3. Merkantilismus.

Den ersten großen Versuch, den Merkantilismus als geschichtliche Erscheinung im ganzen Zusammenhang darzustellen, hat der schwedische Nationalökonom und Wirtschaftshistoriker Heckscher ( 1405) unternommen. Das zweibändige Werk liegt mir in der 1932 herausgekommenen vortrefflichen deutschen Übertragung durch G. Mackenroth (Jena: G. Fischer), in dem gleichen Umfang wie das schwedische Original von 1931, vor. Es ist ein bedeutendes, durch geistige Tiefe, Kraft und Klarheit wie auch durch vornehme Zurückhaltung in der Kritik ausgezeichnetes Buch; erstaunlich ist, was hier in der Verarbeitung ungeheurer, vielsprachiger Massen an Quellen und Literatur geleistet ist. Verf. begreift als Merkantilismus diejenige Wirtschaftspolitik, die in der Zeit zwischen der ma.lichen und der liberalen betrieben wurde und deren Grundgedanke darin besteht, daß der Staat ihr Subjekt wie Objekt ist. Der Merkantilismus wird hier nach fünf Gesichtspunkten behandelt. Zunächst als einheitsbildendes System: die Auseinandersetzung des Staates mit dem kirchlichen, politischen und sozial-ständischen Universalismus und ganz besonders mit dem feudalen, städtischen und korporativen Partikularismus, der Zersplitterung aller Art. Diesem Teil ist der ganze erste Band gewidmet. Unter diesem Gesichtspunkt werden nämlich die Zustände im Zoll-, Maß-, Gewichts- und


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Münzwesen, in Steuer und Verwaltung, die Eingliederung (»Nationalisierung«) der Stadtwirtschaft, dann sehr ausführlich die innere Gewerbepolitik, doch nur in Frankreich und in England, sowie die Organisation des Außenhandels und der Unternehmungen behandelt. Im zweiten Bande wird der Merk. 2. als Machtsystem (Wesen und Methoden der Machtpolitik), 3. als Schutzsystem (Stapel-, Versorgungs- und Schutzpolitik), 4. als Geldsystem (Bedeutung der Edelmetalle und Tauschmechanismus) und 5. als Gesellschaftsauffassung (ethische, religiöse, soziale Grundlagen) betrachtet. Daneben ist das Verhältnis von Merkantilismus und Liberalismus und der Wandel der Wirtschaftspolitik am Schluß beider Bände in tiefgründigen und originellen geschichtsphilosophischen Ausführungen berücksichtigt.

Bei dieser Betrachtungsweise fällt zunächst auf, daß der Machtgedanke, der doch leitgebend für den Merkantilismus ist, hinter den Einheitstendenzen in jeder Hinsicht zurückgestellt ist. Verfasser erkennt selbst an, daß der merkantilistische Staat hinsichtlich der Vereinheitlichung weit weniger erreicht hat als der Liberalismus, und mißt dieses Versagen des Merkantilismus seinem Mangel an schöpferischer Tiefe zu. Offenbar aber war die Einheitsbildung überhaupt nicht bestimmendes Prinzip für denMerkantilismus, sondern wurde nur so weit angestrebt, als es der jeweilige Zweck erfordert. Sicherlich geht es nicht an, die ganze Gewerbepolitik und den Außenhandel unter jenen Gesichtspunkt zu ziehen; es kam dabei doch nicht auf Vereinheitlichung an, sondern darauf, Wohlstand, Einnahmen, Macht zu steigern. Im ganzen leidet die als literarische und geistige Leistung hochstehende Arbeit unter einem Betrachtungsschema, das der Wirksamkeit jener Wirtschaftspolitik nur ungleichmäßig und unvollständig gerecht wird; auch ihren Abwandlungen in den verschiedenen Staaten und zu verschiedenen Zeiten wird bei weitem nicht genügend Rechnung getragen. Wenn auch auf die ursprünglichen Erscheinungsformen mit Recht besonderer Wert gelegt wird, so ist der spätere Merkantilismus hier doch gar zu wenig beachtet, so daß eine so prägnante Ausbildung des Systems, wie die friderizianische, überhaupt keine Würdigung findet, vom russischen, österreichischen u. a. ganz zu schweigen.

Zu den in neuerer Zeit recht zahlreichen Arbeiten über die deutschen Kameralisten tritt die dogmengeschichtliche Untersuchung von Steinhüser ( 1366) über J. J. Becher und sein Verhältnis nicht zur Volkswirtschaft, sondern zur Einzelwirtschaft. Da Verfasser es als unhistorisch ablehnt, seinen Gegenstand vom Standpunkt der neuzeitlichen Betriebswirtschaftslehre und des kapitalistischen Wirtschaftssystems aus zu erfassen, ihn vielmehr aus der eigenen geistigen und materiellen Umwelt heraus begreifen will, so beginnt er mit einer Gegenüberstellung des kapitalistischen und des damaligen, wesentlich noch spätmittelalterlichen Wirtschaftssystems und der sie beherrschenden Tendenzen (Gelderwerb--Nahrungssicherung). Weiterhin wird das Verhältnis der einzelwirtschaftlichen Darlegungen zu den staatsrechtlichen, volkswirtschaftlichen u. a. Untersuchungen in Bechers Werken geklärt und dann zu den einzelwirtschaftlichen Ausführungen Bechers selbst übergegangen. Dies geschieht zunächst in einer ausführlichen Gesamtübersicht, danach wird nachgewiesen, wie sich die einzelnen Probleme, wie Kapital, Kredit, Preis u. a., die Arten (Handel, Industrie, Banken) und Formen der Einzelwirtschaft (Kaufmann, Handelsgesellschaft) bei B. darstellen, schließlich das Rechnungswesen. Überall werden den


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Ausführungen von B. solche zeitgenössischer Autoren, die sich mit dem gleichen befassen (Savary, Hornigk, v. Schröder, Marperger) gegenübergestellt. Ein vierter und letzter Abschnitt befaßt sich mit B. als Praktiker, mit seinen Plänen, Unternehmungen und Mißerfolgen, und mit B. als Menschen. Die kluge und tüchtige Arbeit ist wohl geeignet, mit ihrer besonderen Methode das Problem Becher und das Problem Kameralismus in neue und klare Beleuchtung zu rücken.

Die vor Jahrzehnten begonnene Geschichte der preuß. Getreidehandelspolitik und Kriegsmagazinverwaltung ist nun mit dem 4. Bande zum Abschluß gelangt, der ebenso wie der 3. von Skalweit ( 1412) hergestellt ist. Er ist in der Darstellung verhältnismäßig knapp gehalten -- diese hat nur den halben Umfang der beigefügten Urkunden und Akten--, inhaltlich aber von besonderem Gewicht. Ist hier doch Höhe und Verfall dieses Zweiges der absolutistischen Staatsverwaltung geschildert und somit ein abschließendes Urteil über Wesen und Wert dieser Einrichtung ermöglicht. Wie groß die staatswirtschaftliche, soziale und politische Leistung der friderizianischen Getreidepolitik war, kann an dem systemlosen, kläglichen Zustande der Folgezeit bemessen werden. Jene Politik war erfolgreich, weil sie klug auf die Sonderbedingungen von Land und Volk eingestellt war, die politischen und wirtschaftlichen Konstellationen beweglich auszunutzen verstand. Die Getreidehandelspolitik, die die mittleren Provinzen und Schlesien umfaßte und hier einen vom Auslande isolierten Markt schuf, bezweckte, den Getreidepreis mit Hilfe der Magazine auf gleichmäßiger Höhe zu halten. Die Ausfuhr war in der Regel verboten, desgleichen die Einfuhr des billigen Getreides von Osten; Verbot oder Freigabe von Aus- und Einfuhr, Ankäufe der Magazine im Inlande oder deren Öffnung -- das wurde sorgfältig geregelt auf Grund der von den Behörden einzureichenden Ernte- und Verbrauchsstatistiken. Das klug ersonnene System litt an der außerordentlichen Schwierigkeit der statistischen Erfassung, die sehr roh und fehlerhaft war, und an dem unausrottbaren Schmuggel. Es hat sich besonders glänzend bewährt in den Teuerungsjahren 1771/72, in denen es Preußen vor der Not bewahrte, die benachbarte Länder in furchtbarer Weise heimsuchte. Um allgemein die Wirkungen der friderizianischen Maßnahmen festzustellen, hätten, wie Ziekursch mit Recht wünscht, neben den inländischen Preistabellen auch Ermittlungen über die Preisschwankungen in Nachbarländern vergleichsweise beigefügt werden sollen. Derselbe zieht in sozialer Hinsicht das Fazit, daß diese auf die Notdurft der breiten Massen abgestellte Politik zusammen mit anderen Maßnahmen, wie Wollausfuhrverbot und allerlei Monopole, die Bildung einer kapitalkräftigen Bourgeoisie in Preußen verlangsamt habe. Unter Friedrich Wilhelm II. wurde die friderizianische Politik sogleich verständnislos aufgegeben und, als man im Steigen und Schwanken der Preise die nachteiligen Wirkungen spürte, schon Ende 1789 mit verschärfter Strenge wieder eingeführt. Die durch die großen polnischen Erwerbungen gebotene Umstellung wurde von diesem laxen Regime nicht vollzogen, dagegen wurde 1799 in entscheidender Richtung von dem friderizianischen System abgewichen, indem das Militär dauernd Brotverpflegungen aus den Magazinen erhielt, diese also als Preisregulator ausschieden. Die Teuerung von 1804/05 zeigte kraß die volkswirtschaftlichen Nachteile dieser Maßnahme, anderseits konnte kaum die Heeres-Verpflegung bei den Mobilmachungen sichergestellt werden. So hat auch auf diesem Gebiete


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der alte Staat vor Jena abgewirtschaftet. Durch Mangel an wirtschaftlicher Einsicht, an geistiger Beweglichkeit und Entschlußkraft haben die Nachfolger des großen Königs das Gesetz des Handelns aus den Händen gegeben, wie Skalweit in seiner Selbstanzeige feststellt.

Es liegt mir hier ob, auch ein eigenes Erzeugnis anzuzeigen, eine Geschichte des Berliner Wirtschaftslebens in der Zeit des Frühkapitalismus, genauer zwischen 1640 und 1806 ( 1413). Es sind dazu die einschlägigen archivalischen Quellen des Geh. Staatsarchivs und des Stadtarchivs vollständig ausgewertet worden. Nach einem Überblick über die Einwirkungen der landesherrlichen Wirtschaftspolitik auf das Werden der Hauptstadt werden zunächst die Träger des Wirtschaftslebens betrachtet: die Zünfte und die Gesellen samt ihren Kämpfen und den ihnen aufgenötigten Reformen, die Zugewanderten, Refugierte und Juden, und die Anfänge des gewerblichen Unternehmertums. Danach die verschiedenen Zweige des Wirtschaftslebens: Stadtversorgung und Lebensmittelgewerbe, Verkehrswesen, Handel, Kaufmannschaft, Banken und Börse, schließlich, als weitaus größere Hälfte des ganzen Buches, die Gewerbe, voran die für das damalige Berlin bedeutungsvollsten Textilmanufakturen. Wenn es auch im Sinne des Auftraggebers, des Archivs der Stadt Berlin, bei dieser Arbeit in erster Linie darauf ankam, unsere Kenntnis von der Geschichte der Stadt zu erweitern, was, nach der Bekundung des Rezensenten Wallich, »durch eine Fülle neuen Tatsachenmaterials« erreicht ist, so ist darüber hinaus auch für die allgemeine Wirtschaftsgeschichte allerlei Bemerkenswertes zutage gefördert worden. So ist die bislang weniger berücksichtigte spätere Zunftgeschichte durch neues Material aufgehellt, desgleichen das Verhältnis des zünftlerischen Gewerbes zur neu aufkommenden kapitalistischen Manufaktur und deren Frühgeschichte, es ist eine vollständige Übersicht über sämtliche Wirtschaftszweige und gewerblichen Betriebe gegeben, sind für Zahl, Art und Größe der Betriebe statistische Angaben ermittelt worden. Somit dürfte diese Lokalgeschichte für die Erkenntnis von der Entwicklung des modernen Kapitalismus im Sinne Sombarts und entsprechend seiner Forderung vieles Einzelne beitragen. Ein Mangel, den auch Wallich rügt, muß zugestanden werden: die Kgl. Seehandlung, die auf S. 104 überhaupt allzu dürftig behandelt wird, hat auch in jener Periode, seit Ende des 18. Jhds. schon Bankgeschäfte betrieben.

Einen wichtigen Ausschnitt aus der altpreußischen und Berliner Manufakturgeschichte behandelt Hinrichs in einem Aufsatz über das Kgl. Lagerhaus in seiner ersten Zeit, unter Friedrich Wilhelm I. ( 1409). Es handelt sich hier allerdings nicht um Lokalgeschichte, vielmehr wird einmal nachgewiesen, wie der als Volkswirt geniale König zu dieser eigenartigen Schöpfung bewogen wurde, durch die ein bestimmter Teil des Heeresbedarfs durch inländische Arbeit unter obrigkeitlicher Kontrolle und zu festen Preisen beschafft wurde, und wie er die wertvolle Anstalt ganz in staatliches Eigentum überführte; zu zweit wird die Einrichtung, Betriebsorganisation und Geschäftsführung dieser großen Manufaktur untersucht.

Die kurze, aber sehr gehaltvolle Abhandlung von Holldack ( 1898) weist die inneren Beziehungen der physiokratischen Lehre zu dem aufgeklärten Absolutismus nach. Das wesentliche ist: der Staat wird vom naturrechtlichen Standpunkt her als Exekutivorgan der vernünftigen Weltordnung angesehen, der absolut regierte Staat mit ungeteilter Staatsgewalt dient den Gesetzen einer ökonomischen


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Weltvernunft, die Interessen von Fürst und Untertanen werden identifiziert. Aus der vernunftrechtlichen Auffassung ergeben sich anderseits Einschränkungen der monarchischen Vollgewalt: die öffentliche Meinung als wirksamster Schutz gegen despotische Ausartung, Selbstverwaltungsentwürfe werden erwogen, auch (durch Leopold von Toskana) durchgeführt, bei Versagen des zentralistischen Bürokratismus gegenüber umfassenden Aufgaben. Dagegen werden Rousseaus Volkssouveränität und Montesquieus Gewaltenteilung und Repräsentationsgedanken abgelehnt. »Die physiokratische Staatslehre konnte, indem sie die Gesamterscheinung des aufgeklärten Despotismus mit all seinen widerspruchsvollen Zügen und zukunftweisenden Tendenzen widerspiegelt, doch nur gedanklich leisten, was die praktische Aufgabe der absoluten Monarchie war: Wegbereitung und Auflockerung zu neuen Entwicklungen. Was darüber hinausging, waren die Gedanken Montesquieus und Rousseaus.«


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