I. Allgemeines; Atlaswerke.

Auf dem internationalen Kongreß für Historische Geographie in Brüssel 1931 sprach F. Curschmann über historischgeographische Probleme ( 366). Er gab zunächst einen Überblick über die in Arbeit befindlichen deutschen geschichtlichen Atlanten (hinzuzufügen wäre das schon lange begonnene Unternehmen der Sächsischen Kommission für Geschichte). Dabei wurde näher auf das Werk der historischen Kommission für Brandenburg und Pommern eingegangen, im besonderen auf die Karte der Landratskreise des 18. Jhds.; hierfür wurden lehrreiche Beispiele aus der ma.- lichen deutsch-polnischen Grenzzone gezeigt. Sodann wurden die kartographischen Quellen in Deutschland besprochen und der wesentliche Unterschied der meist nur oberflächlichen gedruckten Karten und der handschriftlich vorliegenden, die sich oft durch hohen Quellenwert auszeichnen, dargelegt (Oeder, Dilich, Rauh, Suchodoletz, dazu die sehr genauen Flurkarten Schwedens, schon vom Ausgang des 17. Jhds). Bei der Wichtigkeit der Festlegung von Grenzen ging C. genauer auf das Problem der Beständigkeit der Gemeindegrenzen ein, wobei Unterschiede des deutschen Westens vom Osten hervorgehoben werden konnten. C. faßte seine Beobachtungen in dem Satz zusammen: »Eine einmal gezogene Liniengrenze verschwindet nie, sie verändert nur ihre Qualität.«

In einer Schriftenreihe »Geschichte der führenden Völker« stellt H. Hassinger ( 367) die Zusammenhänge zwischen den Erdräumen und der Kulturentwicklung dar, nur in Umrißzeichnung, indem eine gesonderte Behandlung einzelner Völker den nachfolgenden Bänden der Sammlung vorbehalten wird: so für Griechenland und Italien, auch für Deutschland, so daß in diesem Jahresbericht für deutsche Geschichte eine eingehendere Kennzeichnung nicht nötig erscheint. Wichtig für den Historiker sind die methodischen Ausführungen über das Verhältnis von Geographie und Geschichte, sowie die feinsinnige Darbietung einer Gesamtschau über die Wohnräume der Menschheit und den Gang der Hochkultur, die Schauplätze der Staatenbildung, die Überwindung der ozeanischen Räume, am Schluß mit einer Übersicht der politischen Geographie der großen Reiche in Vergangenheit und Gegenwart. Als Aufgabe der historischen Geographie wird bezeichnet: »die Kulturlandschaft vergangener Zeiten zu beschreiben und zu erklären« und die inneren Zusammenhänge zwischen geographischem Schauplatz, kulturellem Zustand und historischen Vorgängen aufzuhellen.

Sehr wesentlich für die historisch-geographische Erforschung Deutschlands kommt das Werk von R. Gradmann ( 372) über Süddeutschland in Betracht. Schon die einführenden Bemerkungen über die Methode länderkundlicher Darstellung seit K. Ritter bis A. Hettner sind belangreich. Den Begriff Deutschland versteht Gr. als das Wohngebiet des deutschen Volkes ohne Rücksicht auf politische Grenzen. Bei »Groß-Süddeutschland« zieht er demgemäß


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Elsaß und Deutsch-Lothringen, sowie die deutsche Schweiz und Deutsch-Österreich nebst Südtirol ein; aus praktischen Gründen werden jedoch einige Gebiete, die in der Bibliothek länderkundlicher Handbücher bereits bearbeitet sind, ausgeschieden: die Ostalpen und die Sudetenländer nebst Schlesien. Im Norden gegen Mitteldeutschland wird nicht die Mainlinie als Scheide gewählt; vielmehr verläuft die angenommene Grenze am Südfuß der Gebirge, aus denen sich die mitteldeutsche Gebirgsschwelle zusammensetzt (also nicht Schlüters Mitteldeutschland-Begriff), das südliche Vorland des Thüringer Waldes wird ausgeschlossen. Bei der Erörterung über das Verhältnis des betrachteten Raumes zu Mitteleuropa wird dieser Begriff in einem engen und weiteren Ausmaß unterschieden. Als Hauptaufgabe stellt sich Verf. die Herausarbeitung der natürlichen Landschaften, wobei zunächst die allgemeinen Grundzüge klargestellt werden; der zweite Hauptteil ist sodann der Schilderung dieser Landschaften gewidmet. Ein sehr mannigfaltiges Leben breitet sich vor den Augen des Betrachters aus: Landformen, Klima und Bodenbeschaffenheit, die Siedlung in der Zeitfolge sowie in ihrer »geographischen Entwicklung«, Volk und Staat mit näherem Eingehen auf Rasse, Sprache und Volkstum, die verschiedenen Wirtschaftszweige, Städte und Märkte, Handel und Verkehr, Bevölkerungszahl und Volksdichte. Kein Historiker, der sich mit Süddeutschland irgendwie zu befassen hat, darf an diesem mit gründlichster Kenntnis, klar und geschmackvoll geschriebenen Werk vorübergehen.

In gedankenreichen geopolitischen Ausführungen handelt H. Steinacker ( 371) über Wirkungen des Raums in der österreichischen Geschichte. Dabei greift er auf den Gedanken des Donauraumes zurück, der, als hydrographische Einheit verstanden, in morphologischer, wirtschaftlicher und ethnopolitischer Hinsicht geschildert wird. Gewiß sind, wie Verf. darlegt, Schwankungen des beherrschten Raumes erfolgt. Aber nicht nur dynastisches Weltmachtsstreben war dafür maßgebend, vielmehr geschah ein vielstrebiger Ausbau der habsburgischen Stellung im deutschen und italienischen Großraum: Österreich ist Träger wirklich nationaler Interessen gewesen. Hervorgehoben wird das Verhältnis zum »nahen Osten«, dessen Anlehnung an Mitteleuropa notwendig bleibt. Von ganz anderen Gesichtspunkten geht F. Karg bei seinen Betrachtungen zum ostmitteldeutschen Raum aus ( 523). K. führt aus, daß die deutsche Sprachforschung mit Recht begonnen hat, auch dem Osten gebührende Aufmerksamkeit zu schenken; denn es gibt ein eigenes Sprachleben des Ostens, selbständig vollzieht sich hier ein sprachliches Geschehen nach Gesetzen, die anders zu werten sind als die Erscheinungen, die man vom Westen her gewohnt war, obwohl auch der Osten ähnliche sprachbildende Faktoren kennt. An bezeichnenden Beispielen wird dies für den Raum dargetan, der durch die Lage zwischen Eisenach, Magdeburg und Leipzig umschrieben ist, im Hinblick auf die Verbreitung mundartlicher Erscheinungen, aber ganz allgemein mit der Absicht, möglichst alle Seiten völkischen Wesens zu erfassen. Auf der Höhe des MA. im 12./13. Jhd. erweist sich der thüringisch-sächsische Raum als höchst fruchtbar für die Weiterbildung der Sprache und Literatur; überhaupt ist dieser Raum geschichtlich wieder und wieder bedeutsam hervorgetreten, auffallend durch eine große Beweglichkeit der in ihm wohnhaften Bevölkerung, die sich aus einer mannigfachen Menschenmischung herausgebildet hat.

Einen lehrreichen Beitrag zur Geschichte der Kartographie bringt


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R. Uhden ( 368) mit einer Untersuchung über die ma. Weltkarten, wobei eine Gliederung nach Typen und eine Übersicht nach der Zeitfolge geboten wird. Klar erkennbar ist das römische Vorbild, wobei besonders auf die Weltkarte des Agrippa eingegangen wird, deren kreisförmige Gestalt und Orientierung nach Osten wahrscheinlich gemacht wird. So gelingt es hier, das viel erörterte Problem der Kontinuität zwischen Altertum und Mittelalter in neuer Beleuchtung zu zeigen.

Fragt man nach dem allgemeinen Fortschritt historischer Kartographie in Deutschland, so ist auf den zu glücklicher Vollendung gebrachten Elsaß- Lothringischen Atlas hinzuweisen, herausgegeben von G. Wolfram und W. Gley ( 385). Das Werk stellt einen neuen Atlastyp dar; es nimmt in bezug auf Format und Vielseitigkeit des Inhalts eine Mittelstellung ein zwischen den landesgeschichtlichen Atlasunternehmungen großen Maßstabes, die aus den Quellen mit gründlichster Einzelarbeit gefördert werden, aber nur langsam fortzuschreiten pflegen, und jener Reihe kleinerer geschichtlicher Handatlanten, wie sie seit dem Vorbild für das Rheinland mehrfach in Angriff genommen worden sind. Die mit großer Tatkraft erreichte Durchführung des Planes, wobei eine stattliche Schar von Mitarbeitern zusammengewirkt hat, ist um so mehr mit Dank zu begrüßen, weil für Elsaß-Lothringen das rasche Erscheinen eines solchen Atlas besonders dringend war, bei einer anderen Anlage des Werkes ein verzögerter Abschluß leicht hätte verhängnisvoll werden können. Äußerst mannigfaltig ist der Inhalt: die physisch-geographischen Grundlagen der geschichtlichen Entwicklung werden gezeigt, Vor- und Frühgeschichte sind berücksichtigt, es folgen die territorialen und kirchlichen Zustände, sodann Kunstgeschichte, die sehr wichtige Verteilung der Muttersprache und Mundarten, Bevölkerung, Siedlung, Wirtschaftsleben und Verkehr; auf Nebenkarten wird auch manches Besondere aufschlußreich gezeigt. So erweist das Ganze einen planmäßig durchdachten Aufbau, die Arbeit beruht durchaus auf selbständiger Forschung. Das Werk gibt viel Belehrung und Anregung für verwandte Unternehmungen; dafür wird künftig eine genauere Erörterung des Inhalts sowie der Darstellungsmittel erwünscht sein.

Inzwischen ist auch mit der Veröffentlichung des »Historischen Atlas der Provinz Brandenburg« begonnen worden; in der Reihe »Kirchenkarten« liegt, nachdem eine Übersichtskarte der kirchlichen Einteilung im Jahre 1500 bereits erschienen war, jetzt eine Darstellung des geistlichen Grundbesitzes in der Mark Brandenburg und den angrenzenden Gebieten um 1535 vor, in Bearbeitung durch G. Wentz ( 417), wobei auch die Diözesangliederung zum Ausdruck gebracht ist. Das Bild ist bei der großen Zahl der Besitzer bunt genug ausgefallen; immerhin zeigt es nur eine Streulagerung von Kleinräumen, nicht eine gleiche Aufsplitterung der Rechte, wie dies bei einer entsprechenden Darstellung im westlichen Deutschland der Fall sein würde. Als Maßstab ist 1 : 350 000 gewählt, also leider in einem abweichenden Verhältnis zu Maßstäben, wie sie sonst in der historischen Kartographie sich durchzusetzen beginnen.


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