c. Militärische Geschichte des Weltkrieges.

Die militärische Literatur zur Geschichte des Weltkrieges ist weiter Jahr für Jahr durch eine schwer zu bewältigende Fülle von Erscheinungen bezeichnet. Zwischen den beteiligten Ländern stellt sich dabei immer wieder ein sehr charakteristischer Unterschied heraus. Auf deutscher Seite bewegt sich die Auseinandersetzung noch immer vorwiegend im Rahmen einer Diskussion über die innerdeutschen Verantwortlichkeiten für die Ursachen des unglücklichen Kriegsausganges. Im Ausland, vor allem bei den großen Militärmächten wie Frankreich, tritt neben dem verwandten Faktor des Streites um die Siegesanteile ein zweites Forschungsmoment bedeutsam hervor. Der Weltkrieg als letztes großes kriegerisches Geschehen bedeutet die Erfahrungsbasis, von der aus in den großen Armeen der Gegenwart die Probleme zukünftiger Kriegsmöglichkeiten bearbeitet werden müssen. So tritt neben der retrospektiven Erörterung über das Verdienst am Sieg -- die häufig genug auch hier ganz eng in innenpolitsche Gegenwartskämpfe verflochten ist, -- ebenso wichtig der Versuch, die militärische Geschichte des Weltkrieges den Aufgaben gegenwärtiger Heeresfortbildung dienstbar zu machen, und erklärt es, daß Teilerscheinungen des Weltkrieges, Festungskampf, Luftkrieg, Unterseebootkampf, Kolonialfeldzüge, eine Beachtung erfahren, die sie in gleichem Maße und gestützt von gleich reichen Mitteln auf deutscher Seite noch nicht haben erhalten können, da durch die Rüstungsbeschränkungen des Versailler Friedens auch die menschlichen Kräfte reduziert sind, die von unmittelbar frischer militärischer Erfahrung her mit neuen Fragestellungen an die Geschehnisse des Weltkrieges herantreten können.

Aus dieser Lage erklärt sich wohl eine gewisse Beharrungstendenz in den Problemen, die die deutsche Kriegsgeschichtsforschung in erster Linie beschäftigen. Wieder widmet sich eine größere Gruppe von Arbeiten dem dramatischen Anfang des Ringens bis zur Marneschlacht. Wolfg. Foerster ( 1154) hat die Aufmarschpläne der wichtigsten Gegner zum Gegenstand eines gediegenen Buches gemacht, das die Vorgeschichte des deutschen Feldzugsplanes von 1914 eingehend darlegt und die Abweichungen vom ursprünglichen Schlieffenplane erneut gegen allzu scharfe Kritik in Schutz nimmt. Während seine Darstellung der russischen Aufmarschentwürfe sich ganz auf die Arbeiten von G. Frantz stützen kann, ist die Behandlung der französischen Feldzugspläne seit 1871 als wertvolle Übersicht für einen noch in vollem Fluß befindlichen Fragenkomplex dankenswert, die vor allem die Frage der Belgien in den Ententeplänen zugedachten Rolle kritisch eingehend behandelt. -- Th. von Schäfer hat in einem beachtenswerten Aufsatz die Frage erörtert, inwieweit zu Kriegsbeginn ein Zusammenwirken von Generalstab und Admiralstab ( 1153) gefehlt hat. Er weist nach, daß der Kontakt für die Jahre vor 1914 doch nicht so völlig gefehlt hat, der Generalstab nicht so gleichgültig gegen den Gedanken einer Zusammenarbeit mit der Marine gewesen ist, wie oft behauptet wurde, und betont die Grenzen, in denen eine Mitwirkung der Flotte durch die Stärkeverhältnisse gegen England notwendig bleiben mußte. Insbesondere hat eine ernsthafte Möglichkeit,


S.252

die englischen Truppentransporte nach dem Festland zu unterbinden, praktisch nicht bestanden. Offen bleibt die Frage, ob nicht im Herbst 1914 eine ernsthaftere Unterstützung der Flandernoffensive durch die Marine erreichbar gewesen wäre. -- Ein sehr eingehendes Buch auf Grund umfassenden Materials hat Fr. Gause ( 1140) der Wirkung der russischen Besatzungszeit in Ostpreußen gewidmet, das über die Detailuntersuchung heraus einen willkommenen Beitrag zur Psychologie des Kriegs in seinen Anfängen darstellt. Mit strenger Objektivität werden die notwendigen Abzüge an der begreiflichen Übersteigerung der Greuelnachrichten in den erregten Anfängen des Krieges gemacht. Auch der Vorwurf, daß die Flucht der ostpreußischen Bevölkerung vor dem feindlichen Einmarsch gelegentlich die notwendigen Grenzen überschritten hat, wird nicht unterdrückt. Selbst nach diesen Abzügen aber bleibt genug übrig, um den Einmarsch eines halbasiatischen Heeres unter einer Führung, die bei gutem Willen an vielen leitenden Stellen durch Niedrigkeit des Kulturniveaus in der Masse der Truppe und eigene mangelnde Sprachkenntnis belastet war, zum Beginn einer schweren Leidenszeit für die betroffene Bevölkerung zu machen, deren Vorgänge hier in umfassender und abschließender Vollständigkeit niedergelegt sind. -- Das Buch bedeutet so ein Gegenstück zu den Arbeiten, die gegen den Angriff der belgischen Greuelpropaganda endlich in verstärktem Maße einzusetzen beginnen und um so mehr notwendig sind, als das im Krieg von deutscher Seite erbeutete und gesammelte Material in schwer begreiflicher Weise noch nicht genügend ausgewertet war. Als wertvollster Beitrag ist hier das Buch R. P. Oszwalds über die Anfänge des Franktireurkrieges ( 1165) zu nennen, das auf Grund sorgfältiger vorbereitender Studien die belgische Anklage zwingend widerlegt, daß der Zusammenstoß mit der belgischen Bevölkerung unmittelbar bei dem deutschen Einmarsch aus der Mentalität der deutschen Truppe hervorgegangen sei. In Weiterführung der Forschungen Schwertfegers erörtert er erneut die Rolle der gardes civiques und stellt mit verschärftem Nachdruck die Forderung auf, daß die belgische Regierung ihre Haltung diesen gegenüber endlich dokumentarisch abschließend zu klären habe. Durch Hinweis auf noch bestehende Forschungsdesiderate und eingehende kritische Übersicht über die bisherige Literatur wird das Werk zum besten Führer durch diese heiß umstrittene Frage, den wir zur Zeit in deutscher Sprache besitzen. -- Ergänzend ist auf eine Publikation der Süddeutschen Monatshefte ( 1167) hinzuweisen, die Oszwalds Thesen aus dem reichen belgischen Briefmaterial bestätigt, das uns bei der Einnahme von Antwerpen in die Hand gefallen ist, und eine Reihe von deutschen protokollarischen Zeugnissen über die Betätigung der Zivilbevölkerung im Kampf gegen die deutsche Truppe bringt.

Die Probleme der Marneschlacht sind in zwei beachtlichen Büchern des Obersten Koeltz ( 1168/ 1169) behandelt worden, in denen dieser rührige französische Militärschriftsteller kritisch gegen die Auffassung des Reichsarchivwerkes Stellung nimmt. Seine Arbeit über die Armee Kluck will den Nachweis erbringen, daß ihr Flügelsieg gegen die Armee Manoury noch nicht den von deutscher Seite behaupteten entscheidenden Erfolg errungen hätte und die 1. deutsche Armee durch den Rückzug tatsächlich aus dringendster Gefahr der Umklammerung gerettet worden sei. Wichtiger noch ist seine eingehende Untersuchung über die Rolle des Deutschen Hauptquartiers in der Marneschlacht, die den Mangel jeder genügenden zentralen Führung auf deutscher


S.253

Seite in den entscheidenden Tagen scharf bestätigt, den Rückzugsentschluß Moltkes und die Weisungen des Obersten Hentsch dagegen als rettende Tat beurteilen will. Über das Versagen der Persönlichkeiten hinaus lehnt er die Groenersche Auffassung ab, daß der Ausgang der Marneschlacht Schicksal, nicht Schuld gewesen sei, und findet das Versagen der Obersten Heeresleitung tiefer begründet in der Moltkeschen Tradition des deutschen Generalstabes, die den Armeeführern eine im modernen Kriege unzulässige Freiheit gelassen habe. So wird für ihn die Erstarrung des deutschen Armeesystems im Traditionellen, der Mangel an elastisch sich wandelnder Anpassungsfähigkeit an wechselnde Aufgaben, den er auch 1918 feststellen zu dürfen meint, zum eigentlichen Ausgangspunkt des behaupteten französischen Waffensieges.

Die wertvollste Erweiterung unserer Kenntnisse von deutscher Seite verdanken wir erneut dem Fortschritt des Reichsarchivwerkes. Es hat mit seinem 7. Bande ( 1155) jetzt die Geschichte des Jahres 1915 bis zu den Anfangserfolgen der Gorliceoffensive erreicht und behandelt damit einen Zeitraum, in dem auf deutscher Seite das große Ringen um das Führungsproblem des Mehrfrontenkrieges einen seiner dramatischen Höhepunkte erreichte. Bei der Frage der Wahl zwischen Ost- und Westoffensive, dem Ringen zwischen Oberost und dem starren Westler Falkenhayn handelt es sich um so mehr um eine nicht nur militärische Frage, als sich diese Entscheidung seit Anfang 1915 mit einer Fülle weiterer Probleme, dem Erlahmen Österreichs, dem drohenden Kriegseintritt Italiens, der Gefährdung der Türkei durch den Meerengenangriff und in Zusammenhang mit allem der Klärung der ganzen Balkanlage, komplizierte. Auch die Reichsregierung ist trotz der Scheu Bethmann-Hollwegs vor einem Eingriff in das militärische Gebiet notwendig so stark in diese Auseinandersetzung hineingezogen worden, daß der Reichskanzler um die Jahreswende wiederholt den vergeblichen Versuch machte, den Leiter der 2. O. H. L. zu beseitigen. Indem das Reichsarchivwerk die ganze Fülle dieser Auseinandersetzungen, die inhaltreiche Entwicklung der Falkenhaynschen Pläne für 1915, die Entstehungsgeschichte des Gorliceplanes, die Falkenhaynsche Idee eines Sonderfriedens mit Rußland, seine Vorbereitung für den erst im Herbst 1915 zur Ausführung gelangenden Feldzug gegen Serbien eingehend behandelt, wird es in noch stärkerem Maße als in den vorhergehenden Bänden auch für den politischen Historiker zu einem ganz unentbehrlichen Rüstzeug, dem er wichtigste Erweiterungen unserer Kenntnis um die zentralen Entscheidungen der deutschen Kriegsleitung, der politischen wie der militärischen, verdankt.

Die hier im Vordergrunde stehenden Probleme des Ostkrieges haben eine schriftstellerisch glänzende Gesamtbehandlung durch W. Churchill ( 1185) erfahren, dessen Buch über die Ostfront weniger als die früheren Bände seines Werkes über die Weltkrisis autobiographische Elemente enthalten konnte. In der Hauptsache die wie immer anregungsreiche Darstellung eines Amateurhistorikers, der neben seiner reichen politischen Erfahrung zugleich hochgebildeter militärischer Laie bleibt, ist die Arbeit doch interessant durch das Hauptproblem, das den Verfasser angezogen hat: den Parallelismus des deutschen Gegensatzes zwischen Ost- und Westoffensive mit dem Ringen zwischen Kontinental- und Überseestrategie in England. Churchill will in nicht immer einwandfreier Weise seinen eigenen Standpunkt der Überseestrategie, die zum Siege durch den Erfolg an den sekundären Fronten mit schließlicher Rückwirkung


S.254

auf die Hauptfront im Westen gelangen will, mit der Autorität der Erfolge der deutschen Offensiven gegen Rußland und 1917 Italien decken, übersieht freilich, daß Deutschland im Besitz der inneren Linie hier von anderen Voraussetzungen als die Entente ausgehen konnte. Das Problem, welche strategische Rückwirkung eine Schwächung der französischen Front durch die Entente von deutscher Seite gehabt haben würde, ist nirgends wirklich grundlegend erörtert, es sei denn, man begnüge sich mit dem Argument von der Stärke der Verteidigung gegen den Angriff ganz im allgemeinen. Trotz dieser auch hier wieder deutlichen Subjektivität des impulsiven englischen Staatsmannes bedeutet auch diese Fortsetzung seines Werkes einen der geistreichsten und fesselndsten Versuche, den Verlauf des Weltkrieges in großzügigem Überblick von neuen Gesichtspunkten her zu würdigen.

Schließlich ist zur Geschichte des Ostkrieges die gediegene Geschichte der russischen Armee im Weltkrieg von N. N. Golovine im Carnegiewerk ( 1163) mit Nachdruck zu erwähnen. Sie gibt ein anschauliches Bild der inneren, vor allem auf dem mangelnden Bildungsniveau der breiten Masse beruhenden Schwäche des russischen Weltkriegsheeres, verfolgt den Prozeß seiner allmählichen Auflösung in stetem Zusammenhang mit der inneren Lage Rußlands und gibt so eine lehrreichen Beitrag für die Ursachen der russischen Katastrophe im Jahre 1917.

Durch besonderen Reichtum ist auch in diesem Jahre die französische Kriegsliteratur ausgezeichnet. Die Fortsetzung der Poincaré- Memoiren für das Jahr 1916 ( 1204) ist ohne Änderung der bekannten Eigenart des Buches wieder unentbehrlich, weil die steigende Fülle der Konflikte und Reibungen zwischen Regierung, Kriegsminister (Episode Galliéni) und Marschall Joffre, zwischen Parlament, Regierung und Armee, zwischen Frankreich und seinen Verbündeten auf Schritt und Tritt hier ihre Spiegelung findet. -- Die Reihe der großen französischen Memoirenwerke ist durch das Erscheinen der Denkwürdigkeiten des Marschalls Foch ( 1189/deutsche Übers. 1190) erweitert worden. Das Buch ist zurückhaltender, als es nach den leidenschaftlichen Angriffen Clémenceaus und den über Fochs Äußerungen in seinen letzten Lebensjahren berichtenden Gegenschriften erwartet werden konnte. Der Marschall hat sich auch hier als der ausgeprägte, von einer gewissen Starrheit nicht freie Soldatentyp bewährt, als der er in den Höhepunkten seiner Laufbahn uns historisch bereits erkennbar war. Er hat sich streng auf seine militärische Rolle im Weltkrieg beschränkt und ist der Versuchung ausgewichen, bewußt in die innenpolitischen Gegensätze einzugreifen, die sich an seinen Namen knüpfen. Die Höhepunkte der Darstellung, Marne- und Ypernschlacht, Offensive von 1918, waren von selbst gegeben. Die problematische Übergangsperiode von 1915 bis 1917 tritt relativ in den Schatten. Von politischen Fragen, die unmittelbar in seine militärische Führungsaufgabe eingriffen, ist vor allem die große Auseinandersetzung mit Clémenceau über die Verwendung der amerikanischen Armee im Jahre 1918 behandelt, vielleicht die einzige Episode in Fochs Leben, in der er sein Land durch besonnene Elastizität vor einer schweren Krise behütet hat. Anzuerkennen ist, daß die Darstellung der Gegenoffensive von 1918 nicht von dem überall hervortretenden Bestreben abgeht, sich in prononcierter militärischer Knappheit auf die dokumentarischen Zeugnisse seiner Tätigkeit zu stützen, die das Buch in einer frappanten inneren Verwandtschaft zu den Kriegerinnerungen


S.255

seines im Typ nicht so sehr fernstehenden Gegners Ludendorff erscheinen läßt. Vor allem Fochs grundlegende Denkschrift vom 24. VII. 1918 belegt so von neuem, daß er diesen Rückstoß noch mit sehr begrenzten Erfolgserwartungen einleitete. Für den abschließenden Plan der Offensive in Lothringen beansprucht freilich auch er, daß sie den Marsch an den Rhein und die endgültige Entscheidung des Krieges bedeutet haben würde, ohne daß diese hochgespannte Erwartung dokumentarisch als gleichzeitig bewiesen worden wäre. -- Neben die französischen Darstellungen seines Lebenslaufes ist jetzt eine glänzende und doch gediegene englische Biographie von Lidell Hart ( 1191) getreten, die zu den geistvollsten und anziehendsten Büchern in der Kriegsliteratur der letzten Jahre gehört. Sie weist die Schranken der Begabung Fochs schon in einer inhaltsreichen Untersuchung seines Wirkens als Lehrer der Strategie nach und findet die hier festgestellte Grenze auch in seiner Führungsleistung während des Weltkrieges bestätigt. Denn immer wieder steht bei ihm neben unleugbarer Energie und Zähigkeit, auch der Fähigkeit, sich schließlich doch langsam lernend weiter zu entwickeln, eine gewisse Unterdrückung des Instinktes für wechselnde Lagen und Aufgaben durch doktrinäre Starrheit und die Neigung, die Forderungen seines eigenen ungestümen Angriffsinstinktes ungeschwächt und ohne die nötige Rücksicht auf Durchführbarkeit in Befehlsform auf die Truppe zu übertragen. So kommt Hart zu einer Auffassung, die Fochs Leistungen an der Marne und bei Ypern sehr viel kritischer beurteilt als die übliche Ententeverherrlichung. Gerade die relativ vorsichtig gewordene Methodik Fochs im Jahre 1918 liefert ihm den Nachweis, daß er doch aus den Erfahrungen dreier Kriegsjahre wesentliches zu lernen verstanden hat. Das Buch ist einer der unabhängigsten und geistig weitesten Beiträge zur Kriegsliteratur, die bisher aus dem Ententelager vorliegen, mag auch die Sympathie des Verfs. für die strategischen Thesen Winston Churchills nicht ohne weiteres in vollem Umfange gerechtfertigt sein.

Gegen die Gestalt Fochs bleibt die Erscheinung seines Vorgängers Joffre noch immer etwas im Schatten, der durch das Fehlen des Enderfolges seiner Führung über den späteren Partien seines Kommandos nach der Marneschlacht liegt. Auch er hat jedoch wieder Verteidiger gefunden. Ein neues Büchlein von Pierrefeu ( 1158), das freilich nicht eine solche Fülle sensationeller Neuigkeiten enthält wie sein Vorgänger, über die Lügen des Plutarch vertritt die bekannte These, daß der Sieger der Marneschlacht an der Wende der Jahre 1916 und 1917 unmittelbar vor dem entscheidenden Endsieg gestanden habe, und kritisiert eingehend die Abweichungen der Nivelleoffensive von Joffres vorsichtiger, aber auch zäher Energie. -- Ein Gefährte der Zeit nach seiner Absetzung, Lt.-Colonel Fabry ( 1194) legt seine Aufzeichnungen aus dieser Periode der Jahre 1917/1918 vor, die neben ihrem biographischen Interesse auch als eingehende Kommentierung und Kritik seiner Nachfolger in der französischen Heeresleitung durch den gestürzten Marschall von Interesse sind.

Starke Beachtung hat auch diesmal das Ringen um Verdun gefunden. Die Studie von H. Wendt ( 1174) über die strategische Bedeutung des Falkenhaynschen Versuches, ein Ausbluten der französischen Armee als neuartiges Mittel der Entscheidung im Stellungskrieg zu erzwingen, ist eine wertvolle Bereicherung der deutschen Kriegsliteratur, die historische Schulung und militärisches Verständnis in nicht gerade häufiger Weise vereinigt. Sie würdigt den Plan


S.256

Falkenhayns an sich als neuartige Konzeption, wie sie im Verlaufe des Weltkrieges selten in gleicher Originalität hervorgetreten sei. Materiell hat er vor allem unser Wissen über die Vorgeschichte des Verdunplanes durch eingehende Studien erweitert. In kritischer Würdigung der vorhandenen Literatur kommt auch er jedoch letzten Endes zu einer ablehnenden Beurteilung. Sie hebt hervor, daß zwischen Falkenhayn und der ausführenden Stelle des AOK. V von Anfang an keine volle Übereinstimmung bestand. Die Zurückhaltung der Reserven durch die OHL. ließ die Möglichkeit entschwinden, nach dem Wunsche der V. Armee den ersten Erfolg zu schneller Einnahme der Festung zu steigern, der freilich bereits mit dem Grundgedanken der Falkenhaynschen Ausblutungsoperation in einem gewissen Widerspruch gestanden haben würde. Der Verlauf des Ringens, die allmähliche Abkapselung der Verdunwunde durch die französische Heeresleitung, die die Kraft zur Beteiligung an der Sommeschlacht behielt, die zähe Zurückhaltung der Engländer, die sich durch die zeitweise Krise des Verbündeten nicht zu vorzeitiger Offensive vor der Fertigstellung der Kitchenerarmeen nötigen ließen, schließlich die strategische Überraschung der Zentralmächte durch den Erfolg der Brussilowoffensive in Galizien, erweist auch Wendt, daß die Ideen Falkenhayns in grundlegenden Fragen irrig gewesen sind, und veranlaßt ihn, mit der Folgerung zu schließen, daß nur die operative Auswirkungen erstrebende Durchbruchsschlacht großen Stiles die von Falkenhayn erstrebte Lösung der Schwierigkeiten des Stellungskrieges bedeutet. -- Gegen diese Urteile des Wendtschen Buches hat freilich E. Kabisch ( 1173) eine Reihe von Einwänden erhoben. Er bezweifelt, daß am 24. II. 1916 die Einnahme von Verdun in greifbarer Nähe gestanden hätte, und sucht, die entsprechenden französischen Zeugnisse als dramatisierende Übertreibungen zu widerlegen, die durch die düstere Unterstreichung der Anfangskrise den Glanz des schließlichen Abwehrerfolges zu steigern versuchen. -- Von französischer Seite liegt zur Geschichte der Verdunschlacht eine eingehende Behandlung des Kampfes um das Fort Douaumont von General Rouquerol ( 1172) vor, die vor allem den Lehrwert dieses monatelangen Ringens für die Frage der Bedeutung permanenter Festungsanlagen im Gegenwartskrieg feststellen möchte.

In der englischen Literatur liegen erneut eine Reihe gehaltvoller Memoirenwerke vor, in denen überall deutlich die Abwehr der Berufssoldaten gegen die erbarmungslose Kritik ihrer Leistungen durch Politiker vom Schlage eines Lloyd George und Winston Churchill, daneben die Begründung des englischen Anteils an der siegreichen Beendigung des Krieges gegen herablassende französische Beurteilung das Feld beherrscht. Dem Feldmarschall French ist ein biographisches Denkmal durch seinen Sohn ( 1192) gesetzt worden, das sehr eingehend seine militärische Entwicklung, vor allem seine erfolgreiche Teilnahme am Burenkrieg, behandelt, für die Zeit des Weltkrieges auch Tagebuchauszüge in nicht unerheblichem Ausmaße bringt und sehr energisch seine Rolle in der Zeit des Rückzuges vor der Marneschlacht und in der Ypernkrise verteidigt. Besonders aufschlußreich ist das Buch für die stark mit dem Gegensatz von Regierung und Armee zusammenhängende Frage seines Rücktritts vom Kommando im Jahre 1916. -- Das Werk eines unbedingten Anhängers seines Nachfolgers Haig, der an dem Sturze Frenchs nicht unbeteiligt war, sind die Erinnerungen des Generals J. Charteris ( 1182), der ihm fast während der ganzen Dauer des Weltkrieges als Leiter des Nachrichtenwesens zur Seite gestanden hat.


S.257

Auch hier bildet das Grundthema aufschlußreicher Einzelaufzeichnungen aus der Kriegszeit die Auseinandersetzung mit der Regierung und zugleich die scharfe Ablehnung, die im Gegensatz zu der Solidität Robertsons die geistreiche, aber französischen und politischen Einflüssen sehr stark zugängliche Persönlichkeit Henry Wilsons in den Kreisen der englischen Heeresleitung in Frankreich fand. -- Das menschlich anziehendste dieser Werke ist die energische Selbstverteidigung, in der der Führer der V. englischen Armee, Sir Hubert Gough ( 1157), über seinen Anteil am Weltkrieg berichtet und vor allem die Vorwürfe zurückweist, die gegen seine Leistung und die Leistung seiner Truppe anläßlich der Abwehr der deutschen Märzoffensive im Jahre 1918 erhoben worden sind. Von dem gleichen Standpunkt der kontinentalen Strategie ausgehend, in dem er sich mit Haig, Robertson und den meisten englischen Generälen absolut einig wußte, wie die ganze Reihe dieser soldatischen Erinnerungsbücher, ist das Buch einer der schneidendsten Hinweise auf die schweren Folgen, die die Divergenz zwischen Regierung und Armeeleitung im Frühjahr 1918 für England gehabt hat. Trotz des subjektiven Ausgangspunktes der Darstellung stellt sie für diese Vorgänge zweifellos eine unentbehrliche Quelle von großer Bedeutung dar, und unterstützt die auch von Charteris und seiner Angabe nach auch von Haig geteilte Auffassung, daß die rücksichtslose Absetzung Goughs nach dem Erfolg der deutschen Offensive nur die Verlegenheitsausflucht einer Regierung war, die ihre eigene Verantwortlichkeit für die karge Behandlung der Front in Frankreich zugunsten ihrer überseeischen Offensivprojekte durch die Entlassung eines militärischen Sündenbockes zu verdecken versuchte. --

Neben diese englischen Militärmemoiren beginnen jetzt auch in größerem Umfange amerikanische zu treten. Am wichtigsten sind von ihnen die »Kriegserfahrungen« des Generals Pershing ( 1202), die nicht nur einen eingehenden soldatischen Rechenschaftsbericht des amerikanischen Oberbefehlshabers enthalten, sondern Bedeutung auch für die politische Geschichte der Entente in den letzten Kriegsjahren besitzen. Denn während Pershing in der Führung der Operationen durch seine Heimatregierung vollkommen freie Hand erhielt wie kein zweiter Heerführer des Weltkrieges und mit ihr nur über Fragen der Ausbildung und Materialbeschaffung zu rechten hatte, bestand eine seiner wichtigsten und schwersten Aufgaben in dem Ringen gegen den englischen und französischen Verbündeten um die Selbständigkeit der erst in der Entfaltung begriffenen amerikanischen Armee. Für diese zähe, das ganze Verhältnis der Ententemächte untereinander grundlegend bestimmende Auseinandersetzung bringt Pershing jetzt ein Material, das die ganze Bedeutung der Frage erst voll erkennen läßt. -- Seine begreifliche Neigung, die militärische Leistung Amerikas in hellster Beleuchtung erscheinen zu lassen, erfährt die notwendige kritische Begrenzung zum Teil schon durch die Erinnerungen seines Unterführers, Rob. Alexander ( 1181), die deutlich die Schranken aufweisen, die der amerikanischen Armee durch die improvisierte, überhastete Aufstellung eines Millionenheeres gezogen waren.

Der englischen Literatur sind entsprechend der Struktur des englischen Reiches auch die wichtigsten Beiträge für die Fragen der Weltkriegsführung außerhalb des kontinentalen Kriegsschauplatzes zu verdanken. Die offizielle englische Kriegsgeschichte der Historischen Sektion des Reichsverteidigungsausschusses hat die Bearbeitung der Kriegführung in den Kolonien mit einem starken Bande


S.258

über Togo und Kamerun ( 1156) begonnen, dessen eingehende Behandlung des Themas die lebendige Bedeutung des Fragenkreises für die englische Gegenwart erkennen und diese auch in gelegentlichen leicht tendenziösen Schwächen, so der Behauptung des allgemeinen Anschlusses der Eingeborenen an die Entente, einwirken läßt. -- Ebenso hat die Geschichte des Luftkrieges eine Fortsetzung ( 1162) erhalten, die mit gleicher Liebe den Einsatz der Luftwaffe in den Kolonien, den Kampf gegen Luftschiff- und Fliegerangriffe auf das Mutterland, und schließlich die Entwicklung des Ringens um das Übergewicht im Luftkampf an der Westfront 1916 und 1917 in lehrreicher Weise behandelt.

Ebenso sind dieser englischen Regsamkeit sorgfältig dokumentierte Beiträge für den Krieg zur See zu verdanken. Die offizielle Kriegsgeschichte ist für dieses Gebiet mit einem V. Bande ( 1156) vollendet worden, dessen Zeitraum die Entscheidung des U-Bootkrieges im Jahre 1917 und den Kriegsausgang von 1918 umfaßt. Ebenso wie diese Darstellung zeigt eine neue Gesamtgeschichte des U-Bootkrieges von Gibson und Poundergast ( 1161) in einer von deutscher Seite noch nicht erreichten Vollständigkeit die ganze Schwere dieses Problems für England und die langsame, zähe Entwicklung der englischen Abwehrmethoden. Hier wie dort ist die Behandlung des ersten Halbjahres des unbeschränkten U-Bootkrieges im Jahre 1917 das eigentliche Mittelstück, das gegenüber der verbreiteten deutschen Neigung, das Urteil über dieses Ringen ganz überwiegend von dem tragischen Ausgang des Krieges her bestimmen zu lassen, nachdrücklich zeigt, wie tief die Erschütterung der englischen Machtstellung und die Gefahr eines englischen Zusammenbruches in diesen Monaten doch gegangen ist.

Von deutscher Seite steht demgegenüber nur die populäre Darstellung des Nordseekrieges von Lützow ( 1160) und des Kreuzerkrieges von Waldeyer- Hartz ( 1159), die in der Art der Schlachten des Weltkrieges jetzt noch eine ähnliche Reihe von Monographien für den Krieg zur See einleiten. Freilich ist deutlich ein Unterschied spürbar. Die Schlachten des Weltkrieges haben zunächst eine Vorbereitung und Basis für die zusammenfassende Darstellung des Reichsarchivwerkes darstellen sollen, während diese neue Reihe sich auf bereits vorliegende Teile des Marinearchivwerkes begründet und daher in erster Linie dessen Ergebnisse in populärer Form, vereinfacht und verkürzt, einem weiteren Leserkreis nahebringen will.

Eine französische Arbeit über die deutschen Marinemeutereien im Weltkrieg (Ch. Vidil: Les mutineries de la marine allemande 1917--1918. Paris 1931) enthält zwar zunächst nur eine Auswertung der deutschen Literatur über diesen Fragenkreis vom französischen Standpunkt, sucht ihr Verständnis aber dadurch zu unterbauen, daß sie die Frage der historischen Analogien mit verwandten Vorgängen der internationalen Marinegeschichte seit den großen Meutereien der englischen Flotte im Revolutionskrieg aufwirft und dadurch ein besonderes Interesse gewinnt.

Schließlich ist zur Geschichte des Zusammenbruches von 1918 auf eine Studie von Zoltán Szende ( 1180) hinzuweisen, die sehr ausführlich und auf breiter archivalischer Grundlage die Rolle der ungarischen Armee im Herbst 1918 behandelt und einen anschaulichen Beitrag vor allem für die politischen Ursachen und Zusammenhänge der Auflösung der Armee darstellt, die die Hauptvoraussetzung für die Widerstandsunfähigkeit Ungarns gegen die Aufteilung


S.259

unter seine Nachbarn während der Gültigkeit des Waffenstillstandes bildete. -- Bedeutsamer, wenn auch umstritten, ist die Monographie von Margarete Klante ( 1178) über die Rückzugskämpfe der tschechischen Legion in Rußland von der Wolga zum Stillen Ozean. Das Thema dieses modernen Xenophonrückzuges längs der sibirischen Eisenbahn ist mit einer Fülle nationaler Empfindlichkeiten umlagert. Das betonte Objektivitätsstreben der Verf., die den Leistungen der tschechischen Formation gerecht werden möchte, ohne zu verkennen, daß die Legion der Natur der sie umgebenden Verhältnisse nach vollen Anteil an der wilden Entartung des russischen Bürgerkrieges nahm, hat auf deutscher Seite Anstoß erregt, da sie auch die nationale Energie des politischen Emanzipationsstrebens der Tschechen mit seiner sprengenden Wirkung auf den österreichischen Staat positiv würdigte. Der russische General Sakharow, selbst Mitkämpfer und Augenzeuge dieser Kämpfe in Sibirien, hat scharf gegen ihr sehr kritisches Urteil über die Koltschakepisode protestiert. Die Tschechen waren verletzt, da sie sehr erhebliche Abstriche an ihrer nationalen Legende machen mußte, die in dem Zug der Legion weniger das glückliche Landsknechtsabenteuer einer völlig vom Zusammenhang mit dem Heimatboden abgetrennten Truppe, als den Ausgangspunkt ihrer jungen und daher eifersüchtig behüteten neueren Heeresgeschichte zu feiern geneigt ist. Alle diese widerstrebenden Richtungen für einen der wirrenreichsten Momente der jüngsten Geschichte in befriedigender Lösung zu versöhnen, ist freilich notwendig ein Ding der Unmöglichkeit. Der Arbeit der Verf. läßt sich Fleiß und sorgfältige Quellenbegründung nicht absprechen. Die Motivierungen ihres Urteils sind klar zum Ausdruck gebracht, so daß eine abweichende Stellungnahme durchaus auf Grund der von ihr klargelegten Tatsachendarstellung möglich ist. Im ganzen wird sich daher ihr doch nicht die Anerkennung verweigern lassen, daß sie einen kenntnisreichen und wertvollen Beitrag zu der spannungsgeladenen Geschichte ihres Themas gegeben hat.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)