§ 37. Katholische Kirchengeschichte der Neuzeit

(A. Schnütgen)

Es ist ein besonders reiches Erntejahr, dessen Ertrag es hier aufzuweisen gilt. Fast alle Felder neuzeitlicher Geschichte der katholischen Kirche in Deutschland haben in ihm Frucht getragen, der Schnitter kann auch eine schöne Anzahl üppigerer Halme zur Garbe binden. Dies Ergebnis spricht dafür, daß die Aussaat gut, und daß der Boden für das Wachstum günstig war. Die Ernte darf um so froher stimmen, als diesmal herzhafter als früher danach gestrebt worden ist, zur eigentlichen Problematik der kirchlichen Entwicklung in der Neuzeit vorzustoßen. Kein blutleerer Historismus zeigt sich am Werk, vielmehr fallen bei der Beschäftigung mit dem Gestern auch manche Lichter auf die äußere und die geistige Lage der Kirche in der Gegenwart. Die Besprechung einiger erst zu einem Teil veröffentlichter Studien von nicht mehr als mittlerem Umfange ist vertagt worden, bis daß sie vollständig vorliegen.

Jedin ( 1656) erörtert abwägend und anregend den Anteil deutscher katholischer Gelehrter an der Erforschung der Reformationsgeschichte seit den Tagen von Möhler und Döllinger, insbesondere aber seit dem im Jahre 1876 erfolgten Erscheinen des berühmten Eingangsbandes von Johannes Janssens »Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters«. Sein die Prägung der einzelnen Forscherpersönlichkeiten, die Unterschiede zwischen ihren Ausgangspunkten und Methoden gut verdeutlichender Abriß rückt mit Recht die positiven Leistungen in den Vordergrund, ohne dabei unkritisch zu sein. Jedin glaubt einerseits feststellen zu sollen, daß in der Nachkriegszeit »die Männer einer anderen Zeitenwende, Sailer und Wessenberg, ... die Blicke der Forscher auf sich« gezogen haben (S. 29). Anderseits weiß er eine Reihe von dringlichen Aufgaben im engeren und weiteren Bereich der Reformationsgeschichte zu nennen: Die Klärung der religiösen Einstellung im Volk und des religiösen und geistigen Habitus bei den Trägern katholischen Denkens, das


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Studium der seelsorglichen Tätigkeit der Orden, die historische und psychologische Vertiefung des Lutherbildes, die Aufhellung der innerkirchlichen Zustände im ausgehenden Mittelalter.

Polman ( 1657) stellt in formal sehr ausgeglichener, wenngleich das Problem weder seinem ganzen Bereiche noch der inneren Bedeutung nach erschöpfender Erörterung fest, daß die ersten Gegner der Reformation im allgemeinen auf den Väterbeweis neben dem Schriftbeweis nicht verzichteten und daß sie es, wo es doch geschah, nur aus taktischen Gründen taten. Nach seinem besonnenen Urteil handelten sie so aus ihrer dogmatischen Überzeugung heraus, weil sie ihre Methode nicht ändern wollten, um sich mit »Schuldigen« auseinanderzusetzen. Wie Polman sich überzeugt hält, konnten sie auch deshalb vom apologetischen Standpunkt aus so handeln, weil mehr als ein Reformator sich selbst auf Zeugnisse der Vergangenheit, auf die Autorität der Väter berief, um seine Thesen zu rechtfertigen.

Die Flugschrift des Cochläus »Aequitatis discussio super consilio delectorum cardinalium«, die Hilarius Walter uns in sorgsamer Bearbeitung vorlegt ( 1658), gibt sich im wesentlichen als Entgegnung auf kritische Glossen von Johannes Sturm. Dieser begleitete damit den von ihm unmittelbar vorher veranstalteten Druck einer vertraulichen Denkschrift, die die von Paul III. eingesetzte Kardinalskommission über die Mißstände in der Gesamtkirche und an der römischen Kurie verfaßt hatte. Das Gutachten war als Auftakt zu dem in Mantua bevorstehenden Zusammentritt des Konzils gedacht, aber nach Ansicht seiner Verfasser vorher noch einer Umgestaltung bedürftig. Dennoch sah es sich unverhofft in einer Reihe von Orten in seiner ersten Form an die Öffentlichkeit gebracht. Auch Luther hat es in einer deutschen Übersetzung und unter Beifügung eines Schwarmes von Anmerkungen herausgegeben. Cochläus' »Aequitatis discussio« versuchte mit Johannes Sturm in eine förderliche Erörterung zu kommen, in der auch manchmal Zugeständnisse an den Gegner erfolgten.

Zarncke ( 1659) prüft die »Exercitia spiritualia« des hl. Ignatius von Loyola auf ihre gedanklichen Zusammenhänge mit den meist verbreiteten deutschen Erbauungsschriften des ausgehenden Mittelalters. Der Verfasserin gelten als solche die »Vita Christi« des Karthäusers Ludolf von Sachsen, das »Horologium sapientiae« des Heinrich Seuse, das Werk »De imitatione Christi« des Thomas von Kempen, der Traktat »De spiritualibus ascensionibus« des Gerhard von Zütphen. Im Unterschied zur Methode früherer Autoren wird von diesen Erbauungsschriften ausgegangen, ihr religiöser Gedankengehalt erhoben, und anschließend die Brücke zu den »Exercitia« des hl. Ignatius geschlagen, die Eigenart ihrer Frömmigkeit mit derjenigen jener älteren Schriften in Vergleich gesetzt. Dabei bleiben psychologische und pädagogische, literargeschichtliche und biographische Interessen außer acht. Es sind den Typen spätmittelalterlichen religiösen Schrifttums zum Teil bis ins Herz dringende Untersuchungen, in denen die Gegenüberstellung geschieht, so über die Verehrung der Heiligen, über die Angst vor den letzten Dingen, über die Ausdeutung des Jesusbildes der Evangelien, über die mystische Frömmigkeit der Erbauungsschriften und ihre Auffassung von der Eucharistie, über die Zweckbestimmtheit des Handelns, über den Sinn des Leidens. Man wird sich die Stellung zu Einzelheiten der klar, umsichtig und würdig geschriebenen Untersuchung vorbehalten. Ihr Ergebnis, daß die »Exercitia« die spätmittelalterlichen Erbauungsschriften im


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Sinne einer stärkeren Weltanpassung der Christen weiterführen, ist sorgfältig erarbeitet und hat viele Gründe für sich.

Merkle ( 1660) beschenkt uns im Rahmen des »Concilium Tridentinum« der Görres-Gesellschaft mit dem der äußeren Reihenfolge nach dritten Band der Konzilstagebücher. Die diesmal von ihm edierten »Diarien« berichten über die in die Jahre 1561--1563 fallende Tagungsperiode des Konzils aus dem Munde von vier italienischen Teilnehmern. Weitaus am belangreichsten sind unter ihnen die Aufzeichnungen des Auditors an der Rota Romana, Gabrieli Paleotti. Merkle hatte sie schon im Jahre 1896 als junger Forscher im Archiv der Grafen Isolani bei Bologna in ihrer ursprünglichen Fassung entdeckt und läßt sich diese nun von den bisher schon bekannten und von von ihm herangezogenen sonstigen Bearbeitungen der Folge abheben. Die Aufzeichnungen Paleottis sind so wichtig, weil sie aus der Feder einer auch in viele nichtamtliche Vorgänge eingeweihten, überlegenen Persönlichkeit fließen, die sie zum Teil während der Sitzungen der Generalkongregationen niederschrieb, und weil man sich gerade für diese dritte Konzilsperiode noch eine Ergänzung der Berichterstattung wünschen mußte. Merkle kündigt die »Prolegomena« zu unseren Tagebüchern, durch die er seine großen Verdienste als Herausgeber der »Diarien« krönen wird, für deren nächsten und abschließenden Band an.

Fry ( 1661) hat im Museo Civico in Como die bisher verschollene Korrespondenz des Sohnes dieser Stadt Giovanni Antonio Volpe aufgefunden. Er schöpft sie vorläufig einmal für die früheste der drei Schweizer Nuntiaturen dieses Mannes aus, die den Jahren 1560--1564 angehört. Volpe ergibt sich ihm dabei als der letzte in der unter Papst Julius II. beginnenden Reihe von Nuntien, die »ab und zu im Kirchenornat« erscheinende »weltliche Diplomaten« waren; von »dem entschieden kirchlich-religiös im Dienste der tridentinischen, näher Borromäischen Ära bevollmächtigten Bonhomini« (S. 31), seinem längst wissenschaftlich durchleuchteten späteren Nachfolger, hebt er sich scharf ab. Selbst seine die Konstanzer Bischofswahl des Kardinals Mark Sittich von Hohenems und den damaligen Tagungsabschnitt des Konzils von Trient betreffenden Aufträge waren mehr politisch orientiert. Für seine Person ein feingestimmter Humanist, empfand Volpe sehr schwer den Tiefstand des Schweizer Klerus an Bildung und Sitte. Nicht zuletzt ihm als Nuntius kann es Fry trotz der Diplomatenphysiognomie, die er an Volpe feststellt, zuschreiben, daß es in der Schweiz zur Anwendung der Trienter Dekrete kam. Unsere mit schönem darstellerischen Schwung, aber auch mit erheblichem kritischen Unterscheidungsvermögen abgefaßte Arbeit ist ihrem Wesen nach ein Anfang; außer weiteren Monographien ist eine zweibändige Veröffentlichung von Dokumenten über die Nuntiaturen Volpes vorgesehen.

Schäfer ( 1662) arbeitet vornehmlich aus Otto Braunsbergers »Beati Petri Canisii ... Epistulae et Acta« das Bild des Canisius im Kampf um die Reform der katholischen Kirche Deutschlands heraus. Zweifellos dringt er dabei in den Gegenstand tief ein; er weiß ihm Seiten abzugewinnen, von denen wir aus der am Schluß seines Buches zur Erörterung gelangenden bisherigen Canisius-Literatur nicht entsprechend wissen. Es ist eine überaus konzise, durch und durch kritische, manchmal auch im sprachlichen Ausdruck Schärfen nicht vermeidende Studie, die Schäfer uns vorlegt. Und zwar kehrt sich die Kritik erst in zweiter Linie gegen ihren Helden; an erster Stelle gilt die Anklage dessen


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Orden. Canisius »hat ein ursprüngliches und religiös vermitteltes Interesse an der Reform Deutschlands gekannt«, dessen »Kirchengebiet ... dem entnationalisierten Profeßjesuiten nur noch das Arbeitsfeld der Societas Jesu« war. Die Ordensleitung hat ihn gegen seine eigene bessere Einsicht auf den »absolut verpflichtenden Weg« ihrer Bestrebungen gewiesen, die den »eigenen und den päpstlichen Machtinteressen« galten, und durch ihre personalpolitischen Maßnahmen an ihm sein Leben mit einer erheblichen Tragik erfüllt (S. 73, 132 f.). Über dies Ergebnis des Buches kann hier nicht mittels Nachprüfung im einzelnen gerechtet werden; manches am Verfahren der Gesellschaft Jesu während ihrer Frühzeit und an den damaligen Verhältnissen in ihrem Schoße ist immer umkämpft gewesen. Bei aller aufrichtigen Hochachtung vor der Arbeitsleistung und vor dem bohrenden Scharfsinn, die in der Studie stecken, und trotz ihrer zweifellos auch häufig geübten Mäßigung erheben sich doch ihr gegenüber die Fragen, ob sie aus den Dingen am Ende der einzelnen Abschnitte nicht manchmal zu viel herausholt, und ob sie für die führenden Persönlichkeiten im Orden und ihre Beweggründe immer das volle menschliche und historische Verstehen aufbringt, auf das sie Anspruch haben. Hoffentlich wird das Buch, das dem Verfasser »ganz wesentlich zur Festigung eines bewußten protestantischen Standpunkts verholfen hat« (S. 3), von der natürlich notwendigen weiteren Einzelforschung über Canisius und seine Zeit zugleich nach vollem Verdienst gewürdigt und mit dem unbedingt erforderlichen kritischen Ernst geprüft werden.

Lortz ( 1663) beschenkt uns mit einem überaus gehaltvollen Buch über Persönlichkeit und Werk des Kardinals Stanislaus Hosius, der bekanntlich im Zeitalter der Glaubensspaltung als Bischof von Ermland und vorher von Kulm ein weitragender kirchlicher Führer im deutschen Osten war. Lortz arbeitet nicht mit neuem Material; Hosius als Mann der Politik und Verwaltung bleibt beiseite; die uns noch einmal notwendige neue Biographie über ihn war nicht beabsichtigt. Desto eindringlicher wird dem Werden des Kirchenschriftstellers nachgegangen, kommt insbesondere der antiprotestantische Polemiker in Hosius zu seinem Recht, werden uns Beiträge zu seiner Theologie geboten, wird der religiöse Mensch in Hosius und werden Umrisse seiner geistigen Gestalt sichtbar gemacht. Was allen diesen Untersuchungen ein besonderes Relief gibt, ist die sichere, ja, in vielem überlegene Methode, mit der sie erarbeitet worden sind, ist der tiefdringende kirchen- und theologiegeschichtliche Blick des Verfassers, die enge Verknüpfung der Leistung und der Auffassungen des Hosius mit der allgemeinen geistigen und kirchlichen Lage in seinem Zeitalter. Als geistiger Habitus des Kardinals wird eine »katholische Urveranlagung« angenommen, die »in ganz außerordentlicher Weise das Statische, das Konservative bevorzugt« (S. 14), vom Traditionsgedanken ausgeht. Bei ungebrochenem Glauben sieht er sich dem Zustand der untergehenden Kirche gegenüber. Umgekehrt billigt er der Reformation einen religiösen Kern überhaupt nicht zu. »Hosius ist weit entfernt von jenem Typus des Apologeten, der in voller Aufgeschlossenheit und in restlosem Vertrauen auf die immanente Kraft der Wahrheit die Schattenseiten und Schwierigkeiten der eigenen Lage auch vor dem Gegner uneingeschränkt zugibt« (S. 34). Die Heftigkeit seiner Polemik ist einerseits »nichts anderes... als eine bruchlose Anwendung seines Kirchenbegriffs«, »anderseits Ausdruck einer so hohen Religiosität ..., daß wohl der Gegensatz sich mit letzter Schärfe entwickeln


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mußte, aber ebenso klar persönlich Gehässiges in einem ganz eminenten Grade ausgeschaltet wurde« (S. 75). Hosius hat auf der Petrikauer Synode von 1551 die für die Kirche notwendige »Neuschaffung einer völlig klaren und umfassenden« dogmatischen Grundlage der Arbeit des Tridentinums vorweggenommen (vgl. S. 131). Sehr fein ist etwa auch die Charakterisierung des homo religiosus Hosius, der »als Christ, Katholik, Priester und Bischof ein Muster war, aber ... wieder nicht zu den Schöpfern einer neuen Form des heiligmäßigen Lebens« zählt, dessen »Größe ... in jenem weit ausgedehnten Gebiet«, im »Überdurchschnittsmäßigen«, lag, »das in weniger klarem Licht die Vor halle des Genialen bildet« (S. 199 f.). Die geschichtsphilosophisch betonte, reiche Anregungen ausstreuende Art von Lortz wird nicht nur der geistigen Einordnung einer im Vordergrund stehenden katholischen Persönlichkeit der Reformationszeit, wie sie Stanislaus Hosius war, noch sehr erhebliche Dienste leisten können.

Bei Lortz und dem oben zu Eingang besprochenen Polman spielt eine erhebliche Rolle der niederländische Theologe und Kontroversist Albert Pighius oder Pigge († 1542), der als einstiger Löwener Schüler Hadrians VI. nach dessen Wahl zum Papst auch längere Jahre an der römischen Kurie verweilt hat. Jedin ( 1664) widmet ihm eine Studie, die seinem nur dürftig bezeugten Lebensgang, seinem reichen -- auch naturwissenschaftlichen -- Schrifttum und in Wiederaufnahme von Bemühungen F. X. Linsenmanns namentlich der Ermittlung seines geistes- und theologiegeschichtlichen Standorts gilt. Er knüpft in ihr an den Inhalt von Handschriften Pigges an, die ihm die Vaticana bot, bleibt aber bei ihrer Analyse nicht stehen, obwohl er anderseits auch keine eigentliche Biographie seines Helden bieten will. Er hat inzwischen eine Art nachträgliche Selbstanzeige seines »Pigge« geschrieben -- Historisches Jahrbuch, 53, S. 89 --, die dessen Hauptergebnisse auf für den Interessenten besonders leichtverständliche Formeln bringt. Danach ist Pigge kein Vermittlungstheologe und nicht Urheber der im Zeitalter der Religionsgespräche beliebten Lehre von der doppelten Gerechtigkeit gewesen. Es verkörpert sich in ihm die erste leise Wende der theologischen Literatur der Reformationszeit von der bloßen Kontroverse zur positiven Entfaltung des katholischen Glaubensguts. Bei der Formulierung des Traditionsprinzips hat er führend mitgewirkt.

Just ( 1665) handelt über das Erzbistum Trier und die Luxemburger Kirchenpolitik von Philipp II. bis auf Joseph II. Er kann seine Forschungen in einem besonders feierlichen Gewand vorlegen, nämlich als den ersten Band einer neuen Publikationsreihe »Die Reichskirche vom Trienter Konzil bis zur Auflösung des Reiches. Darstellungen und Quellen zu ihrer inneren Geschichte«. Dies von Martin Spahn unter Mitverantwortung von Albert Brackmann und Georg Schreiber ins Leben gerufene Unternehmen will nicht etwa eine zweite »Germania sacra« sein, unternimmt es nicht, die der Reichspolitik vergliederten deutschen Bistümer und Stifter historisch-statistisch zu beschreiben, auf ihr Institutionelles zu untersuchen. Vielmehr sollen vor allem die vielgestaltigen Einflüsse erfaßt und geschildert werden, die vom 16. bis zum 18. Jahrhundert die Bistümer auf die ihrer geistlichen Obhut und ihrer Regierungsgewalt unterstellten Landesteile und kirchlichen Bereiche ausgeübt haben. Es soll erörtert werden, inwiefern sich innerhalb des Gebietes der Reichskirche das Verhältnis von Kirche und Staat allmählich zugunsten der territorialen Staatsgewalt verschob und wodurch diese Verschiebung im einzelnen begründet war. Es gilt für unser Sammelwerk auch


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die Feststellung zu treffen und zu bewerten, daß sich die Reichskirche bis zuletzt in Gebieten behauptete, die politisch nicht mehr zum Reich gehörten, und daß sie in ihnen eine Art Grenz- und Schutzwall des deutschen Volkstums und der deutschen Kultur darstellte. Aus einem doppelten Grunde war das Erzbistum Trier besonders geeignet, die Serie zu eröffnen. Einmal bietet es Gelegenheit zu vergleichender Betrachtung des Verhältnisses von Kirche und Staat in einem Sprengel, der dicht an der Grenze des Reiches lag und nach wie vor eine geschlossen katholische Bevölkerung aufwies. Er unterstand zu einem Teil als Kurstaat zugleich der Landeshoheit des Erzbischofs und griff zum anderen Teil sehr erheblich auf Gebiete wie Luxemburg und Lothringen über, die, obwohl sie weltlichen Mächten von betont katholischer Überlieferung zu eigen waren, doch in ihren staatskirchenrechtlichen Verhältnissen voneinander abwichen. Zweitens war der luxemburgische Bistumsanteil Triers eine Art Wahlheimat, die Stadt Trier selbst der Amtssitz jenes Nikolaus von Hontheim, dessen am meisten bekanntgewordenes Buch dem Episkopalismus der Aufklärungsära in Deutschland die theoretische Grundlegung gab und über ihn eine gesamtabendländische Debatte hervorrief. Der vorliegende Band gilt diesem luxemburgischen Anteil des Trierer Erzbistums, dessen burgundische, spanische und österreichische Zeit erörtert werden. In erster Linie, um an seinem Teil die mehr kirchenpolitischen als theologischen »rückwärtigen Zusammenhänge« des »Febronius« bloßzulegen. Just kann in dem kirchenpolitischen Verhältnis zwischen Trier und Luxemburg, insbesondere in den beiden Jahrhunderten von Philipp II. bis auf Joseph II., eine das Hin und Her der Einzelkämpfe überdauernde Entwicklung zugunsten der Staatsgewalt feststellen, auf deren Nachzeichnung an dieser Stelle natürlich verzichtet werden muß. Nicht zuletzt am Beispiel Luxemburgs gewahrte der Trierer Weihbischof das schwere Unheil, das alle Mal aus dem Widerstreit zwischen den kirchlichen und staatlichen Gewalten in einem Territorium für die Entfaltung des religiösen Lebens dort folgert. Abhilfe glaubte er einmal in jenem Staatskirchentum zu finden, das insbesondere für die gallikanische Kirche charakteristisch war, in zweiter Linie in dem ganz Österreich ergreifenden Josephinismus. Mithin waren seine Bestrebungen alles andere als negativ und destruktiv gedacht. Just betont mit Recht, daß die staatlich-kirchlichen Auseinandersetzungen seit der Reformationszeit letzten Endes auch auf einen soziologischen Grund, nämlich auf die erheblichen seelischen Strukturveränderungen im abendländischen Bürgertum, zurückgehen. Schon unser mit einem so reichen Einzelmaterial ausgestatteter und beschwerter Eingangsband über das Erzbistum Trier bietet viele Ansätze dar zu fruchtbaren Allgemeinerörterungen. Spahns »Reichskirche« als ganze verspricht ein großes Brachland deutscher Kirchengeschichte der Neuzeit der längst wünschenswerten Bebauung zu erschließen.

Der in dem gegenwärtigen Bericht schon zweimal sehr anerkennend genannte Jedin ( 1666) beschäftigt sich auch mit dem Nachlaß des aus Lucca gebürtigen Giovanni Battista Barsotti, der in der letzten Zeit des Dreißigjährigen Krieges und in den unmittelbar anschließenden Friedensjahren bei der römischen Kurie als Agent deutscher Bischöfe tätig war. Der Nachlaß birgt, außer anderweitigen Dokumenten zur Zeitgeschichte, den größten Teil des Akteneinlaufs bei dem Prälaten und viele Privatbriefe an ihn, enthält aber nicht Barsottis Antworten. Dennoch dürfte er unter den bisher zu unserer Kenntnis gelangten


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Briefsammlungen vatikanischer Agenten des 17. Jahrhunderts der umfangreichste sein. Viele Einzelheiten in ihm belegen die nahen Beziehungen, die der Erzbischof von Prag, Kardinal von Harrach, zu seinem römischen Vertreter pflegte. Reiches Licht fällt aus der Korrespondenz auf die kirchliche Lage in Böhmen wie im eigentlichen Deutschland, auf die habsburgische Kirchenpolitik und auf manche Seiten der kirchlichen Kulturtätigkeit von damals. Die von Jedin zur Ergänzung des Nachlasses herangezogenen Berichte Barsottis über seinen Besuch in Deutschland 1643/44 sprechen von der kühlen Haltung maßgeblicher deutscher Bischöfe gegen die Familienpolitik Urbans VIII. Wie unser Verfasser mit gutem Recht anmerkt, zeigt uns gerade der Fall Barsotti, daß Nuntiaturberichte und Schreiben der Bischöfe an das römische Staatssekretariat als alleinige Unterlagen für die Schilderung insbesondere der kirchenpolitischen Vorgänge ihres Zeitalters nicht hinreichen.

Veit ( 1667) hatte für das im inneren und äußeren Umbau begriffene ehemals Hergenroether'sche Handbuch die Kirchengeschichte von 1648 bis zur Gegenwart zu bearbeiten. Die diesmal anzuzeigende erste Hälfte seines Versuchs hat den anderthalb hundert Jahren zwischen dem Westfälischen Frieden und der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert gegolten. Veit bezeichnet diese Epoche -- sicher nicht ohne Gründe, aber auch manchen kritischen Einwand nahelegend -- als das Zeitalter »des vordringenden Individualismus«. Es war selbstverständlich, daß der Neubearbeiter dem Werk die von ihm allzulange mitgeschleppten Fesseln einer anderen Wissenschaftsperiode und seines ursprünglichen Verfassers abzunehmen hatte. Veits Eifer ist noch einen Schritt weiter gegangen: Er hat aus dem ihm anvertrauten Teile eines umfassenden wissenschaftlichen Handbuchs ein flüssiges, verhältnismäßig leicht geschürztes Lesebuch gemacht. Der Charakter einer allgemeinen Kirchengeschichte ist freilich gewahrt geblieben; auch die Berichterstattung über die kirchlichen Vorgänge bei uns in Deutschland paßt sich durchaus dem Rahmen eines Berichts über die Gesamtgeschichte der Kirche an. Dabei mag die Frage offen bleiben, ob die die Arbeit kennzeichnende Trennung von »Kirche« und »Protestantismus« -- und »Schisma« -- nicht auch in die Schilderung der deutschen Dinge zu sehr eingreift. Wichtiger, ja, für die Beurteilung entscheidend ist, daß wir die deutsche kirchliche Entwicklung nicht etwa nach einer festen Schablone abgehandelt, vielmehr von einer Leben ausstrahlenden Persönlichkeit lebendig gestaltet finden. Es trifft sich gut, daß Veit über das 17. und 18. Jahrhundert auch als bewährter Einzelforscher sprechen kann. Im einzelnen berichtet er über die kirchenpolitische Lage im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, über die Zustände innerhalb der Kirche, namentlich diejenigen im Welt- und Ordensklerus, über die kirchliche Kulturtätigkeit. Auch alles, was über die Aufklärung in den kaiserlichen Kronländern und in Bayern, beim Episkopat und in den Klöstern Deutschlands gesagt ist, fällt durch Reichhaltigkeit des gebotenen Materials, Frische des Vortrags, Unbefangenheit und Freimut der Würdigung günstig auf. Vor leichthinnigen Verdammungsurteilen gegen die Fürsten und ihre Ratgeber wegen ihrer kirchenpolitischen Haltung wird gewarnt. Im 17. Jahrhundert waren in den katholischen Territorien »sowohl die weltlichen wie geistlichen Fürsten ernstlich bemüht ..., den Glauben zu fördern, Zucht und Sitte zu hüten« (S. 40, vgl. 36). Insbesondere die Bischöfe der Aufklärungszeit werden durch Hinweise auf ihre Abhängigkeit von der allgemeinen Lage gegen verallgemeinernde Verdikte in


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Schutz genommen. In den Klöstern »waren ... die Mängel nicht derart, daß sie nicht hätten beseitigt werden können« (S. 317). Der Josephinismus ist eingehend und mit gutem Urteil behandelt. Die Ausführung über den Febronianismus tastet den Gegenstand naturgemäß nicht so zart ab wie oben Just, darf aber ebenfalls als gelungen gelten. Ragt Veit in diesen Dingen über den gleich noch anzuzeigenden Band von Pastor hinaus, so muß man umgekehrt empfehlen, Veits Kritik an dem ihm offensichtlich wenig liegenden Friedrich dem Großen an jener bei Pastor zu orientieren und an ihr zu mäßigen. Obwohl unser Werk die eigentliche Problematik in der kirchlichen Entwicklung der Aufklärungsära im wesentlichen nach und mit S. Merkle sieht, bemüht es sich doch auch auf sympathische Art, H. Brück, der später Diözesanbischof des Verfassers war, als Forscher gerecht zu werden. Was Veit uns diesmal bietet, ist eine noch nicht bis in alle Einzelheiten der Anlage, Ausarbeitung und Literaturbenutzung ausgeglichene erste Niederschrift, aber eine schon in vieler Hinsicht sehr erfreuliche Leistung. Sie verdient es, sorgsam betreut und weiter ausgebaut zu werden.

Muschard ( 1668) ergänzt seine Studie von 1929 (vgl. Jberr. 5, 374 f.) über das Kirchenrecht bei den deutschen Benediktinern und Zisterziensern des 18. Jahrhunderts für die kanonistischen Schulen außerhalb dieser Orden. Er hat dabei vor allem den Einfluß der Denkart der Jesuiten hervorzuheben, die auch die theologischen und juristischen Gedanken der Benediktiner und Zisterzienser »unbeschadet ordenstraditioneller Anschauungen in Theologie und Rechtswissenschaft in den Bannkreis ihrer geistlichen Macht gezogen haben« (S. 350). Bedeutend waren namentlich der Einfluß der Rechtslehre des Suarez und seiner Schüler sowie der Theologie von Suarez und Bellarmin. Das kanonistische Denken der Jesuiten galt vor allem den dogmatischen Vorfragen der Kirchenrechtswissenschaft, des Naturrechts, des moraltheologischen Probabilismus. Unter den kanonistischen Leistungen der übrigen Orden heben sich diejenigen der verschiedenen Zweige der Augustiner und besonders die der Franziskaner hervor. Unsere Darstellung betont, daß an »den alten natürlichen wissenschaftlichen Mittelpunkten des Katholizismus im 18. Jahrhundert«, den katholischen Universitäten Deutschlands, Weltpriester und Laien gewirkt haben, die keineswegs immer dem »Geist der kanonistischen Aufklärung« huldigten (S. 384). »Die Führer der gemäßigten Aufklärung ... eint kirchenrechtlich und kirchenpolitisch ... der Geist des irenischen Denkens, der Geist der Versöhnung der theologischen, seelsorgerischen und kirchenpolitischen Gegensätze in der katholischen Kirche und in der christlichen Welt« (S. 394). Auch diesmal ist hervorzuheben, daß Zusammenstellungen wie die von Muschard als Zeitschriftenaufsätze nicht ganz zu ihrem Recht kommen können. Weiter ausgestaltet, namentlich dadurch verbessert, daß wertvolle Hinweise in den Anmerkungen organisch in den Haupttext eingefügt sind, würden sie ein gehaltvolles Buch ausmachen.

Ein umfangreicher Band von Pastors »Geschichte der Päpste« ( 1669) schildert die Pontifikate Benedikts XIV. und Klemens XIII. Natürlich vergessen Pastor und seine Mitarbeiter über der eingehenden Erörterung der Kämpfe um Jansenismus und Jesuitenorden in vielen romanischen Staaten und in den Niederlanden während des Menschenalters von 1740--1769 auch nicht die Ereignisse und die allgemeine Problematik der damaligen kirchlichen Lage im eigentlichen Deutschland. Von den in erster Linie Deutschland betreffenden Ereignissen


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nenne ich den österreichischen Erbfolgekrieg, die Kaiserwahlen Karls VII. und Franz' I., den Aachener Friedenskongreß. Ich weise auf die unter Benedikt XIV. unter ernsten Schwierigkeiten erfolgte Errichtung der Erzbistümer Görz und Udine sowie des Bistums Fulda, die Konversionen zweier Prinzen von Zweibrücken und des Erbprinzen Friedrich von Hessen-Kassel, das Bündnis Österreichs mit Frankreich zu Beginn des Siebenjährigen Krieges, die späteren Bemühungen Klemens XIII. um einen Friedensschluß, die Königswahl Josephs II. hin. Das in unserem Zusammenhang Entscheidende bei diesen und anderen Dingen war die Haltung der römischen Kurie zu ihnen. Der Wert unseres Bandes für die Kirchengeschichte Deutschlands liegt aber mehr noch als in ihrer doch vergleichsweise kurzen Behandlung in den längeren Abschnitten über die kirchenpolitische Beziehung zwischen Benedikt XIV. und -- wie er immer genannt wird -- König Friedrich II. von Preußen, über das erste Stadium des Febronianismus, über die »politische Aufklärung« unter Maria Theresia. Die Fälle der Breslauer Fürstbischöfe Sinzendorf und Schaffgotsch, die vergebliche Absicht des Preußenkönigs, ein Generalvikariat für sein ganzes Land zu erhalten, der Bau der Hedwigskirche in Berlin und die nicht ohne Verbindung mit ihm durch den praktischen Gebrauch bei der Korrespondenz erfolgte Anerkennung des preußischen Königstitels sind abwägend und unter dem sicher richtigen Gesichtspunkt erörtert, daß, wo Friedrich Entgegenkommen gegen seine katholischen Untertanen zeigte, dies Entgegenkommen nur politisch gemeint war. Die Behandlung des Febronianismus kann, wie schon in meiner Einzelbesprechung des Bandes in Theologische Revue 1932, Sp. 381 ff., ausgeführt, im einzelnen und im ganzen nicht befriedigen. Der bei Pastor üblichen reichen Materialdarbietung begegnen wir auch hier. Es fehlt aber ein Wichtigeres, der ernsthafte Versuch, den Febronianismus kirchenrechts- und geistesgeschichtlich einzugliedern, aus der üblichen, das Negative und Allzumenschliche in den Vordergrund stellenden Verkrampfung dem Trierer Weihbischof Hontheim gegenüber herauszukommen, seiner Persönlichkeit und Leistung in höherem Maße gerecht zu werden, als es der Geschichtsschreibung kirchlicher Richtung bisher gelungen war. Das oben analysierte Werk von Just hat nicht mehr benutzt werden können. Freilich hätte die Benutzung den allzu kurial betonten Standpunkt des Bearbeiters bei Pastor wohl wenig verändert. Dank diesem Standpunkt fahren gelegentlich auch deutsche Bischöfe gegenüber den päpstlichen Nuntien sehr schlecht, und werden die staatskirchlichen und antikurialen Bestrebungen in Deutschland als Gesamterscheinung doch wohl zu einfach aus dem Geist der Irreligiosität und Sittenlosigkeit abgeleitet, der gegen Ende des Ancien Régime umlief. Der schon erwähnte Abschnitt über Österreich erfreut durch eine Anzahl prägnant gezeichneter Charakteristiken.

Daß Pfeilschifter ( 1670) uns den lange erwarteten ersten Band der Korrespondenz des Fürstabtes Martin Gerbert von St. Blasien (1720--1793, Abt seit 1764) vorlegen kann, ist für die Forschung über die katholische Aufklärung sehr erfreulich. Sie erhält so einen Einblick in die Welt der Arbeiten und Interessen dieser hochragenden Persönlichkeit während ihrer frühen Wirkungsjahre, der Pfeilschifters an Gesichtspunkten reichen, bekannten Vortrag über Gerbert vom Jahre 1912 in dieser Hinsicht nicht nur vertieft, sondern erst voll verständlich macht. Schon in ihm hieß es mit Recht, daß der Briefwechsel des Fürstabts »einen internationalen und einen interkonfessionellen Charakter« trage (Dritte


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Vereinsschrift der Görres-Gesellschaft für 1912, S. 53). Unser Anfangsband umspannt die Jahre 1752 bis 1773, nach der in der »Einleitung« zum Gesamtwerk gegebenen Kennzeichnung die überwiegend der Reform des theologischen Studienbetriebs und der Ausarbeitung methodologischer Einführungsschriften gewidmete Epoche im Leben Gerberts, die kurze Zeit seiner wissenschaftlichen Reisen und den Beginn der großen Zeit seiner literarischen Produktion auf reichsgeschichtlichem, landesgeschichtlichem, kirchenmusikgeschichtlichem, liturgiegegeschichtlichem Gebiet. Pfeilschifter betont, daß der Briefwechsel als Spiegel der geistigen Wesensart des Fürstabts »vorwiegend literarhistorischen und wissenschaftsgeschichtlichen Charakter« hat (S. IX). Damit ist indirekt gesagt, daß das Persönliche und Lokale, Mitteilungen über die Verwaltung seines in einem Talkessel des südlichen Schwarzwalds gelegenen Klosters, über sein weltliches Regiment in der die Abtei umgebenden reichsunmittelbaren Grafschaft Bonndorf und in den sonstigen St. Blasianer Herrschaftsgebieten, über Gerberts Tätigkeit als Vorsitzender des Prälatenstandes im vorderösterreichischen Breisgau in ihm nicht überwuchern. Es ergibt sich nicht einmal besonders viel Material zur Kirchenpolitik und kirchlichen Zeitgeschichte. Maria Theresia und Joseph II., die Aufklärungsbewegung und der Untergang des Jesuitenordens spielen allerdings öfter in die Brieffolge hinein; es werden die umstürzlerische, ordensfeindliche und febronianische Gesinnung am Kaiserhof und in der Hierarchie (S. 325 f., 467) sowie die klostergegnerische Politik in Bayern (S. 333 f., 353) registriert; von dem »von den Protestanten ausgekochten System des Kirchenstaats« wird bedauernd gesprochen (S. 556, vgl. auch 649); auch beachtliche Motive zur innerkirchlichen Lage im Abteigebiet und im Breisgau klingen an. Aber vor allem führt uns Gerbert in seinen Briefen in seine wissenschaftliche Welt. Kreist auch sie besonders um Schwarzwald und Bodensee, so reichen doch ihre zahlreichen Außenstellen bis nach Salzburg und Wien, Gotha und Halle, Warschau, Paris und Brüssel, Rom und Monte Cassino hin. Aus der Fülle der Korrespondenten seien beispielsweise der Züricher Chorherr Breitinger, der Mauriner Dom Clément, Nuntius Garampi, Christoph Wilhelm v. Koch, Andreas Lamey, Dom Martène, Dom Maugérard, Schoepflin genannt. Natürlich steht die eigene literarische Produktion des »Mabillon d'Allemagne« sehr im Vordergrund. Wir hören ihn über Bücher und Handschriften Meinungsaustausch pflegen, wissenschaftliche Auskünfte einholen und erteilen, finden ihn auf Studienreisen. Schon in diesen jüngeren Jahren war er gebend und empfangend ein einzigartiger Brennpunkt gelehrter Betätigung auf der kirchlichen Seite, und zwar in einem Zeitalter, das einer vom offenbarungsgläubigen Standpunkt betriebenen Wissenschaftspflege nicht eben günstig war. Pfeilschifter legt uns diesmal rund 640 Briefe vor. Ein Teil von ihnen stammt aus der St. Blasianer Tochterabtei St. Paul in Kärnten und dem Landesarchiv in Karlsruhe, andere wurden anderwärts dank der mühevollen Umsicht des Herausgebers entdeckt. Die Zeit vor dem verheerenden Brand, der St. Blasien im Sommer 1768 heimsuchte, ist verhältnismäßig spärlich vertreten. Alle Briefe sind von Pfeilschifter außerordentlich sorgsam und dankenswert kommentiert. Unser Band bringt ferner eine Vorgeschichte der Ausgabe, einen kurzen Lebensabriß und eine Bibliographie Gerberts sowie eine Reihe nützlicher Register. In minutiöser Kleinarbeit ist geschehen, was füglich geschehen konnte, den Grundstein zu dem Denkmal eines Mannes zu legen, an dessen Person und Wirksamkeit sich das Urteil über den Stand des geistigen

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Lebens im katholischen Deutschland im Zeitalter der Aufklärung immer in hohem Grade orientieren wird.

Schmidlin ( 1672) gibt eine vorläufige Quellen- und Literaturkunde für seine im Entstehen begriffene Geschichte des Papsttums und der Päpste seit der Wahl Pius' VII. Seine Hinweise auf die Bestände des Vatikanischen Geheimarchivs aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dürften auch der deutschen kirchengeschichtlichen Forschung von Nutzen sein. Der Bericht erinnert daran, daß die bisherige schriftstellerische und wissenschaftliche Arbeit an der Geschichte des Papsttums bis zum Tode Gregors XVI. zu einem nicht geringen Teil von deutschen Federn bestritten worden ist.

Trapp ( 1673) prüft das liturgische Denken in der Aufklärungsära und in der Epoche des Aufschwungs der katholischen Theologie nach der Aufklärung auf seine Unterschiede zu der heutigen Zeit der liturgischen Bewegung und seinen Gleichklang mit ihr. Er tut es in verständiger Anknüpfung an führende Persönlichkeiten von einst und ihr Schrifttum. Die Entwicklung von der subjektiv-anthropozentrisch moralisierenden Denkart der Aufklärer auf dem Weg über die vertieften Auffassungen eines Hirscher und Möhler -- um nur diese deutschen Theologen zu nennen -- zu unserer Gegenwart hin kommt ansprechend heraus. Man darf Trapp empfehlen, seine jetzige Skizze weiter auszubauen.

Winter ( 1676) will rein historisch über die geistige Entwicklung des Wiener Theologen Anton Günther (1783--1863) und seiner Schule berichten, die sich zeitlich mit der von Hermes in Münster und Bonn berührte und gedanklich und kulturpolitisch zu ihr eine Art Gegenpol war. Während der Hermesianismus dem westfälisch-rheinischen Raume entsprang, um von hier auch in den Osten Deutschlands vorzudringen, ist der Güntherianismus als ein Gewächs des deutschen Südostgebiets anzusprechen, das später auch auf rheinischem Boden Sprossen trieb. Winter hat sich die eingehenden und klärenden Studien über den Hermesianismus, die Schrörs veröffentlicht hat, zum Vorbild genommen, unsere Kenntnis von den geistigen und kulturellen Strömungen im deutschen Katholizismus des 19. Jahrhunderts am Beispiel des Güntherianismus zu erweitern. Er gibt damit gleichzeitig einen Beitrag zur katholischen Restaurationsbewegung im Zeitalter Klemens Maria Hofbauers und der Erben seines Geistes in Österreich sowie einen Beitrag zur Geschichte des Denkens und Strebens bei den geistigen Köpfen und kirchlichen Häuptern des innerdeutschen Katholizismus bis hin zum Vatikanum. Günther war Nordböhme von Geburt und erlebte, nachdem seine »religiöse Grundhaltung« durch das Studium der idealistischen Zeitphilosophie »gelockert« worden war, in dem in unserem Buch besonders lebensnahe gezeichneten Hofbauerkreis als eine Art »Augustinus« desselben seine »katholische Wiedergeburt«. Vorübergehend Jesuitennovize, entwickelte er sich in der Folge von der Scholastik immer mehr fort. Im Anschluß an Friedrich Schlegel baute er eine »kartesianisch-deutsche« Philosophie auf, die im Rahmen der Zeitbestrebungen eine spekulative Leistung und tief religiös gemeint, aber als Grundlage der katholischen Glaubenslehre nicht wohl geeignet war. Er und seine Freunde machten das vormärzliche Wien zum Sitz dieses »Güntherianismus« und damit zu einer Zentrale katholischer Geistigkeit. Von Wien aus spannen sich Verbindungsfäden zu mehreren süddeutschen Universitäten, zum Breslau Baltzers, zum Bonn Knoodts. Den Kantischen Ausgangspunkt des Hermes verwarf Günther. 1848 in Österreich noch führend, geriet er als Liberal-Konstitutioneller


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zum Absolutismus Rauschers, als ein vom deutschen Idealismus Kommender mit der immer mehr zur Herrschaft gelangenden scholastischen Richtung in Gegensatz. Trotz des Eintretens Diepenbrocks und Schwarzenbergs sowie einer Reihe bedeutender Benediktiner für ihn kam es 1857 zu seiner kirchlichen Verurteilung. Die radikalen Anhänger Günthers wurde später Altkatholiken. Winter berichtet über diese ganze Entwicklung unter Heranziehung von viel ungedrucktem Material und auf eine flüssige und verstehende, Kirchlichkeit und geistige Weite gut ausgleichende Art. Sein, den neuen Erkenntnisbereich naturgemäß noch nicht erschöpfendes Buch wird bei allen weiteren Erörterungen über die deutsche innerkirchliche Entwicklung im 19. Jahrhundert sehr dienlich sein.

Schnütgen ( 1677) und Bastgen ( 1678) beschäftigen sich mit derjenigen Figur des Katholizismus im nordwestlichen Deutschland, in der sich der Übergang von der gläubigen Aufklärung zur kirchlichen Restauration am besten und bedeutendsten darstellt, mit dem Kölner Erzbischof Graf Spiegel. Spiegel gehört zu den Menschen und Kirchenmännern, die bei ernsthafter Beschäftigung der Forschung mit ihnen nur gewinnen können. So vermag Bastgen (vgl. meine Einzelanzeige seiner Schrift in »Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein« 122 [1933]) seinem Verhältnis als Kölner Oberhirt zum Heiligen Stuhl einzelne neue, sympathische Lichter aufzusetzen. So kann Schnütgen, wenn er zum erstenmal versucht, die verwickelte religiös-kirchliche Lage im Rheinland während seines Episkopats in ihre Komponenten aufzulösen, auch immer wieder von der weiten Sicht und von der Rührigkeit berichten, mit der dieser Westfale seinen rheinischen Sprengel organisatorisch neugestaltet und, was noch mehr besagen will, auch von innen her neugeformt hat.

Wie erst vor kurzem in verschiedenartigem Zusammenhang A. v. Martin (Jberr. 1929, Nr. 1481 und 1930, Nr. 1845), so finden wir nunmehr Kramer ( 1346) mit der Persönlichkeit und den Anschauungen Ernst Ludwig von Gerlachs beschäftigt. Und zwar handelt es sich diesmal ausschließlich um Gerlachs Verhältnis zum politischen Katholizismus. Bekanntlich trat der frühere Mitarbeiter der »Evangelischen Kirchenzeitung« Hengstenbergs und der »Neuen Preußischen (Kreuz-) Zeitung« nach 1866, im letzten Jahrzehnt seines im ganzen fast 82 Jahre zählenden Lebens, der katholischen Kirche und, was für ihn auf der gleichen Linie lag, dem politischen Katholizismus nahe. Sein für eine mächtige Zeitströmung bezeichnender Entwicklungsweg war nach Kramers in manchem selbständiger Nachzeichnung von einem mehr passiv und moralisch gerichteten Christentum ausgegangen. Der Weg hatte über den subjektivistischen Pietismus, über die an Augustinus gemahnende Vorstellung von einem Königreich Gottes auf Erden als Ziel der Weltentwicklung und damit über ein orthodoxes, ja, hochkirchliches und politisch aktives Christentum zur Absicht einer erneuerten Zusammenfassung der gesamten christlichen Kirchen auf der Grundlage des Apostolikums geführt. Gerlach konnte nicht anders als dem Eintreten der Zentrumspartei für die Kirche im Kulturkampf seinen Beifall spenden, weil es nach ihm die besondere Aufgabe der deutschen Nation ist, die Idee des Reiches Gottes zu verwirklichen, und weil die Kirche der wesentliche Bestandteil im Reiche Gottes ist. Von einer anderen Richtung führte der gemeinsame Gegensatz wider die Annexionspolitik Bismarcks diesen Träger der Idee des evangelischen Preußen, diesen theokratisch-ständischen Doktrinär zum Zentrum hin. Kirchenbegriff und Staatsbegriff bei ihm und innerhalb der katholischen


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Kirche und des Zentrums waren und blieben verschieden. Zur katholischen Kirche überzutreten, kam für Gerlach nicht in Frage, weil seine Gemeinschaft die christliche Gesamtkirche war. Kramers Studie vermag dank ihrer scharfsinnigen Einzelinterpretation v. Martins Aufsätze auch da nützlich zu ergänzen, wo sie in dem, was wesentlich ist, nicht von ihnen abweicht.


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