II. Darstellungen.

Das Streben nach Synthese, nach zusammenfassender Darstellung zeigt sich nun auch in der Literatur zur Papstgeschichte stärker. Dem ersten Band von Caspars großer Papstgeschichte, mit dem Ref. sich im vorigen Bericht auseinanderzusetzen hatte, folgt jetzt der Beginn einer auf sechs Bände berechneten Geschichte des Papsttums aus der Feder F. X. Seppelts ( 1525), der nicht nur auf kirchengeschichtlichem Gebiet, sondern auch in dieser Spezialdisziplin seit langem einen klingenden Namen hat. Indem er »eine für die Gebildeten aller Stände verständliche und gut lesbare Darstellung bieten« will, folgt er mehr noch als Caspar dem Zug der Zeit. Er will das bisherige Forschungsergebnis zu einem geschlossenen Bild runden und in gefälliger Form einer breiteren Öffentlichkeit erschließen; Caspar dagegen zeichnet in weit ausgreifender Darstellung ein an vielen Stellen mehr oder minder eigenwillig neues Bild, das noch lebhaften Diskussionen unterworfen sein wird, ehe es nach entsprechenden Modifikationen communis opinio der Gelehrten wird. Kurz: Seppelt will ein Abschluß sein, Caspar wird -- auch ohne sein Zutun -- mit seinen neuen Thesen ein Ausgangspunkt. Damit soll aber nun in keiner Weise ausgedrückt sein, daß S.'s Buch etwa der eigenen Stellungnahme entbehrt. Überblickt man es als Ganzes und vergleicht es, was sich ja aufdrängt, mit Caspars, so bietet sich zunächst die erfreuliche Tatsache, daß -- wenigstens in diesen beiden Werken -- die konfessionellen Ressentiments, die lange Zeit die Erörterungen der Wissenschaftler über die Probleme des Papsttums im allgemeinen und über die sachlichen Schwierigkeiten seiner ältesten Geschichte im besonderen trübten, weitestgehend zurückgedrängt sind. Die unsachliche Vermengung wissenschaftlichen Dissenses mit konfessionellen Auseinandersetzungen oder gar, was ja viel häufiger war, mit konfessionellen Sticheleien ist dem Niveau dieser Publikationen fremd. Bleiben ein paar Worte über das Detail des ersten Bandes von S., der unter dem Sondertitel »Der Aufstieg des Papsttums« in knapper, rasch vorwärtsdrängender Darstellung die Schicksale des Stuhles Petri von den Anfängen bis zur Thronbesteigung Gregors des Großen aufrollt. Daß zunächst die Echtheit von Matth. 16, 18 und der darauf sich gründende Primat Petri festgestellt wird, bedarf keines Kommentars, ebensowenig der neuerdings immer mehr Stützen erfahrende Aufenthalt Petri in Rom. Bei der römischen Bischofsliste wird dieser Begriff beibehalten, der von Caspar ihr zugesprochene Charakter einer apostolischen Sukzessionsreihe aber hinzugenommen. Weiterhin werden die dürftigen Zeugnisse für das frühe kirchliche Rom erörtert, wie der Klemensbrief, Irenäus, das Bußedikt des Kallist und besonders das Cyprianproblem -- alles Fragenkomplexe, deren jeder einzelne eine ganze Literatur hervorgerufen hat und weiter hervorrufen wird. Die Existenz eines »Mailänder Toleranzedikts« wird mit Stein (der nur gegen die Bezeichnung polemisiert) gegen Seeck und Caspar u. a. erneut verfochten, bei den


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Liberiusbriefen aus dem Exil die von Caspar verfochtene Echtheit als möglich hingenommen. Über Damasus und den bedeutsamen Innozenz I. schreitet die Erzählung dann zu Coelestin I., dem Konzil von Ephesus und Cyrill, dessen Vorgehen als mindestens eigenwillig charakterisiert wird, ferner zu Leo I. und seinen Verdiensten um die Machtentfaltung des Papsttums, zu Gelasius I. und seinen klassischen Formulierungen des Duo quippe sunt. Symmachus' Bild bleibt etwas matt. Vigilius' unheilvolles Pontifikat wird seiner Charakterschwäche zugeschrieben, Pelagius' I. energisches Auftreten gut charakterisiert. Mit den Wirren der beginnenden Langobardenherrschaft in Italien erreicht das Werk seinen vorläufigen Abschluß. -- Nicht minder zum Streben der Zeit nach Darstellungen für ein breiteres Publikum bekennt sich die englische Sammlung »Great Medieval Churchmen«, in der jetzt Binns ( 1536) eine Monographie Innozenz' III. hat erscheinen lassen. Für die fachliche Auseinandersetzung mit seinen Thesen verweist er den Kritiker auf eine künftige Geschichte des Papsttums vom Wormser Konkordat bis zum Großen Schisma. Vielleicht kann Ref. den angelsächsischen Publikumsgeschmack in solchen Darstellungen nicht recht ermessen, jedenfalls kann er nicht verhehlen, daß ihm etwa die Art Seppelts, die kritischen Einzelheiten hinter der Darstellung der großen Zusammenhänge zurücktreten zu lassen, glücklicher erscheint als die Arbeit von B., die er als etwas zu farblos empfindet. -- Bei Gelegenheit der Besprechung von Caspars erstem Band (Jberr. 6, S. 301) wurde aufmerksam gemacht auf den Unterschied zwischen einer Geschichte des Papsttums und einer Geschichte der Päpste. Wozu das Monumentalwerk von Mann gehören will, sagt schon sein Titel »The Lives of the Popes« eindeutig. Daß namentlich die späteren Bände, die sich den bislang weniger behandelten Pontifikaten des 13. Jhds. widmen, von besonderem Wert sind, wurde schon früher betont. Um so mehr zu begrüßen ist es, daß aus dem Nachlaß des hochverdienten Gelehrten, der 1928 verstorben ist, jetzt ( 1535) auch noch der 17. Band mit Nikolaus IV. und Coelestin V. erscheinen konnte, der an Materialreichtum den früheren in nichts nachsteht.


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