I. Das Zeitalter des Absolutismus.

Mit dem Pamphletisten W. Hegemann hat sich die deutsche Geschichtswissenschaft wohl zu ernsthaft auseinandergesetzt. Er dankt es ihr in dem Vorwort zu dem »Jugendbuch vom Großen König« ( 850) auf eine Weise, die eine weitere Diskussion unmöglich machen würde, wenn sie inzwischen nicht überflüssig geworden wäre. H. ist eine Variante jener nunmehr ausgetriebenen Sorte von Literaten, die mit den Mitteln einer vergröberten Nietzscheschen Entlarvungspsychologie, mit Psychoanalyse und westlich-demokratischen Zivilisationsideen den Sturz der deutschen Götter und Helden, die geistige Zerstörung der deutschen Wertwelt betrieben -- eine Variante insofern, als er mit dem besonderen Trick arbeitete, die Entlarvung eines deutschen Geschichtshelden nicht zugunsten der internationalen Demokratie vorzunehmen, sondern vom Standpunkt einer angeblich durch Preußens Dazwischentreten nicht verwirklichten geschichtlichen Möglichkeit aus: der deutschen Nationalstaatsgründung durch das habsburgische Kaiserhaus. Mit dieser scheinbar ernsthaften These, die H. wohl von der Lektüre Onno Klopps mitgebracht hat, sichert er sich gewissermaßen ein geistiges Alibi: die Zerstörung des Fridericusbildes geschieht aus Patriotismus. Gerade die Ausbreitung von Gemeinheiten und Niedrigkeiten hinter dieser fadenscheinigen Kulisse eines heuchlerisch beweinten alten Reiches gibt dem Buche das Perfide und Unerträgliche. Es kann nicht als geschichtliches Werk, sondern nur als Dokument einer versunkenen Zeit betrachtet werden.

Eine sorgfältige Studie hat F. Backschat der Ökonomie am Hofe Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs des Großen gewidmet. Der Verfasser hat es verstanden, in dem Kleinen und scheinbar allzu Besonderen doch das Allgemeine zu sehen, und das gibt seiner Arbeit über das rein Stoffliche hinaus den Wert. Die deftigen Speisezettel Friedrich Wilhelms I. und die französischen Köche Friedrichs des Großen gehören zur Biographie beider Könige. -- Der Hauptwert der Arbeit Scheels, einer Greifswalder Dissertation ( 853), liegt auf dem Gebiet der orientalischen Philologie und der osmanischen Diplomatik. Die geschichtliche Einleitung über die preußisch-türkischen Beziehungen bringt kaum Neues gegenüber den Arbeiten von Porsch und Nottebohm. Wichtig ist die Feststellung, daß die türkische Fassung der Kapitulation von 1761 erhebliche Unterschiede gegenüber dem bisher ausschließlich benutzten italienischen Text aufweist. Der diplomatische Abdruck, die Beschreibung, Faksimilierung und die Übersetzung sämtlicher Schreiben der türkischen Sultane an die preußischen Könige von 1731 bis 1774 nach den Originalen im Geheimen Staatsarchiv gestattet es, die Hauptmomente


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der preußisch-türkischen Beziehungen im 18. Jhd. nun auch auf Grund der Dokumente zu überblicken. -- Richard Lodge untersucht an Hand der Akten des Record Office, der Newcastle Papers und der politischen Correspondenz die diplomatische Episode der Sendung von Henry Legge an Friedrich den Großen im Jahre 1748 ( 856), durch die die seit dem Herbst 1744 unterbrochenen diplomatischen Beziehungen wiederhergestellt und Preußens Waffen für den Kampf gegen Frankreich gewonnen werden sollten. L. stellt die im übrigen vollkommen gescheiterte Sendung in den Rahmen der gesamteuropäischen Politik und der Verhandlungen um den Frieden zu Aachen. Der Versuch erscheint L. als ein nicht verwirklichter Vorläufer der Westminster-Konvention. -- Eine eindringliche Studie über die antifranzösische Partei in Petersburg während des Siebenjährigen Krieges ( 859) gründet Elise Despreaux auf Akten der Archive in Riga und Mitau -- für die Kurländische Frage -- und des Archivs des Ministeriums des Auswärtigen in Paris (vgl. S. 201).

In einen Abgrund von schauerlichem Haß läßt uns Otto Herrmann blicken. Er stellt die Briefe zusammen, die Prinz Heinrich an den Prinzen Ferdinand während des Siebenjährigen Krieges über seinen königlichen Bruder geschrieben hat ( 852) und in denen sich eine hemmungslose und wilde Feindschaft qualvoll entlädt. Herrmann hat sicherlich recht mit der Andeutung, daß dieser Haß nicht aus gegensätzlichen Anschauungen über strategische Dinge zu erklären ist, wie Th. von Bernhardi es wollte, sondern daß er wie jede Leidenschaft tiefere, in dunkleren Schichten wurzelnde Antriebe hat. Es ist die Tragödie eines stolzen Herzens, das vom Schicksal an den zweiten Platz gestellt wurde und das doch nicht groß genug ist, sich in der Einordnung zu erlösen. -- G. Beyerhaus unterzieht in seinem Vortrag über »Friedrich den Großen und das 18. Jhd.« ( 849) das Bild der friderizianischen Aufklärung, wie Zeller, Harnack und Dilthey es gezeichnet haben, einer Revision, indem er zeigt, daß die preußische Kirchen- und Schulpolitik nach dem Siebenjährigen Kriege unbekümmert um die westeuropäische Aufklärung und deren Ziel der Errichtung einer despotischen Vernunftreligion ihre eigenen Wege gegangen ist. -- Der zweiundvierzigste Band der »Politischen Correspondenz Friedrichs des Großen« ( 848), den der ausgezeichnete Bearbeiter G. B. Volz bereits nach zwei Jahren auf den vorhergehenden folgen lassen konnte, bringt die Veröffentlichung der entscheidenden Aktenstücke zur Geschichte des Bayrischen Erbfolgekrieges zum Abschluß; er reicht bis in die letzten Verhandlungen zur Herbeiführung des Friedens in Teschen. Wir finden den König nach dem ergebnislosen Feldzuge des Jahres 1778 während der Wintermonate zunächst in Breslau, »sur le point de retomber dans le dédale des négociations«, beschäftigt zugleich mit der Vorbereitung des neuen Feldzuges und mit dem diplomatischen Kampf um den Frieden: »nous flottons ici entre la paix et la guerre«. Ende Januar muß er noch einmal gegen die Österreicher aufbrechen, die sich aus Böhmen gegen Schlesien zusammenziehen. Während Prinz Heinrich eine Diversion gegen Böhmen vorbereiten muß, vertreibt der König die Österreicher aus der Grafschaft Glatz, indessen der Erbprinz Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig Oberschlesien sichert. Prinz Heinrich und der Erbprinz sind die beiden militärischen Hauptkorrespondenten des Bandes. Von besonderer Bedeutung sind dabei für die Geschichte des brüderlichen Haßverhältnisses zwischen Friedrich und Heinrich diejenigen Stücke, die sich um das von dem Prinzen Heinrich am 3. Dez. 1778 eingereichte Abschiedsgesuch und seine Ersetzung


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durch den Erbprinzen von Braunschweig drehen. Die diplomatischen Hauptkorrespondenten sind nächst Finckenstein und Hertzberg die beiden Vertreter in Paris und Petersburg, Goltz und Solms: war es doch die französisch-russische Vermittlung auf Grund des Friedensplanes Friedrichs vom November 1778, durch die man unter zähem Kampf zum Friedenskongress in Teschen gelangte. Mitten in dessen Verhandlungen bricht der vorliegende Band ab. Friedrich zieht die äußere Bilanz des Krieges mit den Worten: ... dans cette soi-disante guerre ... y a-t-il eu une dépense bien plus considérable en encre qu'en poudre et plus de plumes d'usées que de fusils...« Immerhin hatte Preußen die Verschiebung des Gleichgewichtes der Macht zugunsten Österreichs, die die Folge der Erwerbung Bayerns durch Joseph II. gewesen wäre, verhindert.

Die Berliner Dissertation von W. Lüdtke über »Preußen und die elsässische Frage in den Jahren 1789--1791« ( 875) zerstört die zuerst von Pierre Muret vertretene und von anderen französischen Historikern als »elegant, scharfsinnig und unparteiisch« aufgenommene These, daß Preußen den Konflikt, der durch die Anwendung der Beschlüsse der Nationalversammlung über die Aufhebung der Feudalrechte auf das Elsaß zwischen Frankreich und den interessierten deutschen Reichsfürsten entstanden war, dazu benutzt habe, um unter dem Druck einer reichspatriotischen Bewegung den Kaiser zur Aufgabe seines französischen Bündnisses zu zwingen und unter preußischer Führung eine Entente der betroffenen Reichsfürsten gegen Frankreich herbeizuführen. Preußen wäre so zum Urheber des Konfliktes geworden, der die Mitursache des Ausbruches des ersten Koalitionskrieges war. Demgegenüber weist L. gerade eine für die deutsche Frage letzten Endes verhängnisvolle Lauheit Preußens in der elsässischen Frage nach, eine Vernachlässigung der Pflichten gegenüber dem Reich, an deren Ende der Rheinbund stehen mußte. -- Einen Abschnitt aus dieser Dissertation über »Friedrich Wilhelm II. und die revolutionäre Propaganda« ( 871) hat der Verfasser unter demselben Titel noch zu einem selbständigen Aufsatz erweitert, in welchem er den Nachweis erbringt, daß Friedrich Wilhelm II. seit dem Sommer 1790 Befürchtungen über das Vordringen der französischen Propaganda bei seinen Untertanen hegte, daß er geheime Gegenmaßnahmen gegen die »Ansteckung des Geistes der Freiheit und des Ungehorsams« traf, und daß endlich die Propaganda dazu beigetragen hat, ihn in den Krieg gegen die Revolution hineinzuführen. -- »Das Fragment aus dem 18. Buche des Polybius« ( 882) ist eine politische Flugschrift des in russischen Diensten stehenden royalistischen Agenten d'Antraigues aus der großen Krisis von 1805, von der O. Tschirch nachweist, daß ihr Grundgedanke, die Einkleidung der zeitgeschichtlichen Situation in ein bestimmtes antikes Gewand, von Johannes von Müller stammt und daß Hardenberg ihre erste Herausgabe durch den Berliner Hofbuchdrucker Decker befördert hat. Die Absicht war, auch auf diesem Wege auf den König im Sinne einer Kriegspolitik einzuwirken.


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