§ 68. Schweiz (bis 1499)

(A. Largiadèr)

Die Arbeit Karl Meyers ( 408) über die geographischen Voraussetzungen der eidgenössischen Territorialbildung ist erwachsen aus einer intensiven Beschäftigung mit der Struktur der alten Eidgenossenschaft. Der Verfasser bespricht zunächst die natürliche Gliederung des schweizerischen Gebietes, wobei er die große Bedeutung des sogen. Wassertores von Windisch hervorhebt. Im zweiten, eigentlich historischen Teil schildert er das territoriale Wachstum der Eidgenossenschaft und erörtert eingehend die Gründe für die Gebietsverluste, für die sogen. verpaßten Gelegenheiten, also alle jene Fälle, die vom heutigen Standpunkt aus als ein Versagen der alten eidgenössischen Staatsgewalt betrachtet werden müssen. Die Zusammenhänge mit der Innenpolitik, seit dem 16. Jhd. mit der konfessionellen Spaltung, sind sehr gut herausgearbeitet.

Zu den neuerdings umstrittenen Fragen der urschweizerischen Geschichte gehört die Erörterung über die Anfänge der Stadt Luzern. Durrer ( 410) unternimmt diese Erörterung und kommt zu überraschenden Ergebnissen, die teilweise von bisherigen Ansichten abweichen. Die Grundlage bilden ein Diplom Kaiser Lothars von 840 und ein Dokument aus dem 11. Jhd., in welchem von der selbständigen Gründung des Gotteshauses Luzern und von drei vormaligen, selbständigen Aebten die Rede ist. Es stellt sich die Frage: Wann ist das Gotteshaus Luzern entstanden; war dieses Gotteshaus von Anfang an dem elsässischen Kloster Murbach unterstellt? Durrer kommt zu folgenden Schlüssen: Schon unter Pipin bestand ein Klösterchen in Luzern mit Königsschutz und Immunität. Später Zerfall und Eingehen des Konvents; in der Zeit Karls des Großen Wiederherstellung des Gotteshauses und Zuweisung bedeutender Schenkungen. Um 840 läßt sich der Abt von Murbach das reich und begehrenswert gewordene Gotteshaus Luzern durch den karolingischen Herrscher als Kommende zuteilen und später kommt Luzern an Murbach. Fällt dergestalt die Erneuerung des Gotteshauses Luzern in die Zeit Karls des Großen, so muß auch der Versuch unternommen werden, den in diesem Zusammenhang genannten, bisher als sagenhaft betrachteten Rupert (dux militum) zu identifizieren. Durrer erblickt in ihm einen Grafen Rupert oder Ruadpert, einen Verwandten der Karolinger. Rupert unternahm eine Stiftung zugunsten eines Gotteshauses in Zürich, und zwar des Chorherrenstiftes Großmünster daselbst. Er übergab einen Teil seines Besitzes dem Kaiser Karl, und so würde sich die traditionelle Verehrung erklären lassen, die Karl der Große in Zürich späterhin und bis zum heutigen Tage genießt. Die Luzerner und die Zürcher Stiftung möchte Durrer auf 806 oder 807 ansetzen. -- Zwei weitere Abschnitte befassen sich mit dem Ortsnamen Luzern und mit dem Gotthardweg. Die Deutung Brandstetters, die Luzern mit Leodegar in Zusammenhang bringt, lehnt Durrer ab und weist auf die eventuelle Verwandtschaft mit etruskischem Sprachgut hin. Für den Gotthardweg stellt Durrer sodann alle Argumente zusammen, die auf allfällige Spuren der Römer am Gotthard schließen lassen. Ohne positive Behauptungen zu formulieren, stellt er eine Reihe von bemerkenswerten Fragen, so z. B. die Erwägung, ob nicht eventuell die Teufelsbrücke doch römischen Ursprungs sei. In der Forderung einer fachmännischen, archäologischen Untersuchung dieser Fundamente kann man Durrer nur beistimmen. Zum Schluß


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kommt ein höchst wichtiges Argument in der Darlegung Durrers. Es ist ihm gelungen, einen bisher unentzifferbaren Text eines Dokuments zu lesen und inhaltlich zu verwerten. Auf der Rückseite eines Traditionsrodels steht eine Urkunde aus dem 12. Jhd., die aber durch den vielfachen Gebrauch des Rodels fast unleserlich geworden ist. Eine Untersuchung durch das Palimpsestinstitut des Klosters Beuron und die Mithilfe von Bundesarchivar Türler in Bern und Stadtarchivar Schieß in St. Gallen ergaben indessen den Hauptinhalt des Dokumentes: ein gewisser Ermnoldus vermacht, nachdem er an Feldzügen in der Lombardei teilgenommen hatte und nachdem er bei seiner Rückreise gute Aufnahme und Pflege bei den Mönchen in Luzern gefunden hatte, sein ganzes Erbe dem genannten Kloster. Diese Vergabung muß in die Zeit König Konrads I. fallen. Durrer erblickt in diesem Dokument das älteste bestimmte Zeugnis für die Benutzung des Gotthardweges, »das sich als wichtiges Glied in die Indizienkette einfügt, die diese Paßroute in eine viel frühere Zeit hinaufrückt, als man bisher gemeinlich anerkennen will«. -- In einem letzten Teil seiner Ausführungen gibt Durrer eine Übersicht über die bauliche Entwicklung der Stadt Luzern.

In seiner Studie über die älteste Geschichte des Engadins stellt Schneider ( 409) die nicht sehr zahlreichen Zeugnisse aus römischer und frühma. Zeit zusammen. Den Ergebnissen Oskar Farners (die Kirchenpatrozinien des Kantons Graubünden, 1925) pflichtet er nur zum Teil bei; vor allem betont er gegenüber Farner die viel größere Wichtigkeit der italienischen Patrozinien für die Deutung der Patrozinien in Graubünden. Der Hauptgedanke von Schneiders Ausführungen ist die Prüfung einer Reisebeschreibung des Bischofs Arbeo von Freising, die sich in der 766--768 geschriebenen Vita Corbiniani befindet. Schneider kommt zum Ergebnis, daß die von Arbeo verwendete Namensform Innetini (für die Bewohner des Engadin) als ältester Name nicht zu brauchen ist.

Schnürer ( 744) hebt die Bedeutung der Heirat Barbarossas mit der burgundischen Beatrix hervor. Friedrich I. plante bald nach 1152 einen Feldzug nach Burgund, wobei er dem Zähringer Konrad IV. zu seinen in jenen Gebieten zum Teil bestrittenen Rechten verhelfen wollte. Wenn auch dieser Feldzug unterblieb, so hatte die Unterstützung durch den Staufer den Erfolg, daß Bertold IV. eine neue Stadt an der Saane, eben Freiburg, gründen konnte. Was den Zeitpunkt der Gründung betrifft, so schließt sich Schnürer dem von Pierre de Zurich mit guten Gründen vorgebrachten Datum von etwa 1157 an.

In zwei Abhandlungen hat der Rechtshistoriker Hans Fehr zur Entstehungsgeschichte der Schweizer Eidgenossenschaft Stellung genommen. Die eine Arbeit ( 779) war für den internationalen Historikerkongreß in Oslo 1928 bestimmt und ist hernach im Druck erschienen. Gegenüber dem Buche von Karl Meyer (vgl. Jberr. 1927, p. 624--626) erhebt Fehr verschiedene Vorbehalte. Er lehnt die Ansicht einer privaten Schwurgenossenschaft ab. In der Ablehnung der fremden, unfreien Richter durch die Waldstätte sieht er einen stark konservativen Zug; in dieser Ablehnung liegt kein Widerstand gegen das Haus Habsburg und daher beurteilt F. das Vorgehen der Urschweizer als rechtmäßig. Die Eidgenossenschaft ist eine Friedensgemeinschaft. Die Beobachtungen Durrers und Meyers über italienische Einflüsse sind zutreffend. Ein bewußter Wille zur Staatengründung liegt in der Periode der Bundesgründung nicht vor. -- Für die Jahresversammlung der allgemeinen geschichtforschenden


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Gesellschaft der Schweiz in Arbon 1929 hatte Fehr eine Anzahl Thesen ( 779) als Grundlage für eine Debatte über den Bund von 1291 ausgearbeitet: Es handelt sich um die ausdrückliche Bewahrung des alten Rechts; der Bundesbrief verwertet geltendes Recht (Mainzer Landfriede von 1235); im übrigen hält Fehr an seinem in Oslo vorgelegten Gedankengang fest. -- Für dieselbe Jahresversammlung in Arbon 1929 hatte auch der Berner Historiker Léon Kern ( 779) Diskussionsthesen ausgearbeitet: Der Text des Bundesbriefes ist von einem in der lateinischen Komposition nicht sehr wohl erfahrenen Schreiber abgefaßt; revolutionäre Tendenzen liegen dem Bund nicht zugrunde; der Text der antiqua confoederationis forma ist nicht absolut sicher festzustellen (also eine gewisse Einschränkung gegenüber Bresslau!); die private Verschwörung ist abzulehnen. Der Verfasser gibt ferner noch eine Anzahl sehr beachtenswerter Beobachtungen über die Latinität des Bundesbriefes von 1291 wieder.

Die Glaubwürdigkeit des schweizerischen Historikers Aegidius Tschudi (gest. 1574) ist im 19. Jhd. durch Kopp (für die Chronikpartien des MA.) und durch Mommsen (für die römischen Inschriften), späterhin auch noch durch Schulte (für die Glarner Urkunden) erschüttert worden. Traugott Schieß, der eine Bearbeiter des (vgl. Jberr. 1927 p. 626) »Quellenwerkes zur Entstehungsgeschichte der Eidgenossenschaft« nimmt neuerdings zur Frage der Echtheit von Tschudis Meieramtsurkunden Stellung ( 280). Veranlassung zu dieser erneuten Prüfung gab ihm die Arbeit von Ernst Mayer (vgl. Jberr. 4, S. 515). Schieß kommt zum Schluß, daß Tschudi wirkliche Fälschungen begangen habe und lehnt den Rettungsversuch Ernst Mayers ab.

B. Amiet ( 780) behandelt die Territorialpolitik der Stadt Solothurn im späteren MA. Solothurn war freie Reichsstadt, gehörte dem eidgenössischen Bunde an und hat sich von 1344 bis 1532 durch Kauf und Waffengewalt sein Gebiet geschaffen, das uns heute noch als »Kanton Solothurn« vor Augen liegt. Die erste Periode der Ausdehnung ging, entsprechend der geographischen Lage, der Aare entlang aufwärts und abwärts, in steter Verbindung mit Bern, vor dessen kraftvoller Territorialpolitik Solothurn mehrfach zurücktreten mußte. Gelegentlich findet sich auch bernisch-solothurnisches Condominium, aber beide Städte lösten diese Form wieder auf. 1434 setzte der erste große Vorstoß Solothurns in den Jura ein. Das führte zu Konflikten mit der ebenfalls in der Territorialbildung begriffenen Stadt Basel, und dieser Umstand mag Basel bewogen haben, sich 1501 dem eidgenössischen Bund anzuschließen. Die drei Partner Solothurn, Bern und Basel gehörten nun fortan demselben Staatenbund an und so wickelte sich die Territorialbildung später in glimpflichen Formen ab. Eine neue Lage entstand durch den Übergang Basels und Berns zur Reformation: das katholisch bleibende Solothurn gewann jetzt an Österreich und später am benachbarten Bischof von Basel Gesinnungsgenossen. Die höchst lehrreichen Hauptzüge der Entwicklung hat Amiet gut herausgearbeitet: zunächst das Überwiegen der Landkäufe, das Zurücktreten der paar wenigen kriegerischen Erwerbungen; sodann die Wichtigkeit der Anlehnung Solothurns an die werdende Eidgenossenschaft, und endlich die Bedeutung der finanziellen Leistungsfähigkeit des städtischen Gemeinwesens. Verglichen mit der fürstlichen Territorialpolitik sind dies bemerkenswerte Züge einer Sonderentwicklung. Stellt schon dieser erste Teil der Arbeit eine wesentliche Bereicherung unserer Erkenntnis dar, so bietet der zweite Teil: »Ziele, Mittel und Wege der


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solothurnischen Territorialpolitik« viel Neuland. Die Bedeutung der wirtschaftlichen, militärischen und sozialen Verhältnisse ist gut erfaßt und dieser Teil stellt eine gute Ergänzung zur schweizerischen Rechtsgeschichte dar. Sehr dankenswert sind die Abschnitte über Burgrechte und Ausbürgertum (S. 144) und über die Eigenleute (S. 164). Der dritte Teil der Arbeit befaßt sich mit dem Ergebnis der Territorialpolitik, mit der Landesherrschaft. Zunächst werden (S. 217--237) die einzelnen Vogteien in ihrem Status im 16. Jhd. besprochen, sodann folgt die Schilderung der Territorialverwaltung Solothurns. Im ganzen genommen stellt die Arbeit Amiets, namentlich in bezug auf wirtschaftliche und soziale Verhältnisse, eine bemerkenswerte Leistung dar. -- Fernerstehende seien noch auf die historische Karte des Kantons Solothurn, bearb. von Ferdinand Eggenschwyler in den Mitt. d. Hist. Vereins d. Kts. Solothurn, Heft 8 (1916), aufmerksam gemacht.

Donald Lindsay Galbreath bespricht in seiner sphragistischen Studie ( 331) die Siegel der Bischöfe von Lausanne seit ihrem ersten Vorkommen bis zur Eroberung des Bistums Lausanne und dem Durchbruch der Reformation in demselben anläßlich der Eroberung durch die Berner 1536. Die noch nachweisbaren Siegel sind in vorzüglichen Strichzeichnungen wiedergegeben; der Verfasser behandelt die Siegel nach der inhaltlichen, technischen und kunstgewerblichen Seite und bespricht auch die Rücksiegel und die Elektensiegel. Am Schluß seiner Arbeit stellt er in einer Tabelle das Vorkommen der insgesamt 63 Siegeltypen des alten Bistums Lausanne zusammen.

In einer Dissertation hat Frauenfelder ( 1783) die Patrozinien für ein lokal abgegrenztes Gebiet, für den Kanton Schaffhausen, untersucht. Abgesehen von einer Arbeit über Kirchenpatrozinien in Graubünden, die vor einigen Jahren erschien und starken kritischen Einwendungen begegnete, ist die Frauenfeldersche Arbeit seit längerer Zeit der erste Versuch einer solchen Studie an schweizerischem Material und er ist im allgemeinen als durchaus gelungen zu bezeichnen. Ein Einwand läßt sich nicht unterdrücken: es betrifft dies die Abgrenzung des Stoffgebietes. Der heutige Kanton Schaffhausen ist, verglichen mit dem Alter der Patrozinien, ein relativ neues Gebilde, und so erscheint die Abgrenzung des Stoffes nach neueren, politischen Grenzen nicht ohne Bedenken. Dagegen bietet die Arbeit durch Einbeziehung aller bezeugten Altäre und durch reichliche Ausblicke auf die Archäologie eine Bereicherung der landesgeschichtlichen Literatur. Der Stoff ist gruppiert wie folgt: a) Patrozinien aus der Bibel, b) fränkische Patrozinien, c) römische und orientalische Patrozinien, d) spätmittelalterliche Zweckheilige, e) deutsche Patrozinien. Ein alphabetisches Register und eine Karte mit Einzeichnung der Patrozinien sind nützliche Beigaben zu der Arbeit, die aus der Schule Karl Meyers stammt.

Die neue Lieferung des Wappenbuchs der Stadt Basel ( 330) enthält in guter Ausführung die Wappen von 51 Basler Geschlechtern in der Form, daß auf der Vorderseite der Blätter (in Schmalfolio) das Wappen aufgezeichnet ist, während die Rückseite die Genealogie in Stammbaumform enthält. Die Stammbäume sind verfaßt von Arnold Lotz (†), August Burckhardt, Walther Merz, K. Geigy, August Huber und G. Albrecht. Das Unternehmen wird fortgesetzt.

Von dem Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen ( 156) ist in dem Berichtsjahr eine neue Lieferung erschienen (Teil VI, Lief. III, 1453--1458). Seit dem Erscheinen der Jahresberichte für deutsche Geschichte bietet sich damit


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zum erstenmal Gelegenheit, des Fortganges dieses Werkes zu gedenken. Begründet von Hermann Wartmann (gest. 1929) und herausgegeben von der um die geschichtlichen Publikationen der Schweiz verdienten Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, sind die späteren Bände von Placid Bütler, Joseph Müller und Traugott Schieß bearbeitet worden. Die einzelnen Abteilungen des Werkes sind erschienen: I (1863) umfassend 700--840; II (1866) umfassend 840 bis 920; III (1882) 920--1360; IV (1899) 1360--1411; V (1913) 1412--1442; VI (drei Lieferungen 1917, 1918 und 1929) 1442--1458. Von Band III an ist die Herausgabe vom Historischen Verein des Kantons St. Gallen aus seinen Mitteln, natürlich mit behördlichen Zuschüssen, durchgeführt worden. Für die beiden ersten Bände mit ihrem einzigartigen Material an Traditionsurkunden hat Wartmann 1920 noch ein Sachregister bearbeitet. Boten die beiden eben erwähnten Bände I und II historisches Quellenmaterial von allgemeinstem Interesse, so enthalten die späteren Bände in erster Linie Dokumente zur Landesgeschichte. Mit der zunehmenden Fülle des Materials drängte sich die Einschiebung von Regesten auf, die von Band V an immer stärker hervortreten. Diese Art der Publikation wurde für alle minder wichtigen Dokumente angewendet, immerhin blieb der Textabdruck das Maßgebende für alle irgendwie bedeutenden Stücke. Neben der Abtei St. Gallen wuchs im späteren MA. die Stadt gleichen Namens empor, zunächst äbtische Stadt, dann nach langen Auseinandersetzungen mit dem Stift des Hl. Gallus selbständig und verbündet mit den Eidgenossen. Die Stadt St. Gallen wurde im 15. Jhd. durch die Diesbach-Wattgesellschaft ein Mittelpunkt wirtschaftlichen Lebens, und im 16. Jhd. war der Stadtarzt und Bürgermeister Joachim von Watt, gen. Vadianus, eine Zierde des Humanismus und außerdem die führende Gestalt der Reformation. Die Urkunden dieses städtischen Gemeinwesens enthält das UB. ebenfalls, und es sei an dieser Stelle nachdrücklich auf diesen weiteren Bestand an Material hingewiesen. So sind das Kloster, die Stadt und das stiftische Territorium die drei dominierenden Gesichtspunkte der jüngeren Bände des UB. der Abtei St. Gallen. Tochterunternehmungen des Wartmannschen Urkundenbuches sind in gewissem Sinne das Appenzeller Urkundenbuch (1913) und das Urkundenbuch zur st.-gallischen Handels- und Industriegeschichte, einstweilen in 2 Lieferungen umfassend die Jahre 816--1433 (1922 und 1923). Die erzählenden Quellen der Abtei St. Gallen, die Chroniken vorab Ratperts, Ekkeharts und Kuchimeisters hat Gerold Meyer von Knonau (gest. 1931), der Freund und Fachgenosse Wartmanns, ediert. So ist die ältere Geschichte St. Gallens durch zahlreiche Publikationen beleuchtet. -- Was der vorliegenden Lieferung des Urkundenbuches ein ganz besonderes Interesse verleiht, ist der spannende Prozeß, der in und um die Abtei St. Gallen gegen den unfähigen Abt Caspar von Breitenlandenberg geführt wurde und der ein typisches Beispiel einer erfolgreichen reformatio in spiritualibus et temporalibus eines Benediktinerklosters darstellt. Zunächst greifen die 4 Schirmorte der Abtei (Zürich, Luzern, Glarus und Schwyz) ein, mit denen das Kloster seit 1451 verburgrechtet und damit zur Stellung eines sogen. zugewandten Ortes der schweizerischen Eidgenossenschaft vorgerückt war; deutlich hebt sich die Aktivität Zürichs ab. Der Versuch der Stadt St. Gallen, klösterliche Hoheitsrechte an sich zu bringen, scheitert. Dann greifen die Äbte von Wiblingen, Hirsau, St. Peter in Erfurt und St. Stephan in Würzburg im Namen des Provinzialkapitels

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des Benediktinerordens ein, und ihr Eingreifen endigt mit der Suspendierung des Abtes Caspar in weltlichen und geistlichen Rechten. Den Höhepunkt erreicht der Kampf durch den Schiedsspruch des Kardinals Aeneas Piccolomini und dessen Bestätigung durch Calixtus III. (1457). Administratur wurde der aus bescheidenen bürgerlichen Verhältnissen emporgestiegene Ulrich Rösch, der 1463--1491 als Abt das Kloster recht eigentlich wieder neu gründete. Hervorzuheben ist die Tatsache, daß die Begründung des sog. Hauptmannschaftsvertrages des Klosters mit den vier Schirmorten 1479 auf ältere Tendenzen in den 1450 er Jahren zurückgeht, wie sich aus dem von Schieß und Müller mitgeteilten Material deutlich ergibt.

Die Arbeit von Grütter ( 743) bietet eine gute Zusammenfassung der Geschichte Rudolfs II. von Burgund auf Grund des zur Verfügung stehenden Quellenmaterials und unter Berücksichtigung der bisherigen Darstellungen. Der Verfasser nennt seine Abhandlung einen »Versuch zu einer Deutung seiner Politik aus den ma.lichen Zeitanschauungen«. Er hält sich genau an sein Thema und gibt also nicht etwa, was hier ausdrücklich betont sei, den burgundischen König in irgendeiner »Schau«.

Adolf Fäh ( 90) hat in einer Abhandlung über die Stiftsbibliothek St. Gallen (»Der Bau und seine Schätze«) eine gute Zusammenfassung der Bibliotheksgeschichte gegeben, immerhin liegt das Schwergewicht der Arbeit mehr auf der baugeschichtlichen Seite. Zunächst behandelt Fäh die Klosterbibliothek in der Frühzeit und gibt dabei den neuesten Stand der Forschung nach der paläographischen Seite wieder. Auf dem Klosterplan von ca. 830 war auch die Anlage einer besonderen Bibliothek vorgesehen, deren nähere Ausgestaltung jedoch ist nicht bekannt. Der Verfasser gibt dann die Geschichte der St. Gallischen Büchersammlung wieder und spricht eingehend vom Bibliothekneubau von 1551 unter Abt Diethelm Blarer und von dem heute noch bestehenden Bau aus dem 18. Jhd., veranlaßt durch den Gesamtneubau der Klosteranlage unter den Äbten Cölestin Gugger von Staudach und Beda Angehrn. Die Beschreibung des reizenden Rokokoraumes und der Nebenräume der Bücherei nach der architektonischen und nach der kunstgewerblichen Seite ist in trefflicher Weise durchgeführt und wird durch eine große Zahl von guten Bildern aufs beste unterstützt.

Die von Troxler ausgearbeitete Bibliographie ( 27) enthält eine Literaturzusammenstellung der sog. fünf Orte (Kantone Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern und Zug). Sie bietet die Titel aller länderkundlichen Publikationen über dieses Gebiet sowie alle literarischen Arbeiten beliebigen Inhaltes von Schriftstellern in oder aus den fünf Orten. Sie bietet so ein möglichst selbständiges Bild des innerschweizerischen Schrifttums.

Die Arbeit von Hegglin über das gesetzliche Erbrecht der Rechtsquellen Unterwaldens ( 1369) zeigt, daß in Unterwalden deutsches Recht vorherrschte. In späterer Zeit trat eine Anpassung der alten Einrichtungen an die neueren Anschauungen ein. Besprochen werden die drei Rechtsgebiete von Obwalden, Nidwalden und Engelberg. Im einzelnen gelangen zur Darstellung die Gliederung und Berechnung der Verwandschaft, Vatermagen und Muttermagen, Inhalt und Voraussetzungen der Erbfolge; das Erbrecht der Kinder und der weiteren Nachkommen, der Vorfahren und Seitenverwandten; das Erbrecht der Ehegatten und der Unehelichen; erbloses Gut; der Erwerb der Erbschaft, die Haftung für Nachlaßschulden.


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