b. Die einzelnen Territorien.

Die Zahl der Geschichts- und Altertumsvereine, welche in diesen Jahren auf ein hundertjähriges Bestehen zurückblicken können, ist nicht gering. Aus dem Berichtsjahr liegen zwei Festschriften derartiger Vereinigungen vor ( 621, 624), welche ein Rückblick auf die geleistete Arbeit und zugleich Ausschau auf die Zukunft sind. Es ist eine reizvolle Aufgabe, die Entwicklung dieser Gesellschaften miteinander zu vergleichen, die Verschiedenartigkeit ihrer Schicksale kennenzulernen, welche von lokalen Umständen


S.155

geschichtlicher, gesellschaftlicher und persönlicher Natur bestimmt werden. In Rottweil war es der Stolz auf die freie Reichsstadt, der sich mit dem Interesse an vorwiegend römerzeitlichen Funden zu einer zwar nicht einheitlichen, aber immerhin tragfähigen Plattform vereinigte. Der Verein für Mittelfranken ist einer derjenigen bayrischen Kreisvereine, die unter Ludwig I. ins Leben traten und in einer recht glücklichen Form die private Initiative mit gewissen Befugnissen auf dem Gebiete der Denkmalpflege verbanden. Wenn angesichts dieser Festschriften der Wunsch nach einer zusammenfassenden Bearbeitung dieser Vereinsgeschichten sich regt, so ist dies nicht nur deshalb der Fall, weil alle diese Körperschaften trotz der Verschiedenheiten ihres Schicksals einer einzigen Bewegung ihr Bestehen verdanken, sondern auch aus dem Grunde, daß sie die ersten Träger der vorgeschichtlichen Denkmalpflege darstellen und unsere heutigen Einrichtungen auf diesem Gebiet aus dieser Wurzel erwachsen sind. Denn die vor- und frühgeschichtliche Forschung ist ein wichtiger Bestandteil der Aufgaben, welche diese Vereinigungen vor sich sehen, und wie der Geschichtsverein damals Ausgangspunkt der ganzen Denkmalpflege war, so stellt er heute ihre notwendige Ergänzung dar.

Die Bibliographie zur Urgeschichte Österreichs ( 616) wird in den Anzeigen mit Recht wegen der Art ihrer Anlage beanstandet; die schematische Gliederung nach politischen Bezirken und dann innerhalb dieser nach den Erscheinungsjahren macht den reichen und vielgestaltigen Stoff in keiner Weise benutzbar, und die Arbeit wird vergeblich geleistet sein, wenn sich der Verfasser nicht dazu bestimmen läßt, in einem Ergänzungsheft die erforderlichen Schlüssel sachlicher Art zu liefern. Die neuen Hefte der Fundberichte aus Österreich ( 617) behandeln im Telegrammstil die Funde der Jahre 1925--29 und kommen damit ihrem Streben, Versäumtes nachzuholen und rasche Kenntnis der Neufunde zu bieten, wieder ein Stück näher. Ein von E. Beninger verfaßter Anhang, »Beiträge zu einer Materialaufnahme germanischer Funde«, behandelt diejenigen Teile des in den Wiener Museen liegenden Fundmaterials der betreffenden Gattung, welche bisher noch nicht oder nur mangelhaft veröffentlicht worden sind. Wenn der Verfasser in seinen einleitenden Worten von »der seit kurzem bei uns einsetzenden Germanenforschung« spricht, so wird man hiervon gern Kenntnis nehmen und zugleich feststellen, wie die wissenschaftliche Problemstellung auch der Prähistorie von dem politischen Erleben der Gegenwart bestimmt ist. Der Fundbericht über die Grabungen bei Nieder- und Oberleis ( 619) betrifft römische Anlagen, die links der Donau gelegentlich des Markomannenkrieges errichtet worden sind; ihre Untersuchung gibt unserer Vorstellung von den germanisch-römischen Beziehungen und insbesondere von der Form der römischen Besetzung germanischen Gebiets neues Leben. In den Bereich der genannten Germanenforschung gehört auch die Arbeit über den Wandalenfund aus Oberungarn ( 620); wenn wir den Angaben Beningers entnehmen, daß dieses wichtige, dem frühen 4. Jahrhundert angehörende Material zwar noch im Jahre seiner Auffindung (1856) in das k. k. Münz- und Antikenkabinett in Wien gelangt ist, aber erst jetzt eine erste, ausführliche Untersuchung erfährt, dann wird man auch in dieser Arbeit ein erfreuliches Zeugnis derjenigen Belebung erblicken dürfen, welche die Germanenforschung zur Zeit in Österreich erfährt. Bevölkerungsgeschichtlich sehr wichtig ist die Studie, welche Eidam den Slawen in Nordbayern widmet ( 623); vorgeschichtlicher und volkskundlicher


S.156

Stoff vereinigen sich hier zu einem festen Gerüst, welches die Unklarheiten und Lücken der schriftlichen Überlieferung mit beachtenswerter Sicherheit überbrückt. Die Arbeit von Peters betrifft eine neue altpaläolithische Fundstelle aus Württemberg ( 625) und breitet den ganzen typologischen Problemkreis, den das reiche Material aufrollt, ausführlich aus. Der Fundstoff entstammt einer kleinen Felsennische unter der Heidenheimer Burg, deren Kenntnis den Anwohnern in der letzten geschichtlichen Vergangenheit verloren gegangen war, -- ein beredter Hinweis auf das, was wir von solchen bisher nicht beachteten Plätzen erwarten dürfen, nachdem die Höhlen im wesentlichen erforscht sind und wir sie gerne als die wichtigsten Fundstätten altsteinzeitlicher Reste angesehen, haben. Die große Darstellung von Veeck ( 627) behandelt die württembergischen Reihengräber der Völkerwanderungs- und Merowingerzeit, und damit das Problem der deutschen Landnahme ehemals provinzialrömischen Bodens. Sie ist ein erster, großzügig angelegter Versuch, die genannte und gerade in Württemberg sehr reich vertretene Stoffgruppe einer geschichtlichen Fragestellung zuzuführen. Doch läßt sich bei aller Anerkennung der Einzelergebnisse, die hierbei gewonnen werden, nicht leugnen, daß der Arbeitsaufwand in keinem glücklichen Verhältnis zu dem tatsächlich Erreichten steht, und daß die engere Fühlung mit der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, die doch auch erstrebt werden sollte, noch immer nicht hergestellt ist. Der Bericht über die neuen Fundergebnisse im Saargebiet ( 631) enthält ebenso wie seine Vorgänger eine größere Menge schönen Materials aus vorgeschichtlicher, römischer und frühgermanischer Zeit; gleichzeitig gibt er einen Rückblick auf 10 Jahre archäologischer Arbeit in einem Gebiet, das vordem prähistorisch und frühgeschichtlich so gut wie unerschlossen war. Die Darstellung Vonderaus ( 632) bietet einen Teil der Lebensarbeit desjenigen Pflegers, welchem die Aufsicht über das Fuldaer Land gegeben war. Das hier Geleistete ist um so höher einzuschätzen, als es sich bei diesem Arbeitsgebiet großenteils um Gebirgslandschaften handelt, in denen die Besiedlung spärlicher war als anderwärts und auch der archäologische Stoff nicht so bequem der Forschung zugänglich ist. Dient die Arbeit in erster Linie als Materialveröffentlichung, so kann sie doch den Anspruch darauf erheben, eine Übersicht über die Vorgeschichte des Fuldaer Gebietes zu sein, weil die Sammlung in Fulda fast den ganzen Stoff aus dem Lande enthält. Wenn das Buch Stähelins ( 630) schon nach wenigen Jahren eine neue Auflage erlebt, so kommt darin zum Ausdruck, daß es einem vielerorts empfundenen Bedürfnis entspricht. Dies muß um so mehr betont werden, als das Buch bei aller Übersichtlichkeit und allem Streben nach Gemeinverständlichkeit sehr ins Einzelne geht und auch mit Anmerkungen nicht spart. Was es für einen breiteren Leserkreis anziehend macht, ist seine Gründung auf die Funde, welche weitgehend herangezogen werden und die Darstellung beleben. Leider ist die Darstellung der vorrömischen Zeit, welche doch weitgehend die Grundlage der provinzialrömischen Kultur bildet, nur sehr kurz gehalten, und ebensowenig vermögen die Ausführungen des Verfs. über die »Kontinuität der Kultur« zu befriedigen, in welche er die geschichtliche Betrachtung ausklingen läßt. Die unscheinbaren Tierknochen, welche Schmidtgen ( 633) aus der Nähe von Mainz vorführt, haben insofern ganz besondere Bedeutung, als sie einerseits deutlich vom Menschen hergerichtet worden sind und anderseits denselben Schichten entstammen, in denen der Homo heidelbergensis gefunden

S.157

worden ist. Sie können also als die ältesten Geräte angesprochen werden, welche wir kennen, und sie entsprechen auch insofern unseren Überlegungen hierüber, als der scharfrandig zerschlagene Tierknochen dem Menschen ja viel näher liegt wie der absichtlich zertrümmerte Feuerstein. Das umfängliche Buch von Hagen ( 635) ist viel mehr, als sein Titel besagt; stehen wohl die Römerstraßen im Mittelpunkt der Betrachtung, so bilden sie doch gleichsam nur das Gerüst, um welches sich eine ebenso ausführliche wie übersichtliche Siedelungskunde legt. Der überreiche Stoff, der hier zusammengetragen ist, gestattet eine sehr verschiedenartige geschichtliche Auswertung, und so wird die archäologische Einzelarbeit längere Zeit brauchen, um diese wertvolle Quellensammlung auszuschöpfen. Die Arbeit Steinhausens ( 636) ist ein Teilergebnis der archäologischen Landesaufnahme der Rheinprovinz, welche schon vor längeren Jahren in der Gegend von Trier eingesetzt hat und inzwischen ihre erste Lieferung der Öffentlichkeit unterbreitete. Sie behandelt ein Denkmal von besonderer Art, welches als Umgrenzung eines kaiserlichen Landgutes in spätrömischer Zeit aufgefaßt wird. Stampfuß ( 637) legt eine größere Menge vorgermanischer und germanischer Grabfunde vom Niederrhein vor. Seine Arbeit, die als Festschrift zum zehnjährigen Bestehen der Gesellschaft für Niederrheinische Heimatforschung erschienen ist, legt ein beredtes Zeugnis ab von den Interessen und der Opferwilligkeit eines Gebietes, welches abseits der Brennpunkte des wissenschaftlichen Lebens der Rheinprovinz liegt. E. Wahle.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)