3. Orthodoxie und Pietismus.

Nur eine einzige selbständige Arbeit beschäftigt sich mit einem Thema aus dem Zeitalter der Orthodoxie. Fr. Schenke setzt bei seinen Studien zum Kirchengedanken des Luthertums bei Johann Gerhard und seiner Zeit ein ( 1763). Sch. betont, daß bei Gerhard das Lehrstück von der Kirche den Abschluß der Heilslehre darstellt: das Heil vollendet sich erst in der Gemeinschaft; nicht das Individuum, sondern das Volk Gottes steht am Anfang und Ende des göttlichen Weltplanes. Mit dem Zurücktreten des Gemeinschaftsgedankens -- übrigens schon bei Calov -- beginnt die Zersetzung des lutherischen Kirchenbegriffes. Der Finis theologiae wird nunmehr durchaus individualistisch gedacht. In der Ständevorstellung verschiebt sich der Schwerpunkt auf das geistliche Amt. Damit wird die Abneigung der Pietisten gegen die Kirche verständlich. -- Wie man streng lutherische Gesinnung und kirchlichen Reformeifer damals miteinander verbinden konnte, zeigt sich bei Saubert, dem bekannten Führer der Nürnberger Geistlichkeit. Dieser Theologe, der manche Reformschrift verfaßt hat, kämpfte unentwegt für die alte


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unverfälschte Augustana, wie die Arbeit von H. Braun ( 1776) zeigt. -- Das 17. Jhd. war von kirchlich-irenischen Bestrebungen erfüllt. Aber das Luthertum hat sich dagegen stets ablehnend verhalten. Dies bestätigt der Aufsatz von J. Becker über die Aufnahme der Leibniz-Molanschen Unionsbestrebungen in Schlesien ( 1809). B. kommt zu dem Ergebnis: Die Schlesier sind scharfe Gegner der Versöhnungstendenzen, sie lehnen Konzessionen an die katholische Kirche ebenso ab wie an die reformierte. -- Auch zur Geschichte des Pietismus liegen größere Arbeiten nicht vor. Doch ist hier die Einzelforschung immer noch sehr rege; vor allem setzt Th. Wotschke unermüdlich seine Quellenpublikationen in den einzelnen territorialen kirchengeschichtlichen Zeitschriften fort. Aus ihrer Reihe sei besonders auf seine Veröffentlichung von Urkunden zur Geschichte des Pietismus in Bayern hingewiesen ( 1777). Die hier mitgeteilten Briefe führen recht gut in die pietistische religiöse Praxis ein. -- Altenburg nimmt die Erbauungsbücher von Joh. Porst vor, die dem Halleschen Typus des Pietismus angehören, und zeigt vor allem, wie im Ordo salutis die neuen religiösen Elemente Umgestaltungen hervorrufen (vocatio = »Erweckung«, »Wachstum der Wiedergeborenen«, »Gnadenwahl und derselben Vergewisserung«). Als Dissertation ist nur ein Teildruck erschienen ( 1764), während im Jb. für brandenburgische Kirchengeschichte die ganze Arbeit veröffentlicht werden soll ( 1765 = 1. Teil). -- W. Nordmann ( 1766) führt seine Untersuchungen zur Eschatologie des pietistischen Ehepaares Petersen fort, indem er die einzelnen Elemente aufweist, die in der eschatologischen Vorstellungswelt der beiden mitschwingen: die spekulative Mystik mit den Ideen von der jenseitigen Weiterentwicklung und die heilsgeschichtliche Theologie des Föderalismus. Aber eine Harmonisierung der heterogenen Elemente ist nicht gelungen, so daß die eschatologische Spannung nachläßt. Auf den Föderalismus geht auch G. Möller ( 1762) ein und untersucht sein Verhältnis zur Geschichtsbetrachtung. Diese inhaltsreiche Arbeit, die in der Charakterisierung Herders als eines Vertreters der offenbarungsgeschichtlichen Theologie ausklingt, hebt die Elemente klar heraus, die eine Neugestaltung der Geschichtsbetrachtung durch den Cocceianismus bewirkt haben. Die beiden Voraussetzungen dafür werden darin gesehen, daß »der Cocceianismus die Offenbarung als ein Geschichts- und Entwicklungsganzes ansieht und daß der in der Schrift wahrgenommene Geschichtsplan vermöge der engen Verbindung von Natur und Gnade durch das Band der Offenbarung ohne Hemmungen auf die Profangeschichte angewendet und übertragen werden kann«.


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