III. Fünfziger Jahre und Neue Ära.

Der zweite Band der Briefe Kaiser Wilhelms I. umfaßt im wesentlichen die Zeit bis 1864 ( 954). Er zeigt die kritische Stimmung des Prinzen in den fünfziger Jahren und bringt vor allem einige interessante Briefe aus dem September 1862. Auch einige unveröffentlichte Stücke Bismarcks sind in dem Band enthalten, der zur Ergänzung einiger wiedergegebener Briefwechsel gelegentlich dem späteren Band bis 1869 vorausgreift. Sachlich ist diese Publikation hier nicht auszuwerten.

A. Heskels Spezialuntersuchung über die Entsendung eines Hamburger Senators nach Berlin ist nicht ohne Interesse für die deutschen innenpolitischen Zustände nach dem Scheitern der Revolution von 1848 ( 959). Einige kurze Briefe Leopold von Gerlachs kennzeichnen die Verbundenheit der Konservativen. Das mitgeteilte Material gehört im besonderen zu dem Kampf um die Verfassungsfrage in Hamburg. Hamburgs Hoffnung, durch Preußens Hilfe von der österreichischen Besatzung befreit zu werden, war vergeblich. -- Interessanter ist das in einer anderen Untersuchung Heskels mitgeteilte Material, obwohl es sich um eine ganz spezielle Frage handelt ( 960). Der Major Eduard Jungmann, der sich bei Eckernförde durch die Eroberung der Fregatte Gefion verdient gemacht hatte, richtete an den Bundestag ein Gesuch um Auszahlung von Prisengeldern. 1849 war er als Nationalheld gefeiert worden; jetzt hatte er als Bittsteller einen höchst mäßigen Erfolg. Bezeichnend ist, daß man ihm 1851 riet, bei einer Eingabe an den Deutschen Bund die Worte »schleswig-holsteinsche Truppen« und »Reichsarmee« zu vermeiden, wie überhaupt alles, was nicht völlig legitim sei.

Badens Politik auf den Dresdener Konferenzen 1850/51 schildert W. F. Schill unter Benutzung der einschlägigen Akten ( 957). Die Arbeit zeigt die Unkenntnis der kleinen Staaten bei Beginn der Konferenz über das, was auf ihr vor sich gehen sollte. Der Verfasser schildert, wie Baden um seine Gleichberechtigung kämpfte und mit anderen kleinen Staaten die Wiederherstellung des alten Bundesrechtes ersehnte. Das richtete sich zunächst gegen Österreichs Übermacht, die bei Beginn der Konferenz deutlich hervortrat, sich aber nicht durchsetzen konnte. Die Arbeit verliert sich gelegentlich stark in eine allgemeine Skizze der Verhandlungen, ist aber durch das mitgeteilte Material und auch durch die Beifügung von Aktenbeilagen wichtig. -- Ein Aufsatz S. Jakobsons teilt Details über die Verfolgung und Beobachtung Herzens durch preußische und sächsische Polizei in den fünfziger Jahren mit, entbehrt aber des allgemeinen Interesses ( 961).

Die Arbeit von F. Eckhart schildert im wesentlichen die Außenpolitik Österreichs und Preußens in der Zeit des Krimkrieges, während die deutsche Frage im Gegensatz zum Titel zurücktritt ( 964). Die Benutzung wichtigen,


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vor allem Wiener Archivmaterials gestattet dem Verfasser die Aufhellung vieler Einzelheiten. Für Preußen wie für Österreich wird wohl allzu stark die Geradlinigkeit ihrer Politik hervorgehoben. Bei Preußen war das ohne Zweifel eher ein Zeichen der Schwäche als der Entschlußkraft, wie das im vorigen Jahrgang (S. 214) besprochene Buch von Borries zeigt. Für die Haltung Österreichs ist u. a. wichtig, daß nach Eckart der Anschluß an Frankreich und England aus freiem Entschluß und nicht auf Druck der Westmächte erfolgte. Immerhin läßt sich der Eindruck nicht verwischen, daß die Politik Österreichs im Gegensatz zur Ansicht von Eckart alles andere als kräftig war. -- Die Arbeit von C. Friese über Rußland und Preußen vom Krimkrieg bis zum polnischen Aufstand ( 965) will das schematische Bild des Verhältnisses zwischen Rußland und Preußen, das bisher die Forschung beherrschte, »mit dem Detail der Geschehnisse« füllen. Der Verfasser ist Mitarbeiter bei der Herausgabe der preußischen Akten durch die Historische Reichskommission und kann deshalb reiches Archivmaterial verwerten. Eine einleitende Skizze schildert aufschlußreich Rußlands Innen- und Außenpolitik nach dem Krimkrieg. Friese betont stärker als üblich auch für die Zeit um 1848 die machtpolitischen Grundlagen der russischen Politik. Ebenso hebt er den Wandel in den Beziehungen zwischen Rußland und Preußen hervor. Das Ganze bedeutet keine Änderung des bisherigen Bildes, aber doch eine starke Abschattierung allzu greller Linien. Es ist aufschlußreich auch für die allgemeinen europäischen Beziehungen wie für die Anfänge der Politik Bismarcks, u. a. auch in dem, was Friese zur Alvenslebenschen Konvention sagt. Er zeigt die Fülle der Kombinationen in der polnischen Frage, ohne sich in gewagte Konstruktionen zu verlieren. Man kann Friese jedenfalls für das höchst aufschlußreiche und wertvolle Buch danken. -- Ein knapper und interessanter Aufsatz von A. Stern behandelt einen russisch-französischen Bündnisplan in der Zeit nach dem Krimkrieg ( 966), im besonderen eine Zusammenkunft des Zaren und Napoleons 1857 in Stuttgart und die folgenden Verhandlungen des Prinzen Napoleon in Warschau. Napoleons Versuch, Rußland hinter seine italienischen und antiösterreichischen Pläne zu bringen und für eine Zerschmetterung der österreichischen Monarchie zu gewinnen, sei nicht gelungen. Aber Napoleon habe immerhin das Ergebnis erzielt, daß Rußland für den bevorstehenden italienischen Krieg Neutralität zusagte. -- Das Tagebuch Kempens vom September bis Dezember 1859 ist gelegentlich für den allgemeinen Hintergrund der Ereignisse nicht ohne Interesse, aber im ganzen nur speziell für die österreichische Geschichte wichtig ( 967).

Die Arbeit von S. Meiboom, eines Schülers von A. O. Meyer, bietet im gewissen Sinne eine Ergänzung zu Meyers Buch über »Bismarck am Bundestag« durch die Schilderung der deutschen Politik Bayerns in den fünfziger Jahren ( 958). Der Verfasser hat Wiener und Münchener Akten sowie den Nachlaß Pfordtens benutzt. Meiboom hebt mit Nachdruck hervor, wie erschreckt die Mittelstaaten durch die Ereignisse von 1848 waren und verfolgt dann die bayrische Politik, wobei sich gelegentlich die Schwierigkeit zeigt, die Politik eines Einzelstaates gesondert zu betrachten. Meiboom kann eine charakteristische Äußerung Bismarcks über die Politik der Mittelstaaten anführen: »Es wird stets der Stein der Weisen für deutsche Politiker bleiben, die Macht der einheitlichen Zentralgewalt zu fördern und zugleich die Autonomie der einzelnen


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Staaten ungeschmälert zu erhalten« (S. 32). Das zeigt auch Bayerns Haltung deutlich. Der bayrische Ministerpräsident Pfordten wird von Meiboom nicht ungünstig beurteilt, aber seine Überbewertung durch Doeberl kritisiert. Pfordten habe im ganzen »aus der tiefen Einsicht in die unlösbare Problematik des bayrischen Schicksals« (S. 45) Resignation beherrscht, die sich in den Zeiten nach dem Krimkriege verstärkt habe. Höchst charakteristisch sind gelegentlich Ausführungen über die Rivalität der Mittelstaaten, im besonderen von der Pfordtens und Beusts. Fast amüsant ist die Eile, mit der Pfordten nach Paris fährt, als er von einem entsprechenden Plan von Beust hört, um vor dem Sachsen dort zu sein (S. 114). Die bayrischen Diplomaten hält der Verfasser fast durchweg für unbedeutend. Am Schluß hebt er nachdrücklich die Aussichtslosigkeit aller Triaspläne hervor, die schon deshalb scheitern mußten, weil jeder Mittelstaat die Führung der Trias für sich beanspruchte. Meibooms Arbeit ist für eine Erstlingsarbeit sehr gelungen und ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der deutschen Frage. -- Eine Ergänzung bildet Meibooms knapper Aufsatz, der Bismarck und Bayern am Bundestag behandelt ( 995). In der ersten Zeit wollte Bismarck Bayern für die preußische Seite gewinnen. Seit 1856 änderte er diese Haltung und übte an Bayern wie an allen Mittelstaaten scharfe Kritik. Für Bismarck sei jetzt selbstverständlich gewesen, »daß sie sofort mit Frankreich zusammengehen, sobald sie nur eine Gelegenheit dazu haben« (S. 327). -- Die Bundesreformpläne von Beust im Jahre 1859 untersucht die Arbeit von M. Daerr ( 968). Sie erscheinen durchaus als Gegenwehr gegen die nationale Bewegung und sind übrigens zuerst von Wien her angeregt worden. Der Verfasser hat die sächsischen Akten benutzt und schildert eingehend die Verhandlungen zwischen Sachsen, den Mittelstaaten und Wien mit ihrer deutlich antipreußischen Tendenz. Preußen hält der sächsische Minister für mit der nationalen Bewegung im Bunde. Eine Beilage gibt Aktenmaterial über die Münchner Konferenz vom September 1859.

Hermann Oncken veröffentlicht den ursprünglichen Text der Baden- Badener Denkschrift Bismarcks von 1861 über die deutsche Bundesreform ( 970) mit einer wichtigen und aufschlußreichen Einleitung. Bisher war die Denkschrift nur in einer späteren, für die konservativen Freunde bestimmten Fassung bekannt. Die letzte in einer Handschrift seiner Frau abgesandte Fassung war in den Ministerialakten nicht zu ermitteln. Die jetzt von Oncken veröffentlichte frühere Fassung steht der nationalen Bewegung positiver gegenüber als die spätere. Es ist, wie Oncken sagt, derselbe Inhalt, aber es sei die »Nuancierung des Tones, der die Musik macht«. Die Auswertung der Denkschrift selbst ist hier nicht möglich, zumal sie wohl jedem Leser der Jahresberichte bekannt ist.


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