b. Allgemeine und diplomatische Geschichte des Krieges.

Der Versuch einer Gesamtdarstellung des Krieges ist nur in dilettantischer Weise unternommen worden. Das Buch von G. Lorenz ( 1132) gehört zur Kategorie der journalistischen Historie, die das große Geschehen des Weltkrieges in eine dramatisch gedachte Bilderfolge auflösen will. Auch der Versuch, die innere Geschichte der beteiligten Staaten stärker als das militärische Geschehen zu berücksichtigen, ist mit unzulänglichen Kräften durchgeführt. Die im Titel gestellte Frage: Schuld oder Schicksal entspricht in keiner Weise einer durchgeführten Problemlinie, so daß dem Buch auch die im Widerspruch anregende Bedeutung fehlt, die sonst Werken dieser Art innewohnen kann.

Ein in seiner Art verdienstvoller Versuch populärer Erfassung eines der wichtigsten Probleme des Weltkrieges, das zugleich in der Literatur der letzten Jahre auch außerhalb Deutschlands immer stärker in den Vordergrund trat, ist das Buch von O. v. Moser über die Obersten Gewalten im Weltkrieg ( 1133). Das Problem des Verhältnisses von Politik und Heerführung hat im Weltkrieg allen beteiligten Staaten ohne Rücksicht auf die Staatsform Schwierigkeiten von größtem Ausmaß bereitet, die aus der sachlich bedingten Friktion militärischer und politischer Gesichtspunkte vor einer so vielseitig umfassenden Aufgabe, wie sie der Koalitionskrieg der gesamten großen Kulturstaaten der Erde stellte, mit Notwendigkeit hervorgehen mußten. Das geistvolle französische Thesenbuch J. M. Bourgets (Jberr. 6, S. 247) hatte die Frage in sehr umfassendem Rahmen aufgegriffen, sah aber ohne weiteres die Erfüllung der Clausewitzforderung von der Oberhoheit der Politik über die militärische Führung in der französischen Ordnung des Jahres 1918 mit einer Zuversicht gegeben, gegen die schon jetzt mannigfache Literatur aus dem Ententelager zeigt, daß auch hier die Friktionen noch größerer Bedeutung besaßen, als er zuzugeben bereit war. Der Rahmen des Moserschen Buches ist mit der Beschränkung auf Deutschland, England und Frankreich wesentlich enger gezogen und so etwas


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geeignet, die universale Bedeutung der Frage nicht ganz hervortreten zu lassen, obwohl an sich diese Auswahl aus sachlichen Gründen zu rechtfertigen ist. Im übrigen stand der Verfasser auch mit diesen Grenzen noch vor einer schwierigen Aufgabe. Die befriedigende Bewältigung des Problems nach dem heutigen Quellenstande würde neben einer ganz umfassenden Beherrschung der Kriegsliteratur einen sehr tief gehenden geschichtlichen Hintergrund verlangen. Es ist nicht möglich, die bekannten Schwächen der deutschen Kriegsleitung nur als Auswirkung der Persönlichkeiten und ihrer Mängel zu behandeln und das gewiß hellere Bild der Lage bei den großen Westmächten, wo bis in die Tiefe gehende Krisen nur zeitweise in Frankreich auftraten, vor allem aus der gleichen, nur entgegengesetzten Motivierung abzuleiten. Da Moser sein Buch bewußt für das Bedürfnis des Tages schreiben wollte, wird man immerhin diese in den großen Linien des Tatsachenberichtes zuverlässige, wenn auch im einzelnen recht ungleich bearbeitete Übersicht dankbar benutzen können, obwohl auch hier die schon in früheren Büchern des Verfassers hervortretende Neigung zu starker Urteilsvereinfachung und absolut sicherer persönlicher Beantwortung schwieriger sachlicher Fragen wieder charakteristisch hervortritt.

An den Abschnitten des Moserschen Buches, die deutsche Verhältnisse behandeln, ist deutlich zu spüren, daß wir uns auf einigermaßen gesichertem Boden doch vor allem bei den Zeitabschnitten bewegen, in denen durch das Reichsarchivwerk bereits eine Grundlage für die Beurteilung der großen Führungsentschlüsse geschaffen ist. Diese Bedeutung des Reichsarchivwerkes auch für das Verhältnis von Reichsregierung und Heeresleitung tritt auch in der Studie von L. Rüdt v. Collenberg ( 1141) hervor, die das Verhältnis beider Gewalten bis zum Frühjahr 1915 verfolgt und das Eintreten starker Spannungen zwischen Bethmann und Falkenhayn im einzelnen darlegt, um festzustellen, daß die schließliche Selbstbescheidung des Reichskanzlers zwar äußerlich ein leidliches Zusammenarbeiten ermöglichte, es aber auch bereits in diesem frühen Abschnitt des Krieges zu einer wirklich einheitlichen Kriegsleitung im Clausewitzschen Sinne für Deutschland nicht kommen ließ.

Wichtigste Aufschlüsse zu diesem tragischen Versagen auf deutscher Seite bringen die Aufzeichnungen des Chefs des Zivilkabinetts von Valentini, die Schwertfeger in einer liebevoll bearbeiteten Ausgabe ( 1206) vorlegt. Ihre Bedeutung ist freilich nicht auf die Kriegszeit beschränkt. Als Chef des Geheimen Zivilkabinetts seit 1908 hat Valentini bei der entscheidenden Bedeutung dieser Stelle neben einem Herrscher von der Eigenart Wilhelms II. schon in den letzten Friedensjahren Anteil an den wichtigsten Entscheidungen der deutschen Geschichte genommen. Sein Bericht z. B. über Bülows Entlassung und die Gründe der Berufung Bethmann-Hollwegs zeigt nach den sympathischen eigenen Niederschriften über seinen Entwicklungsgang als konservativer Beamter altpreußischen Stiles bereits die Bedeutung der intimen Aufklärungen, die er zu geben vermag. Im Krieg ist er als eine Hauptstütze der Bethmannschen Politik Gegenstand weit verbreiteter, scharfer Angriffe geworden, denen schließlich 1918 auch sein langjähriges Vertrauensverhältnis zum Kaiser nicht mehr standzuhalten vermochte. Die Aufzeichnungen dieses vornehmen, auch als Bethmannanhänger weiter ganz konservativ gestimmten Mannes zeigen, daß auch er durch die Tragik der Übergangslage im wilhelminischen Deutschland der Weltkriegsjahre persönlich über Gebühr belastet worden ist. Valentini hat nach


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bester Überzeugung Bethmann-Hollweg bis zu seinem Sturze zu halten versucht. Er sieht noch in seinem letzten Eintreten für die Gewährung des allgemeinen Wahlrechts in Preußen vor dem Kaiser ein »großartiges Plaidoyer« über das Thema »der Kaiser im Volksstaat«. Auch er hat jedoch der Durchführung der Politik Bethmanns im einzelnen nicht ohne Kritik gegenübergestanden und es sehr bitter empfunden, daß er als Schildträger des Kanzlers je länger, je mehr für die Oberste Heeresleitung zum Gegenstand grenzenlos scharfer Ablehnung wurde. Die Aufzeichnung über sein Ausscheiden aus dem Amt als Chef des Geheimen Zivilkabinettes ist so aus dem Bedürfnis der Rechtfertigung gegen diese Anklagen heraus zu einem der inhaltreichsten Dokumente über die Gegensätze zwischen Kanzler und Heeresleitung in den Jahren 1916/17 geworden, die wir bis heute überhaupt besitzen. Valentini verfolgt dieses Ringen mit einer Fülle von Einzelheiten, aus denen freilich auch bei ihm immer wieder schärfste Verbitterung des eben Gestürzten über die rücksichtslose Energie Ludendorffs spricht. Nach Bethmanns Sturz wurde auch seine Lage sofort schwierig. Trotzdem genügte sein Anteil an der doppelten Kanzlerkrise des Jahres 1917, um uns auch über die Berufung von Michaelis und Hertling, damit aber über grundlegend wichtige Ereignisse der deutschen Verfassungskrise im zweiten Teil des Weltkrieges, unentbehrliche neue Aufschlüsse zu geben. Der Wertung des Verfassers nach eine unbedingte Kampfschrift gegen die Einmischung der Militärs in die Politik, erscheinen die Aufzeichnungen Valentinis im Tatsächlichen doch als ungewöhnlich zuverlässig, da sie auf Schritt und Tritt das disziplinierte Verantwortlichkeitsgefühl des preußischen Beamten alten Stiles zeigen, der selbst in der Empörung über den eigenen Sturz doch bemüht bleibt, die zu diesem Ergebnis führende Ereigniskette aus unmittelbarer Erinnerung und nach seinen Dokumenten mit möglichster Treue festzulegen.

Neben dieser innerdeutschen Diskussion über die Frage von Heerführung und Politik mit ihrem bleibenden Gegenwartsinteresse bewegt sich eine zweite Gruppe literarischer Erscheinungen um das seit Jahren immer neu umstrittene leidige Problem der deutsch-österreichischen Beziehungen im Weltkrieg. Gegen die Angriffe der Bülowdenkwürdigkeiten auf seine römische Botschafterzeit in den Jahren 1914/1915 hat der Freiherr von Macchio ( 1144) in einem Buche Einspruch erhoben, das durch seine dokumentarische Belegung auf jeden Fall Anspruch auf Beachtung hat. Aber auch seine Verteidigung gegen die sachliche Karikatur, die Erzberger und Bülow von seiner diplomatischen Tätigkeit entworfen haben, scheint, nach dieser Quelle zu urteilen, nicht ohne Berechtigung zu sein. Von beiden ist zweifellos bei ihrem überheblichen Urteil über die österreichische Politik die entscheidende Bedeutung der Kriegslage für die Haltung Italiens verkannt worden. Das von Macchio zitierte Wort des dreibundfreundlichen italienischen Botschafters in Wien, des Herzogs von Avarna: Donnez nous des victoires, des victoires! stellt eben doch nach der Marneschlacht den eigentlichen Schlüssel für den Übergang Italiens in das Lager des Dreiverbandes dar. Die Berichte Macchios machen zweifellos, daß er selbst der österreichischen Obstruktionstaktik in den ersten Monaten des Jahres 1915 gegenüber bedenklich gewesen ist und zu warnen versucht hat. Auch für die letzten Phasen der Verhandlung in Rom erscheint jetzt wenig glaubhaft, daß das von Bülow entworfene Bild völliger Trottelhaftigkeit des österreichischen Botschafters zutrifft.


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Ganz von der bekannten erbitterten Kritik des Verfassers an Politik und Heerführung Deutschlands im Weltkrieg erfüllt ist ein neues Buch des Frhr. von Werkmann ( 1134) über Deutschland als Verbündeten. Bei seiner intimen Verbindung zu Kaiser Karl wird es als Quelle vorläufig trotzdem nicht ganz auszuschalten sein. Werkmanns Darlegung der österreichischen Beschwerden in den ersten Jahren des Weltkrieges stützt sich nicht nur auf die gelegentliche Wiedergabe von Originaldokumenten, sondern zeigt vor allem die persönlichen Voraussetzungen und die Atmosphäre, von denen die Politik des späteren Kaisers seit Ende 1916 ausging. Für diese spätere Periode ist die Erzählung von Ereignissen wichtig, an denen der Verfasser selbst als Vertrauensmann des Herrschers teilgenommen hat. So erhalten wir neue Aufschlüsse über die Entstehung des bekannten Amnestieerlasses, über die Vorgänge vor der Eröffnung des unbeschränkten U-Bootkrieges, über die Polenfrage. Dagegen sind die Mitteilungen über die Friedensaktion des Jahres 1917 recht dürftig. Der Versuch, diese Politik seines kaiserlichen Herrn zu rechtfertigen, widerlegt sich selbst durch den Optimismus, mit dem Werkmann die Frage der Ausgleichsmöglichkeit zwischen italienischen Forderungen und österreichischen Selbsterhaltungsnotwendigkeiten behandelt. Auch hier bleiben jedoch gelegentliche Enthüllungen wichtig, die grelles Licht auf das Maß der Antipathie des Herr. schers gegen alles Deutsche werfen. Wenn er anläßlich der Handelsvertragsverhandlungen im Mai 1917 den Deutschen vorwirft, diese arbeiteten militärisch immer weiter daran, »uns zu knechten«, so zeigt das am deutlichsten, aus welcher gefühlsbeladenen Atmosphäre die Sixtusverhandlungen möglich wurden, und zerstört die idealisierende Auffassung des Verfassers von der Gestalt des Friedenskaisers, der in einsamer Überlegenheit versucht hätte, rechtzeitig einer Katastrophe Österreichs vorzubauen.

Im übrigen ist der Ertrag des Jahres für die politische Geschichte des Weltkrieges recht begrenzt. Die Biographie Ferdinands von Bulgarien von H. R. Madol ( 1188) ist Dilettantenarbeit. Was er von dem greisen Herrscher selbst an Material erhalten hat, beschränkt sich auf die familiär-persönliche und höfische Seite dieses interessanten Lebens. Auch die Auswertung der für die Vorkriegsperiode heute schon erreichbaren Quellen befriedigt nicht. Für die historisch wichtigste Epoche in Ferdinands Leben, die Zeit vom Beginn der Balkankriege bis zum Ende des Weltkrieges, ist der greise Herrscher offenbar auch durch seinen Biographen nicht in dem rühmlichen Entschluß wankend gemacht worden, durch strenge Zurückhaltung und Selbstdisziplin die Aufgabe seines Nachfolgers in Bulgarien möglichst zu erleichtern. Der Ertrag des Buches für diese Partien ist trotz der journalistischen Gewandtheit des Verfassers im Grunde beschämend dürftig. Das Gleiche läßt sich von einer französischen Publikation über die diplomatisch-militärische Reise des Generals Pau in die Balkanländer und Rußland im Frühjahr 1915 sagen. Der Verfasser (Melot,1149) hat sich zwar von General Pau die Zuverlässigkeit seines Tagebuches bestätigen lassen. Als militärischer Reisebegleiter des Generals hat er aber von den politischen Vorgängen scheinbar überhaupt nichts erfahren, als soldatischer Beobachter, der sich kurz vor Gorlice in Begeisterung über die Leistungen des russischen Verbündeten steigert, vollkommen versagt, so daß ein von der üblichen Kriegsbegeisterung diktiertes, ganz und gar irreführendes Bild entstanden ist.


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Dagegen gibt wertvolle Aufklärungen für das diplomatische Ringen beider Lager um Bulgarien in Frühjahr und Sommer 1915 die französische Übersetzung der Dokumente eines von der Regierung Stambuliski bereits 1921 herausgegebenen Farbbuches ( 1148), das in der deutschen Forschung bisher nur wenig Beachtung gefunden hat. Seinen Mittelpunkt bildet die Frage, bis zu welchen Grenzen Serbien unter dem Druck Englands und Frankreichs zu Konzessionen in Mazedonien sich zu entschließen bereit sein würde. Trotz militärischer Erschöpfung und zeitweise tiefer Entmutigung der serbischen Öffentlichkeit leistete Serbien schließlich zähen Widerstand gegen die Pression der großen Verbündeten und erleichterte den Bulgaren zum Mindesten den Anschluß an die Mittelmächte, der freilich entscheidend durch die militärischen Erfolge der deutschen Waffen gegen Rußland im Frühjahr und Sommer 1915 bestimmt wurde. Die Kompensationsforderungen Serbiens im Laufe der Verhandlungen sind ein lebendiges Zeugnis für die Stärke der großserbischen Nationalidee selbst in den kritischsten Stunden des Weltkrieges. Ein interessantes Präludium für die Nachkriegssituation bedeutet es dabei, daß Italien die Werbung seiner Verbündeten in Sofia ganz unverhohlen zu durchkreuzen versuchte, weil es durch die bei einer Einigung unvermeidlichen Kompensationen an Serbien fürchten mußte, dieses in unerwünscht starker Aufstellung an die Adria vordringen zu sehen.

Eine Gesamtdarstellung der inneren Entwicklung Rußlands im Weltkriege hat M. T. Florinsky ( 1151) im Rahmen des Carnegiewerkes über die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkrieges gegeben. Von bürgerlichem Standpunkt aus geschrieben, nähert es sich in seiner Beurteilung der zaristischen Regierung bemerkenswert den vorsichtigen Auffassungen an, die in Deutschland O. Hoetzsch entwickelt hat, und lehnt es ab, aus der Endkatastrophe ein allgemeines Schwarz-Weißverdikt gegen ihre Leistungen abzuleiten. Die Darstellung des tragischen Zusammenbruches im Kriege ist mit Ruhe und umfassendem Interesse geschrieben und vermag gute Dienste für den der russischen Sprache nicht mächtigen Historiker als Einführung in den Stand der russischen Literatur zu leisten. Gerade von diesem maßvollen Standpunkt des Verfassers aus muß notwendig der entscheidende Anteil der Kräfteüberspannung im Weltkrieg an der Furchtbarkeit des schließlichen Zusammenbruches hervortreten. Florinsky lehnt denn auch entschieden die chauvinistische Urteilsweise Miliukows über die Zusammenhänge von Krieg und Revolution ab, dessen These, daß die Märzrevolution nationale Revolution gegen die Schwäche der zaristischen Kriegführung gewesen sei, er nur aus der bis zum Höchsten gesteigerten Tatsachenverkennung eines zum Politiker gewordenen Professors zu verstehen vermag. Ebenso realistisch beurteilt er die Entwicklungsgeschichte des Bolschewismus, dessen Aufstieg von hoffnungsloser Minderheit zu einer seine eigenen Anhänger völlig überraschenden Schlüsselstellung ohne den Zusammenhang mit dem Versagen des historischen russischen Staates vor der Aufgabe des Weltkrieges völlig unverständlich bleiben müßte.

Schließlich ist eine letzte Gruppe kleinerer Erscheinungen zur Geschichte der amerikanischen Politik zu nennen. Die Aufsätze des französischen Botschafters J. J. Jusserand über das amerikanische Gefühl im Weltkriege ( 1136) liegen jetzt in einer Buchausgabe vor, die ihre inhaltliche Dürftigkeit nur noch gesteigert sichtbar macht. Nur die Arbeit der französischen Propaganda in Amerika


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erhält gelegentlich nützliche Streiflichter, sonst handelt es sich um einen sentimentalen Appell an die Zeit der Kriegsgemeinschaft im Dienste französischer Gegenwartspolitik. -- Eine nützliche Analyse über einen der ersten amerikanischen Berufsdiplomaten auf großen Europaposten gibt A. Vagts in seiner Studie über Henry White (A. Vagts: Staatsmänner und Diplomaten. III. Europ. Gespr. IX, 484 ff.), der als Botschafter in London die englisch-amerikanische Annäherung seit der Jahrhundertwende wirkungsvoll gefördert hat. Die Biographie Allan Nevins über ihn (A. Nevins: Henry White, 30 Years of American Diplomacy. New-York -- London 1930) scheint hiernach zu den amerikanischen Werken des Life-and Letterstyps zu gehören, die auch dem Historiker der Weltkriegsperiode Dienste zu leisten vermögen. White hat als Kenner der europäischen Verhältnisse noch der Versailler Friedensdelegation angehört und im Gegensatz zu dem Chauvinismus des mit ihm befreundeten Senators Lodge doch eine Empfindung dafür besessen, daß Wilson und House dem Druck der europäischen Verbündeten zu schnell und zu weit nachgaben. -- Von deutscher Seite ist der Versuch einer Biographie des Präsidenten Wilson unternommen worden. Das Experiment einer vorläufigen Lebensbeschreibung Wilsons brauchte bei der relativen Fülle der immerhin schon vorliegenden Materialien nicht ganz aussichtslos zu sein. Das Buch Rich. Koetzschkes ( 1207) genügt jedoch in keiner Weise. Es erneut das Bild des Idealisten Wilson auf Grund dilettantischer Schilderung seiner Vorkriegsentwicklung, die nicht einmal vermag, seine wissenschaftlichen Werke analytisch einigermaßen auszuwerten. Für Kriegszeit und Friedensschluß versagt er gänzlich vor der Aufgabe, auch nur die Housememoiren kritisch zu verarbeiten. Allen ernsthafteren Problemstellungen, die ihm auch in der amerikanischen Literatur jetzt schon hätten begegnen müssen, ist er ausgewichen.

Zur Geschichte des Friedensschlusses ist eine Gruppe von Arbeiten zu nennen, die um die beherrschende Gestalt Clémenceaus kreist. Die Fortsetzung der Tagebuchaufzeichnungen des Generals Mordacq ( 1186) bleibt weiter eine Quelle von beachtlichem Wert, die fast Tag für Tag die Stimmung des französischen Ministerpräsidenten während der Friedenskonferenz auffängt und Einblick in sein Ringen mit den Alliierten vermittelt. Ebenso wichtig ist die Beleuchtung der Friktionen im französischen Lager, die Entwicklung seines Konfliktes mit General Foch und die allmähliche Steigerung der Widerstände gegen Clémenceaus herrische und rücksichtslose Art im Parlament. -- In der Reihe der Clémenceau wieder in reicher Fülle gewidmeten biographischen Arbeiten gibt das von streng katholischem Standpunkt aus geschriebene Buch von Jos. Vincent ( 1187) bei allem Respekt vor der unerschöpflichen Kampfesfreude und Energie des greisen Staatsmannes von 1918 doch vor allem eine schneidende Kritik seiner Fremdheit gegen die katholische Ideenwelt und sucht hier die Ursachen für die Begrenztheit seiner Gestalt. In besonders interessanter Weise wird die gesamte schriftstellerische Tätigkeit Clémenceaus in diese Analyse einbezogen. Gegen die literarisch in Frankreich die letzten Jahre beherrschende Clémenceaubewunderung erscheint abschließend der gläubige Soldat Foch als das große Gegenbild. -- Die Studie von G. Vial-Mezel ( 1187) kritisiert die Rheinlandregelung des Versailler Vertrages und erhebt vom Gegenwartsstandpunkt aus die Anklage, daß Clémenceau die Gelegenheit versäumt habe, durch elastischere Ausnutzung der rheinischen Autonomiebestrebungen


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die Loslösung des Rheinlandes aus dem staatlichen Verbande mit Preußen und Bayern durchzusetzen. Das an sich wenig bedeutende Buch bringt jedoch einiges dokumentarische Material über die Beziehungen der französischen Besatzungsarmee zu den Trägern dieser Tendenzen bei.


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