§ 41. Zeitungskunde

(E. Dovifat)

Im letzten Bericht (Jberr. 5, 1929) ist als bedeutendste Erscheinung des Jahres 1928 auf dem Gebiete der Zeitungskunde und als wichtig auch für die Geschichtswissenschaft, das »System der Zeitungskunde« von Otto Groth genannt worden. Die ersten beiden Bände wurden damals bereits besprochen. Die nunmehr vorliegenden Bände III und IV (Otto Groth. Die Zeitung. Ein System der Zeitungskunde [Journalistik], III. und IV. Band, Mannheim, Berlin


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und Leipzig. J. Bensheimer Verlag, 485 und 582 S.) umfassen die Darstellung des Zeitungsbetriebes, technische Einrichtungen, wirtschaftliche Grundlagen, Ein- und Ausgaben, Anzeigenwesen und Betriebsrentabilität. Die Bände bewahren auch in der Fortführung die Vorzüge, die ihnen nachgerühmt werden. Sie dienen zumal der wissenschaftlichen Unterrichtung mit sehr reichem Stoff. Weitausholend ist er bis ins kleinste zusammengetragen und zu jedem Abschnitt ist die historische Entwicklung gegeben. Dabei trat eine Fülle allgemein kulturgeschichtlich bedeutsamer Tatbestände, zumal zur Technik und Wirtschaft der Zeitung und des Nachrichtenwesens zutage und wurde sachlich und übersichtlich zusammengefaßt. Reife Stücke einer durchgefeilten und besonders umfassend dargestellten Gesamtentwicklung bieten die Abschnitte über das Anzeigenwesen, darunter insbesondere die Darlegungen über das Anzeigenmonopol. Erstaunlich ist das Material, das zum Thema Bezugspreis zusammengebracht worden ist. Von erquickender Ehrlichkeit sind die Angaben über die Lage der Zeitungen in der Kriegs- und Inflationszeit. Alte aus geschäftlichen Gründen verbreitete Verdunkelungen der Lage sind hier durchleuchtet. Auch die Rekordkonjunktur der Jahre 1924--1928 ist mit zuverlässigen Ziffern erläutert. Der zuletzt bearbeitete Streit um die Konjunkturempfindlichkeit des Zeitungswesens und um die Parallelentwicklung mit der Konjunktur in anderen Gewerben hat im letzten Jahre Gelegenheit zu eingehender fachlicher Untersuchung gegeben, die eine Eigenkonjunkturbewegung des Zeitungswesens noch entschiedener ablehnen, als Groth das tut. Die Frage nach der Rolle der Persönlichkeit im Zeitungsgewerbe leitet zum IV. Band über, der dieses Kernproblem in den Mittelpunkt seiner Darlegungen gestellt hat.

Ohne Schminke und Schönfärberei durchdringt Groth die vielen Phrasen, die gerade über die im Zeitungswesen tätigen Persönlichkeiten immer wieder gemacht werden. Insbesondere untersucht er die Abhängigkeitsverhältnisse und beruflichen und sozialen Sicherungen der Redakteure. Dabei führt sein Bestreben, unter allen Umständen scharf und unerbittlich zu urteilen, zu manchem allzu harten Urteil. Der sozialen Sicherung der Redakteure wird er nur zum Teil gerecht, so sehr die Forderung nach deren Ausbau und Entwicklung recht gesehen und stark zu unterstützen ist. Als integrierenden Bestandteil der journalistischen Laufbahn behandelt Groth die wichtigen Auswirkungen der Anonymität, um im Zusammenhang damit die Frage der sozialen Stellung des Journalisten überhaupt zu prüfen. Ein sehr ausführliches Kapitel ist der Frage der zeitungsfachlichen Vorbildung gewidmet. Auch hier ist, ebenso wie im nächsten Kapitel, das die Zeitungskunde als akademische Disziplin behandelt, ein großes und weithergeholtes Material sachlich-aktuell und historisch gegliedert. In der Wertung selbst klingt an manchen Stellen über die sachliche Kritik hinaus ein Ressentiment durch, das man sonst bei diesem nüchternen Kritiker und Darsteller nur selten findet. Das Ergebnis, das eigene journalistische Fachschulen ablehnt, wird auch heute noch allgemeinen Beifall finden.

Sonst freilich sind diese Bände heute bereits historisch. Sie sind aus dem Fühlen und Wollen und auch aus dem Idealismus aufgebaut, den das liberale Zeitalter der Presse gesetzt hatte. Die neue Zielsetzung, die heute der Presse durch eine gänzlich anders gerichtete Gesetzgebung gegeben wird, dahingehend, daß sie Mittel sei der Staatsführung, war bei Abfassung dieser Bände noch nicht Gegenstand offizieller Betrachtung und konnte es auch nicht sein.


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Für das innere Verständnis des Ideenwachstums und seiner Förderung auch innerhalb der ständischen Bewegung, ist es sehr lehrreich zu sehen, wie Groths genaue Materialsammlung dazu führt, klar und leicht die Linien zu verfolgen, die aus dem früheren Aufbau des Pressewesens in die Bestrebungen um die heutige neue Formgebung herüberführen. Das zeigt die ausführliche und reich begründete Darstellung des Meinungsaustausches über Presse- und Schriftleiterkammern, die schon in ihrem Ursprung weit zurückgehen und schon früher dem dienen sollten, was in der neuen Gesetzgebung ihre Aufgabe sein wird: der inneren Festigung und ständischen Konsolidierung der journalistischen Arbeit. In einem lebendig und anschaulich geschriebenen Schlußkapitel gibt Groth einen Rückblick auf sein vielbändiges Werk. Das Ideal der Zeitungsarbeit, das er entwickelt und in der freien geistigen Betätigung liberaler Grundauffassung gipfeln läßt, ist heute nicht so überwunden, daß aus dem Ernst der Zielsetzung, der leidenschaftlichen Liebe beruflicher Auffassung nicht auch für den heutigen, stark aus unversöhnlichem Kampfwillen und der Psychologie der Massenführung beeinflußten neuen Journalismus, Vieles und Gutes zu lernen wäre. Das umfangreiche Literaturverzeichnis wäre bei schärferer Wertung, namentlich des Zeitungsmaterials, sicher brauchbarer geworden, aber Groth ist sich hier in der Genauigkeit seiner Arbeit bis zur letzten Zeile treu geblieben.

Es sei gestattet, diesem umfangreichen und größten Werk über das Zeitungswesen das kürzeste und kleinste gegenüber zu stellen: Emil Dovifat (E. Dovifat, Zeitungswissenschaft, I. Allgemeine Zeitungslehre, II. Praktische Zeitungslehre, Leipzig und Berlin, 1931) hat versucht, in zwei Göschenbänden, die den praktischen und theoretischen Teil trennen, das weite Gebiet in knapp formulierten Grundsätzen zusammen zu fassen, die wichtigste Literatur beizugeben und so neben einem Leitfaden auch eine Allgemeineinführung in die Disziplin zu bieten. Die mit der Entwicklung des Zeitungswesens zusammenhängenden allgemeingeschichtlichen oder fachgeschichtlichen Vorgänge sind, in kürzeste Formel gebracht, beigegeben. Es ist die Aufgabe der Büchlein, für größere Werke die rechte Lesefreude vorzubereiten.

Die Anfänge der Zeitungskunde hat Werner Storz in einer Leipziger Dissertation dargestellt (Werner Storz, Die Anfänge der Zeitungskunde, Inaug. Diss. Leipzig, 1931). Er bearbeitete die deutsche Literatur des 17. und 18. Jhds. über die gedruckten periodischen Zeitungen. Erstaunlich wird hier offenbar, wie alt und immer wiederkehrend die Problematik der Zeitung doch eigentlich ist. Erfreulich klar und historisch sicher in der Einfühlung und Deutung zeigt sich auch der Verfasser in diesem wohlgelungenen und lesbaren Buche.

Das in der selbständigen historischen und zeitungskundlichen Problemstellung bedeutsamste Werk des Jahres ist Erich Everths Buch über »Die Öffentlichkeit in der Außenpolitik ( 846). Was hier historisch gefördert wurde, mag die Fachdisziplin selber beurteilen. Mir scheint für die Historie die bemerkenswerteste Tat dieser Arbeit darin zu liegen, daß das publizistische Element, die Publizität hier gleichsam als ein Faktor von geschichtsbildender Kraft gewertet ist, den es darzustellen gilt. Richtig ist, daß die Geschichtswissenschaft reichlich oft die entscheidende Bedeutung publizistischer Kräfte verkannt hat. Daß sie das nach den Erlebnissen der letzten Jahre


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bestimmt nicht wieder tun wird, entschädigt noch lange nicht für das Zurückliegende. Es gab hier einen ein wenig hochfahrenden Aristokratismus, der manches geringschätzig beiseite schob, weil die qualitätsstarke Form fehlte, während sie ja gerade gemieden war, um eine Massenwirkung hervorzurufen. Nicht nur die Geschichte, auch die Nationalökonomie ist in diesen Fehler verfallen. Hat doch z. B. die hervorragende Biographie Fr. Lists in der neuen Ausgabe seines Gesamtwerkes für die populäre Publizistik, die List unausgesetzt und leidenschaftlich gepflegt hat, nur sehr wenig Verständnis aufgebracht. Everths Buch ist berufen, hier bahnbrechend zu wirken.

Es beginnt mit einer Klärung des Begriffs »Öffentlichkeit« und ihres Einsatzes in die große außenpolitische Entscheidung. Bei der schweren Faßbarkeit und der dem Gelehrtentum fremden Psychologie der publizistischen Mittel, ist bisher darüber bei uns wenig nachgedacht worden. Es sei aber auch die praktisch-publizistische Bedeutung der Darstellung Everths hervorgehoben. Der rechte politische Einsatz der Öffentlichkeit war bisher selten ein besonderer Glanzpunkt der deutschen Politik. Um so notwendiger ist es, sich der Bedeutung gerade dieses Einsatzes bewußt zu werden. In Everths Buch gibt ein systematischer Teil die theoretische Einführung. Leider haben die 1928 in Aufsatzform gegebenen Darlegungen (Jberr. 4, Nr. 1579) zur Begriffsbestimmung der Öffentlichkeit keine Aufnahme gefunden, dafür werden die für die gesamte Publizistik maßgebenden Grundbegriffe von Nachricht und Meinung, von Aktualität, Popularität und Publizität eingehend behandelt und in diesem Zuge über das Schlagwort und die in der Gestaltung der Öffentlichkeit wirksamen unwägbaren Kräfte grundsätzliche Erläuterungen von einer Vollständigkeit geboten, die bisher nirgends erreicht wurden. Der historische Teil wiederum verweilt bei den Höhepunkten des publizistischen Lebens seit Karl V., je nach dem Umfange ihrer Bedeutung, wobei Friedrich II. und Napoleon gleicherweise groß und eigen in der Bewältigung und dem Einsatz öffentlicher Kräfte in ein neues Licht gerückt und in der Größe ihrer Leistungen verstanden werden.

Bei aller betonten Wissenschaftlichkeit der Anlage und der Diktion ist das Buch auch für den aktiven Politiker nicht ohne reichen Gewinn zu lesen. Everth drängt nirgend die Gegenwartserkenntnisse auf, die ihm das systematische und das historische Studium erschließen. Gelegentlich nur wirkt ein kurzer Hinweis oder eine Seitenbemerkung auf die aktuelle Beweiskraft des Vorgetragenen.

Was in der Systematik der Beweisführung wissenschaftlich umstritten ist, kann an dieser Stelle nicht ausführlich erörtert werden. Es ist vor allem die Frage aufzuwerfen, ob denn die Kenntnis der publizistischen Technik schon so entwickelt ist, daß Rückschlüsse mit der Sicherheit getroffen werden können, die Everth an den Tag legt. Jedenfalls wird der andere Weg zeitungskundlicher Forschung, der zunächst nicht die Wirkung der Öffentlichkeit, sondern die Erforschung der heute zu neuer und gewaltiger Wirkung erwachten Technik der Führungsmittel (Rede, Flugblatt, Zeitschrift, Zeitung) anstrebt, gerade der weitgesteckten Forschungsarbeit Everths noch in manchem zu Hilfe kommen. Mit besonderer Spannung darf man der Durchführung der Arbeit bis zur Gegenwart entgegensehen, und erst recht der systematischen Durchleuchtung jener schwierigen Beziehungen, durch die der Begriff »Öffentlichkeit« in der inneren Politik gebunden ist.


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Von Einzelarbeiten, soweit sie für die Geschichte von Bedeutung sind, sei zunächst eine Arbeit des durch die kritische Behandlung der sogenannten »Fuggerzeitungen« bekanntgewordenen Leipziger Zeitungshistorikers Johannes Kleinpaul (Jberr. 6, Nr. 1906) genannt. Sie behandelt das Nachrichtenwesen der deutschen Fürsten im 16. und 17. Jhd. und zeigt in glücklicher, vielfach geradezu unterhaltender Auswahl Beispiele aus der vielfältigen Mannigfaltigkeit der Stoffe, die diese geschriebenen Zeitungen aufnahmen. Dabei sind die Persönlichkeiten der Korrespondenten oft sehr plastisch beleuchtet. Schlecht weg kommt nur das Kapitel über die Pasquille. Wir brauchten einmal eine zeitungskundliche Wertung dieser im 16. Jhd. sehr verbreiteten und wirksamen Formen der kämpfenden Meinungswerbung. Methodische Nutzanwendungen sind knapp beigegeben. Über Redaktion, Nachrichtenlauf und Nachrichtenmittel wurde viel Neues gebracht. Für die Geschichte der Anfänge des Zeitungswesens ist das Buch von Kleinpaul eine dankenswerte Förderung.

In der von Everth herausgegebenen Sammlung: Das Wesen der Zeitung, sind zwei Arbeiten historisch von Belang. Dr. Leopold Ullstein behandelt Eugen Richter als Publizisten und Herausgeber (Jberr. 6, Nr. 1316).

Er gibt ein -- auch im wirtschaftlichen und technischen der Zeitungsvoraussetzungen -- sehr lebensnahes Bild, dieses letzten aus eigenem und allein sein Zeitungsunternehmen tragenden Politiker-Publizisten, der noch versuchte zu Erfolg zu kommen, als die großkapitalistische Natur des Zeitungswesens längst Tatsache geworden war. Ullstein zeigt, daß Richter aus einem rein intellektualistisch bestimmten politischen Wollen die mehr Glaubens- und gefühlsmäßigen Vorbedingungen der Meinungsführung völlig abgingen und begründet darin mit vollem Recht seinen Mißerfolg. Ein für die Beurteilung der Geschichte linksliberaler Parteiführung sehr aufschlußreiches Buch. Bismarcks Urteile über die Presse hat Heinz Schulze zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht ( 1984). Der Verf. hat das ganze Bismarckwerk auf Urteile über die Presse durchgesehen. Die Ernte ist reich und wertvoll, auch von einem weiteren Leserkreis aufgenommen zu werden. Manches im Umlauf befindliche Wort B.s über Presse und Journalismus ist auf seinen wahren Wert geprüft und aus der Veranlassung heraus, aus der es gesprochen wurde, richtig beurteilt und oft zurechtgerückt. Das Ergebnis zeigt -- was zu erwarten war -- die ausschließlich und einzig politische Nutzung der Presse durch Bismarck. Er war nicht gewillt, ihr die Berechtigung irgendeiner idealen oder realen Eigenexistenz zuzubilligen. Sie war ein Werkzeug und nichts anderes; man schätzt es hoch, wenn man es brauchte, und warf es verächtlich weg, wenn es seine Schuldigkeit getan hatte. Die Selbstverständlichkeit dieses Gesamtergebnisses verhindere aber nicht die vielfältigen und mannigfaltigen nuancierten Urteile B.s über die Presse heranzuziehen. Sie geben viel politische Anregung und gute Gedanken über die Beziehungen der begleitenden und beschreibenden Publizistik zum Manne der politischen Tat.

Vergessen sei hier auch nicht eine stark persönliche, aber für ihre Zeit und für die publizistische Veranlagung und Entwicklung sehr wertvolle Studie über die Jugendgeschichte Leopold Sonnemanns zu nennen, die sein Enkel Heinrich Simon bearbeitet hat. (Heinrich Simon, Leopold Sonnemann. Seine Jugendgeschichte bis zur Entstehung der Frankfurter Zeitung. Zum 29. X. 1931. Privatdruck.)


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Walter Heide hat in einem schönen Druck der Gutenberg-Gesellschaft die ältesten gedruckten Zeitungen untersucht (Walter Heide, Die älteste gedruckte Zeitung. Kleiner Druck der Gutenberg-Gesellschaft, S. 16. Mainz, 1931). In einer Einleitung werden alle Theorien und gelehrten Meinungen zusammengefaßt, die über diese frühesten Stücke entstanden sind: die Straßburger Relation des Johannes Carolus und das »Augsburger Aviso«, das in Hannover aufbewahrt wird. Beide entstammen dem Jahre 1609. Sie werden insbesondere auf ihren Nachrichtendienst eingehend untersucht und verglichen. Das graphische Bild des »Augsburger Aviso« ist besonders liebevoll behandelt durch die beigegebenen anschaulichen Tafeln und Zeichnungen. --Karl d'Ester (Jberr. 6, Nr. 1917) hat in einer kleinen Schrift des »Neuwieders« gedacht, der »Politischen Gespräche im Reich der Todten«, die Moritz Flavius Trenk von Tondern von 1786 in Neuwied und später, bis 1810, in Frankfurt a. M. herausgab. d'Ester feiert Trenk als einen fast vergessenen Vorkämpfer für die Freiheit der Rheinlande und gibt das journalistische Charakterbild eines hervorragend begabten, lebendigen, witzigen, aber bei aller Beweglichkeit grundehrlichen deutschen Publizisten. Dabei erwächst auch eine eindrucksvolle Skizze des Blattes selbst, von der man wünschen möchte, daß sie in einer größeren Arbeit ausgebaut und vollendet wird, zumal dieses Blatt sichtbar die Keime zur pressetechnischen und journalistischen Entwicklung des 19. Jhds. trägt. Es steht ausgesprochen in einem Übergang. Hier sind geschichtlich und zeitungskundlich noch wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen.


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