III. Volkskunde der Einzellandschaften.

Zu Nr. 566 vgl. Jahresber. 6 Nr. 558. Die auf engere Bezirke beschränkten volkskundlichen Arbeiten neigen (im Gegensatz zu den großen kartographischen Aufnahmen des Gegenwartsbestandes der deutschen Volkskultur) zur Auswertung geschichtlicher Quellen. Im Jahre 1540 hat Erasmus Alberus sein Novum dictionarii genus und 1552 die »Kurze Beschreibung der Wetterau« herausgegeben. Hauptsächlich auf Grund dieser Quellen entwirft W. Kammer ( 567) ein Bild von dem Tagewerk des Bauern im Raume zwischen Taunus, Vogelsberg und Spessart; die Arbeit zeigt, wie unter vorsichtiger Ausschöpfung des Wortschatzes der Quellen die Sachgüter einer Landschaft festgestellt werden können (Weinbau, Flachs-, Hanf-, Wollbereitung, Getreidebau, Backwerk, Bier, Futtermittel, Graswirtschaft, Brunnenbau, Feuerstätte, Licht, Ofen). -- Westfälische Bauernkultur der Gegend von Holsen, Schnathorst und Tengern (Nordravensberg) beschreibt G. Hagemann ( 568) mit besonderer Betonung der aus der Wirtschaftsgemeinschaft erwachsenen Lebensformen: religiöse Äußerungen (christlich-pietistisch mit Resten katholischer Zeit und primitiven Volksglaubens); Hausgemeinschaft (Diele als bäuerliche Wirtschafts- und Lebensmitte), Nachbarschaftsbindungen; Dorfgemeinschaft (Reste alter Genossenschaftswirtschaft; Grußformen; Abneigung gegen Nachbargemeinden; starker Kirchbesuch). -- Der Verbindung der geographischen und geschichtlichen Erforschung des Volkstums Niedersachsens dient die gesamte bisherige Arbeit Pesslers. In dem Aufsatze über Kulturkreis und Kernland Niedersachsen ( 569) gibt er über den Ausbau seiner Methode Rechenschaft und zeigt, welche Ergebnisse für Niedersachsen vorliegen. Dieses Stück Deutschlands ist heute der in volkstums- und kulturgeographischer Beziehung am besten erforschte Bezirk der ganzen Erde. Als gesicherte Ergebnisse dürfen die folgenden Erkenntnisse angesehen werden: das niedersächsische Volkstum neigt körperlich zu den nordgermanischen Nachbarn; seine geistigen Grundzüge sind Festigkeit und Ruhe. Die Sprache deckt sich mit dem Verbreitungsgebiete des niedersächsischen Hauses. Die Siedlungsformen zeigen drei nordsüdlich verlaufende Streifen: Einzelhof


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im Westen, Haufendorf in der Mitte, Rundling im Osten. In dem niedersächsischen Kulturgebiete lassen sich Entwicklungslinien von der Urzeit bis zur Volkskunde der Gegenwart verfolgen. -- Schleswig-Holsteins Volkstum in der Zeit vor hundert Jahren soll eine umfassende Darstellung erfahren durch H. Krieg ( 570), der zunächst die landschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse dieser Zeit beschreibt. Die Quellen sind vornehmlich die »Provinzialberichte« und ihre Vorgängerin, die Zeitschrift der »Schleswig-holsteinischen Gesellschaft«. Diese Quellen umfassen die Jahre 1787--1834. Für diese Zeit werden sorgfältig alle Geräte und Arbeiten mit ihrem Wortschatze festgestellt. Die Fortsetzung wird die übrige Sachkunde und den Volksbrauch umfassen. -- Den Wandel einer nationalen Heldensage untersucht J. Klapper ( 571). Er legt zwei Wurzeln der schlesischen Sagen vom Abwehrkampfe gegen die Tartaren dar. Eine an das altdeutsche Heldenepos anklingende Volkssage entstand in Wahlstatt selbst in der dort gegründeten Benediktinerniederlassung; sie ist teilweise im Druck der Hedwigslegende vom Jahre 1504 überliefert. Daneben entstand eine aus nationalpolitischer Tendenz gefälschte polnische Überlieferung, die der Krakauer Domherr Joh. Dlugosz (1415--1480) lateinisch formte. Die deutsche Fassung der Hedwigslegende und ein aus Dlugosz schöpfendes Reimgedicht, das vor 1529 entstand, sind abgedruckt. Auf eine andere Handschrift dieses Reimgedichts aus der Bibliothek des Oberlandesgerichts in Breslau ist von F. Taubitz in den »Schles. Monatsheften« 1931 S. 415 ff. hingewiesen worden. -- M. Hellmich setzt langjährige Forschungen über steinerne Zeugen des mittelalterlichen Rechtes in Schlesien ( 572) fort; er gibt Nachträge zu seiner Bestandaufnahme vom Jahre 1923 mit Standortverzeichnis und Verbreitungskarte: Staupsäulen, Galgen, Gerichtstische und hauptsächlich Steinkreuze. Für die Steinkreuze ist Schlesien nach Osten hin das Grenzgebiet; sie werden als durch die christliche Kirche geschaffene Sühneleistungen erklärt unter Ablehnung vorgeschichtlicher Deutungen. Ein mit Bildern versehener Aufsatz des gleichen Verfassers steht in der Zeitschrift »Volk und Rasse« 1931, S. 80 ff. -- Für die Beschäftigung mit dem deutschen Volkstume Böhmens grundlegend ist die Bibliographie ( 573), die aus Hauffens Nachlasse von G. Jungbauer mit Nachträgen bis zur Gegenwart herausgegeben worden ist. Sie folgt in der Anordnung der von Hobinka für Mähren und Schlesien verfaßten Bibliographie. Auch die wichtigeren erdkundlichen, geschichtlichen, sozialen und politisch-nationalen Schriften sind darin verzeichnet; für Lied und Musik und Kleindichtung wird auf Jungbauers 1913 erschienene Bibliographie des deutschen Volksliedes in Böhmen verwiesen. Weggefallen sind »Volksbildung« und »Vorgeschichte«; aufgenommen sind »Volks- und Stammesart«, »Familienkunde«. Jeder Abschnitt ist nach landschaftlichem Gesichtspunkt gegliedert: Gesamtböhmen, Südböhmen, Westböhmen, Erzgebirge und Vorland, Nordostböhmen, Schönhengstgau, Iglauer Sprachinsel. Beachtenswert ist die Geschichte der deutsch-böhmischen Volkskundeforschung, die vorangestellt ist. Das Werk umfaßt 5565 Nummern. -- G. Graber ( 574) untersucht die germanischen Einwirkungen auf Brauchtum, Sitte und Sage der Slowenen in Kärnten. Das heutige Vierbergelaufen mit dem geographischen Mittelpunkte bei Hohenstein im Glantale führt auf einen Kult der keltischen Muttergottheit Noreia zurück. Die später eindringenden Slowenen standen unter bayrischem Kultureinfluß. Die deutsche Besiedlung ist am Ende des 13. Jhds.

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durchgeführt. Auch in rein slowenischer Bevölkerung ist der vorherrschende Grundzug im Volksleben deutsch; Haus- und Familiennamen zeigen sprachliche Kreuzungen; die Rechtsbräuche sind deutsch; ebenso die Osterfeuer, die Nikolausumzüge mit Tod und der Hexe Pechtra (also Percht!); deutsche Einschläge zeigen die Sagen (Truta mora, Schrat, salige Frauen), die geschichtlichen Nachrichten von Matthias Corvinus und die Heiligenlegenden.


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