2. Reformation und Gegenreformation.
A. Geschichtschreibung.

Auch hier kann der Bericht mit einem großen Werk einsetzen. Zu G. Wolffs Quellenkunde der deutschen Reformationsgeschichte (2 Bde., 1915/22) ist Schnabels Werk ( 71) über die geschichtliche Darstellung des Reformationszeitalters getreten; neben dem Nachschlagewerk, das freilich in seinen kurzen Erklärungen weit über eine reine Bibliographie hinausgewachsen ist, haben wir damit die Geschichte der Historiographie, in der Geist und Methode der einzelnen Werke beleuchtet werden. So werden die Geschichtswerke vom Humanismus an bis auf Dilthey, Troeltsch, Holl, Joachimsen behandelt. Daneben erhält man auch Auskunft über die großen Quellenwerke, die Archive u. a. --Polman behandelt Flacius Illyricus als Historiker ( 1760). Die Bedeutung dieser Arbeit beruht weniger auf der Einführung in die Geschichtswerke des Flacius oder auf dem Nachweis seiner Abhängigkeit von Zeitgenossen und anderen Werken, als vielmehr auf der Feststellung, daß die Magdeburger Zenturien auf die humanistische Historik der französischen Protestanten kaum gewirkt haben. -- Im Jahre 1931 starben zwei deutsche Reformationshistoriker: Hans v. Schubert und Paul Joachimsen. W. Köhler, H. Bornkamm und O. Scheel haben dem ersteren Nachrufe gewidmet ( 110). Köhler reiht ihn in die Reihe der protestantischen Historiker ein, die, von Ranke und Waitz ausgehend, in der Problematik des Staates treibende Kräfte des geschichtlichen Lebens empfanden. Bornkamm wendet sich vor allem den kleineren Arbeiten von Schuberts zu und schildert den gegenwartsbezogenen Historiker, während Scheel seine Bedeutung für den Verein für Reformationsgeschichte herausstellt. Alle drei verweisen auf das letzte große Werk von Schuberts, die Biographie des Nürnberger Ratsschreibers Lazarus Spengler, die Nürnberg in den Mittelpunkt reformatorischen Geschehens rückt. Die Drucklegung des ersten Bandes ist übrigens vom Verein für Reformationsgeschichte beschlossen worden. H. Oncken ( 100) verfolgt die wissenschaftliche Arbeit P. Joachimsens von ihrem Ausgangspunkt im Humanismus bis zur Darstellung der deutschen Reformation in der Propyläen-Weltgeschichte. Justus Hashagen ( 83) erinnert an Joachimsens Aufsatz über Rankes Lutherbild (Jberr. 2 Nr. 2155) und zeigt seinerseits, wie stark die religiöse und politische Individualität Rankes sein Lutherbild gefärbt hat (z. B. Verneinung eines Bruches in der religiösen Entwicklung Luthers und die antirevolutionäre Deutung des Abfalls von der Kirche). -- L. Pfandl setzt seine Arbeit über das spanische Lutherbild des 16. Jhds. fort ( 1759) und bespricht die Lutherbiographie, die sich im 6. Buch der Historia pontifical [1565], der ältesten spanischen Papstgeschichte, findet. Sie geht an dem kirchlich-theologischen Problem der Reformation vorüber und hält sich eng an Cochlaeus. In einem 2. Aufsatz (ebd. S. 485--537) wird auf das Lutherbild in der spanischen Profangeschichtschreibung des 16. Jhds. eingegangen. Aber hier ist das Wissen um die Dinge ganz notdürftig.

B. Allgemeine Quellensammlungen und Lutherausgaben.

In der Weimarer Ausgabe der Werke Luthers ( 1721) bringt die Ausgabe der deutschen Bibel im 7. Band die Fortsetzung des Neuen Testaments (Römerbrief-Offenbarung). An der Art der Ausgabe ist nichts geändert. Der Angriff H. W. Beyers auf die zugrunde gelegte Ausgabe von 1546, die er als Rörerbibel verdächtigt, ist zurückgewiesen. Beachtung verdient der kunstgeschichtliche Exkurs über die Kranachbilder. Die Ausgabe des Briefwechsels führt im 2. Band zu den entscheidenden


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Jahren 1520--1522. Sie liegt weiterhin in den bewährten Händen von O. Clemen, der auch sonst der Reformationsgeschichte durch die Herausgabe kleinerer Quellen gedient hat ( 1735, 1736). Vollendet ist nun die s. g. Bonner Lutherausgabe, deren vier Nachtragsbände (Verlag De Gruyter, 1930--1933, je 8 Mk.) die durch die moderne Lutherforschung notwendig gewordene Ergänzung der alten Ausgabe bringen. Die Art der Edition, die allgemein Anerkennung gefunden hat, ist die gleiche geblieben; nur sind diesmal neben O. Clemen noch andere bewährte Lutherforscher als Herausgeber getreten. Der 5. Band, Der junge Luther, herausgegeben von Vogelsang, erschließt das Verständnis des Werdens des Reformators. Wenn hier in zeitlicher Anordnung Texte von den Randbemerkungen zu Augustin und Petrus Lombardus bis zur Vorlesung über den Hebräerbrief und der Heidelberger Disputation geboten werden, so hat diese Auswahl ihren selbständigen Wert gegenüber Scheels Dokumenten, in denen zugleich auch der literarische Niederschlag der Entwicklung Luthers in den späteren Werken berücksichtigt ist und die Frühschriften nicht geschlossen abgedruckt sind. H. Rückert gibt im 6. Band eine Auswahl aus den deutschen und lateinischen Briefen (1516--46), in der alle Briefe an Staupitz und an Käthe, die Briefe von der Wartburg und aus dem Jahr 1527, und fast alle Briefe von der Feste Koburg neben anderen berücksichtigt sind. Der 7. Band stellt eine Auswahl aus Luthers Predigten dar. Diese von E. Hirsch hergestellte Ausgabe will zugleich durch Luthers Selbstzeugnis über sein Predigen den Prediger Luther in seiner Wirksamkeit und seiner Theologie erfassen. Außerdem soll sich der Leser ein selbständiges Urteil über die Überlieferung der Predigten in den verschiedenen Postillen bilden. So ist die Auswahl: Wittenberger Fastenpredigten 1529/30, Reihenpredigten über Joh. 17, 1. Joh. 4 ff., 1. Kor. 15 und Predigten bei besonderem Anlaß begründet. Übrigens sei hier auf Vogelsangs Untersuchung zur Datierung der von Hirsch nicht berücksichtigten frühesten Lutherpredigten aufmerksam gemacht ( 1726), die mit einer tabellarischen Übersicht über die frühesten Predigten abschließen. Der 8. Band enthält eine Auswahl aus den Tischreden, die von O. Clemen selbst herrührt. Grundsätzlich ist für die Auswahl nicht allein der rein theologische Gesichtspunkt maßgebend gewesen, sondern viel Kultur- und Personengeschichtliches ist hier aufgenommen. Hier fehlt die sachliche Einleitung. -- Die große Quellensammlung Deutsche Literatur setzt die auf 7 Bände berechnete Reihe Reformation fort ( 791). Nachdem bereits 1930 A. Berger unter dem Titel Grundzüge evangelischer Lebensformung eine Auswahl aus Luthers Werken mit einer feinsinnigen Einleitung über die Seelenhaltung am Ausgang des MA.s herausgegeben hat, veröffentlicht er im 2. Band Flugschriften aus den Jahren 1520--25, unter denen der Eccius dedolatus, Karsthans (1521), Schriften von Hans Sachs und Joh. Brentz »Von Milderung der Fürsten gegen den aufrührerischen Bauern« zu nennen wären. -- W. Friedensburg gibt die Protokolle der Kirchenvisitationen im Stift Merseburg heraus ( 1799). Zunächst sind die Visitationen von 1562 und 1578 veröffentlicht, die Akten von 1599 werden baldigst folgen. Auch die Herausgabe der Visitationsakten von 1544/45 ist geplant.

C. Lutherliteratur.

Von der Luthertrilogie des Erlanger Kirchenhistorikers Hans Preuss liegt der 1. Band vor: Martin Luther, der Künstler ( 1723). Pr. wendet sich »gegen die Forschungsarbeit des 19. Jhds., die in Luther nur den


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Theologen sah und gegen die neueste, die Luther nur zur Inkarnationssubstanz eigener Ideen macht«. Der Kirchenhistoriker wird seine Aufgabe nur dann richtig verstehen, wenn er Luther als den Lebendigen erfaßt. Sein Leben ist beschlossen in seiner Erscheinung als Künstler und Prophet. Pr. wählt in den drei künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten Bildende Kunst, Musik, Dichtung die gegebene Einteilung. Dabei wird das Thema sehr weit gefaßt. So erfahren im 1. Teil Luther und die Bilder, auch Luthers Handschrift ihre Beurteilung. Daneben sind drei Monographien zu Luthers Theologie zu nennen. Hildebrandt ( 1739) behandelt auf eigene Weise die Abendmahlslehre. Denn er lehnt es ab, die Frage rein exegetisch-historisch zu verstehen. Vielmehr dem »Est« wird in Luthers Theologie eine beherrschende Stellung eingeräumt, wobei geschickt Luthers Auffassung gegen den Neokalvinismus unserer Zeit ausgespielt wird. Das Ergebnis der Arbeit sei mit des Verf. eigenen Worten wiedergegeben: Das »Est als Wirklichkeit« behauptet nichts anderes als das Prinzip der Einlinigkeit des Glaubens, das »Est als Wahrheit« nichts anderes als das Prinzip der Eindeutigkeit in der Erkenntnis Gottes, das »Est als Wort Gottes« nichts anderes als das Prinzip der Einseitigkeit in der Offenbarung. -- Man stelle diesem Werk gegenüber, was Menzel in seiner Breslauer Lizentiatenarbeit ( 1728) über Luthers Abendmahlsauffassung zu sagen hat, um zu ermessen, wie hoch sich Hildebrandts Arbeit über diese liberalistisch-irenische Kritik erhebt. Auch Obendieks Abhandlung über den Teufel bei Luther ( 1741) begnügt sich nicht mit der historisch-psychologischen Fragestellung, sondern der Teufelsglaube wird als das Stück der Theologie Luthers erkannt, das aufs stärkste andere religiöse Vorstellungen beeinflußt hat. O. urteilt: »Die systematische Erfassung der Teufelsvorstellungen Luthers zeigt, daß Luther Gott und Welt, das Versöhnungs- und Erlösungswerk Christi, die Offenbarung und das Wort Gottes, den Menschen und den Weg des Menschen zu Gott nicht ohne die Teufelsvorstellung denken kann.« Einleuchtend wird von O. nachgewiesen, wie gerade dadurch die Eschatologie ihren spezifisch christlichen Charakter erhält. -- Schließlich sei auf das inhaltsreiche Buch von M. Ludwig über Religion und Sittlichkeit bei Luther hingewiesen ( 1740), dessen 1. Teil »Das Problem Religion und Sittlichkeit bei Luther in der theologischen Literatur und seine methodischen Schwierigkeiten« -- eine Leipziger Promotionsschrift -- gesondert erschienen ist. Hier geht L. den in der theologischen Literatur behandelten Problemen aus der Ethik Luthers nicht nur nach, sondern nimmt auch in gut begründeter Weise dazu Stellung. Auf dieser Grundlage steht nun die eigene Darstellung, die dem chronologischen bis zum Sermon von den guten Werken [1520] gehenden Teil einen systematischen folgen läßt, der das Ergebnis zusammenfaßt. Das Ergebnis kann kein anderes sein als dieses: Untrennbarkeit von Religion und Sittlichkeit bis zur äußersten Konsequenz, so daß jede nachträgliche oder äußerliche Verknüpfung (Lohngedanke, das Motiv der Dankbarkeit) ausgeschlossen ist. Daß in der Einzelausführung in diesem Buch manches der Kritik bedarf, darauf hat Friedr. Wilh. Schmidt hingewiesen. (Theol. Blätter 12. Jg., Sp. 74). -- Reinhold Seeberg ( 1725) hat in einem Vortrag seine Auffassung vom theologischen Werden Luthers zusammengefaßt: Das Fundament ruht auf Paulus, aber auch Nominalismus und Mystik haben Bausteine geliefert, ohne die Eigenart des Paulinismus verwischen zu können. Von anderen kleineren Arbeiten sei zunächst auf Albrechts Schrift hingewiesen,

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die alte Notizen zu Luthers Genesisvorlesung aus dem Juli 1545 bekannt macht ( 1737). Seitdem diese Vorlesung in der Weimarer Ausgabe gedruckt ist, sind wiederholt handschriftliche Stücke dazu veröffentlicht worden. Bei Albrechts Fund handelt es sich um die Nachschrift eines Hörers aus vier Vorlesungen. Die Stelle wird von A. in der WA nachgewiesen. --Stammler ( 1761) macht auf mehrere Ausgaben der Lutherbibel aus dem 17. Jhd. aufmerksam und zeigt, wie vor allem die Wittenberger Ausgabe von 1622 auf treue Überlieferung hinzielt. Aber die sprachgeschichtliche Entwicklung macht sich trotzdem geltend. Gustav Bebermeyer berichtet im Lutherjahrbuch ( 1722) über Stand und Aufgaben der sprachgeschichtlichen Lutherforschung. So erfährt der von H. W. Beyer in seinem Forschungsbericht »Luthers Bibelübersetzung«, der zu den Problemen der Lutherbibel selbständig Stellung nimmt (Theolog. Rundschau 1929), eine sehr willkommene Ergänzung. Bebermeyer legt besonderen Nachdruck darauf, daß Luther mit der lebendigen Volkssprache so eng verbunden war. Sein Abstand von der Humanistenprosa ist sehr groß. -- Schließlich sei H. Hahnes Untersuchung der bekannten Totenmaske Luthers genannt, die sich in der Marktkirche zu Halle findet ( 1738). H. hat als Anthropologe und Arzt den Kopf und die Hände geprüft. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, daß eine echte Grundlage vorliegt, die aber 1663 zur Angleichung an die Jugendbilder überarbeitet worden ist. Die alte Gestalt läßt sich unschwer wiederherstellen. -- Wie sich der Einfluß der modernen Lutherforschung überall geltend macht, das kann man aus G. Ritters trefflichem Aufsatz über die geistigen Ursachen der Reformation ( 1716) erkennen. Wie stark ist hier der alten nationalpolitischen und liberal-kulturellen Auffassung Luthers die neue kontrastiert, die vom theologischen Denker und religiösen Propheten ausgeht! Auch die Art, wie Maurer ( 1718) in seinem Forschungsbericht über die literarischen Erscheinungen zum Thema: Humanismus und Reformation spricht, spiegelt die Wendung wider. Dagegen ist die Luther-Bibliographie Seesemanns ( 1720) ein reines -- gut geordnetes -- Verzeichnis aller Bücher und Abhandlungen. In ihrer Vollständigkeit ist diese Luther-Bibliographie unübertroffen.

D. Melanchthonliteratur.

Hier ist die Forschung, die seit langer Zeit darniederliegt, durch das große Werk H. Engellands sehr gefördert worden ( 1751). In den letzten Jahren ist Melanchthons Theologie schärfster Kritik ausgesetzt gewesen. Denn immer wieder hat man den Abfall von Luther unterstrichen. E. hat die chronologische Dreiteilung (1519--21, 1522--31, seit 1532) gewählt, um so eindringlich zum Problem der theologischen Entwicklung (des Abfalls!) Stellung nehmen zu können. Dabei wird bewiesen, daß M. bis zum Jahre 1531 »grundsätzlich auf der ganzen Linie seiner ursprünglich in den Loci communes 1521 eingenommenen Haltung treu geblieben ist«. Dagegen setzt im Römerbriefkommentar von 1532 das Abgleiten von der alten Position ein. Die rationale Gotteserkenntnis bricht hervor, aber sie schafft nur das Wissen um den gesetzlichen Gott. Außerdem stellt E. fest: »Weil M. Christi Wirken immer unter dem doppelten Aspekt seines Handelns für den Menschen und in dem Menschen (Versöhner und Schöpfer der Erneuerung) sieht, erkennt er von Anfang bis Ende seiner Schriften auch Gottes iustificatio als imputatio der iustitia Christi oder remissio peccatorum oder reconciliatio und regeneratio ad novam oboedientiam, d. h. als zwei Seiten ein und desselben Handelns Gottes


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am und ein und desselben Geschehens im Menschen.« Jedenfalls wird dadurch M. wieder näher an Luther herangerückt. Übrigens ist auch Elerts Morphologie (s. o.) ein Zeichen für diese Wendung in der Forschung. Man denke nur an die Beurteilung der Rechtfertigungslehre Melanchthons, worauf auch E. Hirsch in seiner Besprechung des Werkes von Elert aufmerksam gemacht hat (Zeitschr. f. Kirchengesch. 51, S. 345). --Aner ( 1752) sucht Verständnis zu erwecken für M.s Haltung auf dem Augsburger Reichstag von 1530. M. wollte darnach Freiheit der Lehre, aber keine Trennung von der alten Kirche. Man kann an Aners Aufsatz die Abhandlung Nagels ( 1732) über Philipp v. Hessen anschließen. Der Landgraf war mit seinem Drängen auf den Bruch hin der Gegenspieler M.s in Augsburg.

E. Die Schweizer Reformation.

Für das Zwinglijubiläumsjahr 1931 ist eine neue große biographische Arbeit über Zwingli nicht geschrieben worden. Naturgemäß brachte die seit 1897 die Zwingliforschung zusammenfassende Zeitschrift Zwingliana ebenso wie 1919 eine Jubiläumsschrift heraus, die wertvolle Beiträge enthält ( 1755). Oskar Farner zeichnet hier mit viel Liebe und Verständnis die Persönlichkeit Zwinglis und weist zugleich die unberechtigte Kritik zurück, die er von Katholiken und Lutheranern erfahren hat. W. Köhler behandelt Zwinglis Glaubensbekenntnis und begründet den darin vollzogenen schroffen Bruch mit Luther. Fritz Blanke wertet Zwinglis Beitrag zur reformatorischen Botschaft, Leonhard v. Muralt würdigt Zw. als Sozialpolitiker, während in dem Beitrag Herm. Eschers »Zwingli als Staatsmann« die nationalen Motive seines Handelns und seiner Weltbundpolitik aufgehellt werden. -- Seit 1931 erscheinen im Verlag der Reformierten Bücherstube Zürich Quellen und Studien zur Geschichte der helvetischen Kirche. Hier ist als 1. Band Johann Stumpfs Chronica vom Leben und Wirken des Ulrich Zwingli von Leo Weiß herausgegeben worden. Zw. hat nach seinem Tode keinen Biographen gefunden. Die bescheidene Würdigung durch Oswald Myconius ist die einzige zeitgenössische Darstellung. Dagegen wird Bullingers Reformationsgeschichte der Bedeutung Zw.s gerecht. Aber stilistisch betrachtet kann diese Darstellung nicht Bullingers Werk sein. Weiß hat als ihren Verfasser den Schweizer Pfarrer Johann Stumpf nachgewiesen. Er ist der Autor einer eidgenössischen Chronik, der Bullinger sein Zwinglibild entnommen hat. Durch diese Veröffentlichung wird somit eine in den Jahren 1531--34 im Züricher Gebiet geschriebene Würdigung Zw.s bekannt. -- O. Farner, dem wir schon eine größere Arbeit über Zw.s Lehre von Kirche und Staat verdanken (Jberr. 6 Nr. 1814), schildert in einem Vortrag das Zwinglibild Luthers ( 1756), wobei aber durch die Beschränkung auf die unmittelbaren Äußerungen Luthers die eigentlichen Gegensätze nur gestreift werden. -- Im übrigen ist das Buch der Reformation Huldrych Zwinglis, das W. Köhler aus eigenen Äußerungen Zw.s und zeitgenössischen Quellen nach dem Vorbild des von Kaulfuß-Diesch 1917 herausgegebenen »Buches der Reformation« zusammengestellt hat, zum 400. Todestage in einer Sonderausgabe herausgebracht worden ( 1754). -- In das Wesen der Schweizerreformation führt Anrichs Vortrag über die Ulmer Kirchenordnung von 1531 ( 1778) ein. Der oberdeutsch-schweizerische Typus tritt in seiner Eigenart klar hervor (Abschaffung aller Feiertage und Bilder, strenge Kirchenzucht, bürgerliche und kirchliche Gemeinde fallen zusammen). -- Aus der Kalvinliteratur wäre allein Mülhaupts Untersuchung über die Predigt


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Kalvins ( 1748) zu nennen. Die ausländischen Werke ( 1745, 1746) habe ich nicht erhalten können. M. hat sich eine große Aufgabe gestellt, da er das Thema sowohl historisch-systematisch als auch praktisch-homiletisch behandelt. Der Nachdruck liegt auf dem Systematischen, wie schon die Einleitung mit dem Aufwerfen wichtiger Fragen der kalvinischen Theologie zeigt. -- Von Herm. Barnikols schon 1927 erschienener Bonner Dissertation, die Kalvins Lehre vom freien Willen im Verhältnis zu den Anschauungen Luthers, Melanchthons, Butzers, Augustins behandelt, liegt eine eingehende Besprechung von Kattenbusch vor ( 1747), die das Problem durch die Behandlung des Verhältnisses zwischen arbitrium und voluntas weiter verfolgt.

In der Geschichte des Kalvinismus ragt die Gestalt Valérand Poullains, des Begründers der wallonischen Gemeinde zu Frankfurt am Main, hervor, dessen Bild Karl Bauer in einer großen Monographie gezeichnet hat (Jberr. 3 Nr. 1849). Nun weist O. Schaefer auf eine ungedruckte Erstlingsarbeit P.s aus dem Jahre 1545 hin, die eine liturgiegeschichtliche Spezialstudie darstellt ( 1785). Die Schrift ist nicht bloß als geschichtliche Leistung, sondern auch als grundsätzliche Stellungnahme eines Kalvinisten zum Kultus und seiner Einrichtung sehr bedeutsam.

F. Die nebenkirchlichen Bewegungen.

Die Gestalt Thomas Müntzers fesselt noch immer die Wissenschaft. Freilich das Bild von dem großen Rebellen in Christo ist in der neuen Müntzer-Forschung beiseite gedrängt (Holl, Boehmer), und man sieht in ihm den besonderen religiösen Charakter, der mit Luthers Schriftprinzip brach, um den unmittelbaren Offenbarungen lauschen zu können. Auch die Arbeit von A. Lohmann ( 796) steht auf der Grundlage der modernen Forschungsergebnisse. Wichtig scheint mir der Nachweis zu sein, daß Müntzer die Reinheit seiner Ideen antastet, um ihre Werbekraft zu erhöhen. Die Gegensätzlichkeit seiner Predigt, die für das Kreuz eintritt, in dem der Christ die Welt überwindet, während sie gleichzeitig soziale Utopien den Massen vorzaubert, tritt sehr stark hervor. Wie sehr sich M. auf seine Hörer und Leser einstellt, zeigen auch die verschiedenen Fassungen des Prager Aufrufes [1521], der auch in den Briefwechsel M.s aufgenommen ist, den P. Kirn auf Grund der Vorarbeiten H. Boehmers herausgegeben hat ( 795). Als der radikale Revolutionär spricht er zum Volke; dagegen ist in der lateinischen für die Humanisten bestimmten Fassung das Sozial-Revolutionäre weggelassen. Bedeutsam ist die hier abgedruckte Bücherliste (ist sie eine Buchhändlerrechnung oder die Abschrift eines Bücherverzeichnisses?). -- Nach längerem zeitlichem Abstand ist der 2. Band von J. Müllers Geschichte der Böhmischen Brüder ( 1812) erschienen, der die Jahre 1528--76 umfaßt. 1528 ist das Todesjahr des Lucas v. Prag; in das Jahr 1576 fällt der folgenreiche Regierungswechsel: Rudolf II. erhält die Krone. Aber die Geschichte der Auswanderung nach Preußen und der polnischen Unität ist auf den 3. Band verwiesen. Der vorliegende Band stellt die Geschichte der Brüder in die der Reformation hinein und hellt die Auseinandersetzung mit Luther und dem Kalvinismus auf. Aber die Darlegung der Brüderlehre soll erst der 3. Band bringen. -- R. Friedmann ( 1813) weist auf eine dogmatische Schrift der hutterischen Brüder hin, die -- nach seinen archivalischen Studien zu urteilen -- vielleicht die verbreitetste in diesem religiösen Kreis gewesen ist. Vielleicht handelt es sich dabei um eine Kollektivarbeit, an der Peter Walpol führend mitgearbeitet hat.


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Die Biographie dieses Mannes wird von Fr. zusammengestellt, während die inhaltliche Auswertung der Schrift erst im nächsten Heft des Archivs für Reformationsgeschichte erfolgen soll. -- M. Krebs ( 1780) beginnt seine Beiträge zur Geschichte der Wiedertäufer am Oberrhein mit der Darstellung des ältesten kurpfälzischen Wiedertäuferprozesses [1527--29]. Hier werden der bisherigen Überlieferung viel Übertreibungen nachgewiesen. Damit sind schon Quellen ausgewertet, die im badisch-pfälzischen Band der vom Verein für Reformationsgeschichte herausgegebenen Quellen zur Geschichte der Wiedertäufer veröffentlicht werden sollen.

G. Gegenreformation.

Hier ist an erster Stelle die Arbeit von Velsens ( 826) über die Gegenreformation in den schlesischen Fürstentümern Liegnitz- Brieg-Wohlau zu nennen, denn hierin wird über die rein geschichtliche Darstellung weit hinausgegriffen, und die gegenreformatorischen Maßnahmen werden zugleich als staatsrechtliches Problem behandelt. Man erkennt, wie sehr der Grundsatz cuius regio eius religio da sofort versagt, wo die Hoheitsverhältnisse verwickelt sind (hier böhmischer Oberlehnsherr!). Eindrucksvoll ist auch die Schilderung der vielen kleinen Maßnahmen zur Rekatholisierung. Auf diese Weise versteht man, daß das schlesische Volk auf Friedrich den Großen den Nimbus des Retters übertrug. Ohne Kampf ging die neue Provinz im Staate Preußen auf. -- Über die Salzburger Emigration ist die Forschung zu einem Abschluß gekommen. Von katholischer und protestantischer Seite wurden gleichzeitig die Fragen behandelt, die diese Vorgänge der Geschichtswissenschaft stellten. Man wird urteilen können: der Protestant G. Loesche und der Katholik J. K. Mayr stimmen fast bis in die Einzelbeurteilung überein. Das geht aus einem Vergleich von Mayrs Arbeiten ( 844, 845) mit Loesches Abhandlung (Jberr. 5 Nr. 1898) hervor. Mayr unterstreicht Loesches Anschauung, daß Christiani von Rallo, der Kanzler des Erzbischofs Firmian, die treibende Kraft gewesen ist. Auch weist M. die Anklage gegen die Protestanten zurück, daß sie sich revolutionärer Umtriebe schuldig gemacht hätten. Daß überhaupt der Protestantismus im Salzburger Gebiet so um sich greifen konnte, wird auf das Versagen des Landklerus zurückgeführt. Eindringlich wird ferner von M. gezeigt, welchen Widerstand die Maßnahmen des Erzbischofs bei den Behörden des Reichs gefunden haben.


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