II. Darstellungen.

Die Geschichte des Frankenreichs hat eine neue -- noch unvollendete -- Gesamtdarstellung erhalten in dem ersten, dem MA. gewidmeten Bande der von G. Glotz herausgegebenen Histoire générale ( 676); davon sind seit 1928 drei Lieferungen erschienen, welche die politische Geschichte des Abendlandes vom Tode Theodosius des Großen bis zu dem Karls des Großen hinabführen. Lot hat darin die Geschichte des fränkischen Staates bis zu den Anfängen Karl Martells dargestellt und auch die inneren Zustände der Merowingerzeit geschildert, Ganshof hat die Erzählung auf einer von dem kürzlich verstorbenen Chr. Pfister geschaffenen Grundlage bis 814 weitergeführt. Es ist ein von guten Kennern geschriebenes nützliches Handbuch, das


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auch die wichtigere Literatur verzeichnet; daß im einzelnen über die Stoffauswahl, über die Einschätzung von Quellen und Tatsachen, über die Auffassung der Vorgänge mitunter sich streiten läßt, ist selbstverständlich (ein paar kleine Irrtümer: S. 283 A. 15 ist Dalfinus von Lyon mit Wilfrid, S. 293 A. 60 Lambert von Lyon mit Lambert von Maastricht verwechselt; die Metzer Annalen sind S. 294 A. 66 zu spät ins 10. Jhd. gesetzt). Der mit 888 einsetzende 2. Band von Fliche ( 706) liegt seit 1930 vollendet vor.

Die Merowingerzeit berühren im übrigen nur das Buch von Stracke über die Bekehrung Chlodwigs ( 677), von dem schon im vorigen Jg. (S. 163) die Rede war, und der dort (Nr. 1370) bereits verzeichnete Aufsatz von Pirenne über den rinderbespannten Wagen der letzten Merowinger nach der bekannten Schilderung Einhards: er sieht darin im Gegensatz zu Jacob Grimm und Brunner mit Recht keine Beziehung zu heidnischem Brauch, sondern nur einen Ausdruck der ärmlichen Lage des der Macht entkleideten Königsgeschlechts.

Das wertvolle Buch von John Ryan über das altirische Mönchtum bis zur Mitte des 7. Jhds. (Irish monasticism: Origins and early development, Dublin and Cork, Talbot Press 1931, XV, 413 u. XIV S.) berührt die irischen Klöster des Festlandes nur beiläufig, trägt aber reichen Stoff zur Kenntnis des irischen Klosterwesens zusammen. Die angelsächsische Mission bei den Friesen behandelt die sorgfältige Arbeit von Jung-Diefenbach ( 1574). Auf diesem vielbeackerten Felde ließen sich naturgemäß nicht wesentliche neue Ergebnisse erzielen; zum ersten Male ist hier der Kalender Willibrords benutzt (S. 46 f., 54, 90 ff.), um die Beziehungen des Friesenapostels zur Heimat und der fränkischen Kirche zu veranschaulichen.

Mit dem Eingreifen der Franken in Italien und der unfertigen Lage des werdenden Kirchenstaats bringt man meist die Entstehung der Konstantinischen Schenkung in Verbindung (so auch Brackmann, 678). Auch Roberto Cessi setzt den vorliegenden Text in diese Zeit (vor 778), aber er bestreitet, wie hier berichtet wurde (1929, S. 203), die Einheitlichkeit der Fälschung und die Ursprünglichkeit des gesamten lateinischen Textes: er verlegt schon in die Zeit Gelasius' I. (492--496) einen lateinischen Grundbestandteil, der später ins Griechische übersetzt und wiederholt erweitert worden sei; endlich seien diese griechischen Zusätze ins Lateinische übertragen und dem ursprünglichen lateinischen Texte eingefügt worden. Für diese Aufstellungen hat Cessi nähere Ausführungen in einer zweiten Abhandlung gemacht (Il Costituto di Costantino: Fonti ed età di composizione, in Annali della R. Università degli studi economici e commerciali di Trieste, vol. I, fasc. 1, Triest 1929, S. 95--159); er hat ferner eine Übersicht über die Geschichte der Forschung gegeben, die in einen Ausblick auf die eigenen Arbeiten ausmündet (Il Costituto di Costantino, in Rivista storica Italiana 48, 1931, S. 155--176). Endlich hat S. Troilo auf Grund recht subjektiver grammatischer und logischer Erwägungen den vermeintlich ursprünglichen Text in Einzelheiten etwas anders abzugrenzen versucht als Cessi (Note critiche sul testo del Costituto di Costantino, in Atti e memorie della R. Accademia di scienze, lettere ed arti in Padova 1930/31, Nuova serie 47, S. 109--124). Ein Blick auf die Quellen (wie ich sie 1924 in den Miscellanea Fr. Ehrle II. ermittelt oder zusammengestellt habe) scheint mir auch jetzt zu genügen, um diesem ganzen künstlichen, auch im einzelnen oft nicht haltbaren Gebäude die Grundlagen zu entziehen (vgl. auch C. Erdmann, NA. 49, 700 f.).


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Bei den Erörterungen von Cessi spielen auch die Actus Silvestri als Quelle des Constitutums eine erhebliche Rolle; er setzt hier den ältesten griechischen Text mit Unrecht vor die lateinischen Fassungen, wobei mir z. B. unerfindlich ist, wie sich dann deren von mir nachgewiesene Beziehungen zu Arnobius dem Jüngeren erklären lassen.

Nach bester Überlieferung wurde der letzte Agilolfingische Bayernherzog Tassilo in St. Goar zum Geistlichen geschoren, dann zunächst nach Jumièges verbannt; als letzter Aufenthaltsort und als Grabesstätte galt später Lorsch, das zuerst Otto von Freising als Ort der Verbannung nennt, da in seiner Chronik Laureacum Lorsch, nicht Lorch an der Donau bedeutet. Bauerreiß ( 687) will mit Unrecht in der Nennung von St. Goar nur eine mißdeutete Tagesangabe sehen und läßt auch Lorsch aus Lorch, dieses aus Passau mißverstanden sein, weil dort das Kloster Niedernburg von Tassilo gegründet sein sollte und man hier im 16. Jhd. sein Grab zeigte. Doch scheint mir die Grundlage für diese Annahme wenig tragfähig und Lorsch immerhin besser bezeugt zu sein.

Zehn Jahre nach dem Sturze Tassilos wurde 798 durch die Erhebung Salzburgs zum Erzbistum eine bayrische Kirchenprovinz eingerichtet. Gegen die herrschende Meinung sucht Peitz ( 1590) zu zeigen, daß der erste Erzbischof Arno das Pallium damals nicht persönlich in Rom empfangen, sondern nur ein Jahr vorher eine vorbereitende Reise dorthin unternommen habe (er will daher M. G. Epist. IV, 246, 1 keine Zahl einfügen). Doch spricht gleich den Salzburger Annalen für die frühere Auffassung auch der von Werminghoff aufgefundene Prolog der drei bayrischen Synoden des Jahres 799 oder 800 (Festschrift H. Brunner dargebracht, 1910, S. 42 f.), der Peitz entgangen ist.

Die Begründung der neuen Kirchenprovinz steht im Zusammenhang mit dem Beginn der Awaren- und Slawenmission, wie Karl sie nach dem Fall des Awarenreiches unternommen hat. Wie er dabei und überhaupt in der Slawenpolitik nunmehr planmäßig vorgeht, wie sich darin ein auf christlicher Grundlage, nicht auf dem antiken Kaisergedanken beruhendes Herrscherideal ausspricht und auch Alcvins Wort von dem 'christianum imperium' Karls von dort her seine Erläuterung findet, legt Brackmann ( 678) in feinsinnigen, hier und da wohl zu feinen Ausführungen dar, indem er die auf universalere Missionsaufgaben im Osten gerichteten Absichten des Königs der durch engere römische Interessen bedingten italienischen Politik Leos III. gegenüberstellt, dessen Initiative bei der Kaiserkrönung von 800 jene Pläne wenigstens nicht hemmte und darum von Karl hingenommen werden konnte. Wenn von ihm bei der Sachsenmission nur der fränkische Episkopat herangezogen wurde, so steht dies jedoch nicht im Gegensatz zu der Mitwirkung des Papstes bei der Errichtung der bayrischen Kirchenprovinz (Brackmann, S. 78), weil in Sachsen nur Bistümer begründet wurden, kein neues Erzbistum; da das vom Papst verliehene Pallium als für den Erzbischof erforderlich galt, war die Beteiligung des Papstes bei der Begründung einer neuen Kirchenprovinz längst üblich geworden, wie denn schon Pippin 695 Willibrord zur Weihe als Erz bischof der Friesen nach Rom geschickt hat. Die päpstlichen Segenswünsche auf einen Sieg über 'omnes barbaras nationes' (S. 74 Anm 3 und 4; 75 Anm. 1) lehnen sich an die Karfreitagsliturgie an (Sacramentarium Gregorianum 79, 7, ed. Lietzmann, S. 48), wie H. Hirsch bemerkt hat (MÖIG. 44, 8 Anm. 32).

Über die Beziehungen Karls zum Heiligen Land und damit zu dem Kalifen


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Harun al Raschid ist auf Grund der wenigen fränkischen Nachrichten neuerdings gestritten worden (Jberr. 1927, S. 205). Buckler ( 679) stellt die Berührungen Pippins und Karls mit den Mächten des Islam in Spanien wie im Osten mit Recht in den Rahmen der großen Gegensätze der Abbassiden von Bagdad zu Ostrom und zu den Omaijaden von Cordova, wenn sich auch im einzelnen die politischen Zusammenhänge oft mehr ahnen als erkennen lassen. Indem er dann aber Auffassungen späteren Islamischen Rechts gewaltsam in abendländische Nachrichten hineindeutet, kommt er zu dem Ergebnis, daß der Kalif durch die Verhandlungen der Oberherr des Frankenkönigs geworden sei, dieser sein Vasall, genauer in Spanien sein Emir, in Jerusalem sein Wali -- eine Konstruktion, die mit gutem Grunde den Widerspruch der Kritik erfahren hat (außer Joranson und Strothmann vgl. 1932 P. Peeters, Analecta Bollandiana 50, 410--412; Ch. Verlinden, Moyen Age 42, 64--68; E. Rosenthal, Histor. Z. 145, 630 f.).

Dem Kreis von Gelehrten, den Karl um sich versammelte, widmet Frederichs seine Dissertation, von der nur ein Teil im Druck erschienen ist ( 454). Er kennzeichnet darin in ansprechender Weise die Grundlagen und die Eigenart der Bildung dieser in ihren Hauptvertretern kurz charakterisierten Männer; er hebt hervor, wie neben der Herrschaft der Tradition die Forderung vernunftmäßiger Begründung hier und da die Richtung der kommenden Scholastik andeutet, wie bewußte Anknüpfung an die Antike den eigenen Kulturwillen belebt und der Begriff der Karolingischen Renaissance in diesem Sinne seine Geltung behält. Die Frage, ob der dabei zunächst führende Mann, Alcvin, Mönch oder Kanoniker gewesen ist, beantwortet Delius ( 1576) zutreffend zugunsten des Mönchtums; doch ist es schwerlich richtig, wenn er im Yorker Domkloster, aus dem Alcvin hervorgegangen ist, eine alte örtliche Regel durch die Benedikts erweitert sein läßt: seit den Tagen Bischof Wilfrids I. bildete dort sicherlich die Benediktinerregel die Grundlage des Gemeinschaftslebens. -- Zu Angilbert vgl. auch Nr. 499.

Den Gegensatz der Gedanken des christlichen Universalismus und der Reichseinheit, wie sie sich nach 800 mit dem des Kaisertums verbanden, zu dem fränkischen Erbfolgerecht mit dem gleichen Anspruch aller Söhne suchte die Ordinatio imperii von 817 auszugleichen, ohne die Kämpfe der nächsten Jahrzehnte zu verhindern. Wie dabei der Reichseinheitsgedanke im Schrifttum dieser Zeit bis zum Vertrage von Verdun seinen wechselnden Ausdruck fand, legt Faulhaber ( 681) sorgfältig dar, wenn er auch mitunter zu viel aus den Äußerungen der Zeitgenossen herausliest; er berührt sich so stofflich teilweise mit der 1929 erschienenen Arbeit von E. Pfeil ( 680) über die Romidee des frühen MA.s. Daß jener Vertrag von 843 zu Verdun an der Maas abgeschlossen worden ist, nicht zu Verdun am Doubs, beweist gegen Funck-Brentano gleich Parisot (Jberr. 1930, S. 165) auch Armand-Calliat ( 683); doch sind die Grundlagen des Vertrags in der Gegend von Chalon-sur-Saône gelegt worden: Miliciacus (Nithard IV, 3) ist Mellecey bei Chalon, Ansilla (eb. 4) die Insel Saint-Romain, einst Saint-Romain-d'Ancelles bei Mâcon. -- Die Arbeit von Schleiter, 682, war mir nicht zugänglich.

Das Verhältnis von Königtum und Kirche im Ostfränkischen Reiche behandelt Schur ( 684) in einer zuverlässig gearbeiteten, nüchtern die Tatsachen darbietenden Schrift, die nach einem einleitenden Überblick über die Regierung


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Ludwigs des Deutschen eingehender zuerst die politische Stellung der Kirche, die Rolle der Bischöfe und Äbte als Diener und Bundesgenossen des Königs von 876 bis zum Tode Konrads I. darstellt, endlich kürzer die rechtlichen Grundlagen dieser Beziehungen erörtert. Man braucht nur Namen wie die Liutwards von Vercelli, Salomos III. von Konstanz oder Hattos von Mainz zu nennen, um sich des Anteils der Kirche auch am Staatsleben in dieser Zeit bewußt zu werden. Natürlich waren bei dem Stande der Quellen nach den Darstellungen von Dümmler, Hauck und von Schubert nicht wesentlich neue Ergebnisse zu erwarten; dennoch ist diese Sonderbehandlung des Stoffes nützlich, die sich in dem Abschnitt über das Verhältnis von Königtum und Synode mit der umfassenderen Darstellung des karolingischen Synodalrechts von Barion ( 1553) berührt. Eine besondere Seite der bischöflichen Tätigkeit hat Hertha Wurzer ( 1249) dargestellt, den Anteil an der Erhebung der Könige, den ihnen als Konsekratoren das Aufkommen der Salbung und die Verbindung dieser kirchlichen Weihe mit der Krönung seit dem 9. Jhd. verschafft hat, so daß sie in die Rolle von »Königsmachern« hineinwuchsen. Wie bei dieser Entwicklung Frankreich einen Vorsprung vor Deutschland und Italien, der Erzbischof von Reims (im Widerstreit mit Sens) vor dem von Mainz und Mailand gehabt hat, wird im Zusammenhang ausgeführt, wobei die Verfasserin allerdings manchen bestrittenen Anschauungen ihres Lehrers Buchner (über die Clausula de unctione Pippini, das angebliche Vizepapsttum des Abtes von St. Denis, die Vita Chrodegangi u. a.) zu bereitwillig Aufnahme gewährt hat.

Über die Grenzen des Frankenreichs hinaus zu den Nordgermanen führt die Lebensbeschreibung Ansgars von Oppenheim ( 1577), die für weitere Kreise bestimmte Festgabe eines Benediktiners zu dem Ansgarjubiläum der letzten Jahre ohne wissenschaftlichen Ertrag. Auch die Geschichte der karolingischen Staaten berührt ferner das Buch von Kendrick über die Wikinger (Jberr. 1930, Nr. 695), eine Zusammenfassung der gesamten Geschichte der Nordgermanen vom Ende des 8. bis zur Mitte des 11. Jhds., von den Warägern Rußlands bis hin nach Grönland und Amerika, wobei jedoch die inneren Einrichtungen der Normandie und die normannischen Anfänge in Unteritalien beiseite gelassen sind; die politische, nach Ländern geordnete Geschichte steht im Vordergrund, auch Bodenfunde werden berücksichtigt entsprechend der Tätigkeit des Verfassers am Britischen Museum. Ganz aus dem Rahmen der fränkischen Geschichte fällt das Buch von Christiansen ( 675), das dem wirklichen oder vermeintlichen Widerhall der Kämpfe mit den Wikingern in der irischen und gälischen Sage und Dichtung nachgeht (vgl. dazu A. H. Krappe, Göttingische gelehrte Anzeigen 1932, 342--349).


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