Allgemeines.

1929 ist eine außergewöhnlich große Zahl von Arbeiten zum Schriftwesen erschienen. Ich beginne mit dem von Prochno ( 243) edierten 2. Bd. in der Sammlung «Die Entwicklung des menschlichen Bildnisses». Er enthält u. a. Darstellungen von Schreibern (aber keine Evangelisten) aus Hss. der karolingischen und ottonischen Zeit. Für die Schreibtechnik bringen sie keine neuen Erkenntnisse. Der beigefügte Text erfuhr von fachwissenschaftlicher Seite eine wenig günstige Beurteilung. -- Die deutsche Akademie versucht es, in den leidigen Streit zwischen Fraktur- und Antiqua-Anhängern klärend und fördernd einzugreifen. In diesen Zusammenhang gehört der Aufsatz von Niemeyer ( 232), welcher schon früher die interessante Vermutung ausgesprochen hat, die im Frühmittelalter beginnende Worttrennung könnte dadurch verursacht sein, daß die Germann das ihnen fremde Latein nur vom Wort her zu bewältigen in der Lage waren. Jetzt will er die gleich nahe Beziehung zwischen Klang- und Augenbild als einen maßgebenden Faktor für den gesamten Ablauf der abendländischen Schrift erweisen. Das hier aufgeworfene Problem scheint mir bemerkenswert. Doch muß die Diskussion auf einer noch breiteren Basis geführt werden. -- Beobachtungen anderer Art hat der Kunsthistoriker Kautzsch ( 220) in seiner Festrede für die Gutenberg-Gesellschaft angestellt. Er sieht in Schrift und Architektur den Ausdruck des gleichen Zeitgefühles und konstatiert in der Entwicklung beider den parallelen Wechsel von Perioden der leidenschaftlichen Bewegtheit und von solchen des ruhigen harmonischen Seins. Ich persönlich erhoffe von dieser Betrachtungsweise den reichsten Ertrag für unsere Wissenschaft, besonders wenn auch das Studium der Miniatur noch viel enger, als bisher schon geschehen ist, mit der Paläographie verbunden wird. -- Auf 240 Tafeln breitet Degering ( 219) ein sehr reiches und höchst mannigfaltiges Material aus, das großenteils Berliner Sammlungen entstammt und den Zeitraum vom 5. Jhd. a. Chr. bis gegen 1800 hin umfaßt. Darunter befindet sich vielerlei Unveröffentlichtes. Hingewiesen sei auf die Blätter des Evangeliars von Prüm, auf die Monumentalschriften von ma.lichen und neueren Denkmälern, sowie auf die Proben aus Schreibmusterbüchern. Für eine Publikation, die wesentlich dem praktischen Werkkünstler dienen soll, ist die einleitend gegebene Geschichte der Schrift wohl zu sehr mit wissenschaftlichem Ballast beschwert, während man gelegentlich ästhetische Gesichtspunkte vermissen muß. Auch fehlen die gerade dem Laien unentbehrlichen Transskriptionen. --Steffens


S.123

( 221) Paläographie ist nur ein Wiederabdruck der 2. Auflage. -- Wegen Cappellis ( 222a) Lexicon abbreviaturarum vgl. die Bemerkungen zur deutschen Ausgabe in Jberr. 1928, S. 99. -- Die wissenschaftliche Bearbeitung der Abkürzungen erfordert ein systematisches Sammeln der in Altertum und MA. selbst entstandenen Verzeichnisse. Dazu liefert P. Lehmann ( 223) einen wertvollen Beitrag. Er untersucht bisher unbeachtet gebliebene Überlieferungen der Laterculi notarum, bespricht und publiziert ferner mehrere Abkürzungslisten des 11. bis 15. Jhds. (vgl. meine Rezension in der Hist. Zeitschr. Bd. 144).


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