§ 27. Rechts- und Verfassungsgeschichte des Hochmittelalters

(H. Hirsch)

Der Verfassungsgeschichte des 12. Jhds. gehören im wesentlichen drei Arbeiten über Rechtsverhältnisse und Verfassungsfragen an, die sich aus der universalen Stellung der hochmittelalterlichen Kaiser und ihrer italienischen Politik ergeben. Die Erwiderung von R. Holtzmann ( 1251) auf Eichmanns Aufsatz über das Officium Stratoris et Strepae (HZ. 142) beleuchtet die strittigen Punkte noch einmal und steuert neues Beweismaterial bei aus dem älteren Westgötalag, einer skandinavischen Rechtsaufzeichnung aus dem 13. Jhd., die über Zügelführen und Bügelhalten auf Danholmen zwar nichts erzählt, was man geschichtlich nennen könnte, aber doch als Beweis angeführt werden darf, daß man sich um 1200 auf Grund von Nachrichten aus dem Süden in Skandinavien des Unterschiedes zwischen Stratordienst und Marschalldienst bewußt gewesen ist. An dieser Unterscheidung, der zufolge der Marschalldienst (das Bügelhalten) erst seit 1131, der Stratordienst (das Zügelführen) seit der Konstantinischen Schenkung und 754 nachweisbar ist, hält H. fest und verteidigt im Zusammenhang damit auch die zeitliche Einreihung des Ordo Cencius II zu 1191 im Gegensatz zu Eichmann, der ihn mit anderen zu 962 gesetzt hatte. Dabei konnte er darauf verweisen, daß auch Schramm (Jberr. 6, 265 f.) diesen Ordo als ein Programm der Kurie aufgefaßt hatte, mit dem sie ihre Ansprüche nach dem Tode Heinrichs VI. erstmalig anmelden wollte.--Schrod ( 1250) hat in entsagungsvoller Arbeit für die Zeit von 754--1197 alle Nachrichten zusammengestellt, die über die Benutzung der Alpenstraßen, der Apenninenpässe und der großen Romstraßen, dann die, die über die einzelnen Aufenthaltsorte der Herrscher und ihrer Legaten in der Lombardei, in Venetien, Emilia und Romagna, Toscana, Spoleto und den Marken vorliegen. All diese wertvollen Feststellungen und Bestimmungen werden künftig vor allem der Bearbeitung der Diplome der salischen und staufischen Herrscher gute Dienste leisten. Daran schließen sich Folgerungen über die wirtschaftliche Nutzung des Reichsgutes. Hier liegt ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Italienpolitik unserer mittelalterlichen Kaiser vor. Die Urteile, die sich hier finden, bezeugen, wie wichtig es wäre, wenn dieses Kapitel der deutschen Kaisergeschichte von Grund auf neu dargestellt würde. Vielleicht würde sich dann ergeben, daß der Wechsel der politischen Auffassung unter Friedrich I. gegenüber der städtefreundlichen und antifeudalistischen der Salier sich keineswegs in so scharfer Wendung vollzogen hat (vgl. auch Güterbock, Deutsche Ltz. 1932, 278 f.), als es nach der


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Darstellung des Verfassers S. 162 angenommen werden müßte. -- In der Abhandlung über die Gesetze von Roncalia vom 11. November 1158 verwertet Finsterwalder ( 1253) wichtige Quellenfunde, die Seckel geglückt sind, über die er aber nur mehr in einem ungedruckt gebliebenen Vortrag am 10. November 1915 in der phil.-hist. Klasse der Akad. d. Wiss. in Berlin berichtet hat. Durch diese werden uns drei Kaisergesetze der Stauferzeit bekannt, die die Nachrichten der erzählenden Quellen über Roncalia, von denen der Verfasser ausgeht, erst voll verständlich machen. In einer Hs. der Wiener Hofbibliothek 2094 hat Seckel eine Inhaltsangabe des Liber Ardizonis gefunden, einer Rezension der Constitutiones feudorum, in der auf drei mit Regalia, Omnis und Palatia beginnende Gesetze hingewiesen wird, von denen das mittlere bei Baldus de Ubaldis im vollen Wortlaut festgestellt werden konnte. Diesem zufolge wird, was bis dahin in Italien unbekannt war, für die Hochgerichtsbarkeit die Einholung der Bannleihe vom Kaiser gefordert. Die beiden anderen Gesetze sind nur bruchstückweise erhalten, die lex Regalia umschreibt in Weistums-Form den Begriff der Regalien. Die lex Palatia et pretoria beschäftigt sich mit der Unterbringung der kaiserlichen Legaten bei ihren Reisen in den Städten; wo palatia et pretoria vorhanden sind, wird die Anforderung von Privatwohnungen den Provinzialstatthaltern verboten. Eine vierte lex tributalis, ein Steuergesetz, scheint nicht ausgeführt worden zu sein. Die Arbeit stellt einen besonders wertvollen Beitrag dar zur Geschichte der Gesetzgebung Friedrichs I. in Oberitalien und seiner ital. Politik überhaupt. Was am Schluß über das Verhältnis der ronkalischen Gesetze von 1158 zum römischen Recht gesagt wird, ist noch in weiterem Zusammenhange zu erörtern. Die starke Benutzung von Formeln und Ausdrücken des Codex Justinianeus im Gesetz Lothars III. von 1136, auf die F. verweist, wurde im einzelnen schon in der DD.-Ausgabe (vgl. D. 104) nachgewiesen. Auch sonst ist die Heranziehung von Sätzen und Ausdrücken, die dem römischen Recht entstammen, für die Zeit Friedrichs I. durchaus nicht neu.

Die Studien von K. G. Hugelmann ( 1248) über die deutsche Nation und den deutschen Nationalstaat im Mittelalter erfassen ein Thema, das gerade jetzt wieder besonderen Interesses sicher ist und dessen Behandlung Zeugnis ablegt von der warmherzigen völkischen Einstellung des Verfassers. Den Ausgangspunkt bildet die Feststellung, daß »die Deutschen der verschiedenen Stämme zum Bewußtsein ihrer nationalen Einheit schneller in bezug auf die Sprache als auf das Recht gelangten, daß das Bewußtsein der Sprachgemeinschaft der stärkste Hebel war zur Formung der deutschen Nation« und spätestens im 9. Jhd. schon gegeben war. Im 10. Jhd. hat es sich dann zu einer ausgesprochenen Erkenntnis nationaler Einheit gefestigt, der Spätzeit des MA. aber wird erst der Ausdruck für Volk (als Kulturgemeinschaft) geläufig. Diesem Ansteigen völkischer Denkrichtung entspricht nach H. ein Aufstieg »von der gefühlsmäßig empfundenen Staatsgemeinschaft zur bewußten, vom Vaterlandsgefühl zur juristischen Fassung des Gedankens des Nationalstaates«. Daß das »Bewußtsein eines selbständigen deutschen Staates interessanterweise gerade im Zusammenhang mit der stark imperialistischen Politik einzelner Staufer« gewachsen sei, wäre noch durch mehrfache Schrifttumsnachweise zu stützen gewesen. Die Ausführungen beider Teile werden starken Widerhall finden; es könnten sich freilich daran Erörterungen knüpfen, inwieweit von Staat und Volk


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in dem vom Verfasser gebrauchten Sinne im hohen und späten MA. die Rede sein darf. Daß die Tschechen, »das einzige fremdnationale Element auf deutschem Volksboden« waren, das den »nationalstaatlichen Charakter des deutschen Staates immerhin in Frage zu ziehen vermochte«, »das Nebeneinander beider Nationen in das Gesamtreich eingeführt« und »dem Tschechentum in den deutschen Verhältnissen eine Stellung eingeräumt« wurde, »die ihm nach seiner zahlenmäßigen Verteilung kaum zustehen konnte«, sind Sätze von starker Wirkung. Ich stimme H. darin bei, daß das Nationalitätenrecht Eikes von Repgow nicht »auf Anerkennung nationaler Gleichberechtigung der Wenden«, sondern auf Schutz gegen Unterdrückung hinausgeht. -- Auf die Bedeutung der ligischen Lehensverhältnisse für die Ausbildung des französischen Einheitsstaates hatte H. Mitteis Politische Prozesse 119 ff. hingewiesen. Nun legt C. Pöhlmann in einer Heidelberger Dissertation ( 1240) das reiche Material vor, das er zur Erklärung der Bezeichnungen homo ligius, homagium ligium, Ligesse in langjähriger Arbeit gesammelt hat, und erhält dadurch Anlaß, seine Auffassung über Entstehung und Bedeutung des Ausdruckes neuerdings in einem Sinne darzulegen, in welchem er das schon früher in einer Miszelle Zs. d. Sav. Stiftg. f. Rg. Germ. Abt. 47, 678 getan hatte. Das Wort ligius (= ledig) haben die Normannen in der Form lidagr an die Westküste des heutigen Frankreich verpflanzt. Die Verpflichtung des ligischen Mannes bestand in der bewaffneten Hilfeleistung gegen jedermann. Mit dem Ende des 14. Jhds. verschwinden die Hinweise auf ein ligisches Lehensverhältnis. In einer Fälschung auf den Namen Lothars III. für die Bracciforti in Piacenza (DL III. 130), die frühestens im 14. Jhd. angefertigt wurde und die Pöhlmann noch nicht kennen konnte, ist von einer »lexia legia« die Rede.

Die Neubearbeitung von Homeyers deutschen Rechtsbüchern des MA. und ihrer Handschriften ( 1243) bietet in der von C. Borchling und J. v. Gierke vorgelegten zweiten Abteilung ein Verzeichnis der Handschriften, das gegenüber der ersten Auflage eine Vermehrung um mehr als 500 Nummern zeigt. Dieser Fortschritt ist der Sorgfalt der geleisteten Arbeit zu danken, die, wie Kisch Zs. d. Sav. Stiftg. f. Rg. Germ. Abt. 52, 377ff, an einzelnen Beispielen dartut, der späteren Erfassung weiteren Materials naturgemäß noch dies und jenes zu tun übrig lassen mußte. Eine Konkordanz des alten Verzeichnisses der Ausgabe von 1856 mit den Nummern der neuen Ausgabe, eine Zahlenübersicht der in den Hss. enthaltenen Quellen, ein Verzeichnis der Vorbesitzer und der Schreiber und schließlich ein Literaturverzeichnis erleichtern die Benutzbarkeit des Nachschlagewerkes, um dessen Herausgabe sich U. Stutz sehr verdient gemacht hat. -- Auch sonst sind die Arbeiten an der Ausgabe und der Erklärung der großen Rechtsbücher wieder um ein schönes Stück vorwärts geschritten. K. Schilling ( 1245) stellt die Ansichten des Verfassers der Sachsenspiegel-Glosse Johanns von Buch über den Ursprung des Rechts, das natürliche, Gewohnheits- und gesatzte Recht, über Begriff und Zweck des Rechts und seine Gliederung und über das Sachsenrecht dar, als welches der Sachsenspiegel bezeichnet wird, der von Karl dem Großen den Sachsen als Privileg verliehen worden sei. Der Verfasser hat es als seine vornehmste Aufgabe betrachtet, die Quellen aufzudecken, denen der Glossator gefolgt ist. Unter romanistischem und noch mehr kanonistischem Einfluß, vor allem des Decretum Gratiani, nimmt Johann von Buch drei Rechtsquellen, die Natur, die Gewohnheit


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und die Satzung an. Damit entfernt er sich vom Geist des Sachsenspiegels, für dessen Verfasser Gott der Schöpfer alles Rechtes war. Überhaupt ist Johann von Buch, wie H. v. Voltelini mit Recht (Jur. Blätter 61, 1932, 278) sagt, zu keinen klaren Begriffen gekommen, auch sonst muß »dieser erste Ausflug des deutschen Geistes in die Philosophie des Rechtes« als wenig geglückt bezeichnet werden. Doch sind die Ansichten des Glossators über das gesatzte Recht, vor allem über das Papst- und Kaiserrecht, auf die Stengel in seiner Schrift »Den Kaiser macht das Heer« die Aufmerksamkeit der Historiker gelenkt hat, wertvoll und darum sei auf die Auseinandersetzungen Schillings (S. 38 ff.) mit Stengels schon genannter Arbeit und Hugelmanns Buch über die Königsweihe besonders verwiesen. -- Die Rechtsbücherstudien, die K. A. Eckhardt ( 1244) herausgibt, begleiten die Neubearbeitung der Texte und helfen jene Aufschlüsse über die Persönlichkeit der Verfasser und die zeitliche Begrenzung des Werkes gewinnen, die als wichtige Voraussetzungen für die Brauchbarkeit der Quellen zu gelten haben. Im zweiten Heft beschäftigt sich der Verfasser mit der Datierung des Sachsenspiegels und der Persönlichkeit Eikes von Repgow. Ausgangspunkt ist dabei, daß die Weltchronik das Werk des Sachsenspieglers ist, der diese Geschichtsdarstellung erst nach den beiden ältesten Fassungen des Rechtsbuches, also vor dem Juli 1230 niederschrieb. Die Ergebnisse Eckhardts lassen sich in folgenden Sätzen umschreiben. Die Fassung des von der Königswahl handelnden Artikels III 57.2 setzt Kenntnis der Vorgänge bei der Wahl Heinrichs (VII.) am 23. April 1220 voraus, so daß der Sachsenspiegel nach diesem Zeitpunkt entstanden sein muß. Ebenso ist die Bezeichnung der Grafschaft Aschersleben als siebtes sächsisches Fahnenlehen vor April 1220 eine verfassungsrechtliche Unmöglichkeit. Der sächsische Landfrieden vom 1. September 1221 ist bereits, der von 1224 nicht mehr benutzt. Dadurch wird die erste deutsche Fassung des Sachsenspiegels zeitlich eingegrenzt. Die Urgestalt der Weltchronik ist in ihrem ganzen Bestande vor August 1235 abgeschlossen. Der Verfasser war ein Laie, die auf geistlichen Stand hindeutende Predigt hat in der A- und in der B-Rezension ursprünglich gefehlt. Diese Lehrmeinungen werden mit vollster Beherrschung nicht nur des rechtsgeschichtlichen Schrifttums in klarer und eindringlicher Form vorgetragen, doch sind die Probleme so schwierig, daß eine allgemeine und sofortige Zustimmung kaum zu erwarten war. Die Anschauung Schwerins (Zs. d. Sav. Stift. f. Rg. Germ. Abt. 51, 388 ff.) geht sogar dahin, daß weder der Anfangstermin des 1. September 1221 noch der Endtermin des Juli 1224 bewiesen worden seien. Daran schließen sich Bedenken methodischer Art, in die Polemiken so häufig ausmünden, wenn der Widerspruch nicht auf Teilergebnisse, sondern auf das Ganze sich bezieht. Von dem Fortgang dieser Streitfragen wird in den Berichten der folgenden Jahre die Rede sein. -- G. Kisch ( 1247) hat eine neue Reihe Deutschrechtlicher Forschungen mit einer rechtshistorischen und textkritischen Untersuchung der Kulmer Handfeste eröffnet. Damit ist nach dem begründeten Urteil E. Heymanns (Zs. d. Sav. Stift. f. Rg. Germ. Abt. 52, 404 ff.) ein Abschluß erreicht für alle mit der Ausgabe und Beurteilung des Privileges Hermanns von Salza von 1233 und seiner Erneuerung von 1251 zusammenhängenden Fragen. Diese beiden Texte sind nebeneinander gestellt und ebenso die Übersetzungstexte A und B der Kulmer Handfeste vom Ende des 13. oder dem Anfang des 14. Jhds. Es folgen noch Konrad Bitschins Übersetzungstext von 1431, die 1539 erstmalig

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herausgegebene Unterrichtung in der Kulmer Handfeste und verschiedene autotypische Nachbildungen der Überlieferungen dieser Quellen, unter denen die der Erneuerung der Handfeste von 1251, weil sie zu stark verkleinert sind, die Kosten nicht lohnen und darum besser hätte wegbleiben sollen. In den einleitenden Abschnitten wird die verfassungsrechtliche Bedeutung der Handfeste, die schließlich Grundlage und Quelle für das Recht des Deutschordenslandes geworden ist, und ihre Stellung zu dem alten Gewohnheitsrecht dargelegt. Altes Gewohnheitsrecht wirkt seit 1233 »im Ordenslande nicht mehr aus eigener Kraft, sondern nur mehr durch Vermittlung der Kulmer Handfeste«. -- Im Gegensatz zu K. Zeumer, aber mit guten Gründen tritt H. v. Voltelini ( 1254) dafür ein, daß die lateinische und die deutsche Fassung des Mainzer Landfriedens von 1235 auf einen heute nicht mehr erhaltenen Entwurf zurückgehen, der in lateinischer und, nicht wie Zeumer zuletzt meinte, in deutscher Sprache abgefaßt war. Daraus ergibt sich, daß der überlieferte lateinische Text als der ursprüngliche zu betrachten und daher zur Erklärung der deutschen Fassung dort, wo sie unklar oder irrig ist, herangezogen werden muß. Die Bedeutung des deutschen Textes aber beruht auf seiner größeren Verbreitung und darauf, daß er in anderen deutschen Rechtsaufzeichnungen (Schwabenspiegel. österr. Landrecht) benutzt worden ist. Diese Ergebnisse Voltelinis hat Steinacker (MöIG. 46, 188 ff.) durch weitere Beobachtungen textkritischer Art gestützt.

Die zuletzt anzuzeigende Arbeit gehört bereits der Verfassungsgeschichte des späteren Mittelalters an. Aus den zur Ausgabe der Constitutiones Karls IV. gesammelten Urkunden berichtet Lotte Hüttebräuker ( 1255) über die Vikare dieses Kaisers, die 1346--55 und von 1366--78 im Westen Deutschlands mit verschiedenen meist richterlichen Befugnissen nachweisbar sind. Der Großoheim Erzbischof Balduin von Trier hatte sogar das Recht, auf Pergamenten, die bereits das königliche Siegel trugen, Urkunden auszustellen, in denen von ihm selbst in der dritten Person, von Karl IV. in der ersten die Rede ist.


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