in der Hauptsache in Anlehnung an Zychas Arbeit dargestellt. Begrüßt hätte man, wenn W. der Verbreitung des Joachimsthaler Rechtes mehr nachgegangen wäre und sie durch eine Karte veranschaulicht hätte.


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