5. Das 19. Jahrhundert.

Die Arbeit von H. Petrich über den Trieglaffer Kreis ( 1803) gibt ein anschauliches Bild von der Erweckungsbewegung in Pommern. Alles trägt durchaus pietistisches Gepräge. Doch wurde bald auch die Verbindung zur altlutherischen Bewegung hergestellt. -- In die Zeit des Kampfes, den der Konfessionalismus um die Herrschaft in der Kirche führt, dringt der Aufsatz von R. Kayser über Neanders Bruch mit Hengstenberg ein ( 1770). Der Pietismus wird mit seinem schlichten Erfassen der Heilswahrheiten des Neuen Testaments gegen den Dogmatismus und die Unduldsamkeit der Orthodoxie schroff abgegrenzt. -- Dann sei auf die Vollendung der großen Wichernbiographie M. Gerhardts ( 1771) hingewiesen. Gerade der dritte und letzte Band hat seine besondere Bedeutung. Wichern tritt in preußische Staatsdienste und reibt sich im Kampf mit Liberalen und Demokraten um die Gefängnisreform auf. Die »pietistischen Rauhhäusler« wurden von diesen Politikern leidenschaftlich bekämpft. Außerdem bringt der Band die weitere Geschichte der Inneren Mission, der die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Arbeiterfrage ein schweres Problem stellten. -- In die kirchliche Verfassungsgeschichte greifen zwei Arbeiten ein. Joh. Heintze ( 1772) behandelt die Generalsynode von 1846 und zeigt, daß die folgende Verfassungsentwicklung in Preußen ohne ihre Beschlüsse nicht zu verstehen ist, auch wenn dies infolge der fehlenden Einwilligung des Königs keine Gesetzeskraft erhielten. Vor allem die Gemeinde- und Synodalordnung von 1873 und die neue preußische Kirchenverfassung von 1876 zeigen unverkennbar solche Einwirkungen. Auf die Generalsynode von 1846 geht auch Foellmer ( 1774) in seiner Geschichte des Amtes der Generalsuperintendenten in den altpreußischen Provinzen ein, aber im übrigen greift seine Untersuchung bis ins 16. Jhd. zurück. Die Vorschläge zur Episkopalverfassung werden ebenfalls behandelt. Für Einzelheiten muß auf die Besprechung von M. Schian in der Theol. Literaturzeitung 57. Jg. Sp. 231 ff. verwiesen werden. -- Besonders fruchtbar scheinen die Arbeiten zu sein, die die Erziehungsgeschichte des 19. Jhds. im Zusammenhang mit den kirchlichen und religiösen Problemen behandeln. Deshalb sei aus den im Abschnitt XXIXe genannten Arbeiten wenigstens auf E. Quittschaus Werk über das religiöse Bildungsideal im Vormärz ( 1968) angeführt. Qu. prüft den Seminarunterricht Preußens während des Ministeriums Altenstein auf seine religiöse Seite hin. Man erkennt: die politische Restauration wünscht die religiöse Begründung, aber ihr Bildungswille ruht nicht auf einer einheitlichen religiösen Vorstellungswelt. Deshalb herrscht die Aufklärung weiter. Qu. sagt: »Die Kurve der Aufklärung sinkt beim Andringen pestalozzianischer, romantischer und christgläubiger Gedanken und Impulse, einen Augenblick scheint es einer eigengeprägten restaurativen Haltung fast zu gelingen, sie verschwinden zu machen, am Ende


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indessen liegt sie, nachdem sie sich durch manches Andersgeartete, dieses modifizierend und wiederum ihm sich angleichend, verstärkt hat, in ruhiger Führung vor aller Augen.« -- Auf der Grenze zwischen Kirchengeschichte und allgemeiner Geistesgeschichte liegen mehrere Arbeiten zur Geschichte der politischen Ideen im 19. Jhd., an denen der Kirchenhistoriker nicht vorbeigehen kann. Auch hier erwachsen neue Möglichkeiten für weitere Forschungen. A. Hugenschmidts Basler Dissertation ( 1910) weist an katholischen und protestantischen Vertretern des ausgesprochenen Liberalismus im Vormärz Deutschlands nach, wie wenig einheitlich sie über das Problem des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche gedacht haben. Nur im Kreise des nackten Atheismus (Bruno und Edgar Bauer, Nauwerck, Julius Fröbel) wurde aus der antireligiösen Einstellung heraus jede positive Wirkung der Religion auf das staatliche Leben in Abrede gestellt. Im übrigen wirkt der alte Josephinismus stark nach. -- Aus dem Gebiet der Kirchengeschichte Deutschösterreichs verdient K. Völkers Arbeit über das österreichische Protestantenpatent [1861] besondere Anerkennung ( 1775). Bis in alle Einzelheiten hinein -- auch das politische Spiel in den Ministerien und am Hof wird berücksichtigt -- ist hier die Vorgeschichte geschildert. Fein ist auch herausgehoben, wie die Lage der Protestanten in den andern habsburgischen Ländern hemmend und fördernd eingewirkt hat.


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