§ 20. Deutsche Geschichte von 1648--1740

(M. Braubach)

Im Berichtsjahre ist der das Zeitalter des Absolutismus (1660--1789) umschließende sechste Band der Propyläen-Weltgeschichte erschienen ( 827). Einer kurzen Einleitung über Absolutismus und Aufklärung aus der Feder des Herausgebers W. Goetz folgen Darstellungen des Zeitalters Ludwigs XIV. von W. Platzhoff, des 18. Jhds. in Europa von F. Schnabel, der europäischen Aufklärung von O. Walzel, der holländischen, spanischen und portugiesischen Ausdehnungsbewegung von H. Wätjen, der englischen und französischen Ausdehnungsbewegung von H. Plischke und endlich der angelsächsischen Staatenwelt bis zum Ende des 18. Jhds. von F. Salomon. Im Rahmen dieses Berichts interessieren vor allem die Beiträge von Platzhoff und Schnabel. Mit der schon vielfach bewiesenen genauen Kenntnis der politischen Vorgänge und Zusammenhänge des 17. Jhds. verbindet Platzhoff die Kunst einer klaren, stets das Wesentliche hervorhebenden Darstellung: wenn vermerkt werden darf, daß nach den neueren Forschungen -- siehe Jberr. 6, 188 -- von einem Auftrag des Kurfürsten von Mainz an Leibniz zur Abfassung des Consilium Aegyptiacum nicht mehr gesprochen werden kann, daß ferner die Geschichte der Pfalzzerstörung wohl eine eingehendere Schilderung verdient hätte, so spricht die Geringfügigkeit dieser Ausstellungen nur für die Güte der Arbeit. Das gleiche Lob kann leider dem Beitrag von Schnabel nicht gespendet werden. Auch hier erfreut man sich wohl an der Darstellungskunst: mit Genuß liest man insbesondere die Kapitel über den aufgeklärten Absolutismus und über den Aufstieg des Bürgertums. Man stößt jedoch vor allem in den rein politischen Abschnitten auf zahlreiche Fehlurteile, Auslassungen und Unrichtigkeiten, die wohl nur dadurch zu erklären sind, daß dem für den ursprünglich ausersehenen Bearbeiter eingesprungenen Verfasser eine zu geringe Zeitspanne zur Fertigstellung zur Verfügung stand. Wer die französische Geschichte des 18. Jhds. einigermaßen kennt, wird mit Erstaunen lesen, daß unter Ludwig XV. niemand an innere Reformen gedacht habe: die großen Reformversuche, die sich an die Namen Machault und Maupeou knüpfen, scheinen dem Verfasser nicht bekannt zu sein. Schlimmer noch ist, daß der letzte bedeutende Außenminister des Ancien Régime Vergennes nicht einmal erwähnt wird. Während übrigens Platzhoff mit Recht bemerkt, daß der Satz L'État c'est moi aus dem Munde Ludwigs XIV. nicht verbürgt ist, betont Schnabel ausdrücklich, daß der König ihn ausgesprochen habe. Als sehr angreifbar wird man aber auch seine Darstellung der Ereignisse in Deutschland bezeichnen müssen. Kann man wirklich sagen, daß Friedrich Wilhelm I. den preußischen Staat zu einer einzigen großen Kaserne gemacht habe, oder daß die Eroberung Schlesiens durch Friedrich den Großen für das Deutschtum des Ostens von schlimmsten Folgen sein mußte! Wir hören übrigens, daß der (in Wirklichkeit 1706 entlassene) Andreas Schlüter beim Regierungsantritt Friedrich Wilhelms seine Stellung verlor, daß Friedrich in Schlesien einrückte, als der österreichische Erbfolgekrieg bereits im Gang war, daß in Kesselsdorf der sächsisch-preußische Gegensatz begonnen habe, daß Hochkirch ein entscheidender Sieg der Österreicher war, daß der Finkenfang von Maxen (Nov. 1759) die Ursache des Falls von Dresden (Sept. 1759) war. Man vermißt eine wirklich klare Erläuterung des Wesens und der Mittel der Außenpolitik Friedrichs des Großen und darüber hinaus überhaupt der Entwicklung des europäischen


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Staatensystems im 18. Jhd., die neben der teilweise ausgezeichneten Darstellung der kulturellen Entwicklung doch wohl allzu kurz kommt.

Wiederum liegt eine Untersuchung zur Geschichte der Kreise nach dem Abschluß des Dreißigjährigen Krieges vor (Siehe Jberr. 4, 191 u. 6, 192). Mehr als eine Materialsammlung zur Politik des Fränkischen Kreises von 1648 bis 1672 bedeutet die Arbeit W. Schneiders freilich kaum ( 828). Auf Grund der in Bamberg, Bayreuth, Ansbach, Nürnberg, Würzburg, München und Wien aufbewahrten Kreisakten erfahren wir wohl mancherlei über die führenden Persönlichkeiten des Kreises, wie den Markgrafen Christian Ernst von Bayreuth, den Bischof Valentin von Bamberg und den in Würzburg regierenden Johann Philipp von Schönborn, ferner auch über die Haltung des Kreises zur Liquidation des großen Krieges, zur Redintegration und Wehrverfassung, zur Türkengefahr und zur Frage der Reichssekurität. Der Verfasser hat es jedoch nicht verstanden, den umfangreichen Stoff wirklich zu meistern und die freilich verwickelte Kreisgeschichte in klarer Disposition und vor allem in lesbarem Deutsch vorzuführen. Die Arbeit müßte eigentlich noch einmal neu geschrieben, dabei auch manche Irrtümer und Nachlässigkeiten (z. B. S. 24 Frankfurt statt Frankreich) verbessert werden. Übrigens scheinen mir auch die Akten nicht immer richtig gelesen zu sein.

Im letzten Jahresbericht konnte auf die aufschlußreichen Forschungen P. Ritters über Leibniz' Consilium Aegyptiacum hingewiesen werden. Inzwischen ist von Ritter bearbeitet als Teil der großen Akademieausgabe der Werke und Briefe von Leibniz der erste Band der Politischen Schriften, der die Jahre 1667 bis 1676, also die Zeit seines Aufenthaltes in Mainz und Paris, umfaßt, erschienen ( 831). Etwa ein Drittel des Bandes nehmen alle jene Entwürfe des Ägyptischen Plans ein, mit denen der Herausgeber auch noch das »Consilium de castigando per Saxonem Brandenburgico« und eine Phantasie über die Bildung einer Miliz verbindet. An größeren Denkschriften erscheinen daneben die in Königsberg gedruckte Flugschrift »Georgius Ulicovius Lithuanus« von 1669, in der Leibniz im Auftrag Boineburgs die Erhebung des Pfalzgrafen Philipp Wilhelm von Neuburg auf den polnischen Thron empfiehlt -- wohl der erste Versuch, »ein rein politischhistorisches Thema streng nach dem Muster eines mathematischen Lehrbuches zu behandeln« --, und dann vor allem das gleichfalls von Boineburg veranlaßte und stark beeinflußte Gutachten über die »Securitas Publica«, das in zwei Teilen im August und November 1670 entstanden ist. Die übrigen Schriften sind von geringerer Bedeutung: eine bisher unveröffentlichte Denkschrift über die Verlegung der württembergischen Residenz von Stuttgart nach Cannstatt; zwei wohl aus dem Februar 1670 stammende Gutachten über den dann auch in der Sekuritätsschrift behandelten Paragraphen Et ut eo sincerior des Westfälischen Friedens, durch die Leibniz die Berechtigung und Verpflichtung von Kaiser und Reich zum Schutz des Burgundischen Kreises zu beweisen suchte; zwei Widerlegungen der französischen Ansprüche auf die Lehen der Bistümer Metz, Toul und Verdun; eine Reihe von Gutachten für den Herzog Christian Louis von Mecklenburg, die ihm zur Ungültigkeitserklärung seiner zweiten Ehe verhelfen sollten; einige politische Gedichte und Epigramme; 13 kleinere politische Entwürfe und Aufzeichnungen; endlich unpolitische Pläne und Denkschriften, die hauptsächlich Fragen der Organisation der Künste und Wissenschaften behandeln. Dem Bearbeiter ist es nicht nur gelungen, einige bisher unbekannte Stücke zu bringen und auf der anderen Seite eine Anzahl früher Leibniz zugeschriebener Schriften als


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unecht auszuscheiden, sondern vor allem durch Heranziehung von eigenhändigen Konzepten oder Abschriften gegenüber der Ausgabe von Klopp einen richtigeren Text zu bieten, der auch den Anteil und Einfluß anderer Persönlichkeiten, z. B. Boineburgs, deutlich erkennen läßt. In der knappen Einleitung gibt er nur eine kurze Sacherklärung und Begründung der Datierung, doch ist zu hoffen, daß er einige hier nur berührte Ergebnisse seiner umfangreichen archivalischen Forschungen noch an anderer Stelle, ähnlich wie er es schon für das Problem des Ägyptischen Plans getan hat, vorlegen wird. -- Anscheinend ganz unabhängig von Ritter hat F. J. Krappmann das Schönbornarchiv in Wiesentheid benutzt, um die Mainzer Politik von 1665 bis 1673 mit besonderer Berücksichtigung der Tätigkeit Melchior Friedrich von Schönborns, des Neffen des Kurfürsten und Schwiegersohns Boineburgs, darzustellen. Nur ein Teildruck über Kurfürst Johann Philipp und das Consilium Aegyptiacum liegt uns vor, der sich mit den Darlegungen Ritters teilweise berührt, sie in gewisser Beziehung aber auch ergänzt und weiterführt ( 830). Die Rittersche Ausgabe von Leibniz' Briefwechsel hatte dem Verfasser gezeigt, daß der Kurfürst entgegen der Annahme Guhrauers den Leibnizschen Plan im Frühjahr 1672 noch gar nicht gekannt hat, es sich also bei dem Projekt, das er nach dem Bericht des französischen Gesandten Feuquière am 30. Mai diesem entwickelte, auch nicht um ihn gehandelt haben kann. Krappmann glaubt nun den Vorschlag Schönborns in einem Aktenstück des Wiesentheider Archivs gefunden zu haben. Seinem Abdruck schickt er eine Übersicht über die Beziehungen Johann Philipps zu Frankreich von 1668 bis 1672 voraus. Den ersten Bruch zwischen Mainz und Frankreich will er nicht in die Zeit des Devolutionskrieges und des Aachener Friedens, sondern erst in den Sommer, nach dem Abschluß eines französisch-pfälzischen Bündnisses, durch das er sich bedroht glaubte, verlegt wissen. Dabei scheint mir freilich doch die Tatsache bestehen zu bleiben, daß die Aufdeckung der französischen Absichten im Devolutionskriege entscheidend für die politische Wendung Schönborns gewesen ist und daß die Erneuerung des Rheinbundes im Frühjahr 1668 nicht nur, wie der Verfasser glaubt, an der Weigerung der Protestanten, sondern auch an der Unlust des Mainzers gescheitert ist: hat doch auch, wie sich aus bisher unveröffentlichten Forschungen eines meiner Schüler ergibt, Wilhelm Egon von Fürstenberg dem Kurfürsten offen vorgeworfen, daß die Haltung der Protestanten ihm nur den erwünschten Vorwand biete, um sich der Erneuerung zu entziehen. Zu dem Entschluß einer Wiederannäherung an Ludwig XIV. kommt es, wie Krappman übereinstimmend mit Ritter feststellt, Anfang November 1671. Er wird dadurch noch wesentlich befestigt, daß eine Mission Melchior Friedrichs nach Wien im Januar 1672 scheitert, während er im März in Paris beruhigende Zusicherungen hinsichtlich pfälzischer Angriffsabsichten erhält. Im Zusammenhang damit ist dann jenes als beschädigtes Konzept erhaltene Projekt entstanden, in dem der Kurfürst dem König rasche Züchtigung der Holländer, dann aber einen allgemeinen Krieg gegen die Türken empfiehlt, ein Projekt also, das sich in Inhalt und Tendenz von dem Consilium Aegyptiacum wesentlich unterschied. Im Gegensatz zu diesem ist es durch Feuquiére und dann nochmals im Juli durch Melchior Friedrich zur Kenntnis der französischen Staatsleitung gebracht worden, die es aber nicht der Beachtung wert fand.

Über die Versuche des Pfalzgrafen Adolf Johann, Bruder Karls X. und Oheim Karls XI. von Schweden, die ihm in Gemeinschaft mit einem Veldenzer Pfalzgrafen


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gehörende südpfälzische Herrschaft Guttenberg in der Zeit des holländischen Krieges mit Hilfe Schwedens vor französischer Besetzung zu schützen, berichtet K. Lutz auf Grund der im Archiv des französischen Außenministeriums aufbewahrten Korrespondenz zwischen Paris und Stockholm ( 829). Es ist doch schließlich nicht der schwedische Protest, sondern das Erscheinen kaiserlicher Truppen gewesen, dem der Amtssitz der Herrschaft Schloß Minfeld die Befreiung von der französischen Soldateska im Oktober 1675 zu verdanken hatte. -- Wie eine Komödie mutet die rasche Besetzung des Lauenburger Landes durch Truppen des Herzogs Georg Wilhelm von Celle nach dem Tode des letzten askanischen Herrschers am 1. und 2. Oktober 1689 an, die U. v. Rundstedt unter Benutzung von Akten des Staatsarchivs Hannover erzählt ( 833). Die Schwäche des Widerstandes erklärt sich aus den oft grotesken militärischen Zuständen, die in manchen deutschen Kleinstaaten herrschten. -- Eine anregende Schilderung des Verlaufs der Schlacht bei Fraustadt vom 13. Februar 1706, in der die Schweden dem sächsischen Heere von der Schulenburgs eine vernichtende Niederlage beibrachten, gibt O. Haintz ( 840). In Anlage, Durchführung und Ergebnis der Schlacht sieht er eine geniale Wiederholung des Cannaegedankens und feiert dementsprechend -- meines Erachtens doch zu überschwänglich -- den siegreichen schwedischen Feldmarschall Rehnschiöld. -- P. Haake faßt noch einmal seine bekannte Beurteilung der Persönlichkeit und Politik Augusts des Starken unter Vorausschickung einer kritischen Beleuchtung der bisher erschienenen Literatur zusammen ( 843). Mit Recht betont er den schweren Fehler der Verwicklung in die polnischen Dinge, die den Wettiner von der Festigung seiner Macht in Sachsen abhielt und so dem Kurstaat die Möglichkeit nahm, mit Brandenburg-Preußen zu rivalisieren.

Den Zweifeln an der Echtheit des Wiener Originals der Pragmatischen Sanktion vom 19. April 1713, die W. Michael geäußert und zu begründen versucht hatte (vgl. Jberr. 5, 242), begegnet nunmehr G. Turba in einer gelehrten Abhandlung, die sich weniger mit einer kritischen Beleuchtung der von Michael benutzten Amalienbriefe und der Berichte Saint-Saphorins, als mit eingehenden Untersuchungen über das Sukzessionsrecht in den beiden Zweigen des Hauses Habsburg, über die Rangstufen und das Hofzeremoniell im Erzhause, über die Registrierungen in der Hofkanzlei und -- besonders wichtig -- über das in Wien aufgefundene Originalkonzept der Sanktion beschäftigt ( 841). Vergleicht man die Arbeiten Michaels und Turbas, so besticht die erste durch ihre Klarheit und Bestimmtheit, während es in der zweiten dem Leser wahrhaftig nicht leicht gemacht wird, der Beweisführung des Verfassers zu folgen. Es dürfte indessen kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß angesichts der zahlreichen neuen Argumente, die Turba beibringt, die Behauptungen Michaels als widerlegt zu gelten haben: an eine Unechtheit des Wiener Pergamentoriginals von 1713 ist ebensowenig zu denken wie an eine Unaufrichtigkeit oder an einen Trug gegenüber früheren Bestimmungen, auch hat der Vorrang einer Tochter Kaiser Karls vor den josephinischen und leopoldinischen Erzherzöginnen schon vor der Geburt Maria Theresias festgestanden. -- Die Sorge des Wiener Hofs um die Durchsetzung und Anerkennung der Pragmatischen Sanktion hat bei seinem Verhalten gegenüber der Salzburger Emigration, über deren politische Auswirkungen uns J. K. Mayr ausführlich berichtet, eine nicht geringe Rolle gespielt ( 844). Der Kaiser wollte einmal die Glieder des Corpus Evangelicorum, deren Entrüstung über das Vorgehen


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Erzbischof Firmians und seines Kanzlers Cristani der salzburgische Gesandte in Regensburg Zillerberg vergebens zu beschwichtigen suchte, nicht vor den Kopf stoßen, andrerseits fürchtete er aber bei schroffer Zurechtweisung des die Schutzbestimmungen des Westfälischen Friedens mißachtenden Salzburgers dessen Anschluß an das opponierende Bayern. Sowohl auf die Zustände am Reichstag als auch auf die Verhältnisse am Hofe Karls VI., so z. B. auf die Art, wie der Kaiser die Entscheidungen des Reichshofrats beeinflußte (S. 168), fällt helles Licht.

Zum Schluß sei noch auf die außerordentlich klaren und aufschlußreichen Ausführungen hingewiesen, in denen Sir Richard Lodge den VI. Band der British Diplomatic Instructions (France 1727--1744) für die Erkenntnis und Beurteilung der englischen Politik im sogenannten Polnischen Erbfolgekrieg ausschöpft ( 842). Er kommt dabei zu einer entschiedenen Verurteilung Walpoles, der in seinem Bestreben, den Frieden aufrecht zu erhalten, die im Wiener Vertrag von 1731 gegenüber Österreich übernommenen Verpflichtungen nicht einhält und sich trotz der Warnungen des in diesem Falle richtiger sehenden Newcastle von Kardinal Fleury hinhalten und täuschen läßt. War der Ausgang des Kampfes auf dem Kontinent für England auch noch verhältnismäßig günstig, so hat doch Walpoles schwächliche Neutralität den englischen Interessen sehr geschadet: Spanien und Frankreich wurden dadurch zu Übergriffen und Angriffen ermutigt, die nur wenige Jahre später England doch zwangen, das Schwert zu ziehen.


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