§ 3. Buch- und Bibliothekswesen

(G. Abb)

Wenn es gewöhnlich der Zweck wissenschaftlicher Handbücher ist, die durch Einzeluntersuchungen gewonnenen Ergebnisse eines Wissenschaftszweiges von Zeit zu Zeit gesammelt vorzulegen, so kommt dem von F. Milkau herausgegebenen ( 66) in mehrfacher Hinsicht besondere Bedeutung zu. Seit der vor 30 Jahren erschienenen zweiten Aufl. von Graesels »Handbuch der wissenschaftlichen Bibliothekskunde« fehlt eine ausreichende zusammenfassende Darstellung des Fachgebietes. Nur durch mühsames Durcharbeiten der verstreuten und in ihrem Wert recht unterschiedlichen Fachliteratur konnte man sich ein Gesamtbild davon verschaffen. Und dann war dieses mit Bienenfleiß gearbeitete Buch doch mehr aus der Praxis heraus entstanden und wissenschaftlicher Ausschöpfung des Stoffes fern. Milkaus Werk dagegen will ein festes Fundament für einen neuen Wissenschaftszweig legen, dessen Existenzberechtigung man sogar angefochten hat. Die Bibliothekswissenschaft wird hier nicht als Sammlung praktischer bibliothekstechnischer Methoden, sondern als historische Disziplin inauguriert, deren Aufgabe es ist, alle mit der Bibliothek zusammenhängenden Erscheinungen von ihrer geschichtlichen Wurzel aus zu begreifen. Folgerichtig beschäftigt sich deshalb der vorliegende Band mit der Urzelle der Bibliothek, dem Buch, und beginnt mit dessen beiden Voraussetzungen, Sprache und Schrift. Die Kapitel Buchmalerei, Handschriften- und Papyruskunde behandeln die Zeit vor Gutenbergs Erfindung, Buchdruck und Buchillustration die weitere Entwicklung des Buchwesens bis zur Gegenwart. Die Geschichte des Bucheinbandes und des Buchhandels schließen sich an, während die beiden Schlußkapitel über Theorie und Geschichte der Bibliographie und über die Akademien der Wissenschaften in freierer Verbindung mit dem Thema des Bandes stehen.

Die Kapitel sind durchgehend von Spezialisten geschriebene Monographien, die in der Mehrzahl den Charakter des Selbsterarbeiteten tragen. Für den Historiker werden die Übersichten über die Geschichte der Buchmalerei von A. Boeckler und über die des Buchdrucks bis zum Jahre 1500 von E. v. Rath am willkommensten sein; denn für jene fehlt eine allgemeine Orientierungsmöglichkeit bisher überhaupt, für diese aber hat der Kampf der Meinungen eine Literatur erzeugt, die ohne einen so sachkundigen Führer für den Fernerstehenden nicht zu bewältigen ist. Den Kern des ganzen Werkes wird aber die im dritten Band zu erwartende Geschichte der Bibliotheken aus der Feder des Herausgebers selbst bilden, die eine, trotz Hessels geschicktem Versuch vorhandene Lücke in der bibliothekarischen Literatur endlich ausfüllen wird.

Aus dem im Berichtsjahr erschienenen Band des Gutenberg-Jahrbuchs seien drei Beiträge hervorgehoben. O. Hupp ( 62) stellt die These auf, daß das von Fust und Schöffer gezeichnete Psalterium Moguntinum, berühmt durch seine zweifarbig gedruckten Initialen, Gutenbergs Werk sei. Er begründet das


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damit, daß die Herstellung der 42zeiligen Bibel höchstens 748 Gulden gekostet haben könne und daß demnach die zweiten 800 Gulden, die Gutenberg von Fust »für das Werk der Bücher« erhielt, zur Vollendung des erheblich komplizierteren Psalters dienen sollte. Die Berechnung wird in methodisch interessanter Weise durch Vergleich mit den zeitgenössischen Preisen durchgeführt, aus dem sich ergibt, daß die angeblich nur für den Bibeldruck entliehene Summe von 1600 Gulden für eine ganze Zeile Häuser, ein halbes Dutzend ansehnlicher Landgüter oder eine Herde von zweihundert Mastochsen ausgereicht hätte. Der Aufsatz von Bogeng ( 62) will der Erfindungsgeschichte der Buchdruckerkunst dadurch eine neue Seite abgewinnen, daß er es ablehnt, sie vom heutigen Standpunkt aus zu verstehen; er versucht vielmehr, dies aus dem noch mittelalterlichen Gesichtswinkel des 15. Jhds. zu tun. Nicht die ex eventu gestellte Frage, von wem und wo ist die heutige Druckkunst zuerst erfunden worden, führt zu fehlerfreien Resultaten. Sie muß aus der Struktur der damaligen Buchschreibekunst verstanden werden, der sie sich an der wirtschaftlich geeignetsten Stelle, bei der Herstellung der damals gangbarsten Bücher, einpaßte. Von hier aus stellt B. die damit verbundenen Probleme, darunter auch das ungeklärte Verhältnis der 36zeiligen zur 42zeiligen Bibel, in neue Beleuchtung und schließt sich der Forderung nach einem mit modernen historischen und philologischen Methoden bearbeiteten Urkundenwerk für die Bild- und Buchdruck-Erfindungsgeschichte lebhaft an.

Mit umfangreichem Quellenmaterial untersucht K. Schottenloher ( 64) die Mithilfe gelehrter Forscher des 15. und 16. Jhds. beim Druck von Textausgaben. Der Wettstreit der Drucker untereinander, möglichst zahlreiche und gute Texte in ihrer Offizin zu veröffentlichen, war vielfach der Anlaß für das Zusammenwirken von Bibliotheken, Herausgebern und Buchdruckern. Im großen Stil geschah das wohl zuerst durch die Drucker Konrad Sweinheim und Arnold Pannartz, seit 1467 in Rom tätig, deren Verbindung mit dem damaligen Leiter der päpstlichen Bibliothek eine erstaunliche Zahl von Klassiker- und Kirchenväterausgaben zur Folge hatte. Unter Führung des Erasmus' und Reuchlins ging man mit wahrer Leidenschaft daran, massenweise Handschriften in Druckwerke zu übertragen und sie so der Verborgenheit in den Bibliotheken zu entreißen. Leider führte aber auch die verfehlte Anschauung, daß die Handschrift durch den Druck ihrer Texte wertlos geworden sei, zu beklagenswerten Verlusten.

Einen Beitrag zur Bibliotheksgeschichte liefert die Studie J. Montebaurs ( 69). Das Ziel, die Geschichte der Bibliotheken des mittelalterlichen Trier zu schreiben, wird hier mit der des Klosters S. Eucharius-Matthias in Angriff genommen. Und zwar bemüht sich der Verf. dabei mit Erfolg, die Brücke zwischen dem geistigen Leben im Kloster und den Schicksalen seiner Büchersammlung zu schlagen. Auch hier war eine doppelte Bibliothek vorhanden, die gottesdienstlichen Bücher in der Sakristei und die wissenschaftlichen für die Studien der Konventualen. Als Quelle dienen hauptsächlich die Eintragungen in den noch erhaltenen Codices. Die wichtigste aber ist ein allerdings erst aus dem 16. Jhd. stammender Katalog, der 1677 Werke, darunter 639 Handschriften verzeichnet, von denen sich ein Drittel erhalten hat. Der Katalog, den Montebaur in extenso veröffentlicht, ist nach sachlichen Gruppen geordnet und mit Signaturen versehen.


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