I. Quellen und Gesamtdarstellungen.

Ähnlich, wie es in anderen deutschen Landschaften schon geschehen ist, hat die Historische Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung sogleich nach ihrer Begründung im Jahre 1923 die Herausgabe einer umfassenden Bibliographie zur Geschichte des Preußenlandes in Angriff genommen. Mit der Durchführung dieser mühevollen Arbeit wurde der Bearbeiter der jährlichen Übersicht der Neuerscheinungen in den Altpreußischen Forschungen, Bibliotheksrat Dr. Ernst Wermke ( 35), betraut. Er legte im Berichtsjahre die erste Lieferung des neuen Werkes vor. Die Bibliographie umfaßt sämtliche Darstellungen zur Landesgeschichte, mit Ausnahme der Zeitungsaufsätze, bis zum Ende des Jahres 1929. In fünfjähriger Arbeit wurden mehr als 15 000 Titel verzeichnet. Die Nachprüfung ergibt die Vollständigkeit der Sammlung, bei der auch die Veröffentlichungen in den osteuropäischen Sprachen berücksichtigt sind. Der Stoff der ersten Lieferung ist so geordnet, daß zunächst Bibliographien, Zeitschriften und Sammelwerke verzeichnet sind, dann die Veröffentlichungen zur historischen Landeskunde, zur Volkskunde und zur Zeitgeschichte. Dabei sind sehr eingehend auch die Schriften zur Frühgeschichte aufgenommen worden. Es kann bereits jetzt gesagt werden, daß die Bibliographie die bisher stets entbehrte Grundlage für die zusammenfassende Darstellung und Erforschung der preußenländischen Landesgeschichte bietet. Sie sollte auch von denen ausgewertet werden, die der heimischen Forschung ferner stehend, den allgemeinen Fragen der ostdeutschen Geschichte sich zu widmen gedenken. In gewohnter Weise hat E. Wermke auch die Veröffentlichungen zur preußenländischen Geschichte für das Jahr 1930 mit 770 Titeln zusammengestellt ( 36). Die fremdsprachlichen Schriften, besonders die polnischen, sind wiederum ausgiebig beachtet worden. Dagegen sind anders als in den Vorjahren die Schriften zur Landeskunde, soweit sie mehr naturwissenschaftlich gehalten sind, fortgelassen. Auch ist die Einteilung des Stoffes der obenerwähnten Altpreußischen Bibliographie angepaßt worden, als deren Fortsetzung diese Bücherschau für die Jahre von 1930 ab zu betrachten ist. Obwohl es zu bedauern ist, daß die Naturkunde des Preußenlandes


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fortan ausgelassen wird -- es wäre zu wünschen, daß eine andere Zeitschrift der bibliographischen Bearbeitung ihrer Ergebnisse sich recht bald widmet --, hat die Übersicht Wermkes in den Altpreußischen Forschungen an Geschlossenheit gewonnen.

Die Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung ist im Preußenlande seit dem Ausgang des Weltkrieges vor zahlreiche neue Aufgaben gestellt worden. Bestand vorher die Gefahr, daß sie sich allzusehr in provinziell und örtlich beschränkte Darstellungen verlor, so hat die Gewalttat von Versailles die Einheit des Preußenlandes als sein Lebensgesetz herausgestellt und seine Geschichte als unmittelbaren Teil des großen europäischen Geschehens erkennen lassen. Das Bedürfnis nach einer neuen umfassenden Darstellung der Landesgeschichte ist deshalb bedeutend gewachsen, und zahlreich sind die Überlegungen, wie es durch die Herausgabe neuer Quellen und die Förderung von Einzelforschungen befriedigt werden könnte. Diese Ziele und die Wege, die zu ihnen hinführen könnten, hat Ch. Krollmann kenntnisreich und umsichtig abgesteckt ( 6). Er bietet zunächst einen Überblick über die Leistungen von Voigt, Töppen, Perlbach und ihren Zeitgenossen, kennzeichnet die Begründung und die Tätigkeit der preußenländischen Historischen Kommission und macht schließlich auf die besonderen Aufgaben aufmerksam, die sich für die Erforschung der Frühgeschichte, der Siedlungsgeschichte und des Ständewesens ergeben. Auch E. Maschke ( 37) hat sich mit den gleichen Fragen auseinandergesetzt. Er greift bis auf die Chronisten des 14. Jhds. zurück, deren Tätigkeit er mit den damaligen politischen Verhältnissen in Zusammenhang bringt und in die geistesgeschichtlichen Beziehungen zur allgemeinen deutschen Geschichtsschreibung hineinstellt. Seit dem längst überholten Jugendwerke Töppens über die preußische Historiographie ist Maschkes Aufsatz die erste zusammenfassende Darstellung ihres Ablaufes. Auch die örtlichen Geschichtsschreiber, besonders der großen Städte, werden berücksichtigt. Dagegen ist leider die Bedeutung der Geschichtsvereine und ihrer zahlreichen überaus wertvollen Veröffentlichungen nicht hinreichend gewürdigt. Es wäre angebracht, wenn recht bald die Entwicklung der geschichtlichen Erforschung des Preußenlandes in einem größeren Werke dargelegt würde. -- Der Ermländische Geschichtsverein hat sich durch die Anregung historischer Forschungen, seit 1858 durch die Veröffentlichung einer Zeitschrift, die sich stets auf achtbarer wissenschaftlicher Höhe hielt, durch die Herausgabe zahlreicher Geschichtsquellen und durch die Begründung einer landesgeschichtlichen Bibliothek und seit 1903 auch eines ermländischen Museums die größten Verdienste um die Landesgeschichte erworben. Zum 75jährigen Bestehen des Vereins hat Studienrat Buchholz seine Tätigkeit ausführlich gewürdigt ( 7). Es ist beachtenswert, daß schon 1858 die Erforschung der heimatlichen Sagen und 1862 die Sammlung der Flurnamen angeregt wurde.

Dem Bedürfnis nach einer möglichst allseitigen Darstellung der preußenländischen Geschichte suchte der Landeshauptmann der Provinz Ostpreußen dadurch abzuhelfen, daß er zur Erinnerung an die Begründung des Ordenstaates vor 700 Jahren den früheren Königsberger Stadtschulrat Paul Stettiner beauftragte, die besten Kenner der Landesgeschichte zur Mitarbeit an einem umfangreichen Sammelwerk über die Zeit- und Kulturgeschichte des Preußenlandes zu veranlassen. So entstand das Buch »Deutsche Staatenbildung und deutsche Kultur im Preußenlande« ( 189), dessen einzelne Abschnitte an anderen Stellen besprochen werden. Es sei hier im ganzen als eine achtunggebietende Leistung begrüßt, obwohl


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die Ungleichmäßigkeit seiner Anlage, die Aufteilung sachlich zusammengehöriger Abschnitte in die zeitliche Gliederung des Werkes und auch das verschiedenartige Verhalten der einzelnen Verfasser zu dem ihnen übertragenen Stoffe zu mancherlei Beanstandung Anlaß gibt, vgl. die ausführlichen Besprechungen von H. Strunk in den Altpreußischen Forschungen Jg. 9 (1932), S. 146 ff. und E. Keyser in der Historischen Zeitschrift Bd. 148 (1933), S. 598 f. Da jedoch die jeweils besten Fachleute zur Schilderung der politischen, wirtschaftlichen und geistigen Entwicklung herangezogen wurden, kommt den einzelnen Beiträgen vielfach grundlegende Bedeutung zu, zumal der Stoff in gleich großem Zusammenhange noch niemals behandelt worden ist. Die zahlreichen auch aus entlegenen Quellen ausgewählten vorzüglichen Bilderbeilagen verdienen besondere Anerkennung. Bei der 700-Jahrfeier Ospreußens, welche die Universität Königsberg veranstaltete, ordnete E. Maschke die Begründung des Ordensstaates in die räumlichen und zeitlichen Verhältnisse des Ostens ein, wobei er auch die früheste Entwicklung des polnischen Staatswesens unter guten Gesichtspunkten schilderte ( 742). W. Ziesemer betonte bei der gleichen Gelegenheit, daß die Kulturarbeit der Deutschen im Preußenlande etwas völlig Neues schuf. Da sie aus wilder Wurzel Staat und Wirtschaft, kirchliche und geistige Kultur aufbauten, entstand etwas durchaus Eigenes, das die Merkmale des spätmittelalterlichen Deutschtums reiner als anderswo verkörperte. Ostpreußens geschichtliche Sendung hat W. Stolze in zwei Rundfunkvorträgen behandelt, die weiteste Kreise mit der Bedeutung des alten Ordenslandes für die Gestaltung des Deutschen Reiches und der deutschen Kultur vertraut machten (Manns Pädagogisches Magazin. 1356. Langensalza, Beyer). Leider ist schon in dem Titel der Vorträge nur von der heutigen Provinz Ostpreußen die Rede, anstatt daß die ursprüngliche und erst 1920 zerrissene Einheit des Preußenlandes berücksichtigt worden wäre. Aus wissenschaftlichen und nationalpolitischen Gründen muß in Zukunft stärker als bisher vermieden werden, die willkürlich umgrenzten Verwaltungsbezirke der Gegenwart geschichtlichen Betrachtungen zu Grunde legen. Auch sollte die Bedeutung des Deutschen Ordens trotz seiner unbestreitbaren Verdienste nicht überschätzt werden. Wäre er tatsächlich die einzige Voraussetzung für das Deutschtum des Preußenlandes gewesen, so wäre dieses durch seinen Sturz vernichtet worden. Die deutsche Bewegung wurde durch die Deutschen Ritter lebhaft gefördert, aber sie hatte schon vor ihrem Eintreffen an der Weichsel begonnen und hätte sich wohl auch, ähnlich wie in Pommern und Schlesien, ohne sie, wenn auch in anderer Weise, als es geschehen ist, entfaltet.


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